Gastbeitrag: Das politisch-ideologische Power Play der EU-Konservativen gegen die griechische Linksregierung

Wolfgang Edelmüller, Wien*. Die europäischen Konservativen, die einen beherrschenden Einfluß auf die EU-Institutionen ausüben, wollen Griechenland im Euro halten, die griechische Linksregierung, die von ihren WählerInnen mit einem eindeutigen Mandat für eine wirtschaftspolitische Wende ausgestattet wurde, an der Macht halten, das wollen sie ganz gewiss nicht. Denn eine von WählerInnenmehrheiten legitimierte Abkehr vom neoliberalen Kurs der EU-Wirtschaftspolitik, wie sie Syriza im eigenen Land anstrebt, ist mit der „marktkonformen Demokratie“ unvereinbar,

die der deutschen Kanzlerin als konservative Maxime der demokratischen Selbstbeschränkung für die Mitglieder der Europäischen Währungsunion vorschwebt, um einen „Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit“ auch gegen die parlamentarische Vertretung durchzusetzen.

Dabei darf es keine Rolle spielen, dass in ökonomischen Fachkreisen das Scheitern des wirtschaftspolitischen Austeritätsregimes in Griechenland weithin einbekannt wird (bis zu den Analysten des IWF)  und niemand ernsthaft glaubt, Griechenland könne seine gigantischen Schulden ohne tiefgreifende Restrukturierung jemals bedienen. Es zählt einzig die „Schrift an der Wand“, die aus dem entschlossenen Widerstand der griechischen Regierung gegen eine Fortsetzung dieser aussichtslosen Krisenpolitik das drohende Ende der neoliberalen Transformation in der EU prophezeit, sollten die geplagten BürgerInnen der mediterranen Euroländer dem Syriza-Beispiel folgen und in mehreren Parlamenten des unbotmäßigen Südens austeritätskritische Mehrheiten entstehen. Deshalb muss der alternative Weg Griechenlands aus der Krise mit allen Mitteln verhindert werden, was zwangsläufig mit dem Zerbrechen der politischen Legitimität der griechischen Linksregierung einhergeht. Ein rascher Misserfolg der Regierung von Alexis Zipras soll genügend Abschreckungswirkung auf andere Länder erzeugen, den angerichteten Schaden für Griechenland und die Währungsunion kann man allemal begrenzen, sobald die Gesellschaft der Gleichförmigen wiederum geschlossen ist.

Unter diesem Prätext werden die quälenden Abläufe der gescheiterten Verhandlungen über die Konditionalität für die restliche Zuzählung der Mittel aus dem zweiten „Hilfspaket“ einigermaßen erklärbar. Die Regierung des Alexis Zipras hat einen durch die parlamentarische Mehrheit der Syriza-Anel-Koalition demokratisch legitimierten Auftrag, der die Beendigung der kläglich gescheiterten Austeritätspolitik und einen Schuldenschnitt zum Ziel hat. Das ist der wirtschaftspolitische Kern des Syriza-Regierungsprogramms, mit dem in der Wahlbewegung geworben wurde, um Griechenland aus der vom Troika-Spardiktat verursachten wirtschaftlichen Depression zu führen. In der Schlussphase der Verhandlungen mit den Institutionen, der Eurogruppe und dem Rat haben sich Alexis Tsipras und Yiannis Varoufakis auf das Wagnis eingelassen, den bereits eingetretenen deadlock durch ein mit ca. EUR 8 Mrd. konsolidierungswirksames Gegenkonzept zu überwinden und dabei die „roten Linien“ der Kompromissbereitschaft ihrer Regierungsmehrheit heftig strapaziert. Die konservativen EU-Technokraten und ihre machiavellistischen Steigbügelhalter wussten, dass die griechische Linksregierung mit diesem Vorschlag ihre Spielräume weit gedehnt hatte und am Rande einer Legitimationskrise stand. Um ihre machtpolitische Parallelagenda endgültig abzuarbeiten, haben sie am Ende der letzten Juniwoche nach einem fast fünfmonatigen Verhandlungsmarathon auf den Rettungsversuch der griechischen Chefverhandler mit einem take-it-or-leave-it-Ultimatum geantwortet, das eine Fortsetzung der kläglich gescheiterten Austeritätspolitik und keine Regelung für irgendwelche Schuldenerleichterung zum Inhalt hatte. Der Ministerpräsident hat auf diesen gegen seine Regierung gerichteten flagranten Destabilsierungsangriff auf die einzig sinnvolle Weise reagiert, indem er die Verhandlungen beendete, um kurzfristig ein Referendum anzuberaumen, wobei er sein eigenes politisches Schicksal mit einer deutlichen Ablehnung der Austeritätspolitik verbindet. Er hat damit dem politisch-ideologischen Power Play der EU-Konservativen zur Kenntlichkeit verholfen und ein starkes Zeichen gegen ihre „marktkonforme Demokratie“ gesetzt.

Auf den Verhandlungsabbruch und die Ankündigung des Referendums folgte die Schwemme der Krokodilstränen der düpierten Eurokraten in Brüssel. Der Kommissionspräsident, der es mit seinem institutionellen Gewicht im Tandem mit dem sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten in der Hand gehabt hätte, diesen Verhandlungsausgang zu verhindern, fühlt sich „ein wenig verraten“. Für den griechischen Ministerpräsidenten ist der organisierte Verrat an seiner Linksregierung durch die konservativen Europartnern nicht nur ein gelindes Gefühl, sondern eine evidente und manifeste Tatsache.

Daraus kann es nur eine vorwärtsgerichtete Schlussfolgerung geben: Zunächst eine satte Mehrheit der Ablehnung dieser undemokratischen Vorgangsweise und der Wiederaufnahme des Troika-Spardiktats durch das griechische Elektorat sichern. Gegen den drohenden Staatsbankrott alle notwendigen Sicherungsmaßnahmen wie Kapitalverkehrskontrollen und Sistierung von nicht unmittelbar notwendigen Staatsausgaben durchführen. Gleichzeitig mit der EZB ein permanentes Gesprächsforum auf Expertenebene einrichten, um die Liquidität des griechischen Bankenapparats aufrecht zu erhalten. Mit dem Terminablauf des zweiten „Hilfspakets“ am 30.06.2015 jegliche weitere Verhandlungen über neue „Hilfspakete“ für obsolet und erledigt erklären. Hingegen unmittelbar nach dem Referendum unabhängig von seinem Ergebnis und einer allenfalls folgenden Neuwahl die Verhandlungen über einen Stand Still mit den Gläubigern aufnehmen, um die Tilgungsfälligkeiten an das Jahresende zu verschieben, bis zu welchem Termin eine Einigung über eine langfristige Schuldenregulierung auf Basis eines säkularen Tilgungsplans (z.B. 10 Jahre tilgungsfrei bei einer anschließenden Tilgungslaufzeit von 50 Jahren) für die zu restrukturierende Überschuldung (z.B. den Schuldenanteil, der ein Limit von 100% des BIPs überschreitet) herbeizuführen ist. Und schließlich muss die griechische Linksregierung, wenn sie durch das Referendum bestätigt oder in einer Neuwahl ihre Mehrheit erneuert wird, das wirtschaftliche Schicksal ihres Landes ganz schnell und entschlossen in die eignen Hände nehmen, indem ein ausgeglichenes Primärbudgets angestrebt wird und alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um mit der raschen Eintreibung der Abermilliarden von hinterzogenen oder schlicht offenen Steuerschulden zu beginnen. Die daraus erzielten Primärbudgetüberschüsse werden nicht für Schuldendienste, die durch das Schuldenregulierungabkommen mit den Gläubigern weitgehend ruhig gestellt sein sollten, ausgegeben, sondern für soziale Mindestsicherung und wachstumsfördernde Investitionen, die der Armut und der Arbeitslosigkeit zu Leibe rücken. Alle wirtschaftspolitischen Anstrengungen sind auf Investitionen, Wachstum und Beschäftigung zu richten, damit eine wirtschaftliche Trendumkehr eingeleitet werden kann. Dadurch erst werden die desaströsen „Grexit“-Überlegungen überflüssig und der griechische Staat wiederum schuldendienst- und kapitalmarktfähig. Über all diesen Bemühungen um ein gezieltes und wirkungsvolles Krisenmanagement steht aber das „Jahrhundertprojekt“ einer tiefgreifenden Staats- und Sozialreform, das den griechischen Souverän aus der korrumpierenden Geiselhaft einer klientelistischen und nepotistischen Oligarchie befreit und an die europäischen Standards eines wohlfahrtsstaatlichen Gemeinwesens heranführt.

Und wenn die Syriza-Regierung das Referendum gewinnt, nach heftigen Interventionen der EU-Konservativen für ihre befreundeten und willfährigen Bankrotteure aus der Opposition? Dann wird es Neuwahlen geben mit der Chance, dass die Linke ihr Mandat entlang der oben skizzierten Linie erneuert und als stärkste Parlamentsfraktion mit Hilfe des Mandatsbonus und anderer Koalitionspartner aus der linken Mitte ein weiteres parlamentarisches Mehrheitsbündnis formt.

Und die Rolle der europäischen Sozialdemokratie ? Sie hat die nächste Chance vertan, um durch entschlossenes Auftreten gegen die von den Konservativen betriebene Taktik der Zuspitzung eine kompromissfähige Alternative zur Neuauflage des fatalen Sparprogramms der Troika einzubringen. Mit Ausnahme der zaghaften Unterstützungsversuche des österreichischen Kanzlers, einer der wenigen verbliebenen sozialdemokratischen Regierungschefs im Rat der EU, ist keine eigenständige Gegenposition der sozialdemokratischen AkteurInnen erkennbar geworden. Ganz im Gegenteil, die hohen sozialdemokratischen EU-Amtsträger sind an der Seite ihrer konservativen KollegInnen wacker für die Vorschläge der Institutionen eingetreten, Herr Dijsselbloem sogar mit sauertöpfischer Verbissenheit. Und Herr Schulz kündigt seine Einmischung in den innergriechischen Diskurs zum Referendum gegen die Syriza-Empfehlung an. So wandeln sie fest entschlossen auf den Pfaden ihrer griechischen Schwesterpartei Pasok in eine glorreiche Zukunft der politischen Bedeutungslosigkeit.

*Wolfgang Edelmüller ist Banker und Ökonom im Ruhestand. Er war zuletzt vom Staat eingesetzter Risikovorstand der notverstaatlichten Hypo Alpe Adria.

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