Wie man es im Umgang mit der Coronakrise nicht machen sollte, darüber herrscht unter deutschen Ökonomen weitgehend Einigkeit. Allen Steuerbürgern einen Scheck zu schicken, wie das die US-Regierung vormacht, gilt als ungeeignete Antikrisenmaßnahme. Denn die 1200 Dollar waren zu wenig für 30 Millionen, die innerhalb weniger Wochen ihren Arbeitsplatz verloren, und unnötig für die anderen, die ohnehin zu Hause bleiben und nicht einkaufen gehen sollten.
Auch die Einlassung des Chefs der Österreichischen Nationalbank, Robert Holzmann, die Krise sei eine Chance für „schöpferische Zerstörung“, so wie das die marktradikale „Österreichische Schule“ der Volkswirtschaftslehre vertritt, stieß auf breite Ablehnung. Denn das ist schlecht für die Arbeitnehmer, die entgegen der weltfremden Annahmen der Ökonomielehrbücher nicht so leicht einen neuen Arbeitsplatz finden. Und es ist genauso schlecht für die Kapitalbesitzer. Den Produktionsanlagen würden dadurch dauerhaft entwertet und viele Kredite wären durch die Konkurse abzuschreiben.
Leo Kaas, Professor für Makroökonomie an der Universität Frankfurt, kontert: „Schon vor der Coronakrise war die Diskussion über Zombie-Firmen irreführend, jetzt davon zu reden und die reinigenden Wirkungen von Rezession anzuführen ist völlig daneben.“ Selbst die Europäische Zentralbank sah sich zu einer öffentlichen Klarstellung genötigt, dass ihr Ratsmitglied nur für sich selbst spreche.
„Derart ungewöhnliche Maßnahmen sind in der aktuellen Situation richtig und dringend erforderlich“, verteidigt Kaas in „Das Kapital in der Corona-Krise„, erschienen im Onlinemagazin Makronom die staatlichen Bemühungen zur Rettung möglichst vieler Betriebe und Arbeitsplätze. Anpassungen des Kapitalbestands durch Liquidation oder Schrumpfung von Unternehmen müssten vermieden werden.
Denn zur Anpassung des Kapitalstocks an eingebrochene Absatz- und Produktionsmöglichkeiten müsste man einen Teil der Bauten und Anlagen verkaufen, vermieten oder aber das ganze Unternehmen liquidieren. Das wären in normalen Zeiten ganz gewöhnliche und erwünschte Transaktionen. Derzeit sei das aber ganz anders.
Da der Produktionsrückgang aus gesundheitlichen Gründen geboten oder unvermeidlich ist, gibt es aktuell keine Märkte, auf denen sich etwa die Einrichtungen von Hotels, Restaurants oder Fitnesscentern zu angemessenen Preisen verkaufen ließen oder zu denen Gewerberäume in der Einkaufszone vermietet werden könnten. Außerdem ist das Problem zeitlich begrenzt, sodass dauerhafte Verlagerungen von Produktionsmitteln ohnehin nicht angebracht sind.
Auch linke Ökonomen als verkappte „Österreicher“
Trotzdem machen manche Ökonomen Vorschläge, die auch vom allseits kritisierten Holzmann stammen könnten. Das gilt sogar für Peter Bofinger, das frühere, gewerkschaftsnahe Mitglied der Wirtschaftsweisen.
Er kritisiert, wie viele andere Ökonomen, dass sich die geplanten Hilfen der Regierung für Unternehmen zu sehr auf Liquidität, also Kredite fokussieren. Das erhöhe den Verschuldungsgrad und damit das Insolvenzrisiko.
Der Ökonom schlägt stattdessen eine rückwirkende Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer für 2019 um 20 Prozent vor, nur für Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit und Gewerbebetrieben. Die Finanzämter sollten diese aus den Steuervorauszahlungen erstatten, die Firmen hätten dann sofort Geld und keine zusätzlichen Schulden.
Derartige Vorschläge für Steuersenkungen als Corona-Hilfe gibt es viele. Zumeist kommen sie allerdings aus dem Lager der Wirtschaftsliberalen und der Unternehmen. Aus gutem Grund.
Diese Zuschüsse würden vor allem bei denjenigen Selbstständigen und Betrieben landen, die vor der Krise die höchsten Gewinne hatten, während solche mit niedrigen Gewinnen oder gar Verlusten leer oder fast leer ausgehen würden. Das sind genau die Betriebe, die Holzmann gerne der „schöpferischen Zerstörung“ anheimfallen lassen würde.
„Künstliches Koma“ für die Wirtschaft
Der ehemalige Senior Partner der Unternehmensberatung BCG Daniel Stelter schlug auf seiner Website und in Gastbeiträgen in Zeitschriften in einer vielleicht nicht ganz treffenden, aber markanten Bezeichnung vor, die Wirtschaft in ein „künstliches Koma“ zu versetzen.
Sein Vorschlag läuft darauf hinaus, allen Unternehmen und Selbstständigen während der Monate der Stilllegungen und Ausgangsbeschränkungen (Lockdown) ohne Antrag und Bedürftigkeitsprüfung einen Betrag in Höhe des durchschnittlichen Monatsumsatzes des letzten Jahres zu überweisen.
Wenn die Normalität zurückgekehrt ist, müssten die Empfänger zunächst alles, was über den Einnahmendurchschnitt des Vorjahres hinausgeht, zurückzahlen und die verbleibenden Nothilfen wie normale Einnahmen versteuern.
Kapital als Hauptprofiteur
Auf den größeren Mangel des Vorschlags, den auch die geplanten Hilfsprogramme der Regierung haben, weist Leo Kaas hin. „Von den staatlichen Liquiditätsprogrammen profitieren die Kapitaleigentümer, da sie es erst ermöglichen, dass Unternehmen zahlungsfähig bleiben.“
Möglicherweise wären die Kapitaleigentümer ohne die Rettungsprogramme freiwillig zu Zugeständnissen bereit, um ihre Kreditnehmer oder Mieter vor dem Bankrott und sich selbst vor noch größeren Verlusten zu bewahren. Kaas meint jedoch, es sei nicht Aufgabe des Staates, generell die Vermögen der Kapitalbesitzer gegen die Folgen solcher Krisen zu schützen.
Deshalb schlägt er während der Zeit des Lockdowns vor, dass alle Unternehmen mit starken Umsatzeinbrüchen das Recht bekommen, ihre Miet- und Leasingzahlungen für diese Zeit im gleichen Verhältnis wie die Umsatzrückgänge auszusetzen. Zinszahlungen auf Kredite erwähnt er zwar nicht ausdrücklich. Doch auf Nachfrage ergänzt er, prinzipiell lasse sich der Vorschlag erweitern, zumindest auf Stundung der Zins- und Tilgungszahlungen.
„Sollten einzelne Banken Probleme bekommen, kann man ihnen immer noch helfen, man weiß ja spätestens seit 2008, wie das geht.“ Denjenigen Kapitalbesitzern, für die die ausbleibenden Zahlungen eine besondere Härte wären, soll nach Kaas’ Vorstellungen der Staat helfen, analog zur Arbeitslosenunterstützung.
Würden die Kapitalbesitzer an den Kosten der Stilllegung des Kapitals beteiligt, das sie zur Verfügung gestellt oder finanziert haben, müsste die Verschuldung des Staates und der Unternehmen weniger stark steigen, argumentiert Kaas. Entsprechend leichter könnte die Wirtschaft sich nach der Krise wieder erholen. Denn Unternehmen, die versuchen, Schulden abzubauen, investieren nicht.
Der Vorschlag von Kaas macht eine unausgesprochene und unhinterfragte Grundannahme der Rettungspolitik deutlich: Zahlungen an die Kapitalbesitzer sind heilig. Dabei wäre es nur recht und billig – und wirtschaftspolitisch viel günstiger – wenn man die Kosten der Krise nicht allein den produzierenden Unternehmen und den Arbeitnehmern aufbürden würde, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch den Kapitaleinkommensbeziehern, deren Ansprüche an das Produktionsergebnis aus der laufenden Produktion bedient werden müssen.
Das größte Problem der Menschen und der Betriebe ist schließlich, dass sie bei reduziertem oder weggefallenem Einkommen trotzdem diese Zahlungen an das Kapital zu leisten haben, in Form von Mieten, Pachten und Zinsen.
Der Großteil der Kapitaleinkommensbezieher ist reich genug, dass er Ausfälle für eine gewisse Zeit ohne Hilfen verkraften kann. Den Ausnahmen könnte der Staat leicht helfen. Und den Banken hilft ohnehin die Europäische Zentralbank.