Ich bin ein linker Weichling …

28.05.2017 | …jedenfalls relativ zu meinem geschätzten konservativen FAS-Kollegen Marc Felix Serrao, und ich bin für Umverteilung. Aber ich bin nicht für Umverteilung, weil ich schwächlich bin, sondern ich bin schwächlich wegen meiner politischen Grundeinstellung. Warum ich das schreibe? Ich habe eine Wette, oder besser ein archaisches Kräftemessen verloren.

Mein Kollege Felix Serrao von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hatte einen Artikel aus der Times retweetet (@MarcFelixSerrao), mit dem sprechenden Titel: „Schwache Männer neigen eher zum Sozialismus, so eine Studie“ (meine Übersetzung). Mit Sozialismus ist dabei Befürwortung sozialdemokratischer Umverteilungspolitik gemeint. Ich twitterte:

„Wir können uns gern zum Kräftemessen treffen. Preis: Wer verliert muss sagen, ‚Ich bin ein Chauvinist‘ oder ‚Ich bin ein linker Weichling‘.

Hätte ich mich meiner Spieltheorie-Lektionen besonnen, hätte ich ahnen können, dass mein Gegenüber über einige Muskeln verfügt, dürften doch konservative Schwächlinge weniger Begeisterung für diese Überschrift aufbringen als konservative Muskelprotze. Es stellte sich heraus, dass er ehemaliger Rugby-Spieler und aktiver Kraft-Dreikämpfer ist. Ich hatte an etwas wie Armdrücken bei einem Bier gedacht. Er lud mich zum Kraft-Fünfkampf in ein Fitnessstudio im Gallus ein.

Trotzdem war das Ergebnis mindestens beim Bankdrücken sehr, sehr knapp, wenn man knapp definiert als: ‚Der Unterlegene schafft mehr als die Hälfte des Siegers.‘ Lediglich bei den anderen vier Disziplinen gelang mir das nicht ganz.

Real Men don’t play Volleyball

Das Schöne ist. Wir sind beide ein wunderbares Beispiel, für das, was bei dieser Studie, die Felix Serrao per Twitter verbreitete, tatsächlich herauskam, nicht für das, was die Times behauptet, dass herausgekommen sei. Kurz gefasst lautet das Ergebnis der Studie nämlich, dass politisch rechte Männer eher Krafttraining betreiben als linke. Der Times-Artikel selbst ist überwiegend hinter einer Paywall, aber hier ist ein Artikel, der die Times nacherzählt, und die Studie gibt es auch im Internet. Die Times lässt den Hauptautoren der Studie, Michael Price, eine simple evolutionsbiologische Theorie ausbreiten, wonach in grauer Vorzeit, als Männer sich noch physisch behaupten mussten, starke Männer aus Eigeninteresse gegen, schwache Männer für Umverteilung waren. Price und Ko-Autoren hatten immerhin geprüft, ob die Verursachung wirklich in diese Richtung geht, oder ob vielleicht linke, eher sozial als individualistisch und kompeititiv orientierte Menschen, weniger auf Kraft trainieren. Die Times räumt ein, diese umgekehrte Wirkungsrichtung erkläre tatsächlich einen Teil des Zusammenhangs von geringerer Stärke und Umverteilungsvorliebe, behauptet aber, von der evolutionsbiologischen Wirkungsrichtung bleibe dennoch etwas übrig. Das ist eine Falschbehauptung im Interesse einer steilen Überschrift und Story.

Tatsächlich sind Price und Koautoren mit der beschriebenen evolutionsbiologischen These gestartet. Dafür haben sie eine ganze Reihe von körperlichen Charakteristiken der 171 männlichen studentischen Probanden gemessen, nämlich Kraft und Muskelmasse, das Verhältnis von Brustumfang zu Taillenumfang, und vier verschiedene Maße für die Attraktivität und Männlichkeit des Gesichts.

Der Theorie nach hätten alle diese Merkmale negativ mit Umverteilungsneigung korreliert sein sollen. Das würde heißen: je männlicher, stärker, attraktiver, desto eher gegen Umverteilung. Tatsächlich gab es den Zusammenhang für keines der Gesichtsmerkmale und auch nicht – in statistisch signifikanter Weise – für das Verhältnis von Brustumfang zu Taillenumfang. Einzig Kraft und Muskeln waren mit Abneigung gegen Umverteilung korreliert.

Ehrenhafter Weise machten die Psychologen einen Test, um die Wirkungsrichtung des Zusammenhangs festzustellen. Sie fragten die Probanden, wie viel Zeit sie mit Krafttraining verbringen und fügten diesen Wert in die statistische Gleichung ein. Sobald sie das taten, ergab sich ein relativ enger Zusammenhang von Krafttraining und Abneigung gegen Umverteilung und kein statistisch signifikanter Zusammenhang mehr zwischen Muskelmasse und Umverteilungsneigung.

Die Autoren schoben noch einen weiteren Test nach, um ihre evolutionsbiologische These zu retten, aber das klappte nicht. In den Schlussfolgerungen bieten die Autoren außerdem noch die Erklärungsmöglichkeit an, dass eher narzistische Naturen sowohl mehr an ihrem Muskelaufbau arbeiten, als auch eher gegen Umverteilung sind. Es wäre dann eine fehlende dritte Variable, die den Scheinzusammenhang von Schwäche und Umverteilungsneigung erzeugt.

Auf seiner Website schrieb Price denn auch folgendes über die Studie:

Wir finden, dass Muskeln (aber nicht Gesichtsform) mit Egalitarismus zusammenhingen. Wir fanden jedoch nur begrenzte Belege dafür, dass Egalitarismus eine Reaktion auf (fehlende, N.H.) Muskeln ist (anstatt beispielsweise die Folge davon, dass Umverteilungsgegner eher ins Krafttraining gehen).

Das war früher, als das Papier angenommen wurde. Jetzt, wo es veröffentlicht ist, scheint Price wieder seine Fähigkeit ausgepackt zu haben, eine steile These an die Massenmedien zu verkaufen. Das hat er früher auch getan, etwa mit einem Aufsatz von 2014, der angeblich zeigte, dass geringe körperliche Attraktivität (z.B. geringer Brustumfang relativ zu Taillenumfang) bei Männern mit Vorliebe für Umverteilung einhergeht. Dummerweise kam bei der aktuellen Studie heraus, dass das nicht so ist.

Gutes Beispiel für statistischen Hokuspokus

In dem Beitrag „Signifikanz: Die Lebenslüge der empirischen Wirtschaftsforschung“ hatte ich vor kurzem beschrieben, welche Tricks von empirischen Sozialforschern angewendet werden, um aus Nichts eine Zeitschriftenveröffentlichung zu machen. Bei den Psychologen ist die Debatte um den „Signifikanzkult“ früher und schärfer geführt worden, als bei den Ökonomen. Bei dem Paper von Price und Co. merkt man davon wenig. Sie haben mindestens sechs verschiedene Charakteristika der Probanden mindestens zwei Ergebnisvariablen gegenübergestellt. Wenn man genügend viele Zahlenreihen miteinander in Beziehung setzt, darf man damit rechnen, dass rein zufällig ein oder mehrere scheinbar statistisch-signifikante Beziehungen herauskommen. Deshalb muss man, wenn man ein derart breites Netz auswirft, die Signifikanzschwellen deutlich hochsetzen. Ich habe kein Indiz gefunden, dass das getan wurde. Ich will nicht mit weiterem Mäkeln an der Methodik langweilen, deshalb gleich zum Resümee:

Resümee und eigene anekdotische Evidenz

Die steile Medienthese, dass schwächere Männer eher für Umverteilung sind, weil die Schwachen vor Urzeiten davon profitiert haben, beruht auf der verfälschten Widergabe des Ergebnisses einer methodisch fragwürdigen Studie. Viel mehr, als dass Rechte eher an ihren Muskeln arbeiten als Linke, hat die Studie nicht ergeben.

Durch Introspektion und anekdotische Evidenz kann ich dieses echte Ergebnis der Studie nur bestätigen. Als mir vor rund 25 Jahren bei einem WG-Küchenplausch ein Mitdoktorand erzählte, dass er ambitioniert Bodybuilding betreibe, schockierte mich das fast. Das war damals für mich nichts, was ein junger Mensch tat, der etwas auf sich hielt. Er ist heute ein sehr arrivierter umverteilungsfeindlicher Ökonom. Ich nicht. Ich spiele Volleyball und sehe ein Fitnessstudio allenfalls von innen, wenn es im Urlaub regnet und das Hotel eines hat – oder zu archaischem Kräftemessen mit kraftdreikämpfenden, konservativen Wirtschaftsjournalisten.

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