Was der Fall Häring gg. Hessischer Rundfunk mit einer möglichen Parallelwährung zum Euro zu tun hat

31. 03. 2020 | Am 15. Juni entscheidet der Europäische Gerichtshof im Rahmen des Verfahrens Häring gegen Hessischer Rundfunk, unter welchen Bedingungen nationale Regierungen die Nutzung von Euro-Bargeld beschränken dürfen. Dabei steht nicht nur für meinen Feldzug zum Erhalt des Bargelds einiges auf dem Spiel, sondern auch für die Währungsunion.

Das mag etwas zu dick aufgetragen klingen, aber das ist es nicht. Die Argumente für die Gegenposition zu unserer lassen sich nämlich gut nutzen, um eine nationale Parallelwährung zum Euro für legal zu erklären. Italiens letzte Regierung aus 5-Sternen und Lega stand schon kurz davor, sogenannte Mini-BOTs als Parallelwährung einzführen, bevor sie zerbrach. BOTs sind Staatsanleihen, die auf Euro lauten. Mini-BOTs sind gedruckte Staatsanleihen zu kleinen Nennwerten, die in etwa aussehen und verwendet werden können wie Banknoten.

Was ist der Sinn einer nationalen Parallelwährung?

Anders als in normalen staatlichen Währungsräumen haben die Staaten der Europäischen Währungsunion keine eigene Zentralbank, die die nationalen Belange und die finanziellen Bedürfnisse der Regierung in den Vordergrund stellt. Es ist vielmehr in den letzten zwölf Jahren mehrfach zu einem erbitterten Gegeneinander von Europäischer Zentralbank (EZB) und nationalen Regierungen gekommen. Die EZB hat regelmäßig gewonnen. Sie hat zwei sehr wirksame Machtmittel. Sie kann Regierungen, deren Anleihen unter Verkaufsdruck stehen, die Hilfe verweigern und kann den Verkaufsdruck durch verbale und sonstige Intervention sogar noch steigern. Dann droht dieser Regierung der Konkurs.

Noch radikaler kann sie den nationalen Banken den Geldhahn abdrehen, auf den alle angewiesen sind. Das führt dann zum Zusammenbruch des dortigen Bankensystems und Zahlungsverkehrs. Die Griechen können ein Lied davon singen. Den Iren wurde es auch angedroht.

Der damalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis arbeitete deshalb während des Konflikts mit der EZB heimlich an einer Parallelwährung. Damit kann eine Regierung den Geldumlauf im eigenen Land steigern, was die Wirtschaft ankurbelt, und sie kann etwaigen Drohungen der EZB die Schärfe nehmen. Denn sie kann notfalls den Zahlungsverkehr auch mit der Parallelwährung aufrecht und die Banken am Leben erhalten.

Was für eine nationale Regierung attraktiv sein kann, wäre aber gleichzeitig der Anfang vom Ende der Währungsunion. Denn wenn das Schule macht, gibt es keine einheitliche Geldpolitik mehr und die EZB ist entmachtet.

Was hat eine Parallelwährung mit meinem Bargeldprozess zu tun?

Ich berufe mich für mein vermeintliches Recht, den Rundfunkbeitrag bar bezahlen zu dürfen, darauf, dass Euro-Banknoten und -Münzen gesetzliches Zahlungsmittel der Währungsunion sind. Nach herrschender Meinung bedeutet das, dass hoheitliche Stellen es zur Begleichung von Geldschulden nicht ablehnen dürfen und private Parteien es nur ablehnen dürfen, wenn sie das ausdrücklich oder implizit vorher vereinbart haben.

Staatsanleihen gezielt so auszugestalten, dass sie zum Zahlungsmittel und Banknotenersatz werden, ist nach Ansicht der EZB europarechtswidrig, weil es den Status des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel der Währungsunion unterhöhlen würde. Einschlägig ist dabei der gleiche Artikel des EU-Vertrags (AEU-Vertrag), wie bei meinem Verfahren vor dem EuGH, nämlich Artikel 128. Er erklärt Euro-Banknoten zum gesetzlichen Zahlungsmittel und gibt der EZB das alleinige Recht, solche Banknoten auszugeben.

Wenn Euro-Bargeld zum Beispiel in Italien durch Mini-BOTs verdrängt würde, wäre seine Funktion als gesetzliches Zahlungsmittel und Anker des Geldsystems in Italien faktisch außer Kraft gesetzt.

Nach unserer Argumentation ist das Gleiche der Fall, wenn die Funktion des gesetzlichen Zahlungsmittels dadurch ausgehöhlt wird, dass eine Regierung die Nutzung des gesetzlichen Zahlungsmittels erschwert oder gar verbietet.

Käme nun der EuGH zu dem Schluss, dass das zulässig ist, dann könnte das zur Schlussfolgerung führen, dass auch die Unterhöhlung der Funktion von Bargeld durch eine Parallelwährung zulässig ist.

Um das zu verdeutlichen, will ich einen hypothetischen EuGH-Beschluss skizzieren, der sich Argumente gegen unsere Postion zu eigen macht, wie sie im Rahmen des Verfahrens von relevanter Seite vorgetragen wurden. Aus Gründen der Vertraulichkeit werde ich die Argumente nicht einzelnen Institutionen oder Ländern zuordnen. Im Anschluss werde ich dann zeigen, wie sich zum Beispiel eine italienische Regierung in einem Rechtsstreit um Mini-BOTs auf ein solches EuGH-Urteil berufen könnte.

Ein hypothetischer EuGH-Beschluss

Der Europäische Gerichtshof beschließt:

  • Regierungen der Mitgliedstaaten haben die Kompetenz, Beschränkungen der Nutzung von Bargeld zu verfügen, soweit sie damit ein legitimes Ziel des öffentlichen Interesses verfolgen und die Verhältnismäßigkeit wahren.
  • Dabei ist legitimes Ziel des öffentlichen Interesse weit auszulegen. Es umfasst auch die Regelung der öffentlichen Finanzen und Effizienz der öffentlichen Verwaltung.
  • Beschränkungen der Nutzung von Bargeld für spezifische Zwecke stehen nicht im Widerspruch zum Status von Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel nach Artikel 128 AEU-Vertrag.

Die Gründe

  • Der Verkehr des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel kann auch mit indirekten Mitteln erfolgen, indem Bankguthaben in Euro übertragen werden, die der Empfänger dann in Euro-Banknoten umtauschen kann. Dann gibt es durch den Ausschluss von Barzahlungen keinen währungspolitisch bedeutsamen Vertrauensverlust in den Wert und die Verwendbarkeit von Euro-Banknoten als Zahlungsmittel.
  • Ein Gläubiger kann die Erfüllung einer Geldschuld durch Übergabe von Euro-Bargeld verweigern, wenn vorher auf freiwilliger Basis eine andere Art der Erfüllung vereinbart wurde. Der nationale Gesetzgeber kann diese Vereinbarung ersetzen, indem er für bestimmte Fälle die Verwendung von anderen Zahlungsmitteln als Bargeld vorschreibt, sofern diese Zahlungsmittel in Euro angegeben sind.
  • Die Obliegenheit zur Annahme von Bargeld ist ein nachrangiger Aspekt des Status des gesetzlichen Zahlungsmittels. Er ist lediglich dann einschlägig, wenn der Schuldner die Tilgung mit Bargeld anbietet. Der nationale Gesetzgeber kann dem Schuldner die Tilgung einer Geldschuld mit Bargeld aber verbieten. Dann verliert der Annahmezwang seine Bedeutung.
  • In Erwägungsgrund 19 der Verordnung 974/98 zur Einführung des Euro heißt es, dass „von den Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung eingeführte Begrenzungen für Zahlungen in Banknoten und Münzen … mit der … Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels nicht unvereinbar sind, sofern andere rechtliche Mittel für die Begleichung von Geldschulden bestehen.“ Das stellt eine Ermächtigung für die nationalen Regierungen dar, solche Begrenzungen zu beschließen. Für die Zulässigkeit entscheidend ist, dass trotzdem in Euro bezahlt werden kann, damit die Funktion des Euro als Währung nicht beeinträchtigt wird.
  • Die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, im Rahmen eigener Zuständigkeiten, etwa für die Organisation und Funktion der öffentlichen Verwaltung, Regeln zu den Zahlungsmitteln zu erlassen …. wenn sie einen legitimes Ziel des öffentlichen Interesses verfolgen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.
  • Bei den Vorschriften zur Zahlung des Rundfunkbeitrags handelt es sich nicht um eine Regelung im Bereich der Währungspolitik, sondern um eine Vorschrift über eine parafiskalische Abgabe. Eine alternative Bezahlmöglichkeit in Euro, nämlich mit Bankguthaben in Euro ist gegeben. Wenn es eine Ausnahmeregel für besonders begründete Fälle der Bargeldnutzung gibt, ist die Nichtannahme von Bargeld als Regelfall verhältnismäßig und europarechtskonform.
  • Die Frage ob bar oder unbar gezahlt wird, steht in keinem Zusammenhang mit der Währungspolitik, denn das Währungsrecht enthält keine Vorgaben zum Gebrauch der Währung im Rechtsverkehr. Mitgliedstaatliche Regelungen die bestimmen, welche Zahlungsmodalitäten im jeweiligen Zahlungsverhältnis zugelassen sind, fallen in ihre Rechtsetzungskompetenz und beeinträchtigen die Aufgaben der Unionsorgane im Bereich der Währungspolitik nicht.
  • Artikel 133 AEU-Vertrag, der der Union Maßnahmen erlaubt, die auf die Einheitlichkeit und Integrität des Euro als Währung gerichtet sind, zielt nur auf Regelungen, die sicherstellen, dass der Euro im gesamten Währungsraum mit dem gleichen Wert im Wirtschaftsverkehr verwendet werden kann. Das betrifft Regelungen der Art, die etwa auf einen Schutz des Euro gegen Verwechslung oder Geldfälschung abzielen. Die Frage nach Barzahlung oder unbarer Bezahlung ist dagegen für die Währungseinheit unerheblich, solange in Euro bezahlt wird.

Wie man damit Mini-BOTs vor dem EuGH verteidigen kann

Soweit der hypothetische EuGH-Beschluss. Nun kommen wir dazu, was zum Beispiel eine italienische Regierung daraus machen könnte. Nehmen wir einmal an, sie möchte vorsorglich ein alternatives Zahlungsmittel etablieren, um im Notfall eines Streits mit der EZB darauf zurückgreifen zu können, und sich so eine verbesserte Verhandlungsbasis mit der EZB zu sichern.

Nehmen wir weiter an, die italienische Regierung führt dafür, wie sie schon einmal plante, Mini-BOTs ein, zinslose Staatsanleihen mit Laufzeit von z.B. 30 Jahren, als physische, auf Papier gedruckte Stücke mit Nennwerten von 5 Euro bis 200 Euro. Niemand werden sie aufgezwungen. Sie werden versteigert, ähnlich wie normale Staatsanleihen. Damit der Auktionspreis möglichst nach an den Nennwert kommt, bekommt der Inhaber das Recht, sie jederzeit bei einer Bank zu Lasten der Staatskasse in Euro-Bargeld umzutauschen, oder sie für Zahlungen an den Staat zu verwenden.

Die Europäische Zentralbank sieht dadurch die Substanz ihres Monopols auf Ausgabe des gesetzlichen Zahlungsmittels Euro-Bargeld gefährdet und interveniert bei der EU-Kommission, die daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die italienische Regierung anstrengt.

Die italienische Regierung könnte sich zur Verteidigung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof folgendermaßen auf das obige hypothetische Urteil des EuGH in Sachen Häring gegen Hessischer Rundfunk berufen.

Nach einem Beschluss der EuGH vom 15. Juni 2020 gilt:

  • Der Verkehr des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel kann auch mit indirekten Mitteln erfolgen, die der Empfänger in Euro-Banknoten umtauschen kann. Dann gibt es durch den Ausschluss von Barzahlungen keinen währungspolitisch bedeutsamen Vertrauensverlust in den Wert und die Verwendbarkeit von Euro-Banknoten als Zahlungsmittel. Mini-BOTs können wie Bankguthaben vom Empfänger jederzeit in Euro-Bargeld umgetauscht werden. Der Verkehr des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel wird durch die Ausgabe von Mini-Bots also nicht gestört.
  • Artikel 133 AEU-Vertrag, der der Union Maßnahmen erlaubt, die auf die Einheitlichkeit und Integrität des Euro als Währung gerichtet sind, zielt nur auf Regelungen, die sicherstellen, dass der Euro im gesamten Währungsraum mit dem gleichen Wert im Wirtschaftsverkehr verwendet werden kann. Die Frage nach Barzahlung oder anderen Bezahlformen ist für die Währungseinheit unerheblich, solange in Euro bezahlt wird. Das gilt auch, wenn die Alternative Mini-BOTs in Euro sind. Ein Euro bleibt weiterhin im ganzen Währungsraum ein Euro. Die Ausgabe von Mini-BOTs, die auch für Bezahlvorgänge verwendet werden können, stört also die Einheitlichkeit und Integrität des Euro als Währung nicht.

Mini-BOTs werden zur Parallelwährung ausgebaut und kommen vor den EuGH

Nach einem ersten Erfolg vor dem EuGH gerate die italienische Regierung mit der Kommission und der EZB in Konflikt über die durch die Corona-Krise zerrütteten Staatsfinanzen, da sie nicht wie gefordert zum Schuldenabbau drastisch sparen möchte. Um den Druck, der von einbrechenden Anleihekursen und der EZB ausgeht, abzumildern, beschließt die Regierung, ihre Rechnungen künftig regelmäßig in Form von Mini-BOTs zu begleichen und Zahlungen an öffentliche Stellen in der Regel nur noch in Form von Mini-BOTs zu akzeptieren. Nur in begründeten Ausnahmefällen wird Bargeld oder Euro-Buchgeld akzeptiert.

Die EZB interveniere bei der Kommission, die ein Vertragsverletzungsverfahren anstrengt. Die italienische Regierung könnte dann, wieder unter Verweis auf den EuGH-Beschluss vom 15. Juni, argumentieren:

  • Die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, im Rahmen eigener Zuständigkeiten, etwa für die Organisation und Funktion der öffentlichen Verwaltung, Regeln zu den Zahlungsmitteln zu erlassen, wenn sie einen legitimes Ziel des öffentlichen Interesses verfolgen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Die Bezahlung von Rechnungen mit in Euro denominierten Mini-BOTs, die jederzeit in Euro-Banknoten umgetauscht werden können, ist eine solche Regelung zu den Zahlungsmitteln im Rahmen der Organisation der öffentlichen Verwaltung, die den genannten Zwecken dient.
  • Bei der Begleichung von Rechnungen durch den Staat und der Begleichung von Steuerschulden und sonstigen Abgaben mit Mini-BOTs handelt es sich nicht um eine Regelung im Bereich der Währungspolitik sondern um eine Vorschrift über staatliche Abgaben und das staatliche Beschaffungswesen. Die Bezahlung erfolgt in Euro. Da es Ausnahmeregeln für besonders begründete Fälle gibt, ist die Nichtannahme von Bargeld oder Banken-Buchgeld als Regelfall verhältnismäßig und europarechtskonform.
  • Die Frage ob bar oder unbar gezahlt wird, steht in keinem Zusammenhang mit der Währungspolitik, denn das Währungsrecht enthält keine Vorgaben zum Gebrauch der Währung im Rechtsverkehr. Dasselbe gilt für die Frage, ob mit Bargeld oder Mini-BOTs bezahlt wird. Mitgliedstaatliche Regelungen die bestimmen,welche Zahlungsmodalitäten im jeweiligen Zahlungsverhältnis zugelassen sind, fallen in ihre Rechtsetzungskompetenz und beeinträchtigen die Aufgaben der Unionsorgane im Bereich der Währungspolitik nicht.
  • Ein Gläubiger kann die Erfüllung einer Geldschuld durch Übergabe von Euro-Bargeld verweigern, wenn vorher auf freiwilliger Basis eine andere Art der Erfüllung vereinbart wurde. Der nationale Gesetzgeber kann diese Vereinbarung ersetzen, indem er für bestimmte Fälle die Verwendung von anderen Zahlungsmitteln als Bargeld vorschreibt, sofern diese Zahlungsmittel in Euro angegeben sind. In direkter Übertragung gilt, dass der Gesetzgeber die Verwendung von Mini-BOTs statt Bargeld oder Banken-Buchgeld vorschreiben kann.
  • Die Obliegenheit zur Annahme von Bargeld ist ein nachrangiger Aspekt des Status des gesetzlichen Zahlungsmittels. Er ist lediglich dann einschlägig, wenn der Schuldner die Tilgung mit Bargeld anbietet. Der nationale Gesetzgeber kann dem Schuldner die Tilgung einer Geldschuld mit Bargeld aber verbieten. Dann verliert der Annahmezwang seine Bedeutung.
  • In Erwägungsgrund 19 der Verordnung 974/98 zur Einführung des Euro heißt es, dass „von den Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung eingeführte Begrenzungen für Zahlungen in Banknoten und Münzen … mit der … Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels nicht unvereinbar sind, sofern andere rechtliche Mittel für die Begleichung von Geldschulden bestehen.“ Das stellt eine Ermächtigung für die Regierungen dar, solche Begrenzungen einzuführen. Für die Zulässigkeit entscheidend ist, dass trotzdem in Euro bezahlt werden kann, damit die Funktion des Euro als Währung nicht beeinträchtigt wird. Mit Mini-BOTs kann in Euro bezahlt werden. Die Begrenzung ist also zulässig.

Schlussbemerkungen

Ironischer Weise stammen die hier zur juristischen Verteidigung einer Parallelwährung verwendeten Argumente mehrheitlich von Regierungen und Organen, denen man unterstellen darf, dass sie alles andere wollen als nationalen Parallelwährungen Vorschub zu leisten. Ich gehe davon aus, man hat in dem Eifer, das lästige Bargeld los zu werden, nicht genug über die möglichen Konsequenzen nachgedacht.

Besonders bemerkenswert ist, dass sich alle einig zu sein scheinen, dass der ominöse Erwägungsgrund 19 der Euro-Einführungsverordnung von 1998 eine Ermächtigung für die nationalen Regierungen darstellt, neue Begrenzungen für die Nutzung des gesetzlichen Zahlungsmittels einzuführen, obwohl diese Argumentation auf sehr, sehr wackligen Beinen steht. Es ist dort die Rede von „eingeführten“, im Englischen noch deutlicher „established“ Begrenzungen, also von solchen, die bereits eingeführt sind und im Zuge des Übergangs zum Euro erhalten bleiben dürfen, nicht von neu einzuführenden Begrenzungen. Außerdem heißt es als Bedingung, dass andere „rechtliche Mittel zur Begleichung von Geldschulden“ zur Verfügung stehen. Mit diesem juristisch nicht definierten Begriff „rechtliche Mittel“ (im Englischen „legal means“) kann zweierlei gemeint sein. Entweder jedes mögliche Zahlungsmittel, das nicht verboten ist. Das könnte dann alles mögliche sein, und ist daher keine sinnvolle Interpretation. Oder aber, gemeint ist das gesetzliche Zahlungsmittel (legal tender) in einer anderen Form. Das wäre eine sinnvolle Interpretation, gerade im Kontext dieser Verordnung zur Regelung des Übergangs zur gemeinsamen Währung. Vor dem Übergang bestehende Begrenzungen der Anzahl Münzen, die man annehmen muss, blieben danach legal, weil es auch größere Münzen und Scheine als Alternativen gibt, die ebenfalls gesetzliches Zahlungsmittel sind. Ebenso blieben Regeln gültig wonach man nicht für jeden Kleinbetrag einen sehr großen Geldschein annehmen muss, weil es eben auch kleinere Geldscheine als Alternative gibt, die ebenfalls gesetzliches Zahlungsmittel sind.

Ich würde das vor Gericht gerne belegen, unter Nutzung des allgemeinen Rechts, Einsicht in die Archive von EZB und EU-Kommission zu nehmen. Aber die EZB beschied mir, Dokumente zur Entstehung und Zielsetzung von Erwägungsgrund 19 gäbe es in den Archiven der EZB nicht, sondern nur in denen der Kommission und des Rats. Die EU-Kommission beschied mir, auch sie habe nichts und ich müsse mich dafür an den EU-Rat wenden. Auf dessen Antwort warte ich noch, vermutlich bis nach der Entscheidung des EuGH.

Englische Version

Dossier und Timeline zu Ursprung, Fortgang und Stand des Verfahrens

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