Im November kündigte die Bahn an, ab Dezember die gedruckten Ankunftspläne am Bahnhof abzuschaffen – in gehorsamer Erfüllung der Vorgabe des Ministeriums für Verkehr und Digitalzwang, den Bürgern zur Durchsetzung der Digitalisierung analoge Alternativen wegzunehmen („digital only“). Reisende und Abholer sollen sich mit einem Smartphone auf einer per QR-Code anzusteuernden Netzseite über Ankunftszeiten und Gleise informieren. Wer kein Smartphone hat, hätte Pech gehabt. Noch bevor es soweit war, gab die Bahn aufgrund von Protesten von Sozial- und Fahrgastverbänden das Vorhaben auf.
Die Aufregung hat sich gelegt, und die Bahn macht sechs Monate später still und heimlich weiter mit dem Digital-only-Altersdiskriminierungsprogramm. Auf den Bahnhöfen, wie hier abgebildet in Stuttgart, tauchen Plakate mit QR-Codes und dem Hinweis auf, dass man per Smartphone und diesem Code „Aktuelle Informationen zu den Zügen“ am jeweiligen Bahnsteig bekommen könne.

Es ist bei weitem nicht der erste strategische Rückzieher, den die Bahn durch unbeirrtes Voranschreiten auf dem gleichen Zwangsdigitalisierungs- und Ausgrenzungsweg ad absurdum führt.
Es fing im Oktober 2023 damit an, dass die Bahn still und leise die Sparpreisfahrscheine aus den Fahrscheinautomaten entfernte und es so für Normalverdiener sehr teuer bis unbezahlbar machte, ohne Datenspur Bahn zu fahren. Um das sicherzustellen wurde bei Kauf im Reisezentrum eine Mailadresse oder Mobiltelefonnummer verlangt.
Zeitweise wurden an manchen großen Bahnhöfen, wie z.B. Berlin, auch die Wagenstandsanzeigen abgeschafft. Nur noch über die App der Bahn erfuhr man dann, an welchem Ende der oft sehr, sehr langen Züge man sich aufzustellen hatte, um seinen Platz einnehmen zu können.
Anfang 2024 stellte die Bahn dann die Probebahncard auf rein-digital um und kündigte an, das bis zum Sommer auch für alle normalen Bahncards einzuführen. Das bedeutet den Zwang, die datenschutzrechlich äußerst umstrittene App DB Navigator zu nutzen, wenn man Vielfahrerrabatt haben wollte.
Im März reagierte die Bahn dann auf die vielen Proteste, die meine Berichterstattung hervorgerufen hatte, und ließ in einem Rundbrief an Kunden zur Ankündigung der neuen Politik nebenher wissen, dass Kunden ohne Smartphone mit einer ausgedruckten Bahncard-Bestätigung reisen können. Vernetzt müssen sie dafür aber schon sein. Sie brauchen ein Online-Kundenkonto bei der Bahn.
Dass man politisch mit Altersdiskriminierung nichts gewinnt, ist den Verantwortlichen in Berlin klar. Und so wuschen im Juli 2024, in einer Bundestagsdebatte zum digitalen Verbraucherschutz, die verantwortlichen Regierungsvertreter ihre Hände in Unschuld und taten so, als hätten sie dem Staatskonzern nichts zu sagen. Nicht nur das, die Bahn informierte entweder die Verkehrspolitiker und Aufsichtsräte falsch, was das Erfordernis einer Mobilnummer beim Sparpreiskauf angeht, oder Verkehrspolitiker und Aufsichtsräte informierten von sich aus die Bürger und Abgeordneten falsch.
Im Dezember 2024 schließlich musste die Bahn erneut nachgeben und schaffte den – angeblich gar nicht existierenden – Zwang ab, Mobilnummer oder Mailadresse anzugeben, wenn man im Reisezentrum einen Sparpreis kauft.
Nichts davon hielt den – offenkundig vom Digitalisierungsminister angetriebenen – Bahnvorstand davon ab, den Zwangsdigitalisierungsweg weiter zu gehen. Wenige Tage nach dem Einlenken bei den Sparpreisen kündigte die Bahn die probeweise Abschaffung der Barzahlung in Bordbistros an. Deutschlandtickets gibt die Bahn nur per App heraus. Das bedeutet auch, dass sehr viele Studenten ein Smartphone haben müssen, um ihre Semestertickets zu nutzen. Selbst Kinder in der Schülerbeförderung brauchen aufgrund dieser Politik der Bahn zum Teil ein Smartphone.
Politisch hauptverantwortlich für die fortgesetzte Diskriminierung alter und datenschutzaffiner Menschen durch die Bahn ist der Vorsitzende des Aufsichtsrats und langjährige Finanzstaatssekretär Werner Gatzer (SPD). Er war von Finanzminister Christian Lindner in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden, nachdem er offenbar der Kopf hinter dem verfassungswidrigen Plan der Ampelkoalition gewesen war, Mittel des Corona-Sonderfonds für den Klimaschutz umzuwidmen.
Die übrigen Aufsichtsratsmitglieder aus der Politik könnten demnächst ausgewechselt werden, wenn Regierung und Bundestag dazu gekommen sind, sich darum zu kümmern. Bei ihnen sowie beim Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) und dem Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) liegt ab jetzt die Verantwortung, ob die Bahn weiter alte Menschen und andere Menschen ohne Smartphone diskriminieren darf oder ob diese Machenschaften endlich beendet werden. Dass letzteres ohne massiven Druck aus der Bevölkerung geschieht, ist nicht zu erwarten. Im Koalitonsvertrag der neuen schwarzroten Regierung heißt es: „Wir setzen auf konsequente Digitalisierung und ‚Digital only’“.
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Mein Dossier zu den Digitalzwang-Machenschaften der Bahn