Leserbriefe zum Totalitarismus der extremen Mitte

Eine andere Definition von Rechts und Links

Hallo Herr Häring,

zu Ihrem „Totalitarismus der extremen Mitte“ Artikel entspann sich nach dessen insgesamt sehr positiven Erwähnung durch Susan Bonath auf ihrem Telegram-Kanal eine kleine Diskussion um den einzig negativen Punkt: die Bezeichnung eines Teils unseres Mainstreams als das „gesamte linke politische Spektrum“. Falls Sie das ironisch gemeint haben war es wohl zu subtil.

Was ich meine, ist die um sich greifende Begriffsverwirrung um die politischen Kategorien links und rechts. Dabei ist das m.E. in erster Näherung ganz einfach: „Rechts“ ist eine Haltung mit einer klaren Ordnung von oben nach unten, Herrschaft und Beherrschten, besser und schlechter. Egal ob Monarchie,  Faschismus oder Rassismus: verschiedene Menschen haben unterschiedliche Rechte.

„Links“ ist die Überzeugung von den gleichen Rechten für jeden einzelnen. Daraus ergeben sich eine ganze Reihe Folgerungen, z.B. bezüglich der Macht des Kapitals oder wie sich politische Macht in einer Demokratie wirksam einhegen läßt. Und diese Position gibt es derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr. Das war ein schleichender Tod, Adenauers Verbot der KPD war schonmal ein Meilenstein, die 68er Generation wurde in der Kohl-Ära markt-konformiert. Allerspätestens bei Corona wurden dann alle Schamgrenzen überschritten: wenn eine Zeitung wie die TAZ oder eine Partei wie die Linke gegen Ungeimpfte hetzen und das Verprügeln von Maßnahmenkritikern bejubeln ist das vielleicht alles Mögliche, aber ganz sicher nicht „links“.

Und jetzt wird wieder (bis auf ein paar Versprengte die sich bei BSW versammelt haben) zum Krieg gehetzt und einseitig Partei ergriffen, weil die eine Seite ja besser ist als die andere und diese deswegen alles Recht hat, die auf der anderen Seite totzuschießen. Und wir müssen diese dabei unterstützen. Ebenfalls ganz sicher nicht „links“.

Da hilft es auch nichts, wenn sich einzelne Parteien, Politiker oder Medien selbst als links bezeichnen: das ist im Mainstream ein sinnentleertes Label geworden. Und daß dann (neu-) rechte Postillen wie Reitschuster, Tichy oder Nius und dergleichen die Regierung als „links-grün-sozialistisch“ bezeichnen macht die Sache nicht besser sondern vergrößert noch die Verwirrung in den Köpfen. (Nebenbei: warum haben diese Postillen soviel mehr Reichweite und scheinen die einzige Opposition zu sein? Wahrscheinlich haben sie zahlungskräftigere Unterstützer als echte Linke….)

Kurzum (und damit zurück zu Ihrem Artikel): ein linkes politisches Spektrum (nach eben der obigen schlichten Definition) mit einer nennenswerten Reichweite gibt es einfach nicht mehr. Wer im Jahr 2024 linke Autoren sucht liest gezielt einzelne Telegram-Kanäle und bestimmte Webseiten (z.B. Norbert Häring) und bewegt sich damit in einer Nische. Also somit überhaupt kein Wunder daß nichts über Voigts totalitäre Vorschläge zu lesen ist.

Viele Grüße und herzlichen Dank für Ihre unermüdliche Arbeit,

E. Becker

Meine Antwort

Lieber Herr Becker,

vielen Dank für Ihre klugen Gedanken. Leider muss ich Ihnen weitgehend zustimmen, dass sich das in Ihrem und in meinem Sinne „linke Spektrum“ als linke wirksame Kraft weitgehend aufgelöst hat. Jahrzehnte der auf Menschen mit linken Einstellungen gezielten Propaganda habe ihre Wirkung getan und sehr vielen dieser Menschen die Orientierung geraubt, weshalb es ihnen nicht mehr auffällt, wenn Politiker Totalitarismus predigen.

Dass rechte Stimmen und Portale mit ihrer Kritik mehr Ressonanz finden, liegt aus meiner Sicht nicht vor allem am Geld, sondern genau daran, dass der linke Ressonanzboden für Kritik ausgetrocknet ist. Auch als Linker finde ich in rechten Kreisen oft mit meiner Regierungskritik mehr Ressonanz als in vermeintlich linken.

Bei Ihrer Definition von rechts und links würde ich bei dem Teil widersprechen, in dem sie die Liebe zur klaren Ordnung von oben nach unten allein rechts zuordnen. Aus meiner Sicht ist das eine leider auch bei Linken verbreite Haltung, vielleicht sogar noch mehr. Die linke Liebe zum starken Staat mache ich mitverantwortlich dafür, dass die (vermeintlichen und tatsächlichen) Linken so empfänglich für den Corona-Totalitarismus waren. Wenn sie glauben, dass es das richtige, edle und solidarische ist, was die Regierung will, haben sie nichts gegen ausufernden Gebrauch von Regierungsmacht. Siehe etwa als eklatantestes Beispiel Noam Chomsky.

Viele Grüße

Norbert Häring

A. Storz erwidert auf den Leserbrief von E. Becker

Sehr geehrter Herr Häring,

in seinem Leserbrief macht Herr Becker eine gängige Zweiteilung der politischen Einordnungen auf:

„„Rechts“ ist eine Haltung mit einer klaren Ordnung von oben nach unten, Herrschaft und Beherrschten, besser und schlechter. Egal ob Monarchie, Faschismus oder Rassismus: verschiedene Menschen haben unterschiedliche Rechte. Links“ ist die Überzeugung von den gleichen Rechten für jeden einzelnen.“

Wahrscheinlich stimmen viel dieser Definitionen zu.

Allerdings werden unter „links“ bei uns regelmäßig marxistische, sozialistische oder kommunistische Strömungen subsumiert. Und, so leid es mit tut, aber ich kann im Rahmen von jeglichen Ideologien – außer in den entsprechenden Proklamation und Sonntagsreden – nirgends etwas von gleichen Rechten aller erkennen. Der „real existierenden Sozialismus“ (oder auch Maoismus in China, Stalin in der UdSSR, …) hat ganz konkret gezeigt, dass dort Funktionäre, „Nomenklatura“, Systemlinge und Geheimdienstler, etc. „gleicher als gleich“ waren. Eine Tatsache die Georg Orwell in seiner Utopie „Farm der Tiere“ metaphorisch aufgespießt hat. Herr Becker scheint auf dem „linken Auge blind zu sein“, wenn er seine Definition von „links“, so schön sie klingt, zwar als angebliches Wesenskern verallgemeinert, aber bekannte, reale Versuche, „linke“ Ideen in politische Systeme umzusetzen, ignoriert. Insbesondere eben auch beobachtete reale Ausprägungen solcher angeblicher Gleichheiten, die direkt seiner Definition widersprechen. (Vielleicht schließt er marxistische Ideologien auch einfach aus – was dann aber seine Definition von „links“ nicht verallgemeinerungsfähig machen würde).

Nun halte ich es nicht für falsch, Utopien anzustreben, nur weil sie nie perfekt realisiert werden können. Ein positives Leitbild ist sicher besser als ein negatives Leitbild. Was ich aber dieser Argumentationsweise, die man verbreitet hört, vorwerfe ist, dass damit das Denken über die politische Dimension auf ein eindimensionales Spannungsfeld zwischen den Extremen „links“ bzw. „rechts“ reduzieren wird.

Manchmal scheint es mir regelrecht System zu sein, dass man bei Definitionen von „links-sein“ nach belieben Marxismus bzw. Kommunismus heranzieht – oder weglässt – wie es eben gerade passt. Nun, ich als junger Mensch bin auch darauf hereingefallen. Ich habe mich „gegen rechts“, nämlich gegen F. J. Strauß, gegen NPD, gegen damals waschechte Nazis in Ämtern und Diensten, gegen Filbinger, gegen Kriegsbefürworter und Rüstungslobbyisten positioniert. Und mich deshalb selbst als „links“ verortet. Ich habe lange gebraucht um endlich zu begreifen, dass ich damit hereingelegt worden bin. Denn indem ich mich als „Linker“ sah, wurde ich, ohne es damals zu bemerken oder zu verstehen, auch von den Kommunisten, etc. vereinnahmt. Ich bin aber anti-ideologisch aufgestellt. Totalitarismen können mir gestohlen bleiben.

Das einzige politische System mit menschlichem Antlitz ist in meinen Augen die Demokratie, und zwar nicht als Schein- oder Sonntags-Demokratie sondern als Demokratie von unten, mit konkreten Entscheidungsebenen auf kleinster gemeinschaftlicher Ebene, sei es ein Dorf, ein Stadtteil, ein Kiez oder eine selbst zusammengefundene Gruppe in lokaler Nähe, und darauf aufbauend ein Subsidiaritäts-System. Und echte Demokratie ist in seinem Wesenskern nicht irgendwie „links“, also ideologisch eingefasst oder „rechts“, also autoritär geführt – sondern steht über alldem.

Nur Menschen, die selbst über ihre Angelegenheiten entscheiden können haben wirklich „gleiche Rechte für jeden einzelnen“, soweit das überhaupt realisierbar ist. Denn wenn Rechte von anderen, entfernten Personen definiert und festgesetzt werden, sind diese „Rechte“ schon einmal nicht gleich, denn der, der für andere Rechte definiert hat damit schon Sonderrechte – aber vor allem umfassen diese Rechte auch nicht nicht unbedingt die geringstmöglichen Einschränkungen der Freiheit des Einzelnen – die doch wohl hoffentlich auch anzustreben ist. Denn gleiche „Rechte für alle“ kann auch sehr leicht heißen: „ganz wenig Rechte für alle“. (Man denke an das WEF-Motto „Du wirst nichts besitzen und glücklich sein“ denn wer nichts besitzt hat natürlich kein Verfügungsrecht mehr über irgend etwas – und das für alle gleich. Also Gleichheit? Ist das also perfekt „links“ und anstrebenswert? Ist da nicht ein riesiger Blinder Fleck im schönen Bild? Hat denn dann wirklich keiner mehr Verfügungsrechte? Wo sind die denn hin verschwunden? Man muss nur die ja trotzdem tatsächlich irgendwo vorhandenen und konkret ausgeübten Verfügungsrechte mit entsprechenden Gesetzes- und Regelungs-Text-Wüsteneien und Delegationssystemen vor aller Augen verstecken – und die Illusion von Gleichheit ist doch perfekt. Wohlgemerkt: es ist nur eine Illusion! Die die „gleicher als gleich“ sind und dann Rechte nach belieben vergeben oder entziehen, sitzen nur unereichbar und unbemerkt, fern von all den „Gleichen“, und versteckt hinter angeblich sinnvollen Regeln und Normen.)

Es beginnt doch schon damit, dass nach diesem Denken anderen Rechte zugewiesen werden. Wer Rechte an andere vergibt, steht damit schon über den anderen.

Und gleiche Rechte für alle genügt einfach nicht! Denn der Mensch ist frei geboren und Rechte können nur dann erteilt werden, wenn vorher die Freiheit genommen wurde!

Gleiche Rechte für alle gibt es in Wirklichkeit nirgendwo und Rechte zugeteilt zu bekommen ist an sich schon eine Unterdrückung, und daher ist nur der frei und gleich, der SELBST ENTSCHEIDET unter welchen Regeln er leben will. Und das kann auch unter autoritärer Herrschaft sein – wer will-, oder unter Funktionärs-Herrschaft – wer will, – aber eben SELBST GEWÄHLT.

Und damit ist meine weder „linke noch „rechte“, sondern selbstbestimmende Utopie, die ich dagegen stellen will, folgende: die kleinste mögliche demokratische Entscheidungs-Einheit entscheidet in einem maximal weiten Rahmen selbstbestimmt, wie man zusammenleben will. Also auch Besitzfragen, Wirtschaftsfragen, Geldfragen, Machtfragen, Repräsentationsfragen, Rechtsfragen, … einfach alles! Unter minimalen Rahmenbedingungen, etwa Friedensgebot gegenüber Nachbarn, Einhaltung von Menschenrechten, freie Bewegungsmöglichkeit und Wohnortwahl innerhalb des durch Subsidiarität zusammengefassten „Staatsgebietes“, etc. Diese Utopie ist nicht „links“, nicht „rechts“, sondern steht darüber. Einzig das ist Freiheit und gleiches Recht für alle: maximale Selbstbestimmung über seine Angelegenheiten im Konsens mit der unmittelbaren Gemeinschaft. Jedes Überstülpen von Ideologie, sei es „linke“ Ideologie oder „rechte“ Ideologie führt zur Entmündigung und damit zu Unfreiheit und Einschränkungen der Rechte.

Jeder, der Ideologien ausspinnt unter denen dann angeblich alle Menschen gleich oder frei wären, lügt. Denn unter einem aufgesetzten Denk- und damit Zwangssystem, sei es Sozialismus, sei es Faschismus, ist nur der frei, der sich darin Freiraum verschaffen kann – und das sind dann eben die offensichtlichen (Faschismus, Diktatur, …) oder verdeckten (Sozialismus, Kommunismus, repräsentative Demokratie, …) Herrscher.

Gleiche Rechte für alle ist sicherlich einer willkürlich unterschiedlichen Rechtezuteilung vorzuziehen – aber muss auch als Utopie erkannt werden, die nicht vollständig umsetzbar ist (es gibt immer „Gleichere“ unter „Gleichen“) UND es darf nicht ausgeblendet werden, dass es in all den Fällen Instanzen gibt, die Rechte zuteilt – und damit beginnt schon das Dilemma. Einzig ein weder „linkes“ noch „rechtes“, sondern offenes demokratisches System der Selbstbestimmung in Gemeinschaft kann maximale Freiheit, und damit auch gleiche Rechte aller, gewährleisten.

MfG

A. Storz

Systemkonform vs. systemkritisch als neues Schema

Lieber Herr Häring,

auch ich nehme, wie Herr Becker, eine zunehmende Begriffsverwirrung um die politischen Kategorien „Links“ und „Rechts“ wahr. Ich halte das „Links-Rechts“-Schema für überkommen und in den aktuellen Diskussionen unbrauchbar bis irreführend, wie auch die Kritik an Ihrem Artikel über die extreme Mitte zeigt.

Das „Links-Rechts“-Schema wurde meiner Meinung nach inzwischen von einem „Systemkonform-Systemkritisch“-Schema abgelöst.

Während der Kapitalismus in einer leeren Welt den Mangel in faszinierender Weise zu beseitigen weiß, scheitert er – systembedingt – in der inzwischen vollen Welt bei der Verteilung des Überflusses in beängstigender Weise. Weil die entstandene Enge das Wachstum behindert, werden die Profite zunehmend «von Umverteilung zulasten der Arbeitnehmer und Konsumenten gespeist», wie Sie in der Einführung zu Ihrem lesenswerten Buch «Endspiel Kapitalismus» auf Seite 13 treffend schreiben.

Das „Links-Rechts“-Schema stammt aus der leeren Welt, als noch alle (mit den bekannten „Kollateralschäden“) wohlhabender werden konnten. In der nun vollen Welt empfinden immer mehr Menschen, dass das System mit dem (zugespitzten) Grundsatz „Die Profite der Konzerne sind unantastbar.“ ihnen mehr schadet als nützt. Ich meine, ein neues Lager der „Systemkritischen“ ausmachen zu können. Während die einen am System festhalten wollen, weil der Prozess «sich nicht umkehren [lässt], ohne dass das System zusammenbricht», wie Sie an oben genannter Stelle schreiben, wollen andere „das System“, das sie nicht mehr weiterbringt, ändern.

In einer Ordnung auf der Skala „systemkonform – systemkritisch“ ist die „extreme Mitte“, über die Sie schreiben, dann auch da, wo man Extremisten erwartet: am ultra-systemkonformen Rand des Spektrums während sich viele gemäßigte alte „Linke“ und „Rechte“ in der Mitte des neuen Spektrums wiederfinden und deshalb problemlos von ehemals „Links“ nach ehemals „Rechts“ und umgekehrt wechseln können, was das alte „Links-Rechts“-Schema nicht zufriedenstellend erklären kann.

Auch im „systemkritischen“ Lager gibt es ein Spektrum: Manche wollen das Wirtschaftssystem nur reformieren, andere wollen es ersetzen, andere gehen weiter und haben auch das vom Kapitalismus inzwischen stark geprägte Gesellschaftsystem im Auge, und die extremen im „systemkritischen“ Lager wollen auch gleich das politische System über den Haufen werfen, weil Kapitalismus und Demokratie in Europa in engster symbiotischer Beziehung großgeworden und verbandelt sind.

Ihren Blog verorte ich im nicht-extremen Bereich des systemkritischen Blocks. Im „Links-Rechts“-Schema mag mir keine überzeugende Einordnung gelingen.

Soviel mein Betrag zu diesem interessanten Diskurs, wohlwissend, dass andere das schon besser und tiefer analysiert haben. Viele Grüße und vielen Dank für Ihre wertvolle, professionelle Recherchearbeit,

Roman Krais
Freiburg

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