Ziel der Verfassungsbeschwerde gegen das Revisionsurteil des Sechsten, für Rundfunkangelegenheiten zuständigen Senats des Bundesverwaltungsgerichts ist die Rückverweisung zur Neuverhandlung an den Neunten, für Abgabenangelegenheiten zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichts. Dort erhoffen wir uns eine Verhandlung, die die Interessen des Rundfunks weniger hoch und die Rechte der Abgabenpflichtigen höher gewichtet.
Verfassungsbeschwerde
des Herrn Dr. Norbert Häring. Verfahrensbevollmächtigt: Rechtsanwalt Carlos A. Gebauer, betreffend das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. April 2022 – 6 C 3.21 –, dem dortigen Kläger und hiesigen Beschwerdeführer zugestellt am 20. Juli 2022.
Namens und in Vollmacht des vorbezeichneten Beschwerdeführers beantrage ich zu entscheiden: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. April 2022 zu Geschäftsnummer 6 C 3.21 wird aufgehoben; der Rechtsstreit wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an den 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes – hilfsweise: den 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes – zurückverwiesen.
Begründung:
A. Sachverhalt
(…) Die Parteien des Ausgangsverfahrens stritten ursprünglich über die Frage, ob der Beschwerdeführer mit Beitragszahlungsverpflichtungen gegenüber der für ihn örtlich zuständigen Rundfunkanstalt in Rückstand gekommen wäre, da er seine Beitragsschuld nicht durch Giralgeld an den Zahlungsgläubiger zu überweisen bereit war, sondern diese Schuld in Bargeld entrichten zu können verlangte.
Der Beschwerdeführer vertrat die Auffassung, § 9 II S. 1 Nr. 2 RBStV ermächtige die Rundfunkbehörde nicht, in § 10 II ihrer Beitragssatzung Beitragsschuldner zur Zahlung von Rundfunkbeiträgen exklusiv mittels Ermächtigung zum Einzug durch Lastschrift, Einzelüberweisung oder Dauerüberweisung – also per Giralgeldleistung – heranzuziehen. Der Beschwerdeführer wies darauf hin, daß der Ausschluß der Möglichkeit, auf Geldzahlung lautende Leistungsverpflichtungen mit Bargeld tilgen zu können, sowohl gegen § 14 I S. 2 BBankG als auch gegen Art. 128 I S. 3 AEUV verstößt.
§ 14 I S. 2 BBankG lautet wörtlich: „Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel.“
Art. 128 I S. 3 AEUV lautet: „Die von der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken ausgegebenen Banknoten sind die einzigen Banknoten, die in der Union als gesetzliches Zahlungsmittel gelten.“
Nachdem das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main im Wege einer teleologischen Reduktion des § 14 I S. 2 BBankG ursprünglich die Auffassung vertreten hatte, der Beschwerdeführer sei entgegen des Wortlauts der Vorschrift nicht berechtigt, auch seine dortigen Beitragsschulden mit Bargeld, d. h. mit Banknoten, zu tilgen, war der Hessische Verwaltungsgerichtshof dem Verwaltungsgericht im weiteren Instanzenzug zunächst in dieser Auffassung – wenn auch mit anderer dogmatischer Herleitung – noch gefolgt. Das Bundesverwaltungsgericht indes schloß sich dann in der Revisionsinstanz der Rechtsauffassung des hiesigen Beschwerdeführers zum Regelungsbefehl des § 14 I S. 2 BBankG an, legte die Sache jedoch im Hinblick auf Art. 128 I S. 3 AEUV vorfragend dem Europäischen Gerichtshof vor, der darauf detailliert antwortete, daß es einen gänzlichen Ausschluß der Schuldtilgungsmöglichkeit mittels Bargeldes in der Satzung einer Rundfunkanstalt europarechtlich (unionsrechtlich) nicht geben darf. Er gab die Sache damit an das Bundesverwaltungsgericht zurück.
In seinem hier angefochtenen Urteil vom 27. April 2022 stellt das Bundesverwaltungsgericht nun fest, daß der kategorische Ausschluß der Bargeldzahlungsmöglichkeit durch die Rundfunkanstalt rechtswidrig ist und insbesondere nicht kraft Auslegung in den Bereich der Rechtsordnung integriert werden kann. Gleichwohl ist die angefochtene Entscheidung der Auffassung, die Rechtswidrigkeit der Beitragssatzung stehe einem rechtmäßigen, auf dieser Satzung beruhenden Beitragszahlungsbescheid dennoch nicht entgegen. Wörtlich führt sie aus:
„Eine verfassungskonforme Auslegung des § 10 Abs. 2 der Beitragssatzung des Beklagten kommt … nicht in Betracht, … Kann der Beitragsschuldner die Rundfunkbeiträge … nur mittels Ermächtigung zum Einzug mittels Lastschrift bzw. Sepa-Basis-Lastschrift, Einzelüberweisung oder Dauerüberweisung entrichten, würde die Annahme einer Ausnahmemöglichkeit im Wege der Auslegung die Wortlautgrenze überscheiten.
Ungeachtet der festgestellten Verstöße gegen die unionsrechtlichen Vorgaben für Barzahlungsbeschränkungen … ist die Regelung des § 10 Abs. 2 der Beitragssatzung des Beklagten übergangsweise bis zu einer Neuregelung weiter anzuwenden. … Zwar verhält sich die Entscheidung des EuGH zu der Frage der übergangsweisen Anwendung des § 10 Abs. 2 der Beitragsatzung des Beklagten nicht ausdrücklich. Der EuGH hat es jedoch als Sache des vorlegenden Gerichts bezeichnet, zu prüfen, ob eine Beschränkung der Barzahlungsmöglichkeit im Hinblick auf das Ziel des tatsächlichen Einzugs des Rundfunkbeitrags verhältnismäßig ist … Der letzte Halbsatz lässt klar erkennen, dass der EuGH eine Barzahlungsmöglichkeit nicht generell, sondern ausschließlich für solche Personen fordert, die keinen Zugang zu anderen – bargeldlosen – Zahlungsmitteln haben. … Zwar sind die Verwaltungsgerichte grundsätzlich nicht befugt, eine zeitlich befristete Fortgeltung verfassungswidriger Satzungsbestimmungen anzuordnen (BVerwG, Urteil vom 27. November 2019 – 9 C 4.19 – BverwGE 167, 137 Rn 20 …). In der abgabenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher anerkannt, dass die Verwaltungsgerichte gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO verpflichtet sind, angefochtene Steuerbescheide aufzuheben, wenn diese keine Grundlage in einer gültigen Satzung finden und deshalb die Steuerschuldner in ihren Rechten verletzen. Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen, in denen die Erklärung der Satzung als unwirksam bzw. die darauf beruhende Aufhebung der Steuerbescheide einen ‚Notstand‘ zur Folge hätte, könnte etwas anderes gelten (BVerwG, Urteil vom 27. November 2019 – 9 C 4.19 – a.a.O. Rn 20 m.w.N.). Diese Grundsätze sind indes auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar.“
(Hervorhebung diesseits)
Diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist nach ihrem Verfahren und in ihrem Ergebnis mit formellem und materiellem Verfassungsrecht nicht vereinbar.
B. Zur Rechtslage
B.1 Zulässigkeit
(…)
B.2 Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
B. 2. a.
Es hat nicht der „gesetzliche Richter“ im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG dieses Urteil gefällt.
I. Der erste Termin in der Revisionsinstanz des Rechtsstreites bei dem Bundesverwaltungsgericht am 27. März 2019 wurde vor dem 6. Senat dieses Gerichtes in dessen Spruchkörperbesetzung mit den Richtern
1.) Prof. Dr. Kraft,
2.) Dr. Heitz,
3.) Dr. Möller,
4.) Hahn und
5.) Steiner
durchgeführt.
Ausweislich des Sitzungsprotokolls von diesem 27. März 2019 wurden in diesem Verfahren nicht nur Sachanträge gestellt, sondern vor diesen Antragstellungen zur Sache wurde zunächst zutreffend protokolliert:
„Rechtsanwalt Gebauer rügte die Zuständigkeit des 6. Senats. Seines Erachtens wäre der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts zuständig, da eine Abgabenangelegenheit vorliege.“
Dieser prozessualen Rüge lag der Geschäftsverteilungsplan des Bundesverwaltungsgerichtes zugrunde, der besagte (und besagt), daß der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes zuständig ist für das „Rundfunkrecht einschließlich des Rechts der Rundfunkanstalten“ und der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes kraft genereller Auffangregelung zuständig ist für das „sonstige Abgabenrecht“.
Die in ihrem Kern geldrechtliche Streitigkeit zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens berührt keinerlei bereichsspezifische Fragen des Rundfunkrechtes, sondern sie fällt – namentlich mangels anderweitiger Spezialzuständigkeiten – samt und sonders unter den geschäftsverteilungsrechtlichen Begriff des „sonstigen Abgabenrechtes“.
Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes war folglich schon originär nicht zur Entscheidung der Sache berufen. An seiner Stelle hätte der zuständige 9. Senat die Rechtssache verhandeln und entscheiden müssen. Die dann während des Verfahrens anschließend gestellten Anträge zur Sache stehen mithin unter dem Vorbehalt dieser Zuständigkeitsrüge.
Der prozessrechtliche Begriff der „Verhandlung“ bezeichnet dabei nach ständiger Rechtsprechung in allen Gerichtszweigen nicht die Tatsache, daß die Streitparteien und das Gericht die Sache irgendwie miteinander erörtert haben. Sondern eine „Verhandlung“ in diesem (engeren, technischen) Sinne bedeutet, daß eine konkrete Antragstellung erfolgt (im Zivilprozess nach § 297 ZPO). Denn erst und nur diese förmlich gestellten Anträge legen den Rahmen dessen fest, worüber ein Gericht zu entscheiden hat (dies begründet die „Bindung an die Parteianträge“ im Sinne z.B. des § 308 ZPO).
Diese zivilprozessualen Grundsätze aus den §§ 297, 308 ZPO gelten auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren. § 112 VwGO besagt:
„Das Urteil kann nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung teilgenommen haben.“
Anläßlich des zweiten Termins vor dem 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes am 27. April 2022 war der Senat nunmehr wie folgt besetzt:
1.) Prof. Dr. Kraft,
2.) Hahn,
3.) Dr. Tegethoff,
4.) Dr. Gamp und
5.) Hellmann.
Aus der Besetzung des 27. März 2019 waren also am 27. April 2022 nur noch die beiden erstgenannten Richter im Senat verblieben; die anderen drei Richter – die Mehrheit des Spruchkörpers – hatten gewechselt.
Zutreffend gibt das Sitzungsprotokoll vom 27. April 2022 wieder, daß an diesem Tage vor dem Senat nicht erneut zur Sache verhandelt wurde. Der Sitzungsvorsitzende hat die seinerzeitigen Anträge aus dem Termin vom 27. März 2019 an diesem Tage nicht einmal bezugnehmend wiederholen (und damit also auch nicht stellen) lassen. Im Ergebnis haben also drei der fünf Richter am 27. April 2022 ein Urteil gefällt und gesprochen, die nicht an der „dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung teilgenommen haben“ im Sinne des § 112 VwGO.
Dies allein ist bereits für sich gesehen mit Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar.
Das Bundesarbeitsgericht hatte zu einer entsprechenden Frage bereits am 16. Dezember 1970 (4 AZR 98/70) überzeugend ausgeführt:
„Nach § 308 Abs. 1 ZPO ist ein Zivilgericht … nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Über ihren Wortlaut hinaus ist dieser Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck zu entnehmen, daß im Zivilprozeß schlechthin nur im Rahmen der prozessual wirksam gestellten Parteianträge ein Anspruch zuerkannt oder im Wege der Klageabweisung aberkannt werden darf. Fehlt es hingegen an einer Antragstellung der Parteien überhaupt und damit an einer prozessual unumgänglichen Entscheidungsvoraussetzung, so darf kein Urteil ergehen. Das aber ist hier der Fall. Denn das nach dem Termin am 26. Januar 1970 ergangene Berufungsurteil entscheidet ohne Antragstellung über einen zivilrechtlichen Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis … Daran ändert nichts, daß die Parteien in der vorletzten Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 9. Juli 1969, wie aus dem damaligen Sitzungsprotokoll ersichtlich ist, nach Maßgabe des § 297 ZPO Sachanträge gestellt hatten. Nach dem … Grundsatz der Einheitlichkeit oder Unteilbarkeit der mündlichen Verhandlung kann zwar, wenn die Anträge der Parteien einmal nach § 137 Abs. 1 ZPO wirksam gestellt worden sind, eine Wiederholung der Antragstellung in späteren Terminen grundsätzlich unterbleiben. Das gilt aber nicht, wenn sich die Besetzung des Gerichtes geändert hat. Dann bedarf es vielmehr einer erneuten Stellung der Anträge.“
(BAG NJW 1971, 1332 m.w.N.; Hervorhebung diesseits)
Auch das Bundesverwaltungsgericht seinerseits hatte in einer Sache 4 BN 15.06 am 12. Juli 2006 zu einer im Ansatz ähnlichen prozessualen Lage zu entscheiden. In dem dazugehörigen Beschluß heißt es unter anderem wörtlich:
„… Nach dieser Vorschrift [112 VwGO] darf das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung teilgenommen haben. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, daß dem Urteil eine mündliche Verhandlung zugrundeliegt. Ergeht das Urteil, weil die Beteiligten – wie hier – auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben, nicht aufgrund der mündlichen Verhandlung, ist § 112 VwGO jedenfalls im Grundsatz nicht anwendbar. Eine andere rechtliche Beurteilung kann nur ausnahmsweise in Fällen Platz greifen, in denen mit der Verfahrensrüge nach § 112 VwGO im einzelnen substantiiert dargelegt wird, dass in dem Urteil nicht lediglich der Inhalt der Akten verwertet, sondern auch ein aus den Akten nicht ersichtlicher Umstand berücksichtigt worden ist, der in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde. Nur in einem solchen Fall liegt insoweit dem ergangenen Urteil die mündliche Verhandlung mit der Folge zugrunde, dass ein Richterwechsel zwischen der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Urteils jedenfalls nicht frei von Bedenken ist.“
(Hervorhebung diesseits)
Anders als in dem Verfahren, dem der vorzitierte Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Juli 2006 entstammt, haben die Streitparteien des hier in Rede stehenden Verfahrens zu keinem Zeitpunkt darauf verzichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Im Gegenteil. Mit Schriftsatz vom 1. April 2021 war für den Kläger ausgeführt worden, daß eine Entscheidung ohne erneute mündliche Verhandlung seinerseits nicht befürwortet werde. In diesem Schriftsatz hieß es: „Das Gericht wird daher ersucht, Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen.“
Bereits mit Schriftsatz vom 22. März 2022 war klägerseits auch erklärt worden, daß er weiterhin einem „Termin zur erneuten mündlichen Verhandlung“ entgegensehe. Folgerichtig ist auch im Sitzungsprotokoll vom 27. April 2022 nicht protokolliert, daß auf eine solche mündliche Verhandlung verzichtet worden wäre. Damit scheidet aus, anzunehmen, der Kläger habe einen Verzicht auf die weitere mündliche Verhandlung nach Richterwechsel erklärt (wie in seinem Beschluß 4 BN 15.06 vom 12. Juli 2006).
Ergeht aber eine Entscheidung durch einen unzuständigen Spruchkörper eines Gerichtes, so verletzt dies die Betroffenen anerkanntermaßen in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (vgl. statt aller: BVerfG 2 BvR 2675/17 vom 20. Februar 2018, dort insbesondere Rn 15).
Ergänzend ist – nach Maßgabe des zitierten Beschlusses BVerwG vom 12. Juli 2006 zu 4 BN 15.06 – klarzustellen, daß das hier in Rede stehende Urteil vom 27. April 2022 auch Umstände berücksichtigt, die nicht in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2022 (nochmals) mit dem Senat in seiner zuletzt entscheidenden Besetzung tatsächlich erörtert worden sind.
Im Termin am 27. März 2019 war ausdrücklich – wie vorstehend ausgeführt – die Zuständigkeit des 6. Senates bei dem Bundesverwaltungsgericht gerügt und – wie in dem gerichtlichen Protokoll von diesem Tage festgehalten – erläutert worden, warum entsprechend des Geschäftsverteilungsplanes innerhalb des Bundesverwaltungsgerichtes der dortige 9. Senat zur Entscheidung des Rechtsstreites berufen gewesen wäre. Nach dieser Rüge handelte und handelt es sich vorliegend rechtlich tragend um eine „Abgabenangelegenheit“. Dieser Rechtsauffassung zum inhaltlichen Kern der Streitsache hat sich nun – allerdings ohne jede weitere Erläuterung zu seiner dahingehenden eigenen Entscheidungsbefugnis – auch der „neue“ 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes am 27. April 2022 selbst in der Sache angeschlossen, indem er auf Blatt 31 seines hier angefochtenen Urteiles ausführt:
„In der abgabenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist … anerkannt, dass die Verwaltungsgerichte … verpflichtet sind, angefochtene Steuerbescheide aufzuheben, wenn diese keine Grundlage in einer gültigen Satzung finden und deshalb die Steuerschuldner in ihren Rechten verletzen. Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen, in denen die Erklärung der Satzung als unwirksam bzw. die darauf beruhende Aufhebung der Steuerbescheide einen „Notstand“ zur Folge hätte, könnte etwas anderes gelten. Diese Grundsätze sind indes auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar.“
An der betreffenden Urteilsstelle (Rn 61f.) bezieht sich der „neue“ 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes am 27. April 2022 dabei ausdrücklich auf ein Urteil des 9. Senates: BVerwG 9 C 4.19 vom 27. November 2019. Obwohl damit die Abweichung von der anerkannten Judikatur des Abgabensenates zu der zentralen, das Urteil mithin wesentlich tragenden, streitentscheidenden Erwägung gemacht wurde, haben wenigstens drei der fünf entscheidenden Richter schon nicht an der ursprünglichen Beratung zur Frage der eigenen Zuständigkeit teilgenommen. Zudem haben sie in den Entscheidungsgründen nicht erkennbar gemacht, dies nachgeholt zu haben.
Wenn – nach der angefochtenen Entscheidung – die gesamte Beitragserhebung durch den Beklagten bei dem Beschwerdeführer nunmehr einzig aufgrund richterrechtlicher „Duldung“ der rechtswidrigen Rundfunkbeitragssatzung weiter unverändert durchgeführt werden können soll, so handelt es sich ersichtlich nicht um eine prozessuale Nebensache (wie ein obiter dictum o.ä.), die von solchen Richtern mitentschieden werden könnte, die an der dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung gar nicht teilgenommen haben, sondern es handelt sich um einen zentralen, wenn nicht gar den einen urteilswesentlich tragenden Entscheidungsgrund selbst.
Dieser Entscheidungsgrund, auf den zuletzt auch die Kostenentscheidung für das gesamte Verfahren gestützt wird (sic!), findet seine Ursache erkennbar nicht im Rundfunk-, sondern im Abgabenrecht, wie es der „neue“ 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes in seinem angegriffenen Urteil argumentativ ausdrücklich ausführt.
Ungeachtet der Wortwahl der Entscheidungsgründe, die Grundsätze des 9. Senates seien auf den vorliegenden Fall „nicht übertragbar“, handelt es sich der Sache nach um ein Aufgeben von zentraler Rechtsprechung des 9. Senates. Mit anderen Worten: Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes weicht in einer für die Entscheidung des Rechtsstreites wesentlichen Kernfrage wissentlich und willentlich von der ständigen Rechtsprechung des Abgabensenates ab, ohne diesen zuvor – wie es das Gesetz vorsieht – wenigstens nach Maßgabe des § 11 II VwGO in die Beurteilung der Rechtsfrage einbezogen zu haben.
Darin liegt ist ein weiterer, eigener Verstoß gegen Art. 101 I S. 2 GG. Das damit beschriebene Binnendivergenzproblem zur Rechtsfrage innerhalb des Bundesverwaltungsgerichtes durfte nach dem Gesetz nämlich nicht alleine – und in den Urteilsgründen ohne Erläuterung zur ausnahmsweisen Zuständigkeit des entscheidenden Senates selbst – von dem 6. Senat gelöst werden. Auch insoweit ist dem Beschwerdeführer wiederum der gesetzliche Richter entzogen worden. Das ist verfassungswidrig.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einhaltung des Gebotes zur Entscheidung durch den gesetzlichen Richter bekanntlich allmählich immer weiter verfeinert worden. Erforderlich ist, daß präzise bestimmt ist, welche Richter in welchem Einzelfall an der Entscheidung mitwirken (BVerfGE 95, 322 [333]). Es muß – in den Worten des Großen Senates des Bundesgerichtshofes – bereits die „auch nur entfernte“ Möglichkeit einer Sachentscheidung durch einen anderen als den gesetzlichen Richter „ausgeschlossen werden“ (BGH VGS 1/93 u. a. vom 5. Mai 1994, Rn 68). Eine verfassungswidrige Entziehung des gesetzlichen Richters liegt folglich dann vor, wenn das Gericht – wie hier – die Bedeutung und Tragweite des Art. 101 I S. 2 GG verkennt (BVerfGE 97, 282 [285]). Art. 101 I S. 2 GG bietet rechtlichen Schutz dagegen, daß ein Prozeßbeteiligter durch die Organisation des Gerichtes dem für seine Sache vorbestimmten Richter entzogen wird; liegt ein solcher Fall vor, ist die „Willkürgrenze“ für die Fehlanwendung der Zuständigkeitsbestimmungen überschritten (BVerfGE 82, 286 [298]).
An der (geheimen) Beratung der Rechtsfragen zur Zuständigkeit nach dem eigenen Geschäftsverteilungsplan durch den „alten“ 6. Senat am 27. März 2019 waren, wie aktenkundig, nicht alle am 27. April 2022 erkennenden Richter beteiligt. Mehr noch: Sogar die Mehrheit der jetzt am 27. April 2022 zur Sache entscheidenden Richter hat – wie dargelegt – am 27. März 2019 nicht über diese vorgreifliche Zuständigkeitsfrage beraten. Aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteiles geht auch nicht hervor, daß die Frage der Senatszuständigkeit von diesem „neuen“ 6. Senat überhaupt noch einmal pflichtgemäß erwogen worden wäre. Hätten die entscheidenden Mitglieder des Senates die Frage der eigenen Zuständigkeit für das Abweichen von der ständigen Rechtsprechung des 9. Senates aber thematisiert, würden sie denknotwendig auch verpflichtet gewesen sein, sich auch mit § 11 II VwGO auseinanderzusetzen. Da dies in den Urteilsgründen nicht erläutert wird, ist davon auszugehen, daß dies pflichtwidrig nicht geschehen ist.
Der Richterwechsel im Spruchkörper ist daher offenkundig und greifbar „nicht frei von Bedenken“ im Sinne der Formulierung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Juli 2006. Denn drei von fünf Richtern haben am 27. April 2022 außerhalb der je eigenen Zuständigkeit im Sinne des § 112 VwGO ein Urteil gefällt, das die abgabenrechtliche Rechtsprechung des zuständigen 9. Senates unter Verstoß gegen § 11 Abs. 2 VwGO in wesentlichen Teilen kassiert.
B. 2. b.
Die angefochtene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer zudem in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 GG.
Zur verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG gehört, daß jedwede Heranziehung eines Bürgers zu öffentlich-rechtlichen Beitragszahlungen jedenfalls auf einer lückenlosen Legitimationskette beruhen muß, die ihren Ausgang in einem verfassungsgemäßen, Parlamentsgesetz nimmt und – allenfalls vermittelt durch formell und materiell verfassungskonforme untergesetzliche Rechtsnormen – in einen individuellen Verwaltungsakt mündet.
Im vorliegenden Fall hat das angefochtene Urteil dargelegt, warum die Satzungsbestimmung der Rundfunkanstalt, auf der die Zahlungspflicht des Beschwerdeführers beruhe, rechtswidrig ist. Eine rechtswidrige Satzung kann aber nicht Grundlage eines dann vermeintlich wieder rechtmäßigen individuellen Heranziehungsbescheides sein. Eine rechtmäßige Beitragszahlungsverpflichtung auf Grundlage einer rechtswidrigen causa ist ein offenliegender Widerspruch in sich.
Dabei kann sogar dahinstehen, ob die Befugnis zu einer solchen beitragsrechtlichen „Rechtmäßigkeit aus Rechtswidrigkeit sui generis“ durch Unionsrecht oder nationales Gesetz angeordnet können werden müsste. Denn in beiden dieser Fälle wäre es Sache nur des Gesetzgebers selbst, in diesem Sinne formell und materiell rechtmäßig rechtsschöpfend tätig zu werden. Die hier postulierte richterrechtliche Befugnis zur Überbrückung einer Legitimationslücke findet weder eine Grundlage im geltenden Recht, noch prüft die angefochtene Entscheidung auch mit einem Wort die verfassungsrechtliche Rechtmäßigkeit ihres methodenwidrigen Ergebnisses.
Mehr noch: Die rechtliche Konstruktion der angefochtenen Entscheidung wendet sich sogar – wie dargelegt – ohne die gesetzlich vorgesehene Rückfrage bei dem Abgabensenat binnendivergent ab von seiner ständigen Rechtsprechung und schöpft statt dessen zu Lasten des Beschwerdeführers Sonderrecht aus dem Nichts. Im Ergebnis wird der Beschwerdeführer nicht nur (bis auf unbestimmbar Weiteres) auf der Grundlage einer erkannt rechtswidrigen Satzung (und ohne dargestellte Liquiditätsnot der Anstalt) zu Beitragszahlungen herangezogen, sondern ihm wird zusätzlich – rechtsgrundlos – abverlangt, ein einstmals innegehabtes Bankkonto (ad ultimo?) aufrechtzuerhalten. Verfehlt er, dieser Scheinverpflichtung aus rechtswidriger Quelle nachzukommen, läuft er zuletzt sogar Gefahr, Pfändungsmaßnahmen der Rundfunkanstalt ausgesetzt zu werden.
Zuletzt trifft ihn bei allem die Kostenlast für den gesamten Rechtsstreit, in dessen Ergebnis ihm doch bestätigt wurde, daß – wie er von Beginn an geltend gemacht hatte – die Beitragsatzung der Rundfunkanstalt rechtswidrig ist. Ohne verfassungsgemäßen Rechtsgrund für all dies sind diese sämtlichen Eingriffe in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt.
Die angefochtene Entscheidung verletzt die Rechtsposition des Beschwerdeführers auch in wesentlichem Umfange, da sie ohne parlamentsgesetzliche Rechtsgrundlage eine Festlegung über Zahlungspflichten trifft, ohne die verfassungsrechtlich gebotene Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Gläubiger und Schuldner dieses Zahlungsverhältnisses auch nur im Ansatz zu erörtern.
C. Prozessuales
1.) Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den zuständigen 9. Senat („Abgabensenat“) des Bundesverwaltungsgerichtes zurückzuverweisen, hilfsweise an den 6. Senat („Rundfunksenat“), sofern das Bundesverfassungsgericht in dem hiesigen Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen den Wortlaut des Geschäftsverteilungsplanes für das Bundesverwaltungsgericht dessen Zuständigkeit bejahen sollte. In diesem Hilfsfalle wäre dann innerhalb des Bundesverwaltungsgerichtes von dem 6. Senat im gesetzlich vorgesehenen Benehmen mit dem 9. Senat die vorstehend beschriebene Binnendivergenz zu klären und in der Sache zu entscheiden.
2.) Dieser Verfassungsbeschwerde sind als Anlagen beigefügt
(Gebauer)
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Medizinrecht
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