Missverständnisse über Demokratie – aus Anlass des Parteitags von dieBasis

15. 03. 2021 | Wegen des schmalen Spektrums an Politik, das die etablierten Parteien nur noch anbieten, ruhen viele Hoffnungen auf Neugründungen von Parteien, besonders viele auf den Basisdemokraten von dieBasis. Schade, dass deren Politikverständnis demjenigen der Möchtegern-Technokratenherrscher aus dem Silicon Valley so ähnlich ist.

Wenn die globalen Großkonzerne mit dem Umbau unseres wirtschaftlichen und politischen Systems zu einem Big-Tech-Feudalismus scheitern – sei es, weil es vorher zu einer Schmelze des Finanzsystems kommt, oder weil die Bevölkerung aufbegehrt – dann werden wir Volksvertreter brauchen, die eine positive Alternative anbieten und daran arbeiten können. Die etablierten Parteien haben hinreichend bewiesen, dass sie weder die Fähigkeit, noch den Willen dazu haben.

Eine mögliche Hoffnung liegt darin, dass eine oder mehrere der vielen neuen Kleinparteien, die derzeit gegründet werden, diese Lücke fühlen können. Die neue Partei dieBasis hat in Baden-Württemberg aus dem Stand mit einem Prozent einen Achtungserfolg erzielt, fast so viel wie Die Partei und fast ein Drittel der Stimmen von Die Linke. Am Wochenende haben sie Parteitag.

DieBasis Baden-Württemberg hatte auf ein Wahlprogramm verzichtet, „weil die Erstellung eines Wahlprogramms dem basisdemokratischen Gedanken (widerspricht), der ja davon ausgeht, dass die jeweils Betroffenen über die Dinge entscheiden sollen, die sie selbst angehen“. Stattdessen hat man einen „Mitgliederkonsens“ mit beispielhaften Positionen angeboten. Beim Bundesparteitag scheint nun aber doch die Verabschiedung eines Wahlprogramms auf der Tagesordnung zu stehen.

Mir bereitet ein grundlegendes Missverständnis von echter Demokratie Sorgen, das bei dieBasis vorzuherrschen scheint, vielleicht, weil sie so stark von den frühen Piraten durchsetzt und inspiriert ist. Die Aktiven meinen es sicherlich gut, aber es scheint in der Programmatik eine libertäre Ideologie durch, wie wir sie aus dem Silicon Valley kennen.

Dieser Ideologie zufolge kommt es vor allem darauf an, alle zu vernetzen und ihnen eine möglichst gleichmäßige Mitwirkungsmöglichkeit am Programm zu geben. Was immer dabei dann herauskommt ist basisdemokratisch legitimiert und umzusetzen. Ich nenne die Ideologie die hier durchscheint, libertär, weil sie von der Annahme eines mit autonomen Präferenzen ausgestatteten einzelnen Menschen ausgeht. Diese fest gefügten Präferenzen sind durch eine geeignete digitale Technologie möglichst unverfälscht zu einem Gesamtwillen zusammenzufügen.

Programmatische Aussagen von dieBasis lauten, dass Grundlage der Parteiarbeit die „vier Säulen Freiheit, Machtbegrenzung, Achtsamkeit und Schwarmintelligenz“ sind. Es gehe vor allem darum, „möglichst offen zu diskutieren und transparent zu entscheiden“ und das Ziel sei, „die Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen zu verteidigen und zu ermöglichen“. Schwarmintelligenz sei „die Suche nach objektiven Fakten durch Mitwirkung eines jeden Einzelnen, der etwas Konstruktives beizutragen hat“.

Das ähnelt doch sehr der Verheißung derer, die die großen digitalen Plattformen kontrollieren, dass sie als wohlmeinende Lenker in der Globalen Governance genau das bewerkstelligen würden. Facebook-Chef Mark Zuckerberg schrieb 2017 in seinem jährlich Brief an die gläubige Gemeinde, seine Plattform könne sehr vieles besser als die Regierungen.

Die Hoffnung von dieBasis „objektive Fakten“ aus Schwarmintelligenz ziehen zu können, deutet eine naiv-technokratische Grundhaltung an, derzufolge es in der Politik nicht so sehr um Interessengegensätze und unterschiedliche Werte geht, sondern um objektive Fakten.

Tatsächlich wissen aber die Silicon-Valley-Technokraten besser als alle anderen, dass die Vorlieben der Menschen nicht festgefügt sind, sondern sehr leicht beeinflussbar, gerade durch die sozialen Medien. Das ist ja ihr Geschäft. Sie können also jede Entscheidung so präsentieren und vorbereiten, dass ein für sie optimales oder zumindest akzeptables Ergebnis als Mehrheitswille herauskommt.

Das gleiche Problem tritt auf, wenn eine Partei versucht, ihren Willensbildungsprozess zu organisieren wie eine Sozial-Media-Plattform, nur dass nicht so klar ist, wer hier alles die Lenkung und Beeinflussung in welchem Ausmaß übernimmt. Jeder soll bei der Programmgestaltung gleichberechtigt eine Stimme haben, nicht nur die Parteimitglieder. Das Ergebnis kann stark zufallsgetrieben sein, aber auch zielgerichtet manipuliert. Das kann von der Parteiführung kommen, oder von Parteimitgliedern, die sich für ein Thema stark machen und den Diskussionsprozess steuern dürfen, aber auch von außen, von Kräften, die die Partei kapern oder ihr schaden wollen. Für all das sind die Tore bei dieBasis weit offen.

Auch die Vorstellung, man sollte und könne als einzelne Partei den gesamten Volkswillen abbilden, erinnert an das totalitäre Weltbild der Silicon Valley Technokraten. Demokratie lebt vom Austausch, vom Streit, von Überzeugungsarbeit, davon, dass man versucht, Mehrheiten für seine Position zu gewinnen, nicht davon, vorgefundene Meinungsbilder mit der bestmöglichen digitalen Technik zu erheben und technokratisch in die optimale Politik zu übersetzen.

Mit anderen Worten: die Bürgerinnen haben einen Anspruch darauf, verschiedene halbwegs konsistent ausgearbeitete, sich deutlich unterscheidende Politikkonzeptionen zur Auswahl zu bekommen, nicht bloß ein diffuses Angebot per digitale Vernetzung Schwarmintelligenz spielen zu dürfen.

Leserbrief

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