Ungleichheit schadet, meint der IWF – die Frage ist nur: Wem?

Wenn das obere Prozent die Hälfte des Wohlstandsgewinns für sich reklamieren kann, und die unteren 90 Prozent sich mit einem Viertel begnügen müssen, macht das nichts. Erst wenn der Wohlstandsgewinn für die Reichsten dadurch beeinträchtigt wird, sollte man etwas ändern. So sieht es der Internationale Währungsfonds. Das lässt sich leicht zeigen.

„Ungleichheit schadet dem Wachstum“, verkünden derzeit mit Verweis auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) allerorten die Medien (Beispiel FAZ.net). Was so klingt, als hätte der Fonds sein Herz für die darbende Bevölkerungsmehrheit entdeckt, ist das Gegenteil.

Stellen wir uns dieses „Wachstum“ als einen Kuchen vor, der jedes Jahr zusätzlich verteilt und gegessen werden kann. Sagen wir, es gibt 100 Leute und der Kuchen ist 1000 Gramm schwer. Die Verteilung des Wachstumskuchens in vielen Industrieländern in den letzten Jahrzehnten war etwa so, dass einer den halben Kuchen isst (500 Gramm), neun weitere Privilegierte sich ein Viertel teilen (je 28 Gramm pro Person) und die übrigen 90 sich um das restliche Viertel streiten dürfen (2,8 Gramm pP) und dabei immer grantiger, reaktionärer und chauvinistischer werden.

Das ist kein Problem, meint der Fonds, wenn trotzdem nächstes Jahr ein gleich großer Kuchen (auf gleiche, eklatant unfairer Weise) verteilt werden kann.

Nun könnte es aber sein, dass die Streiterei der 90 Prozent, die eigentlich arbeiten und Wohlstand schaffen sollen, um die Krümel dazu führt, dass nächstes Jahr nur ein Kuchen von 800 Gramm zusätzlich zu verteilen ist, im übernächsten Jahr nur von 600 Gramm und in drei Jahren nur noch von 500 Gramm, und so weiter. DAS wäre dann ein Problem, meint der Fonds. Für wen? Derjenige, der den halben Kuchen bekommt, bekommt dann nach drei Jahren nur noch ein halb so großes Stück von 250 Gramm. Die neun Halbprivilegierten müssten sich mit je 14 Gramm begnügen, bestenfalls noch ein Appetitanreger. Die übrigen 90 Prozent jedoch werden kaum merken, dass sie statt einem 2,8 Gramm schweren Krümel pro Person künftig nur noch 1,4 Gramm bekommen können.

Der Fonds meint, es sei im Interesse des obersten Prozent, nur noch, sagen wir 300 Gramm für sich zu reklamieren, damit es in drei Jahren immer noch 300 Gramm bekommt und nicht lediglich 250. Seine Warnung, die Ungleichheit schade dem Wachstum, lässt sich also übersetzen in: Die Ungleichheit ist schon so groß geworden, dass sich der Reichtum der Reichsten allein über Umverteilung nach oben nicht weiter steigern, ja vielleicht sogar nicht einmal halten lässt.

Eine „Abkehr vom neoliberalen Dogma“, wie FAZ.net (nochmal der Link) vermutet, wäre das nicht gerade, jedenfalls keine Abkehr von der Interessenlage dahinter.

Im Artikel auf Spiegel Online dagegen, scheint ganz gut durch, worum es dem Fonds eigentlich geht.

Exzessive Ungleichheit kann den sozialen Zusammenhalt aushöhlen, zu politischer Polarisierung führen und letztlich das Wachstum senken.

So referiert SPON eine zentrales Zitat aus der IWF-Studie „Tackling Inequality“, der Grundlage für die vielen aufgeregten Berichte. Übersetzt: Streut lieber genug Brosamen aus, liebe Reiche und Superreiche, sonst balgt sich der Pöbel so heftig, dass zu viele der Schwächeren auf der Strecke bleiben und nicht mehr zur Mehrung Eures Wohlstands arbeiten können. Als Gegenmittel kommt natürlich der neue Liebling der Neoliberalen aus der IWF-Kiste, das Universelle Grundeinkommen, das eben dieses verhindern und für eine bessere Verteilung der Brosamen unter den 90 Prozent sorgen soll.  [15.10.2017]

Korrekturhinweis (18.10): In das Rechenbeispiel hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Die 90 unteren bekommen in dem Beispiel nicht 0,28 Gramm und später 0,14 Gramm, sondern 2,8 und 1,4 Gramm. An der Aussage ändert das nichts.

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