„Die im Dunkeln sieht man nicht“ – Buchempfehlung mit Leseprobe

15. 12. 2020 | Die Diskussion um die Corona-Maßnahmen konzentriert sich auf Gesundheitsaspekte und die Verluste der Unternehmen, vor allem der großen. Die Not, die dadurch für viele Menschen in ihren Familien und ihrem Erwerbsleben geschaffen wird, bleibt weitgehend ohne Stimme und unsichtbar. Um das zu ändern haben sich die Nachdenkseiten als Sprachrohr für die sonst Stimmlosen zur Verfügung gestellt.

Das Ergebnis ist ein Buch mit 70 Zeitzeugenberichten, zumeist von selbst Betroffenen, aber auch von Ärzten und Psychologen, ergänzt um Texte der Nachdenkseiten zu den Corona-Maßnahmen. Es ist kein Buch, das ein Urteil fällt und verlangt. Es will nur etwas in die Waagschale legen, was für ein abgewogenes Urteil nicht unbeachtet bleiben darf. Das gelingt. Alle, die irgendwie mit der Planung und Umsetzung dieser Maßnahmen zu tun haben, oder sich aus einer komfortablen Home-Office-Situation heraus ein Urteil bilden, sollten es unbedingt zur Hand nehmen.

Wer es tut, versteht und fühlt, dass es bei der Abwägung, welche Maßnahmen (Angst-Erzeugen auch als Maßnahme verstanden), angemessen und verhältnismäßig sind, um viel mehr geht als um die Frage, ob man zum Friseur oder Fitness-Center oder in das Kaufhaus darf und ob man eine Maske tragen muss. Drei (im Buch aufeinander folgende) Berichte als Leseprobe:

Betreff: Dokumentation Risiken und Nebenwirkungen

Sehr geehrtes Team der NachDenkSeiten,

Ihrem Aufruf über die harten und unbemerkten Folgen der Corona-Politik folge ich gerne.

Erstes Beispiel: Ich bin 49 Jahre alt und alleinerziehende, berufstätige (25 Wochenstunden) Mutter eines 15-jährigen Sohnes. In den letzten 15 Jahren war mein Leben belastend und voll, aber machbar. Ich will es mal mit folgendem Bild beschreiben: Ich jongliere zwar mehr Kugeln in meinem Leben, als es entspannt für mich möglich ist, aber ich kann sie in der Luft halten (Kind, Haushalt, Garten, Arbeit, alte Eltern, Freizeit) und es funktioniert.

Das hat sich mit den Lockdown-Maßnahmen geändert. Ich habe während des Lockdowns im Home-Office gearbeitet (was ich ohnehin seit 15 Jahren tue und für mich nichts Neues ist), dazu kam ein Teenager zuhause, der sich nicht mehr getraut hat, das Haus zu verlassen, weil auf allen Kanälen »Bleibt zuhause« gebrüllt wurde, und zwei Wochen lang sein Bett nur zum Essen und zur Toilette verlassen hat. Ich hatte Angst, er entwickelt eine Depression, und habe ihn dann Gott sei Dank dazu bewegen können, mit mir das Haus zu verlassen für Fahrradausflüge und später dann trotz Verbotes Freunde besucht und eingeladen.

Dann habe ich versucht, ein Familienleben aufrechtzuerhalten, neben der Arbeit also einen verstörten Jugendlichen betreut, diesen dann noch neben der regulären Arbeit im Home-Office bei den Schulaufgaben begleitet (effektives Arbeiten mit 20-minütigen Unterbrechungen ist fast unmöglich) unter Wegfall jeglicher Rückzugs-, Erholungs- und Ausweichmöglichkeiten meinerseits. (Während ich am Rotieren war, konnte ich in meinem Umfeld beobachten, wie die Lehrer die reichlich gewonnene Freizeit für Hausrenovierungen, Gartenaufbereitung, Keller ausmisten, lange Wanderungen etc. nutzten.)

Dazu kam die medial immens geschürte Unsicherheit über die Tödlichkeit dieses »Killer-Virus«. Ich habe bereits im Februar und März viel Zeit damit verbracht, die den Nachrichten zugrunde liegenden medizinischen Fachjournale zu lesen (ich bin/war studierte Wissenschaftlerin), und habe relativ schnell und sehr schockiert festgestellt, dass selbst die mir bis dahin als seriös empfundenen Leitmedien Spiegel, Zeit und Süddeutsche in Bezug auf Corona Müll erzählten (aus den wissenschaftlichen Fachartikeln wurden nur die schlagzeilenträchtigen Ergebnisse publiziert und nicht die Diskussion und relativierenden Ergebnisse, die in den Artikeln auch enthalten waren).

Ich habe diese Lockdown-Wochen zwar überstanden – irgendwie –, bin dann aber Ende Juni etwas verzögert unter der Last zusammengebrochen. Um bei dem alten Bild zu bleiben: Ich musste neben meinen sonst fünf Bällen eben noch drei weitere jonglieren (Homeschooling und ein verstörter Teenager immer zuhause, mehr Arbeit, da ich z. Zt. im Online-Handel tätig bin, keinerlei Rückzugs-/Erholungsmöglichkeiten). Das konnte ich nicht und dann sind mir alle Bälle runtergefallen. Diagnose: Zusammenbruch mit schwerer Depression/Burnout. Seit vier Monaten bin ich jetzt nicht mehr arbeitsfähig.

Die Psychologin findet auch keine schweren Defizite in meiner Biographie, die eine Depression begründen/auslösen würden. Ich war bisher auch immer ein psychisch stabiler Mensch. Ursache der Depression jetzt war ziemlich eindeutig die massive Überlastung aus der Corona-Zeit.

Zweites Beispiel: Mein Vater ist schwer an einer Alzheimer-Demenz erkrankt. Meine Eltern sind aber immer regelmäßig zur Skigymnastik und zum Schwimmen gegangen, insgesamt viermal die Woche, was mit dem Lockdown wegfiel. Vorher sind seine körperliche Fitness und teilweise auch seine geistige Fitness in den letzten Jahren kontinuierlich, aber nicht so stark gesunken.

Die Monate des Eingeschlossenseins ohne jeglichen Impuls von außen und ohne die gewohnte Bewegung haben seine Krankheit immens verstärkt. Seine physischen und geistigen Fähigkeiten haben in dieser kurzen Zeit sehr stark abgenommen. Er ist nach wenigen Monaten nun nicht mehr in der Lage zu schwimmen oder sich über einen 100 Meter (wackeligen) Spaziergang hinaus zu bewegen und hat sich zum Vollpflegefall entwickelt.

Vielen Dank, dass Sie diese Recherche machen. Ich finde das eine hervorragende Idee.

Mit den besten Grüßen
B. S.

Betrifft: Leiden an Corona-Politik

Bin seit 1982 freiberuflicher Musiker, 63 Jahre und gottlob schon Bezieher der gesetzlichen Rente. Leider nur 400 €. Alle zusätzlich notwendigen Einnahmen sind mir seit März 2020 weggebrochen, ohne die Hilfe meiner Frau wäre ich am Ende. Gott sei Dank habe ich – nach langer vergeblicher Suche – ab November 2020 einen Minijob im sozialen Bereich.

Schlimmer jedoch als die materielle Lage ist die unerträglich schwierige Corona-Kommunikation innerhalb der Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis, denn ich sehe die Maßnahmen der Regierung sehr, sehr kritisch.

Betrifft: »Unsichtbare Corona-Folgen«

Hallo NDS,

herzlichen Dank für Ihr Engagement, die schweigende, benachteiligte Masse sichtbar zu machen.

Erlebnis von Familie F. aus B.: Schwiegersohn kann Maske aus gesundheitlichen Gründen nicht tragen. Tägliche Besorgungen sind ein Spießrutenlauf mit offener Abneigung, folgende Läden sprachen bereits Hausverbot wegen »Kundengefährdung« aus: Saturn/Media-Markt, Hornbach, Zurbrüggen, Ikea, div. Veranstaltungsstätten und die Stadtbibliothek.

Folgen: zuhause einigeln und mit jedem Gang in die Öffentlichkeit Herzklopfen und Beklommenheit.

Danke für die Veröffentlichung!

Die im Dunkeln sieht man nicht – 70 Zeitzeugen zu den missachteten Folgen der Corona-Politik„, herausgegeben von Albrecht Müller. Westend-Verlag, 192 Seiten, ISBN 9783864893230, 12,- Euro.

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