Peter Bofinger schaltet sich mit einem unausgegorenen Beitrag in die Vollgeld-Debatte ein

Am 10. Juni stimmen die Schweizerinnen und Schweizer über die Vollgeldinitiative ab. Wenige Tage vor der Abstimmung schaltet sich der deutsche „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger mit einem Arbeitspapier in die Debatte ein. Darin stellt er einen Strohmann auf den er dann abwatscht, und das auch noch mit zum Teil ganz schlechten Argumenten.

In dem Arbeitspapier, das Peter Bofinger Anfang Juni zusammen mit seinem Doktoranden Thomas Haas veröffentlich hat, kommt er zu dem Schluss, dass die Vollgeldreform die Schwankungen der Kreditzinsen auf schädliche Weise verstärken würde. Dabei verzichten die beiden auf jede Nennung der angenommenen Ziele, Zwischenziele und Strategie der Notenbank. Man erkennt, dass implizit von einem Modell ausgegangen wird, bei dem die Zentralbank eine rigide Geldmengensteuerung betreibt, ohne Rücksicht darauf, was in der Wirtschaft los ist. Das ist unrealistisch, steht so nicht in der Abstimmungsvorlage und würde auch bei Annahme der Abstimmungsvorlage nie so umgesetzt.

Bofinger und Haas beschreiben den Kern der Vollgeldreform richtig. Die für den Zahlungsverkehr gedachten Einlagen der Haushalte und Unternehmen bei den Banken werden aus deren Bilanz genommen und zu Sondervermögen gemacht. Dadurch wird es den Banken unmöglich gemacht, per Kredit Geld (Einlagen) zu schaffen. Nur noch die Zentralbank kann den Geldumlauf erhöhen, entweder indem sie das zusätzliche Geld dem Staat gutschreibt, den Haushalten Schecks schickt, den Banken Kredit gibt oder Wertpapiere aufkauft. Die Banken werden zu reinen Kreditvermittlern. Um Kredit geben zu können, müssen sie sich erst Zentralbankgeld per Kredit von der Zentralbank besorgen, oder Nichtbanken dazu bringen, ihnen einen Kredit zu geben.

Die Autoren untersuchen in ihrem Kreditangebots- und Kreditnachfragemodell die Wirkung von exogenen, also von außen kommenden, Veränderungen (Schocks) in der Neigung der Banken und der Nichtbanken, der jeweils anderen Seite Kredit zu geben. Das Modell ist zwar zu einfach, um die Probleme des derzeitigen Systems zu Gänze abzubilden, aber doch ganz nützlich. Hochproblematisch ist die Art, wie sie es anwenden. Sie tun das unter der Annahme, dass die Notenbank passiv bleibt. Das kann man als analytische Annahme durchaus sinnvoller Weise tun. Dann räumen sie ein, dass die Notenbank steuernd aktiv werden könnte, wenn bei Zins oder Kreditangebot etwas passiert, was sie nicht will. Mit jeweils minimaler oder gar keiner Begründung schreiben sie dann aber, das sei entweder schwierig oder würde der Vollgeld-Intention zuwiderlaufen. Das ist ärgerlich.

Bofinger und Haas untersuchen drei verschiedene exogene „Schocks“ im Vollgeldsystem, wobei sie behaupten, dass der dritte einer sei, der nur in im Vollgeldsystem auftrete. Aber auch die anderen beiden untersuchen sie nicht vergleichend zum jetzigen System. Trotzdem suggerieren sie ungeprüft die etwaigen Schwierigkeiten wären im Vollgeldmodell größer als im gegenwärtigen Modell.

1. Kreditnachfrage steigt

Der erste untersuchte Schock ist eine plötzliche Erhöhung der Kreditnachfrage der Nichtbanken (Unternehmen und Haushalte).

Bofinger und Haas schreiben dazu, dass unter der Annahme einer passiven Notenbank die Zinsen steigen würden. Das Kreditvolumen liege nach dem Nachfrageschock unterhalb des optimalen Wertes. Diese nicht weiter erklärte Aussage ist sonderbar, da das Kreditvolumen aus dem Optimierungskalkül der Banken abgeleitet wird und „optimal“ in dem Beitrag nicht anders definiert ist, als gewinnmaximierend für die Banken. Das neue Gleichgewicht sollte also per Definition optimal sein.

Bofinger und Haas räumen ein, dass die Zentralbank, wenn sie das resultierende Kreditvolumen als zu niedrig betrachten würde, das Geldangebot erhöhen könnte. Dem halten sie ohne weitere Erklärung entgegen: „Wenn jedoch die Zentralbank das Angebot an Geldbasis anpassen würde, um den Anstieg der Zinsen zu vermeiden, könnte der Wechsel zum Vollgeldsystem irrelevant werden.“ Hier wird ärgerlicher Weise implizit angenommen, dass die Zentralbank diese Anpassung gegebenenfalls automatisch oder anderweitig ohne Sinn und Verstand vornehmen würde. Das tut sie im derzeitigen System nicht und würde es auch im Vollgeld-System nicht tun. Eine sinnvolle Entscheidungsgrundlage ob sie anpassen sollte, wäre die Antwort auf die Frage, wo die zusätzliche Kreditnachfrage herkommt. Kommt sie von vermehrten produktiven Investitionen? Dann sollte die Zentralbank unbedingt das Geldangebot erhöhen, um den Zinsanstieg zu vermeiden. Kommt sie von mehr Konsumnachfrage, ohne entsprechende Investitionen und ist damit inflatorisch? Dann erfüllt der Zinsanstieg eine positive Funktion und sollte zugelassen werden. Kommt die Kreditnachfrage gar von mehr spekulativen Käufen von Aktien, Anleihen, Immobilien? Dann sollte das Geldangebot der Zentralbank auf keinen Fall erhöht werden. Da man den Verwendungszweck der von den Banken ausgereichten Kredite einigermaßen zuverlässig kennt, hat man eine relativ gute Entscheidungsgrundlage.

2. Die Banken bekommen Angst vor Kreditausfällen

Der zweite untersuchte Schock ist eine sinkende Kreditvergabeneigung der Banken, weil sie plötzlich eine höhere Kreditausfallwahrscheinlichkeit annehmen. Hier passiert folgendes: Weil die Banken weniger Kredit geben wollen, brauchen sie weniger Kredit von den Nichtbanken. Dadurch sinkt der Zins, den sie diesen bieten müssen. Das erhöht die Zinsmarge der Banken und damit den Gewinn. Das kompensiert teilweise den negativen Einfluss der erhöhten Ausfallwahrscheinlichkeit auf die Kreditvergabe. So weit, so einsichtig. Doch dann schreiben die Autoren: „Um die Verbilligung des Zentralbankgeldes zu kompensieren, müsste die Zentralbank die Geldbasis der Wirtschaft reduzieren, also eine restriktive Geldpolitik betreiben.“

Das ist völlig unverständlich. Warum sollte die Zentralbank in einer Situation, in der die Kreditausfallwahrscheinlichkeit steigt, die Wirtschaft also Probleme hat, eine restriktive Geldpolitik fahren. Es ist doch schön, wenn die Kreditkosten der Banken automatisch sinken, wenn die Wirtschaft in Schwierigkeiten kommt. Hier wird ein Vorteil des Vollgeldsystems – vermutlich irrtümlich – in einen Nachteil umdefiniert.

3. Die Haushalte horten Liquidität

Der dritte ungünstige exogene Schock liegt darin, dass die Haushalte und Unternehmen ihr Geld wegen Misstrauens gegenüber den Banken verstärkt auf ihren Girokonten außerhalb der Bankbilanz parken und nicht mehr so leicht wie früher den Banken längerfristig per Kredit überlassen. Das sei der Schock, der im Vollgeldsystem zusätzlich auftreten könne, schreiben die Autoren. Bei unverändertem Geldangebot der Zentralbank steigen die Zinsen und die Banken geben weniger Kredit. Wenn die Zentralbank dieses ungünstige Ergebnis vermeiden wolle, müsse sie das Geldangebot anpassen, urteilen Bofinger und Haas und implizieren, dass das ein größeres Problem wäre, was nicht wirklich ersichtlich ist.

Hier macht sich besonders unangenehm bemerkbar, dass die Autoren Ziele und Strategie der Zentralbank überhaupt nicht behandeln und implizit eine starre Geldmengenregel annehmen, die so nie umgesetzt würde. Wenn die Zentralbank eine Vorstellung vom angestrebten Kreditwachstum hat, ist es normal und zielkonform, das Geldangebot entsprechend anzupassen. Dasselbe gilt, wenn sie ein Zinsziel hat. Nur wenn man implizit annimmt, dass die Zentralbank ohne viel Sinn und Verstand die Geldbasis steuert, läuft sie in ein Problem.

Es ist auch keineswegs so, dass derartige Schocks im heutigen System nicht vorkommen. Wenn das Vertrauen in die Banken schwindet, ist das im heutigen System ein viel größeres Problem, wie wir leidvoll erfahren mussten. Dann muss die Zentralbank eingreifen, indem sie den Geldmarkt mit Zentralbankgeld flutet, so wie es die EZB seit der Finanzkrise von 2008 tut. Wenn die Banken nicht mehr gar so wichtig für die Wirtschaft wären, weil mit ihnen nicht gleichzeitig der gesamte Zahlungsverkehr zusammenbricht, wäre das Problem kleiner, nicht größer. Außerdem sollten die Anlässe, das Vertrauen in das Bankensystem zu verlieren, im Vollgeldsystem weniger sein als im jetzigen System.

Resümee

Bofinger und Haas gehen davon aus, ein richtiges Vollgeldmodell sei nur eines, bei dem die Zentralbankgeldmenge nach festen Vorgaben, ohne Reaktion auf die vorher nicht genau bekannten Konsequenzen, gesteuert wird. Dieses unvernünftige Modell ist leicht abzuwatschen, aber es ist nicht das Vollgeldmodell über das die Schweizer und Schweizerinnen abstimmen. Wenn die Abstimmungsvorlage angenommen würde, bekäme die Schweizerische Nationalbank den Auftrag, die Kernelemente dieses Reformmodells umzusetzen. Sie bekäme dafür Instrumente an die Hand, die im Wesentlichen die gleichen sind, wie ihre jetzigen.

Entsprechend könnte sie damit eine ganz ähnliche Politik wie derzeit betreiben, idealer Weise eine Bessere, weil der autonome Einfluss der Banken geringer würde und man einzelne Banken viel leichter Pleite gehen lassen könnte. Wenn man eine ähnliche Politik fahren könnte, wie im alten Modell, dann kann man es auch gleich lassen, mit der Reform, meint Bofinger. Solchen Kritikern kann es die Reform unmöglich Recht machen, Sie kritisieren sie als radikalen und deshalb gefährlichen Bruch mit der Vergangenheit. Weist man nach, dass es in wichtigen Fragen nur eine graduelle Änderung ist, heißt es, dann könne man es auch gleich lassen. Das ist die philosophische Grundhaltung, die eigentlich schon über 300 Jahre aus der Mode ist, angewandt auf das Bankwesen. Wir haben schon das Beste aller möglichen Bankensysteme und sollten uns nicht anmaßen, es verbessern zu wollen. Das kann nur schiefgehen. Die Frage ist allerdings, für wen ist es die beste aller möglichen Welten, in der wir heute leben: Für die Banken oder für die Menschen?

[3.6.2018]

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