Staatlicher Digitalzwang als Mittel zur Erhöhung des Überwachungsdrucks

4. 11. 2024 | Gastautor Werner Müller zeigt am Beispiel der eBilanz und der elektronischen Gerichtsakte, dass die versprochene Effizienzsteigerung regelmäßig nicht eintritt, sondern die Abläufe noch umständlicher und bürokratischer werden, dass die Digitalisierung aber regelmäßig so gestaltet wird, dass Bürger und Unternehmer gläserner werden.

Von Werner Müller.* Im Beitrag „Wissing sagt es erstmals offen: Alle sollen ins Digitale gezwungen und ihrer Privatsphäre beraubt werden“ vom 29.10.24 findet sich die Aussage, „…dass es bei der Digitalisierungsstrategie der Regierung nicht auf die Bedürfnisse der Bürger ankommt, sondern die Datengier der Konzerne und der Regierung befriedigt werden soll.“ Dafür können zwei praktische Beispiele angeführt werden.

Die eBilanz

Mit dem Steuerbürokratieabbaugesetz von 2013 (SteuBAG) hat der Gesetzgeber die seit 2017 verpflichtende elektronische Bilanz (eBilanz) geschaffen, um die Arbeit in der Verwaltung zu modernisieren und zu digitalisieren.

Die Arbeit wurde dabei nur von den Finanzämtern in die Unternehmen verlagert. Gleichzeitig wurde der Umfang der abgefragten Daten ohne gesetzliche Grundlage extrem ausgeweitet. Unter „Allgemeine Angaben“ werden nun 240 einzelne Angaben abgefragt. Dies setzt sich in den anderen Positionen fort. Nach § 266 Abs. 2 und 3 HGB sind in die Bilanz von Großunternehmen – von Zwischen- und Endsummen abgesehen – maximal 50 Zahlen einzutragen. Bei ebilanz-online sind es 524, also mehr als das Zehnfache und das auch bei Kleinstunternehmen.

Die Gewinn- und Verlustrechnung nach § 275 Abs. 2 HGB fragt nach 18 Einzeldaten, ebilanz-online will 213 Zahlen, das Zwölffache. Der Anlagenspiegel nach § 284 Abs. 3 HGB hat acht Spalten und maximal 14 Zeilen, es sind also maximal 112 Zahlen einzutragen. Bei ebilanz-online sind es 2.599, mehr als das Dreiundzwanzigfache in 23 Spalten und 113 Zeilen.

Die Unternehmen haben keine andere Wahl, als einen Vertrag mit einem regierungsnahen, aber privaten Unternehmen zu schließen – denn ELSTER bietet ausdrücklich keinerlei Eingabehilfen an. Die Unternehmen werden zum Vertragsabschluss mit ebilanz-online genötigt (direkt oder als Subunternehmer des Anbieters der Finanzbuchhaltungs-Software). Das Bundesfinanzministerium hat dadurch mit der inflationären Datenerfassung direkt nichts zu tun und verstößt damit praktischerweise nicht gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Die Arbeitsteilung zwischen Regierung und Nicht-Regierungsorganisation funktioniert effektiv. Eine wirksamere Informationsbeschaffung hätte sich auch Erich Mielke nicht ausdenken können. (Anmerkung N.H.: Erich Mielke war verantwortlich für den Ausbau der Sicherheitsorgane der DDR und Minister für Staatssicherheit.)

Elektronische Gerichtsakte

Ein weiteres Beispiel: Der Verfasser hat Kenntnis vom Beschluss eines Amtsgerichts, in den ein Standardtext eingefügt wurde, mit dem Verzögerungen bei der Bearbeitung erklärt werden. (Anmerkung N.H.: Mir liegt eine Kopie dieses Schreibens eines Gerichts aus dem Rhein-Main-Gebiet vor.) Darin beklagt das Gericht, „… dass es sich zwischenzeitlich herausgestellt hat, dass die elektronische Akte kaum Erleichterungen mit sich bringt, sondern vielmehr zu einer erheblichen Mehrbelastung für die Geschäftsstellen und Richter(innen) führt … .“

Die digitale Akte dürfte eigentlich nicht kompliziert sein, sofern Dokumente nur eingescannt oder als PDF-Datei produziert und in einen Ordner hochgeladen würden. Liegt der Grund für das Chaos, das die elektronische Akte bei den Gerichten anscheinend auslöst, vielleicht in zu vielen Daten, die in eine Eingabemaske eingegeben werden müssen?

Fazit

Es geht bei der Digitalisierung vor allem darum, Bürger und Unternehmen gläsern zu machen. Regelmäßig führen gesetzlich verordnete Digitalisierungen zu Mehraufwand für diejenigen, denen sie angeblich die Arbeit erleichtern und Zeit sparen sollen. Aber immer bekommen Staat und Digitalkonzerne mehr Daten über uns.

Hinweis: Eine deutlich ausführlichere Version dieses Beitrags finden Sie auf Ansage!

*Werner Müller ist Professor für Rechnungswesen, Controlling und Steuern.

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