Eine mögliche neue Unternehmensteuer in den USA könnte Exportnationen wie Deutschland in Schwierigkeiten bringen, was vermutlich erklärt, warum sie hierzulande als üble protektionistische Maßnahme geschmäht wird. Der gesamte Importwert würde besteuert, der gesamte Exportwert von der Steuer freigestellt. Das ist wie die europäische Mehrwertsteuer plus eine Lohnsubvention. Kann eigentlich nicht so schlecht sein, und ist es nicht, nicht einmal für Deutschland.
Es kam fast einer Drohung gleich, als US-Finanzminister Steven Mnuchin jüngst eine Reform der Körperschaftsteuer vor der Sommerpause in Aussicht stellte. „Es ist klar, dass wir von dieser Seite mit einem Steuer-Abwerbungswettbewerb konfrontiert werden“, reagierte CSU-Finanzexperte Hans Michelbach. Deutschland müsse nachziehen. Seit vergangenem Sommer gibt es eine Blaupause der Republikaner für eine neue Unternehmensteuer, die vom Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, vorangetrieben wird. Das Konzept stammt von Alan Auerbach und Michael Devereux aus Berkeley und Oxford.
„Das Reformkonzept ist modelltheoretisch brillant“, loben die Ökonomen Johannes Becker und Joachim Englisch im Wirtschaftsdienst. Im gleichen Satz fügen sie hinzu: „Und hat bei unilateraler Implementierung das Potenzial, einen Handelskrieg auszulösen.“ Brillant ist das Konzept, weil bei allgemeiner Einführung der Wettlauf der Steuersätze nach unten und die grassierende Steuervermeidung aufhören würden. Bisher gibt es den Anreiz, eine Holding in einer Steueroase anzusiedeln. Die Zurechnung der Gewinne auf die Produktionsstandorte und die Holding wird gern über Verrechnungspreise, Lizenzgebühren oder konzerninterne Zinszahlungen so manipuliert, dass sie dort anfallen, wo niedrige oder gar keine Steuern zu zahlen sind.
Und so funktioniert die von Ryan propagierte Steuer: Nach dem Bestimmungslandprinzip soll unabhängig vom Produktionsort die gesamte Wertschöpfung aus der Herstellung von Gütern und Diensten besteuert werden, wenn sie in den USA verbraucht werden – und nur diese. Der volle inländische Verkaufserlös wird dazu mit der Steuer belegt. Inländische Vorleistungen und gezahlte Löhne werden abgezogen, weil sie schon anderweitig besteuert werden. Gezahlte Schuldzinsen sind nicht abzugsfähig, und – besonders wichtig – Zahlungen für Importe aus dem Ausland ebenfalls nicht. Dadurch wird die gesamte in Importen enthaltene ausländische Wertschöpfung besteuert. Wird ein Wirtschaftsgut exportiert, wird umgekehrt der gesamte Exportwert von der Bemessungsgrundlage der Steuer abgezogen. Die Produktion für den Export ist also völlig steuerfrei.
Bei einer herkömmlichen Unternehmensbesteuerung ist dagegen maßgeblich, wo produziert wird. Wird ein Auto in Deutschland produziert und in die USA exportiert, fällt die Steuer in Deutschland an.
Steuerliche Manipulationsmöglichkeiten fallen weg
Wenn die Steuer überall bei den Endabnehmern ansetzt, fallen die Manipulationsmöglichkeiten bei der Aufteilung des Gewinns auf Produktionsstandorte weg, argumentieren Auerbach und Devereux. Sie räumen aber auch ein: „Wenn die USA einseitig dieses System einführen, könnte man das als aggressiven Schritt im Steuerwettbewerb sehen.“ Dann gibt es nämlich einen sehr starken Anreiz, die Produktion oder die deklarierten Gewinne in die USA zu verlagern. Denn wer in den USA ein Auto baut, das er nach Europa oder Asien exportiert, zahlt auf den Gewinn keine Steuer in den USA und auf den Verkaufserlös im Zielland auch nicht. Wer ein in Europa oder Mexiko gefertigtes Auto in den USA verkauft, muss die gesamte Wertschöpfung am Produktionsort versteuern, und dann noch einmal in den USA.
Die USA könnten sich auf den Standpunkt stellen, die anderen könnten dieses gute Steuerkonzept ja auch verwenden. Dazu wäre aber ein gewichtiger Einwand auszuräumen: Wenn Deutschland auf diese Besteuerungsmethode umstellen wollte, müsste der Fiskus hohe Einnahmeausfälle verkraften, warnt etwa der Chef des Ifo-Instituts Clemens Fuest. Er rechnet mit einem beispielhaft gewählten Steuersatz von 30 Prozent, multipliziert diesen mit dem deutschen Exportüberschuss und kommt auf einen steuerlichen Verlust von 84 Milliarden Euro pro Jahr.
Steuerexperte Lorenz Jarass, von der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden gibt dagegen Entwarnung: „An Steuern von den Exportunternehmen kann der Fiskus nur verlieren, was vorher tatsächlich bezahlt wurde“, wendet er ein. Laut Finanzbericht 2017 des Finanzministeriums hat die Körperschaftsteuer 2015 nur 20 Milliarden Euro erbracht. Rechnet man Gewerbesteuer und veranlagte Einkommensteuer hinzu, kämen 115 Milliarden Euro zusammen. Und davon entfällt nur ein Teil auf die Exporteure.
Auf der anderen Seite fielen für den Fiskus 30 Prozent Steuern auf die Importe an, die im Land verbraucht werden. Selbst wenn man konservativ davon ausginge, dass die Hälfte der Importe Vorleistungen für den Export sind, kämen bei Importen von fast einer Billion Euro immerhin Steuereinnahmen von etwa 140 Milliarden Euro zusammen, deutlich mehr als der Steuerausfall bei den Exporteuren.
Der überraschende Befund hat eine Erklärung: Der Grenzausgleich ist gut für Länder mit Importüberschuss und für Länder, deren Fiskus bisher wenig Steuern auf Unternehmensgewinne eintreibt. „Deutschland gehört nicht zur ersten, aber zur zweiten Gruppe“, resümiert Jarass. Er betont jedoch, dass sich massive Verschiebungen von Handelsströmen, Preisen und Wechselkursen ergeben würden, so dass die tatsächlichen Folgen für den Fiskus kaum einschätzbar seien.
Wechselkurseffekte gleichen Steuer nicht aus
Wenn es nach Auerbach und Devereux geht, sind das ohnehin nur Übergangsprobleme, denn „eine Währungsaufwertung würde die heimischen Produktionskosten der Exporteure in der Währung der Abnehmer gerechnet erhöhen und die Importkosten senken.“ Allerdings räumen beide ein, dass die Annahmen dahinter „anspruchsvoll“ sind. Insbesondere muss der Wettbewerb „vollkommen“ sein. Das ist er aber in der Praxis nicht, wie man zum Beispiel an sehr hohen Gewinnspannen bei führenden Unternehmen der Software- und Internetbranche sieht. Auch sind die Produktionskapazitäten kaum je ausgelastet, was die Ausgleichslogik beträchtlich stört.
Willem Buiter, Chefvolkswirt der US-Großbank Citi, hat in einem aktuellen Arbeitspapier gezeigt, dass der Wechselkurs sowohl steigen als auch sinken kann, je nachdem in welcher Währung Importe und Exporte bezahlt werden, und wie die Preise auf die veränderte Wettbewerbsposition reagieren. Auf die ausgleichende Kraft der Wechselkurse ist also kein Verlass.
Rechtmäßigkeit ist fraglich, aber für USA zweitrangig
Ob der Grenzausgleich nach den internationalen Handelsregeln und den Doppelbesteuerungsabkommen der USA mit anderen Ländern überhaupt zulässig ist, ist umstritten, aber nicht allzu relevant. „Es ist davon auszugehen, dass die USA einen ‚treaty override‘ in Kauf nehmen würden“, formulieren es Becker und Englisch diplomatisch.
Allerdings haben die USA auch ein rechtlich-moralisches Ass im Ärmel. Die Steuer, die sie vorschlagen, ist exakt äquivalent einer Mehrwertsteuer gleicher Höhe in Kombination mit einer Subvention oder einer Steuersenkung für Löhne. Anders als die USA haben die Europäer eine Umsatzsteuer, bei der genau dieser Grenzausgleich vorgenommen wird. Exporte sind befreit, Importe werden besteuert. Die Steuer in Europa hat noch dazu einen Steuersatz etwa in Höhe des in den USA für die neue Steuer diskutierten Satzes von 20 Prozent.
Wenn deutsche Politiker auf diesen Steuerplan schimpfen, ist das also ziemlich scheinheilig. Seine Einführung durch die führende Wirtschaftsmacht USA könnte vielmehr einiges Gute bewirken. Andere Länder müssten wohl nachziehen, und wenn alle diese Methode der Besteuerung anwenden, ist die internationale Steuerverschiebung und -vermeidung weitgehend beendet. Außerdem gäbe es eine starke Kraft, die automatisch gegen den Aufbau großer Leistungsbilanzungleichgewichte wirken würde.
[10.4.17]