Kapital ist kein Produktionsfaktor

12. 3. 2020 | Für neoklassische und viele andere Ökonomen ist Kapital ein zentraler Produktionsfaktor, praktisch gleichberechtigt mit Arbeit. Dabei hat Thorstein Veblen schon vor einem Jahrhundert überzeugend dargelegt, dass Kapital vielmehr ein Produktionsbegrenzungsfaktor ist. Hält man die Augen auf, findet man jede Menge aktuelle Studien zur Rolle der Finanzmärkte, die das belegen.

Kürzlich habe ich bereits über Studien von renommierten Mainstream-Ökonomen geschrieben, die zeigen, dass die Aktienkurse gerade dann besonders stark steigen, wenn die Produktionszunahme besonders gering ist. Als Ursache wird Umverteilung zugunsten der Kapitaleinkommensbezieher zu Lasten der Arbeitnehmer und der Konsumenten ausgemacht, vor allem auch durch gewinnmaximierende Beschäftigungs- und Produktionsbegrenzung.

Kapitalismus für Anfänger und Ökonomen

Ich hatte geschrieben, dass diese Form der Aktienkurspflege ohne Basis in der produktiven Wirtschaft nur eine Zeit lang funktionieren kann und in einen Crash führen muss. Das sollte im Blick behalten, wer dazu neigt, die Corona-Epidemie als Ursache für den derzeitigen Crash zu betrachten. Sie ist nur der Auslöser.

Business-Angel sind keine Engel

Ein Ausfluss des Glaubens an das Kapital als wichtigen Produktionsfaktor ist die Subvention von Wagniskapital. Damit gute Geschäftsideen nicht an Kapitalmangel scheitern, hilft vielerorts der Staat. Da aber die Regierungen weder Geld in windige Geschäftsideen versenken noch selbst auswählen möchten, was Erfolg versprechend ist, verlassen sie sich auf das Urteil derer, die mit Beteiligungen an Start-ups ihr eigenes Geld riskieren. Sie fördern Investitionen von Wagniskapitalgebern in der Hoffnung, damit den Zugang junger Unternehmen zu Eigenkapital zu erleichtern. Idealerweise ist mit der Investition auch Hilfe bei der Unternehmensführung verbunden, nämlich dann, wenn die Investoren sogenannte Business-Angels sind, die sich als erfahrene Brancheninsider auch mit Rat und Tat engagieren.

In Deutschland gibt es seit 2013 das Programm „Invest“. Vermögende Privatpersonen oder kleine Beteiligungsgesellschaften mit bis zu sechs Gesellschaftern bekommen vom Staat ein Fünftel ihrer Investitionssumme erstattet. Zusätzlich können sie sich im Erfolgsfall bei Verkauf ihrer Anteile die Steuer auf den Gewinn pauschal erstatten lassen.

Das Geld fließt allerdings nicht recht ab. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von FDP-Abgeordneten hervorgeht, wurde von den jeweils 46 Millionen Euro, die für 2017 und 2018 bereitgestellt waren, weniger als die Hälfte abgerufen. Eine Evaluation soll klären, woran das liegt.

Keine Wirkung feststellbar

Aktuelle Studien aus dem angelsächsischen Raum können wertvolle Hinweise geben. Sabrina Howell von der Stern School of Business und Filippo Mezzanotti von der Kellogg School of Management haben ähnliche Förderprogramme von US-Bundesstaaten untersucht. Dabei machten sie sich unterschiedliche Einführungszeiträume zunutze, um die Wirkungen der Programme zu untersuchen. Sie stellten fest, dass zwar das Auflegen eines Förderprogramms zu mehr Angel-Investments in junge Unternehmen führt. Sie konnten aber keine Wirkung auf die relevanten Zielgrößen im jeweiligen Bundesstaat ermitteln. Weder erhöhte sich die Beschäftigung in jungen Unternehmen, noch die Anzahl der Start-ups in den relevanten Branchen. Dabei haben die Förderprogramme einen beträchtlichen Gesamtumfang, und die Mittel fließen tatsächlich ab.

Letzteres liegt maßgeblich an einem wichtigen Unterschied zum deutschen Förderprogramm. Unternehmensinsider sind nicht von der Förderung ausgeschlossen. Die beiden Forscher stellten fest, dass mindestens ein Drittel der Fördermittel an Investoren ging, die eine Führungsposition in den begünstigten Unternehmen innehatten. Der tatsächliche Anteil der geförderten Insider dürfte noch größer sein, da deren Identifizierung schwierig war.

Man kann davon ausgehen, dass das Geld der Insider auch ohne Förderung in das Unternehmen investiert würde. Aus diesem Grund sind Unternehmensinsider in Deutschland von der Förderung ausgeschlossen. Dieser Ausschluss scheint die geringe Nachfrage nach der Förderung zu erklären. Jedenfalls haben Juanita Gonzalez-Uribe und Daniel Paravisini von der London School of Economics bei der Evaluation eines britischen Förderprogramms, das ebenfalls Insider ausschließt, auch einen geringen Mittelabfluss festgestellt.

Neben den Insider-Investoren fanden Howell und Mezzanotti in der US-Studie auch über ein Drittel geförderte Unternehmen, die vorher schon von anderer Seite Kapital aufgenommen hatten. Diese wären vermutlich auch ohne Förderung an weiteres Kapital gekommen. Solche Unternehmen sind auch in Deutschland nicht von der Förderung ausgeschlossen.

Die Autoren verglichen die Entwicklung von geförderten und nicht geförderten, aber grundsätzlich förderfähigen Unternehmen. Sie stellten fest, das Unternehmen mit geförderten Investoren sich nicht besser entwickelten als solche, die Kapital nur aus anderer, nicht geförderter Quelle hereingeholt hatten.

Besonders hilfreich für die korrekte Interpretation von Evaluierungsergebnissen des deutschen Invest-Programms könnte eine weitere, ganz aktuelle Studie aus den USA sein. Christian Catalini, Jorge Guzman und Scott Stern von den Universitäten MIT und Columbia legen eine verbreitete Verzerrung von Wirkungsanalysen offen. Sie entsteht, wenn die Entwicklung von Unternehmen, in die Risikokapitalgeber investiert haben, mit der von allen anderen jungen Unternehmen verglichen wird. Tut man das, wird man wahrscheinlich eine erheblich bessere Entwicklung bei Ersteren feststellen.

Das kann aber daran liegen, dass die Wagniskapitalgeber Unternehmen mit dem besten Geschäftsmodell aussuchen, die auch ohne Wagniskapital besonders hohe Erfolgschancen hätten. Will man wissen, wie wichtig das Wagniskapital für diese Unternehmen war, ist das nicht der richtige Vergleich.

Private Equity verdient schlechten Ruf

Haben die sogenannten Business Angel in der Öffentlichkeit noch einen recht guten Ruf, so ist das bei sogenannten Private Equity Unternehmen nicht der Fall. Nicht erst, seit der SPD-Politiker Franz Müntefering das Sprachbild der Heuschrecken für sie schuf, haben diese Kaptialanlagegesellschaften einen schlechten Leumund. Schon der Begriff für die Branche, „privates Beteiligungskapital“, ist eine Reaktion darauf, dass der offenherzigere Vorgängername, Leveraged Buy-out, zu Deutsch „gehebelter Unternehmenskauf“, einen schlechten Klang bekommen hatte.  Regulierer begleiten die Aktivitäten der Branche zunehmend kritisch und restriktiv. In den USA befasst sich der Kongress mit einem „Stop Wall Street Looting Act“, zu Deutsch etwa: „Gesetz zum Stoppen des Raubzugs der Wall Street“.

Das Geschäftsmodell von Private Equity sieht so aus: Eine Private-Equity-Gesellschaft legt einen Fonds auf, in den private oder institutionelle Investoren Anlagekapital einbringen. Die Entscheidungsbefugnis liegt allein bei den Führungskräften der Private-Equity-Gesellschaft. Diese bringt in der Regel selbst nur einen sehr kleinen Teil des Kapitals ein, bekommt aber für ihre Bemühungen einen großen Anteil am etwaigen Gewinn einer späteren Veräußerung und eine erfolgsunabhängige Vergütung.

Der Beteiligungsfonds kauft Unternehmen oft als gehebelte Übernahme. Dabei wird der Kaufpreis weitgehend finanziert, indem den übernommenen Unternehmen die Bedienung eines Kredits aufgebürdet wird, mit dem der Kauf finanziert wurde. Das belastet die Ertragskraft der Zielunternehmen und dünnt ihre Eigenkapitalbasis aus. Dadurch werden sie anfälliger für Insolvenzen. Daher der schlechte Ruf von Leveraged Buy-outs.

Sechs Ökonomen, unter anderem von den Universitäten Chicago und Harvard, haben in dem Aufsatz „The Economic Effects of Private Equity Buyouts“ für 6000 Private-Equity-Übernahmen in den USA von 1980 bis 2013 untersucht, wie sich Beschäftigung, Löhne und Arbeitsproduktivität in den Folgejahren entwickelt haben. Vergleichsbasis waren ähnliche Unternehmen derselben Branche ohne Private-Equity-Beteiligung.

Beschäftigung sinkt

Sie stellten fest, dass die Beschäftigung in den übernommenen Betrieben im Durchschnitt in den zwei Jahren nach der Übernahme um 4,4 Prozent zurückging. Früheren Studien zufolge setzen sich die Arbeitsplatzverluste über diese zweijährige Untersuchungsperiode hinaus fort, sodass der gesamte Arbeitsplatzabbau größer sein dürfte. Die Vergütung je Arbeitnehmer sank um durchschnittlich 1,7 Prozent. Gleichzeitig stieg der Ertrag je Arbeitnehmer um acht Prozent.

Die Arbeitsplatzverluste könnten durch einen sogenannten Selektionseffekt noch größer sein als in der Studie ermittelt. Die aufgekauften Unternehmen werden mit Unternehmen ähnlicher Größe und ähnlichen Alters in derselben Branche verglichen, in die kein Beteiligungskapital investiert wurde. Die Private-Equity-Gesellschaften sind aber bestrebt, sich Unternehmen mit guten Perspektiven herauszusuchen. Soweit ihnen das gelingt, ist der Vergleich mit Unternehmen, die sie sich nicht ausgesucht haben, verzerrt.

„Bei Käufen nicht börsennotierter Unternehmen ist es eher wahrscheinlich, dass finanzielle Engpässe behoben und Managementmethoden verbessert werden.

Zwar betonen die Autoren auf Anfrage, dass sie die jeweilige Unternehmensentwicklung in den zwei Jahren vor dem Übernahmejahr als Kontrollvariable berücksichtigt haben. Das könnte aber ein zu grober Maßstab sein, um von gleich guten Zukunftsperspektiven der ausgewählten und nicht ausgewählten Unternehmen ausgehen zu können.

Der Durchschnittswert verdeckt beträchtliche Unterschiede je nachdem, welcher Art das Zielunternehmen ist. Wenn Unternehmensteile und wenn börsennotierte Unternehmen durch Private Equity aufgekauft werden, sind die Beschäftigungswirkungen besonders negativ. Dagegen sind sie beim Kauf von nicht börsennotierten Unternehmen positiv.

Die Autoren erklären den markanten Unterschied so: „Bei Käufen nicht börsennotierter Unternehmen ist es eher wahrscheinlich, dass finanzielle Engpässe behoben und Managementmethoden verbessert werden.“

Darin sind sie sich einig mit einer Kritikerin des Private-Equity-Gewerbes, der stellvertretenden Chefin des Center for Economic and Policy Research (CEPR), Eileen Appelbaum. Sie trat in einer Kongressanhörung zum „Stop Wall Street Looting Act“ als Expertin auf. Dabei erklärte sie die Tatsache, dass kleinere Private-Equity-Fonds besser abschneiden als die großen Megafonds damit, dass die kleineren Fonds vor allem kleine und mittlere Unternehmen kauften, die von Finanzmitteln und vom Management-Know-how der Private-Equity-Firmen profitieren können. Zudem bürdeten sie den Zielunternehmen weniger Kredite auf als die großen Fonds.

Größe als Problem

Während allerdings Appelbaum in einer Rezension der Studie aus Chicago und Harvard von einer „alles in allem vernichtenden Analyse der Rolle von Private Equity in der Wirtschaft“ spricht, sind die sechs Autoren in ihrem Resümee deutlich gnädiger mit der Branche: „Kurz gefasst ist der Einfluss von Private Equity komplexer und unterschiedlicher, als Befürworter und Gegner behaupten.“

Appelbaum kritisiert vor allem die sehr großen Private-Equity-Fonds. Diese neigten allein schon wegen des Umfangs der anzulegenden Mittel dazu, große, erfolgreiche Unternehmen aufzukaufen. Bei diesen gebe es wenige Möglichkeiten, durch Verbesserung des Managements oder Lockerung finanzieller Restriktionen den Unternehmenserfolg zu steigern. Diese Private-Equity-Gesellschaften versuchten daher, mit Strategien aus einer Übernahme Gewinn zu machen, die oft zum Nachteil von Arbeitnehmern, Kunden und Gesamtgesellschaft seien.

Ein typisches Ziel solcher Strategien seien Einzelhandelsunternehmen, weil diese oft über wertvolle Immobilienbestände verfügten und viel Eigenkapital hielten, um für zyklische Absatzkrisen gewappnet zu sein. Gleichzeitig haben sie einen großen Umsatz, den die Private-Equity-Käufer nutzen können, um hohe Zahlungen für Beratungsleistungen aus dem Unternehmen zu ziehen. Durch Schuldenaufnahme kann die Wirkung des angestrebten Gewinns auf die Rendite des schmaler werdenden Eigenkapitals gehebelt werden.

Der Gewinn lässt sich kurzfristig unter anderem dadurch nach oben treiben, dass Grundstücke und Immobilien verkauft und zurückgeleast werden. Wenn es gut läuft, die Zinsen bis zum Ausstieg des Investors nicht kräftig steigen und der Absatz nicht einbricht, lässt sich auf diesem Weg viel Geld aus dem Unternehmen ziehen.

Eine wichtige Vorschrift im diskutierten „Stop Wall Street Looting Act“ sieht deshalb vor, dass die Private-Equity-Firmen im Insolvenzfall mit für die Schulden haften, die Unternehmen auf ihre Initiative hin aufgenommen haben. Appelbaum zeichnet zum Beleg der Notwendigkeit einer solchen Regel in ihrer Stellungnahme nach, wie die Private-Equity-Firmen, die die Einzelhandelskette Toys ‚R‘ Us gekauft hatten, trotz der Pleite des Unternehmens einen Gewinn machten. Sie hätten über Beratungsgebühren und Ähnliches vorher mehr Geld aus dem Unternehmen gezogen, als sie in Form ihres bescheidenen Eigenkapitalinvestments durch die spätere Insolvenz verloren.

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