„Mit seiner Idee der Mikrokredite für Mittellose gewann Muhammad Yunus einst den Friedensnobelpreis.“ So wird das Interview eingeleitet. Dann kommt gleich der Satz, der den Interviewer zu einer sehr kritischen Nachfrage hätte führen müssen, eine Nachfrage, die den ganzen Artikel in ein anderes Licht getaucht hätte: „Die Armut in der Welt sorgt ihn weiterhin.“
Diese Sorge, die den Interviewten zu ehren scheint, ist in Wahrheit der Befund seines Scheiterns. Muhammad Yunus hat den Friedensnobelpreis 2006 nicht bekommen, weil er vor 45 Jahren die ebenso bescheidene wie nützliche Idee verfolgte, armen Menschen mit unternehmerischen Ambitionen kleine, günstige Kredite zu geben, damit sie sich eine wirtschaftliche Existenz aufbauen konnten.
Yunus bekam den Preis, weil er sich in den 1990er Jahren mit der Weltbank und der (amerikanischen) Finanzbranche verbündete. Gemeinsam stilisierten sie die Mikrokredit-Idee zur entwicklungspolitischen Allzweckwaffe hoch. Mit dieser werde die Armut innerhalb einer Generation weltweit beseitigt sein, versprach er zum Beispiel 1997 großspurig.(1) Seine Enkel würden ins Armutsmuseum gehen müssen, um zu verstehen, was Armut war.
„Die Armut in der Welt sorgt ihn weiterhin.
Heute, knapp eine Generation später, sorgt er sich immer noch über die anhaltend weit verbreitete Armut in der Welt. Kein Armutsmuseum wurde gegründet. Es gab Erfolge bei der Armutsbekämpfung, vor allem in China. Die hatten aber absolut nichts mit Mikrokrediten zu tun.
Auch in Bangladesch ist die Armut zurückgegangen. Auch das geschah aber nicht wegen, sondern eher trotz der Mikrokredite. Es geschah, weil die Textilfirmen der Industrieländer ihre Textilien in Fabriken in Bangladesch fertigen lassen, seitdem das wirtschaftlich erfolgreiche China dafür zu teuer geworden ist.
Die von Yunus inspirierte und beförderte Mikrokredit-Mafia dagegen hat sehr viel Leid und wirtschaftliche Verwüstung über Bangladesch, Indien und andere Länder gebracht.
Der Interviewer spricht das an, indem er die Premierministerin Hasina mit dem Vorwurf zitiert, das Konzept der Mikrokredite habe die Armut nicht verringert, sondern vergrößert. Yunus weicht diesem grundsätzlichen Vorwurf gegen die ganze Branche aus, indem er stattdessen überzogene Vorwürfe von ungenannter Seite gegen seine eigene Grameen Bank herbeizieht, die er leicht abwehren kann.
Auf die Nachfrage: „Aber auch einige Ökonomen fingen an, Mikrokredite kritisch zu sehen. Zu Unrecht?“, tut er so, als würden diese Ökonomen nur Randerscheinungen des Phänomens aufspießen. Er sagt: „Mit Grameen ist der Begriff Mikrokredit so populär geworden, dass auch Kredithaie ihn für ihre ausbeuterischen Angebote mit Wucherzinsen übernommen haben. Wenn Ökonomen Mikrokredite kritisieren, dann haben sie es vielleicht mit solchen Kredithaien zu tun. Und die verurteilen wir auch.“ Das ist Schönfärberei der üblen Sorte. Denn Zinsen im hohen zweistelligen Bereich, oft bis 100 Prozent und mehr, sind keine Randerscheinung des Mikrokreditwesens, sie sind typisch dafür. Und zwar mit dem Segen von Yunus.
Als Yunus mit seinen Mikrokrediten anfing, war es noch eine gute Idee. Die Kredite waren durch Hilfsgelder und Spenden subventioniert, der Anspruch war bescheiden. Dann kamen Weltbank und US-Finanzbranche und propagierten die Idee mit einer ganz wesentlichen Abwandlung: Sie könne nur in dem zur Armutsbeseitigung nötigen Ausmaß betrieben werden, wenn die Kreditgeber damit Gewinne machen können. Subventionierte Kredite schadeten aus dieser Sichtweise, weil sie „nachhaltiger“, sprich gewinnträchtiger, Mikrokreditvergabe Konkurrenz machten und sie dadurch behinderten. Yunus gewannen sie dafür als Galionsfigur. Es entstand eine große, gewinnorientierte Mikrokreditbranche, die mit politischer Unterstützung massiv Kredite zu hohen Zinsen in die armen Bevölkerungsteile vieler Länder drückte.
Für einzelne der Kreditnehmer mag das funktioniert haben. Aber in der Masse ist das Kleinstunternehmertum, das mit diesen Mikrokrediten befördert wird, nicht ansatzweise in der Lage, die hohen zweistellige Renditen abzuwerfen, die nötig wären, um hohe zweistellige Zinsen zu zahlen. Und sehr viele dieser Kredite wurden ohnehin zu Konsumzwecken genutzt.
Das ging eine Weile gut. Die Mikrokreditgeber vergaben einfach noch mehr Kredite, mit denen die Armen die ersten Kredite bedienen konnten. Aber irgendwann um 2010, nachdem die Manager und Geldgeber der großen Mikrokredit-Unternehmen sich lange gesund gestoßen hatten, brach das Kartenhaus in vielen Ländern zusammen. Es kam zu Schuldenkrisen, die sehr, sehr viele der armen Kreditnehmer ins finanzielle Verderben stürzten und viele in den Selbstmord trieben.
Der Nobelpreisträger ein Quacksalber?
Yunus ist ein Quacksalber. Ein ursprünglich wohlmeinender zwar, aber dennoch ein Quacksalber. Einer, der sich und seine Idee missbrauchen ließ und bis heute unfähig zur Selbstkritik ist.
Mit Quacksalber meine ich, dass er die Ideologie des extremen Individualismus, die er bei seinem Studium in den USA offenbar verinnerlicht hat, zur Leitlinie praktischer Entwicklungspolitik machte. Er propagierte implizit eine Vorstellung von Entwicklungspolitik, die unterstellt, dass man keinen funktionierenden Staat und keine funktionierende Infrastruktur, kein gutes Rechtswesen und keine großen Unternehmen braucht, die die Vorteile der Massenproduktion ausnutzen und dadurch stabile, anständig bezahlte Arbeitsplätze bieten können. Alles was man braucht, um die Armut zu beseitigen, sind Individuen, die Zugang zu Kleinkrediten haben, damit sie ihren angeborenen Unternehmergeist ausleben und sich selbst aus der Armut befreien können. Wenn dann noch diese Kredite über hohe Zinsen zu einem massiven Geldabfluss von den ohnehin Armen führen, dann ist die Parallele zur medizinischen Praxis des Aderlassens im Mittelalter mit Händen zu greifen. Das darf man Quacksalberei nennen.
Es ist mit bloßem Auge offensichtlich, dass Mikrokredite die Armut nicht beseitigt haben. Und das, obwohl viele Länder bis an die Sättigungsgrenze und darüber hinaus mit Mikrokrediten versorgt wurden. Wenn Wissenschaftler sich über die Wirksamkeit von Mikrokrediten als Mittel gegen die Armut streiten, dann nur darüber, ob sie vielleicht per Saldo doch ein bisschen genützt haben, oder ob sie ganz überwiegend geschadet haben. Es gibt keinen ernst zu nehmenden Wissenschaftler, der behaupten würde, Mikrokredite hätten auch nur annähernd die Verheißungen erfüllt, für die Yunus den Friedensnobelpreis bekam.
Das war auch schon vor Jahrzehnten für viele durchaus absehbar. Schon sehr früh kritisierten Ökonomen aus der Region (2) die Verheißung der Armutsbeseitigung durch informelles Kleinstunternehmertum als völlig unrealistisch. Sie verwiesen darauf, dass es in den armen Ländern ohnehin schon sehr viele Kleinstgewerbetreibende am Existenzminimum gab, einfach aus Mangel an Arbeitsplätzen. Noch mehr Menschen durch Kredite in die prekäre Selbständigkeit zu locken, würde entweder dazu führen, dass sie scheitern und dann noch ärmer dran sind als vorher, oder dass sie mit ihrem Kleinstgewerbe andere verdrängen oder ärmer machen, die auf dem gleichen Markt bereits versuchen ein Auskommen zu finden.
Den Quacksalber Yunus focht das alles nicht an. Bis heute tut er so als habe er alles richtig gemacht und seinen Preis mehr als verdient.
(1) Siehe: Dr Muhammad Yunus’ Dankesrede aus Anlass der Verleihung des Help for Self-help Prize der Stromme Foundation am 26 September 26, 1997 in Oslo, abgedruckt in Band 1 (2), November/Dezember, Newsletter of the Microcredit Summit Campaign, zitiert nach Milford Bateman.
(2) Z.B. Ahmad, Q.K. and Hossain, M. (1984) An Evaluation of Selected Policies and Programmes for Alleviation of Rural Poverty in Bangladesh. Dhaka: Bangladesh Institute of Development Studies. Osmani, S.R. (1989) ‘Limits to the alleviation of poverty through non-farm credit’, Bangladesh Development Studies, 17(4): 1–14. Quasem, M.A. (1991) ‘Limits to the alleviation of poverty through non-farm credit: a comment’, Bangladesh Development Studies, 19(3): 129–132.