Mit billionenschweren Hilfsprogrammen stützen die Regierungen der Industrieländer die Wirtschaft in der Coronakrise. Spätestens wenn die Krise vorüber ist, wird die Diskussion einsetzen, wo das Geld herkommen soll, um die Staatshaushalte wieder zu sanieren.
Ein wichtiger Kandidat für die Geldbeschaffung wird die schon seit längerem ausgerufene Bekämpfung der Steuerflucht internationaler Konzerne sein, zumal einige der ganz großen Steuerflüchtlinge, wie Amazon, auch noch zu den Profiteuren der Krise gehören. Soll dieser Kampf erfolgreich und einträglich sein, müsste er sich darauf konzentrieren, die schlimmsten Steueroasen auszutrocknen, indem man buchhalterische Gewinnverlagerung dorthin besonders schwer macht.
Drei US-Ökonomen haben in einer vor kurzem als Arbeitspapier veröffentlichten Studie „Externalities in International Tax Enforcement“ jedoch herausgefunden, dass genau das nicht passiert. Zwar verstärken die Steuerbehörden ihren Kampf gegen die Gewinnverlagerung. Aber dabei konzentrieren sie sich gerade nicht auf Länder mit besonders niedrigen Gewinnsteuern.
Stattdessen versuchen die Länder mit normaler Gewinnbesteuerung sich gegenseitig die Bemessungsgrundlage streitig zu machen. Das heißt, sie streiten sich darum, ob sie selbst oder ein anderes normal besteuerndes Land einen bestimmten Teil des Unternehmensgewinns besteuern dürfen. Die lachenden Dritten sind die Steueroasen und die Konzerne, die ihre Gewinne dort vor dem Fiskus verstecken.
Gabriel Zucman und Ludvig Wier von der Universität Berkeley und Thomas Tørsløv von der Universität Kopenhagen haben das aus zwei Datenquellen ermittelt. Das war einerseits eine vertrauliche Liste der Korrekturen von konzerninternen Verrechnungspreisen durch die dänische Steuerbehörde, andererseits ein bisher nicht genutzter Datensatz zu den internationalen Maßnahmen zu Steuerdurchsetzung.
Gewinnverschiebung mit Verrechnungspreisen
Eine gern genutzte Möglichkeit, Gewinne international zu verlagern, ist die Gestaltung von Verrechnungspreisen für den Austausch von Leistungen zwischen Konzerngesellschaften in verschiedenen Ländern. Will man den Gewinn in einem bestimmten Land anfallen lassen, lässt man die Gesellschaft in diesem Land den anderen Konzerngesellschaften hohe Preise für die eigenen Leistungen berechnen. Der Hebel für die Steuerbehörden liegt darin, dass alle Transaktionen innerhalb eines Konzerns einem Fremdvergleich standhalten müssen. Sie müssen so gestaltet sein wie unter fremden Unternehmen.
Weichen die gesetzten Preise von marktüblichen Preisen stark ab, oder dient eine Transaktion erkennbar nur der Steuervermeidung, kann die Steuerbehörde einschreiten. In der Praxis fehlt es allerdings oft an vergleichbaren Marktpreisen und auch die Antwort auf die Frage, ob eine Transaktion nur der Steuervermeidung dient, wird sehr oft eher Jain als Ja oder Nein heißen. Es kann also, wenn sich das Unternehmen widersetzt, lange und aufwendige Gerichtsverfahren geben.
Daran setzt die Theorie der drei Forscher zur Erklärung ihres Befunds an. Den Steuerbehörden fehlt es, wenn sie sich nur nach dem individuellen nationalen Interesse richten, an Anreizen, Gewinnverlagerungen in Steueroasen ins Visier zu nehmen. Denn wenn sie das tun, müssen sie mit sehr viel Widerstand rechnen. Für das betroffene Unternehmen geht es schließlich um viel Geld.
Monieren sie dagegen einen Verrechnungspreis, zwischen zwei Konzernteilen in Ländern mit ähnlich hohen Steuersätzen, so ist für das Land ähnlich viel an zusätzlichen Steuereinnahmen zu holen, aber es ist dem Konzern nicht wichtig, was das Ergebnis ist. Man nimmt die Steuer nicht dem Konzern, sondern einem anderen Land weg.
Vergrößert wird die relative Attraktivität dieses Vorgehens noch dadurch, dass die Industrieländer unter sich Streitbeilegungsmechanismen haben, die relativ schnell und ohne zu großen Aufwand ein Ergebnis herbeiführen. Mit den Steueroasen gibt es solche Abkommen in der Regel nicht.
Steuerlast sinkt durch Eingreifen der Behörden
Immerhin 82 Prozent der Korrekturen von Verrechnungspreisen, die die dänischen Behörden verlangten, betrafen andere Länder mit Steuersätzen im normalen Bereich. Da der dänische Satz mit 22 Prozent im Industrieländervergleich eher niedrig ist, schätzen die drei Ökonomen sogar, dass durch das Einschreiten der dänischen Behörden die Steuerlast der Konzerne per Saldo sogar sinkt.
„Die Nicht-Steueroasen machen sich gegenseitig Einnahmen streitig und lassen gleichzeitig die Steueroasen florieren.
Sie schätzen, dass Dänemark auf diese Weise seit 2008 im Durchschnitt 315 Millionen Euro mehr an Steuern einnahm, während den Ländern am anderen Ende der korrigierten Verrechnungen 333 Millionen Euro im Jahr entgingen.
Die drei Ökonomen haben auch die Häufigkeit von Gerichtsverfahren untersucht und stellten fest, dass die betroffenen Unternehmen um 50 Prozent häufiger ein Gericht anriefen, wenn eine Konzerngesellschaft in einer Steueroase an den angegriffenen Verrechnungen beteiligt war.
Als unabhängige zweite Datenquelle werteten die Autoren außerdem die Ergebnisse einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY bei den Steuerbehörden von 26 Ländern aus. Diese wurden danach gefragt, welche Länder bei den Korrekturen von Verrechnungspreisen im Vordergrund standen. Auch hier stellten die Autoren fest, dass die meisten Eingriffe sich gegen andere Hochsteuerländer richteten, nicht gegen Steueroasen. „Die Nicht-Steueroasen machen sich gegenseitig Einnahmen streitig und lassen gleichzeitig die Steueroasen florieren“, kommentieren sie dieses Verhalten.
Eine weniger schmeichelhafte Erklärung
Allerdings bieten die Autoren auch noch eine alternative, noch weniger schmeichelhafte Erklärung für das Verhalten der Steuerbehörden an. Es könnte sein, dass die nationalen Steuerbehörden gar kein Interesse daran haben, die Steuerflucht der in ihrem Land arbeitenden Konzernunternehmen zu verhindern. Grund wäre der internationale Wettbewerb um ansiedlungswillige oder wanderungswillige Unternehmen.
Denn, so die potentielle Erklärung: Wenn die Steuerflucht unterbunden wird, dann steigt der effektive Steuersatz der betroffenen Konzerne und diese könnten sich eventuell in Reaktion darauf dafür entscheiden, ihre Aktivitäten in ein Land mit weniger bissigen Steuerbehörden zu verlagern. Auch unter diesem Aspekt ist es attraktiver, lieber Verrechnungspreise in andere Hochsteuerländer anzugreifen, weil das die betroffenen Unternehmen nicht stört.
Wenn dieses Motiv das hauptsächlich relevante ist, wäre eine Mindestbesteuerung hilfreich und die Beschleunigung von Schlichtungsverfahren in Steuerstreitigkeiten zwischen Hochsteuerländern würde zumindest nicht schaden.
In beiden Fällen würde das Problem beseitigt, wenn das Prinzip der Prüfung von Verrechnungspreisen fallen würde. Das wäre bei verschiedenen Reformvorschlägen der Fall, bei denen eine weltweite Konzern-Steuerbemessungsgrundlage nach bestimmten Kriterien auf Länder aufgeteilt wird, in denen der Konzern aktiv ist.
Literaturhinweis: Sehr interessantes zum Thema finden Sie auch in „Markus Meinzer: Steueroase Deutschland: Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen“
Änderungshinweis: Überschrift geändert, um deutlich zu machen, dass es nicht die einzelnen Prüfer sind, die wegschauen, sondern die Behörde.