13. 12. 2020 | Hören | Das Kapital besteht aus dem Gegenwartswert aller erwarteten künftigen Erträge, den die Besitzer der entsprechenden exklusiven Rechte erwarten dürfen. Der Finanzsektor macht unsichere künftige Erträge handelbar und hilft, sie in heutige Macht zu verwandeln. Außerdem setzt er die Norm für die Mindestrendite und setzt durch, dass die Produktion entsprechend begrenzt wird.
Wir haben bisher gesehen, dass Kapital kein Produktionsfaktor ist, sondern das Recht, einen Teil der Produktion für sich zu reklamieren, und dass sein Wert ganz zentral von staatlich gewährten und durchgesetzten exklusiven Rechten und Privilegien abhängt. In dieser Folge soll des darum gehen, wie aus solchen Rechten und Privilegien durch „Kapitalisierung“ ein ganz konkretes, handelbares Kapital wird.
Die Technik der Kapitalisierung
Microsoft hat staatlicherseits das Recht zugesprochen bekommen, die Software zu patentieren, die das Unternehmen entwickelt hat. Bei der Entwicklung und Vermarktung hat das Unternehmen ausgiebig auf staatliche Unterstützung zurückgegriffen und auch ausgiebig Code genutzt, den Programmierer frei für alle zur Verfügung gestellt hatten. Daraus, dass es trotzdem seine Programme exklusiv zu dem Preis verkaufen kann, den der Markt hergibt, und alle Erlöse behalten darf, fließen dem Unternehem bis sehr weit in die Zukunft sehr hohe Einnahmen zu. Diese machen den heutigen Wert von Microsoft an der Börse aus.
Dieser Wert ist die Basis für die Macht von Microsoft, Armeen hochbezahlter Lobbyisten für weitere und fortbestehende Privilegien sorgen zu lassen und zum Beispiel Städte wie München im letzten Moment davon abzuhalten, zu freier Software zu wechseln.
Das mathematische Prinzip der Kapitalisierung ist recht einfach und die Grundformel auch. Grundprinzip ist, dass ein Ertrag in diesem Jahr mehr wert ist als der gleiche Ertrag ein Jahr später und dieser mehr als der gleiche Ertrag zwei Jahre später. Denn Geld, das ich heute habe, kann ich verzinslich anlegen und habe dann im nächsten Jahr entsprechend mehr. Geld im nächsten Jahr ist also um den Zinssatz (tun wir mal so als gäbe es nur einen) weniger wert als Geld heute.
Wenn ich den heutigen Wert aller künftigen Erträge ermitteln will, kann ich also nicht einfach all die künftigen Gewinne zusammenzählen, sondern muss sie „abzinsen“. Vom Betrag des nächsten Jahres ziehe ich ein bisschen ab, von dem des übernächsten ein bisschen mehr und so weiter, je nach Höhe des unterstellten Zinses. Sie müssen die Berechnungsweise nicht verinnerlichen, aber der groben Richtung nach wenigstens eine gute Ahnung davon bekommen, wie es funktioniert.
Die Formel für den Kapitalwert K einer ewig in die Zukunft reichenden, gleichbleibenden Erlöskette lautet:
Kapitalwert = jährlicher Erlös geteilt durch Zinssatz
Dabei wird ein Zins von 10% geschrieben als 0,1 oder 1/10. Bei einem jährlichen Erlös von 100 und einem Zins von 10% ist der Kapitalwwert also: K = 100 / 0,1 = 1000 oder auch 100 / (1/10) = 1000.
Es gibt auch eine einfache Formel für den Kapitalwert oder Gegenwartswert einer Erlösreihe, die jedes Jahr mit der gleichen Rate wächst.
Kapitalwert = Erlös in Jahr 1 geteilt durch (Zins minus Steigerungsrate)
Beträgt die jährliche Steigerungsrate der Erlöse im obigen Beispiel 2% lautet die Rechnung:
K = 100 / (0,1 – 0,02) = 1250
Um die Inflation müssen wir uns nicht kümmern, wenn wir davon ausgehen, dass zum Beispiel eine Inflationsrate von 1% dazu führt, dass die Erlöse um 1% pro Jahr steigen und der Zins um 1% höher ist. Das kürzt sich in der Formel heraus und wir wären bei der Formel für konstante Erlöse. Man muss dabei allerdings den Zins als „Realzins“ verstehen, also als nominaler (ausgewiesener) Zins minus die Inflationsrate.
Erfunden haben die Kapitalisierung laut Shimshon Bichler und Jonathan Nitzan („Capital as Power“) die italienischen Bankiers des ausgehenden Mittelalters. Um das Zinsverbot der Kirche zu umgehen, wiesen sie keinen Zins aus, sondern diskontierten, zahlten also bei der Kreditvergabe von 100 für ein Jahr tatsächlich nur den abgezinsten Gegenwartswert von zum Beispiel 90 aus und bekamen später den vollen Betrag von 100.
In Reinform findet die Kapitalisierung bei Regierungsanleihen statt. Sie bieten festgelegte, als sicher geltende Erträge bis zum Teil sehr weit in die Zukunft. Der Kurs, also der heutige Wert einer Anleihe bestimmt sich danach, welchen Zins man in die Kapitalisierungsformel steckt. Steigt der Marktzins sinkt der heutige Wert der unveränderlich festgelegten künftigen Zinsausschüttungen, denn diese werden mit einem gestiegenen Zins „abgezinst“.
Marktwirtschaft und Kapitalismus
Es ist zwar nicht korrekt, Marktwirtschaft mit Kapitalismus gleichzusetzen. Aber die Verbindung ist eng. Von Kapitalismus kann man nur sprechen, wenn sehr viele Lebens- und Wirtschaftsbereiche über Märkte organisiert und unbeschränkt handelbar und der Kapitalisierungslogik der Finanzmärkte zugänglich sind.
Der Kapitalismus ist uns schon so lange als alternativloser Normalfall präsentiert worden, dass nur noch wenige sich über Begriffe wie Humankapital aufregen. Selbst das menschliche Leben folgt der Kapitalisierungslogik. Wenn der Staat etwas für die Bildung der Bürger tut, dann investiert er in das gesamtwirtschaftliche Humankapital. Wenn Menschen sich bilden oder netzwerken, investieren sie in ihr eigenes Humankapital. Personalabteilungen heißen selbst in Deutschland inzwischen meist „Human Ressources“, oder kurz HR, also übersetzt „menschliche Hilfsmittel“ oder „menschliche Rohstoffe“. Welch zutiefst ironische Verbeugung vor Karl Marx und seiner Ausbeutungsthese!
Kapitalisiert werden kann nur, was für Rechteinhaber einen Gewinn abwerfen kann. Als wichtige Lebensbereiche wie die der „Daseinsvorsorge“ noch nicht marktwirtschaftlich organisiert und damit der Kapitalisierungslogik entzogen waren, gab es viel weniger Kapitalismus in Deutschland als heute. Das betrifft unter anderem Gesundheit, Bildung, Bahnverkehr, Post und Telekommunikation, Energie- und Wasserversorgung und nicht zu vergessen die Altersvorsorge.
Der Weg in den Kapitalismus ist zwar keine Einbahnstraße aber stark abschüssig. Nur massive Umwälzungen wie die russische Revolution und der zweite Weltkrieg scheinen in der Lage, ihn entscheidend zurückzudrängen. Das ist auch kein Wunder, denn die Möglichkeit der Kapitalisierung rein hypothetischer künftiger Gewinne gibt den Kapitalisten ein machtvolles Instrument in die Hand, mit dem sie dafür sorgen können, dass ihnen genau diese Gewinnmöglichkeiten eröffnet werden.
So agieren die Kapitalisten schon seit sie anfingen, die Feudalsysteme durch ihre neue Regierungs- und Gesellschaftsform abzulösen. Als die Kriegsführung immer teurer wurde, standen reiche Kaufleute und Bankiers bereit, den ständig Krieg führenden Prinzen und Königen Geld zu leihen. Dafür wollten und bekamen sie hohe Zinsen und die Gewährung von Privilegien, die ihnen neue Gewinnchancen eröffneten.
Wer zögerte, sich in die Abhängigkeit reicher Privatleute zu begeben, zog militärisch leicht den kürzeren gegen Kriegsgegener, die diese Scheu nicht hatten und mit dem geliehenen Geld größere Armeen unter bessere Waffen stellen konnten.
Und so gehörte die Kriegsführung mit zum Ersten was kapitalisiert wurde. Wer den größten Kredit aufnahm, um das größte Heer anzuwerben und auszustatten, gewann, die anderen verloren. Kapitalisiert wurde die größere künftige Steuer- und Tributkraft des Siegers, mit der er den Kredit mit hohen Zinsen würde zurückzahlen können.
Das Kriege führen wurde so mithilfe der Finanziers immer aufwendiger und teurer und sie verdienten und verdienen immer mehr daran. Und jeder Fürst oder König, der bei diesem Poker mitspielen und nicht als Untertan eines anderen Prinzen oder Königs oder auf dem Schaffot landen wollte, musste sich in die Hände der Finanziers begeben.
Die Kredite wurden selten zurückgezahlt. Sie wurden meistens durch neue Kredite abgelöst. Im Lauf der Zeit führte das dazu, dass der Adel einen immer größeren Teil seiner laufenden Einnahmen als Zinsen an die aufstrebenden Kaufleute abführen oder seine verpfändeten Einnahmequellen und Vermögenswerte an diese abtreten musste, was schließlich zu seiner Entmachtung beitrug.
Das Prinzip wird bis heute genutzt, um auch andere Lebensbereiche zu Melkkühen der Finanzbranche zu machen, am deutlichsten sichtbar am Immobilienmarkt. Wer beim Bieterwettbewerb um ein Haus zum Zuge kommen will, muss entweder sehr viel Geld haben, was selten vorkommt, oder einen so hohen Kredit aufnehmen, dass er oder sie das höchste Gebot abgeben können. Wer den höchsten Kredit aufnimmt, kommt zum Zuge.
Auf diese Weise helfen die Banken die Preise nach oben zu treiben und bekommen im Lauf der Jahrzehnte typischerweise mehr als den Kaufpreis in Form von Zinsen und Zinseszinsen. Das größte Geschäftsfeld deutscher (und anderer) Geschäftsbanken ist nicht etwa die Finanzierung von Unternehmensinvestitionen, mit der uns die segensreiche und wichtige Rolle der Banken immer nahegebracht wird, sondern die Finanzierung von Immobilienkäufen auf Kredit, das sogenannte Hypothekengeschäft.
Eine unsichere Zukunft wird handelbar
Die Finanzbranche hat viele Wege gefunden, Geld aus der produzierenden Wirtschaft herauszuziehen und in Form von hohen Gehältern und Dividenden den Reichen und Reichsten zukommen zu lassen. Hedgefondmanager dürfen sich des Öfteren über Milliardengehälter in einem Jahr freuen.
Aber darum soll es hier nicht gehen, sondern darum, wie die Finanzbranche im weitesten Sinne den Kapitalisierungsprozess und die Unterwerfung immmer neuer Lebensbereiche unter die Kapitalisierungslogik ermöglicht und befördert. Finanzbranche im weitesten Sinne schließt hier Wirtschaftsprüfer, Ratingagenturen, Finanzfakultäten der Hochschulen und derartige Randbereiche mit ein.
Sie sorgen gemeinsam dafür, dass sich die Beteiligten leicht auf einen Preis für die eigentlich fundamental unsichere Zukunft einigen können. So wird jederzeitige Handelbarkeit und volle Nutzbarkeit des so ermittelten Kapitals zur Machtausübung hergestellt. Auf Kapital, das mit den Normen der Wirtschaftsprüfer oder an der Börse ermittelt wurde, kann man bei Bedarf jederzeit liquide Mittel in Form eines Kredits bekommen, egal wie weit in der Zukunft die kapitalisierten Erträge liegen.
Dabei ist die Kapitalsierungsformel zwar sehr einfach, aber auch sehr fordernd, was die Voraussetzungen angeht. Man müsste die künftigen Erträge tatsächlich einigermaßen verlässlich voraussagen können. Das kann man in Wahrheit fast nie, außer bei bestimmten Finanzprodukten wie Staatsanleihen. Woher soll man wissen, wie sich die Konjunktur in zehn Jahren entwickelt, wie in zehn Jahren die Verkaufserfolge sein werden. Wie soll man wissen, wie sich die Zinsen bis weit in die Zukunft entwickeln.
Die Finanzbranche hat dieses Problem gelöst. Sie hat Wissen durch allgemein akzeptierte Faustregeln der Bewertung ersetzt, mit denen man anhand heute bekannter Preise, Zinsen und Erlöse auf die künftigen Werte und damit auf den Gegenwartswert schließt.
Eine solche Regel, auf die sich alle geeinigt haben, ist das sogenannte Capital Asset Pricing Model, das Standardinstrument, mit dem Wertpapiere bewertet werden. Statt abzuschätzen, welche Gewinne ein Unternehmen bis weit in die Zukunft machen wird, und deren heutigen Wert auszurechnen, schaut man auf die aktuellen Gewinne, rechnet erkennbare Sonderfaktoren heraus und multipliziert sie mit einem Faktor, der sich bei einer für normal gehaltenen jährlichen Gewinnsteigerung und dem unterstellten Zinsverlauf in der Zukunft ergibt.
Für den künftigen Zins gibt es Wettmärkte von denen sich ein durchschnittlich erwarteter Zinsverlauf ablesen und in die Formel packen lässt. Auf diese gemeinsame Ausgangsbasis darf dann jeder Analyst oder Investor einen Aufschlag oder Abschlag legen, je nachdem, wie einem das Management oder das Geschäftsmodell des jeweiligen Unternehmens zusagt.
Solange sich fast alle an diese Konventionen halten, richten sich auch die Finanzmärkte insgesamt danach und die normative Setzung wird zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Sie ist zwar oft auch falsch. Aber das macht wenig, weil unterwegs alle im Großen und Ganzen ähnlich falsch liegen, und so die jederzeitige Handelbarkeit und Nutzbarkeit des einheitlich ermittelten Kapitals gewährleistet ist.
Wenn das einmal nicht mehr gegeben ist, wie etwa nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008, frieren die Finanzmärkte sofort ein. Es gibt kein Kapital in allgemein anerkannter Höhe mehr und entsprechend ist es nicht nutzbar. Das ist dann eine existenzielle Krise des Kapitalismus gegen die mit allen Mitteln angegangen werden musste, angegangen wurde und – mit Bereitstellung von zusätzlichem Finanzkapital durch die Notenbanken in Billionenhöhe – noch angegangen wird.
Privatisierung wird zur Norm
Durch die Konventionen der Finanzmärkte und die Kapitalisierungslogik lässt sich jederzeit einem Wirtschaftsbereich, der noch nicht privatwirtschaftlich organisiert ist, ein – oft sehr hoher – Preis zuweisen. Jeder etwas größere Spieler kann im Vorgriff auf künftige Erträge, die bei Privatisierung möglich wären, Unsummen Geld einsammeln, um den Verkäufern den bei einer Privatisierung fälligen Preis zu zahlen.
In den letzten Jahrzehnten haben Städte massenhaft Wohnungen aus ihrem Besitz an private Investoren verkauft. Diese kapitalisierten die künftigen kräftigen Mietsteigerungen, die durch Privatisierung erreichbar schienen, und zahlten den Städten wie etwa Berlin einen Preis dafür, der deutlich über dem Wert lag, den die Wohnungen, rein kommerziell, für die Stadt darstellten. Denn ein öffentlicher Vermieter kann nicht so leicht verlangen, was immer der Markt hergibt.
Heute haben diese Städte viel zu wenig kommunale Wohnungen, mit denen sie ihre Aufgabe erfüllen können, dafür zu sorgen, dass auch bei explodierenden Mietpreisen möglichst alle Bürger ein angemessenes Dach über dem Kopf haben. Einige Städte haben daher die Wohnungen zu einem viel höheren Preis wieder zurückgekauft.
Die Versicherungsunternehmen, Banken und Vermögensverwalter waren bei der Alterssicherung in Deutschland die Haupttriebkräfte hinter deren Reform, sprich Privatisierung. Die Gewinne, die möglich werden, wenn man viele Millionen Menschen durch Aushöhlung der gesetzlichen Rente dazu nötigt, regelmäßig Teile ihres Gehalts an die Finanzbranche zu zahlen, um mit deren Produkten privat vorzusorgen, stellen einen Kapitalwert von Hunderten Milliarden Euro dar. Entsprechend war nichts zu teuer, um sich eine Horde käuflicher „Wissenschaftler“ und Lobbyisten zu halten.
Diese lieferten den Politikern, die man mit Parteispenden, der Aussicht auf gut bezahlte Posten und ähnliches wohlwollend gestimmt hatte, die vorgeschobenen Argumente, warum es zwar den Menschen nicht zumutbar ist, höhere Rentenbeiträge zu leisten, aber ohne weiteres zumutbar ist, das gleiche Geld, vermehrt an die private Finanzwirtschaft abzuführen, und noch einen Zuschlag obendrauf für deren Gewinne.
Auf ganz ähnliche Weise wurden weite Bereiche der Daseinsvorsorge durch Nutzung der Kapitalisierung möglicher künftiger Gewinne dauerhaft dem Markt einverleibt und zu Kapital gemacht.
Kapital verdient eine Vergütung, die Finanzbranche setzt sie durch
Die Klasse der Finanzwissenschaftler und Unternehmensberater übersetzte die Behauptung der Mainstream-Ökonomen, Kapital sei ein Produktionsfaktor, der für die Produktion nötig ist, und daher vergütet werden muss, in das Konzept der Kapitalkosten. Die durchschnittliche oder übliche, man kann auch sagen, die von den Kapitalisten für angemessen erachtete Verzinsung ihres Kapitals, wird zu Kosten der Unternehmen erklärt. Diese Kapitalkosten müssen sie ebenso wie die sonstigen Kosten, mit der Produktion mindestens verdienen, um nicht als Verlustbringer zu gelten.
Man muss sich das, was heute in diesen Kreisen unhinterfragt herrschende Meinung ist, auf der Zunge zergehen lassen. Es wird behauptet: Wenn ein Unternehmer mit seinen Produktionserlösen alle (echten) Kosten deckt, (auch ein fiktives Geschäftsführergehalt, falls der Unternehmer das Unternehmen leitet), und auch die Kreditzinsen, und dann bei einem Eigenkapital von 1 Mio. Euro 50.000 Euro Gewinn übrigbleiben, dann hat das Unternehmen einen Verlust gemacht, wenn die Eigenkapitalkosten zum Beispiel auf 8% taxiert werden.
So wird die Gewinnschwelle nach oben geschoben und dafür gesorgt, dass alle vom Kapitalmarkt abhängigen Unternehmen die Produktion so knapp und die Preise so hoch bemessen, dass mindestens eine Rendite in Höhe der behaupteten Kapitalkosten herauskommt. Unternehmen die ausscheren, Belegschaft und Kunden gut behandeln, billiger verkaufen, mehr produzieren und mit einer niedrigeren Rendite zufrieden sind, bekommen von den Kapitalmarktakteuren kein Geld mehr. Sie werden am Kapitalmarkt niedrig bewertet, was dazu führt, dass sie leicht aufgekauft werden können.
Dafür kapitalisieren die Aufkäufer die künftigen Gewinne, die möglich sind, wenn das Unternehmen es (wieder) wie die anderen macht, die Belegschaft schrumpft, die Löhne drückt, die Preise hoch hält. In dieser Höhe nehmen sie Kredit auf, den sie dem gekauften Unternehmen aufbürden, sodass sie nur sehr wenig eigenes Geld einsetzen müssen.
Wie im vorherigen Exkurs zum Asset Manager Kapitalismus gesehen, können die Fonds, die gleichzeitig bei fast allen großen Kapitalgesellschaften die größten oder mindestens mit die größten Aktionäre sind, eine indirekte Kartellierung herbeiführen. Hochpreisstrategien der Manager werden von den Vertretern des Kapitals wohlwollend betrachtet, aggressive Preisstrategien, die zu Preiskämpfen führen können, die die Gewinne der Branche insgesamt senken, werden mit angedrohtem Liebesentzug bestraft. Es sei denn, natürlich, ein dominierendes Unternehmens kann mit einer Dumpingpreisstrategie seine Marktmacht bis zu einem quasi-Monopol ausbauen. Dann kann das Kalkül der Kapitalgeber anders aussehen.
Auf diese und ähnliche Weisen funktioniert, zugegeben etwas holzschnittartig dargestellt, die Disziplinierung der produzierenden Unternehmen durch die Finanzbranche auf ein gefordertes Renditeziel und eine geforderte Handlungsweise hin.
Der Renditeanspruch des Kapitals und seine systematische Durchsetzung sind natürlich ein zentraler Bestandteil des Kapitalismus. In vorkapitalistischen Zeiten ging, wer Geld hatte, noch nicht regelmäßig davon aus, dass sich sein Geld wie naturgesetzlich von selber vermehren würde, das man einen moralischen Anspruch auf Verzinsung hatte. Man trachtete danach, sein Vermögen zu bewahren. Das war schon viel.
Zusammenfassung
Ein von der Gesellschaft durch anhaltende Indoktrination weithin akzeptierter moralischer Anspruch der Vermögenden, dass sich ihr Vermögen, mindestens im Durchschnitt, laufend vermehrt, ist eine wichtige Besonderheit des Kapitalismus. Die Finanzbranche im weiten Sinne sorgt dafür, diesen Anspruch nicht nur ideologisch zu unterfüttern, sondern auch durch Produktionsbegrenzung, Fusionen, Übernahmen und Privatisierungen möglich zu machen.
Fortsetzung
Nach jetzigem Stand braucht es eigentlich noch drei Folgen um die Sache abzurunden: Eine zum Verhältnis von Staat und Kapital, eine zur gegenwärtigen Sondersituation der Nullzinsen und, am wichtigsten, eine zu den Wegen und Möglichkeiten, soziale Marktwirtschaft ohne Kapitalismus zu verwirklichen. Allerdings gab es in letzter Zeit so viel zu bloggen, dass ich mit meinem geplanten Buchprojekt in Verzug gekommen bin und diesem nun deshalb Vorrang geben muss. Es könnte daher etwas Geduld nötig werden. Möglicherweise findet sich die Fortsetzung der Serie dann zuerst im Buch. Mal sehen.
Bisherige Folgen
Das wahre Wesen des Kapitalismus: 1. Kapital als geronnene Macht
Das wahre Wesen des Kapitalismus: 2. Leistungslose Einkommen durch Monopole und Privilegien
Das wahre Wesen des Kapitalismus: 3. Der Blackrock-Kapitalismus, ein Exkurs