Schon dass die Regierungsparteien in ihrem Entschließungsantrag den 75. Jahrestag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den Vordergrund stellten, verhieß wenig Gutes für ihre Bereitschaft, ernsthaft über den geplanten WHO-Pandemievertrag und die Verschärfung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) zu diskutieren. Jegliche Erwartung in dieser Hinsicht wurde weit untertroffen.
Um das Resultat vorwegzunehmen: Immernoch-Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat nun eine große Mehrheit des Parlaments hinter sich, wenn er eine möglichst weitgehende Kompetenzübertragung auf die WHO betreibt. Denn weder im Entschließungsantrag noch in den Redebeiträgen der Ampel und der Union gab es irgendwelche Einschränkungen des unausgesprochenen Leitsatzes „Je mehr Kompetenzen und Durchsetzungsfähigkeit für die WHO, desto besser.“
Hinter diese Haltung stellten sich, laut Ergebnis der namentlichen Abstimmung, 497 Abgeordnete, bei 25 Enthaltungen und 68 Neinstimmen, wobei die Neinstimmen von der AfD, zwei Fraktionslosen und eine von der Unionsfraktion kamen. Ansonsten gab es nur Ja-Stimmen von der ganz großen Koalition aus Ampel und Union.
Die Mehrheit der Linksfraktion enthielt sich, was man bei einem Entschließungsantrag, der gute und schlechte Elemente enthält, vernünftig finden könnte. Aber die vom Vertreter der Linken vorgebrachten Einwände grenzten leider ans Lächerliche.
Diskursverweigerung und Demagogie
Den beklagenswerten Umstand, dass sich nur die AfD gegen den WHO-Pandemievertrag und die IHR-Reform in der derzeit betriebenen Form stellte, nutzten die anderen Parteien, die Gegenargumente und die Sorgen vieler Menschen – etwa der mehr als 360.000, die einen kritischen offenen Brief an Kanzler Scholz unterzeichnet haben – in demagogischer Weise vom Tisch zu wischen. Sie diskreditierten summarisch jede Kritik und malten Wolkenkuckucksheime von verhinderten Pandemien und von einer WHO, die künftig unbeirrt von Interessen ihrer Geldgeber am globalen Bevölkerungswohl arbeiten werde und daher gar nicht genug Macht haben könne.
Den Anfang machte Tina Rudolph von der SPD mit der frechen Behauptung, diejenigen, die intransparente Verhandlungen und Prozesse bemängelten, seien nur zu faul, im Internet nachzusehen, was dazu alles veröffentlicht wurde. Dabei gibt es fast keine fundierten Berichte der etablierten Medien über den Fortgang der Verhandlungen. Die gibt es im Wesentlichen nur auf diesem Blog, auf tkp.at und vielleicht noch ein oder zwei anderen alternativen Medien.
Die erste Bundestagsdebatte zum Thema findet zweieinhalb Jahre nach Beginn der Planung für den Pandemievertrag statt und ein Jahr, nachdem bei der letzten Weltgesundheitsversammlung deutlich wurde, wie umstritten die Pläne für die IHR-Reform sind. Das ist kein Ruhmesblatt, das solch forsche Worte rechtfertigt, wie Frau Rudolph sie wählt.
Die etablierten Medien beschränkten sich mangels Impulsen von der Politik darauf, ihre „Faktenchecker“ loszuschicken, immer wenn in den sozialen Medien der Unmut über das, was in Genf diskutiert wurde, zu groß und zu verbreitet wurde. Diese schrieben dann jedes Mal, dass alles gar nicht so schlimm sei, wie behauptet und außerdem noch gar nicht beschlossen. Einen Souveränitätsverlust der nationalen Regierungen und Gesetzgeber könne es nicht geben, weil in den offiziellen Texten das Wort Souveränität vorkomme, und weil die Regierungen und Parlamente dem WHO-Vertrag und der IHR-Reform erst zustimmen müssten, damit sie in Kraft tritt.
Letzteres, ziemlich unterkomplexe Argument führte auch Tina Rudolph ins Feld. Es ist sachlich falsch und ohnehin nicht überzeugend.
Falsch ist die Behauptung in Bezug auf die IHR-Reform, wie man bei der Stiftung Wissenschaft und Politik nachlesen kann:
„Nach Artikel 21 der WHO-Verfassung kann die Weltgesundheitsversammlung Vorschriften annehmen, die für die Staaten rechtlich bindend sind, es sei denn, diese lehnen sie ab (»opt out«). Sobald die in den Vorschriften festgelegte Frist für die Ablehnung oder die Anmeldung eines Vorbehalts verstrichen ist, sind die betreffenden Regelungen für alle Staaten, die keine Einwände geäußert haben, verpflichtend. Das Hauptmerkmal der WHO-Vorschriften besteht darin, dass in ihrem Fall die Beteiligung der nationalen Gesetzgeber nicht nötig ist. Hinzu kommt, dass die Vorschriften eine niedrigere Abstimmungsschwelle erfordern als Konventionen.“
Kurz gefasst: Wenn die Weltgesundheitsversammlung mit einfacher Mehrheit Änderungen der IHR annimmt, werden diese für alle Länder verbindlich, deren Regierungen nicht innerhalb einer Frist – die verkürzt werden soll – eine Ausnahme für das eigene Land in Anspruch genommen haben.
Nicht überzeugend ist das Argument von der Beteiligung der Parlamente, weil man durchaus kritisieren darf, wenn ein Parlament bereit ist, dauerhaft die eigene Souveränität und die der eigenen Regierung aufzugeben. Vor allem, wenn das Parlament vorher eine so infantile Mickymaus-Debatte darüber geführt hat wie dieses. Es ist dann immer noch eine Aufgabe von Souveränität, die zu begründen ist, nicht zu leugnen. Es gibt gerade in Deutschland historische Beispiele, bei denen die Kritikwürdigkeit der Selbstentmachtung eines Parlaments Konsens ist.
An Begründung für die Notwendigkeit einer Selbstentmachtung zugunsten der WHO, die offenbar gar nicht weit genug gehen kann, hatten Rudolph und die anderen Redner der ganz großen Koalition nur wenige vage Sprüche aufzubieten, von notwendiger Zusammenarbeit und von Viren, die sich nicht an Grenzen halten.
Die Union wäre gern dabei gewesen
Nun wäre nach den Gepflogenheiten des Parlaments eigentlich eine Oppositionspartei dran gewesen. Aber für die Union wollte der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe nur bemängeln, dass man nicht früher von dem Entschließlungsantrag informiert worden sei, den man ansonsten aus ganzem Herzen unterstütze.
Statt zu argumentieren kam Gröhe schon nach wenigen Sätzen beim „Weltverschwöungsgeschwurbel“ an, womit er ohne nähere Beschreibung summarisch alle Gegenargumente abhandelte.
Beim nächsten Redner, Johannes Wagner von den Grünen, hießen die Gegenargumente, die er auf keinen Fall ernst nehmen und entkräften wollte, „Verschwörungsmythen“. Er zitierte WHO-Chef Tedros, der erklärte, es gäbe eine Pandemie der Falschinformationen, eine „Infodemie“, welche noch schwerer zu bekämpfen sei, als die Virus-Epidemie selbst. Schlimm genug, dass der Mensch so etwas gesagt hat, der übrigens laut den Reformvorschlägen künftig in eigener persönlicher Machtvollkommenheit globale und regionale Gesundheitsnotlagen ausrufen können soll.
Wenn das Zitat selbstkritisch gemeint gewesen wäre, und sich auf die vielen regierungs- und WHO-seitigen Falschaussagen bezogen hätte, wie dass die Impfstoffe zu annähernd 100% gegen Infektion schützten und nebenwirkungsfrei seien, oder dass es Lockdowns und Impfpflicht auf keinen Fall geben werde, wäre es ja löblich gewesen. Aber so atmet es den antidemokratischen Geist eines Wahrheitsministeriums. Wagner verunglimpft mit dem Infodemie-Label Kritik an der Abgabe nationaler Souveränität an die WHO als irre Verschwörungstheorie, obwohl er und seine Mitstreiter ja genau diese Kompetenzabgabe befürworten. Pure Demagogie.
Wagner weiß dann überraschenderweise auch noch ganz sicher, dass Sars-CoV2 von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist, während die Mehrheitsmeinung der Experten inzwischen bei der früher bekämpften Verschwörungstheorie angekommen zu sein scheint, dass das Virus im Labor entstanden ist.
AfD einzige Opposition
Christina Baum von der AfD brachte das größte Problem der WHO auf den Punkt. Sie nannte sie wegen ihrer Abhängigkeit von den Spenden der Konzerne und von deren Sitftungen eine halb-private Organisation, der man nicht das Recht geben dürfe, über die Ausrufung von Pandemien und daraus folgenden große Impfprogramme zu entscheiden. „Denn die Impfstoffhersteller, die die WHO finanzieren, würden massiv von solchen Entscheidungen profitieren.“
Der nachfolgende Andrew Ullmann von der FDP bezeichnete das als Blödsinn und empfahl seiner Vorrednerin, ihr Gehirn einzuschalten. Hier sei wieder auf die obige Definition von Demagoge verwiesen, ein Mensch, der täuschende Argumente benutzt und diejenigen beschimpft, die Gegenargumente vorbringen.
Denn es herrschte ja bei allen Fraktionen Einigkeit, dass die WHO viel zu abhängig von zweckgebundenen und interessengeleiteten freiwilligen Zuwendungen ist. Nach ihrer Problembeschreibung ist die WHO eher eine dreiviertelprivate Organisation als eine halbprivate. Das vermeintlich zu ändern, indem bis 2030 der Anteil der Pflichtbeiträge am WHO-Budget auf 50 Prozent erhöht wird, macht ja einen Großteil des Entschließungsantrags der Ampelkoalition aus und dominierte auch die Reden der Befürworter.
Wenn es wahrscheinlich wäre, dass die Initiative Erfolg hat, und damit dann das Problem weitgehend gelöst wäre, könnte man sie den Gegnern zusätzlicher Machtbefugnisse der WHO mit Fug und Recht entgegenhalten. Doch beides ist absehbar nicht der Fall, was die Befürworter der WHO-Reformen – wohl zumeist ganz bewusst – einfach ignorieren.
Abhängigkeit der WHO ist gewollt
Es ist ja nicht zufällig so, dass die WHO so von zweckgebundenen Zuwendungen abhängig wurde. Es ist so, weil jemand das wollte und will. Es geht darauf zurück, dass auf Betreiben der USA in den 90-er Jahren die Pflichtbeiträge eingefroren wurden. Die WHO und die UN insgesamt wurden zuerst ausgehungert und dann systematisch in die Arme der Konzerne und ihrer Stiftungen und Verbände getrieben. Die verfolgen gern mit ihren Zuwendungen an die WHO die eigenen Geschäftsinteressen auf globaler Ebene und die WHO kann sich dem nicht entziehen.
Hier herrscht eine Interessenharmonie zwischen US-Regierung und US-Konzernen und -Stiftungen, die mit dem aktuellen Zustand durchaus zufrieden sind. Es ist auch nicht zufällig die US-Regierung, die die Kompetenzausweitung für die WHO, die sie immer so stiefmütterlich behandelt hat, vorantreibt. Eine Organisation, bei der das große amerikanische Geld bestimmt, wo es langgeht, darf gern mächtiger werden. Das ist ein geo-ökonomisches Projekt hohen Ranges für die USA, bei dem Bündnistreue eingefordert wird.
Selbst wenn es gelingen sollte, den Anteil der Pflichtbeiträge auf 45 oder gar 50 Prozent zu erhöhen, würden die USA immer noch die Richtung bestimmen und hätten die Konzerninteressen immer noch einen grob unangemessenen Einfluss auf die WHO. Das dürfte der Grund dafür sein, dass die Bundesregierung das unambitionierte Ziel von 50 Prozent gewählt hat. Mehr ist nicht durchsetzbar, weil es wirksam wäre.
Sobald die USA sich dazu bekennen würden, dauerhaft den mit Abstand größten Teil der Finanzierung der WHO durch Pflichtbeiträge der Regierungen aufzubringen und das auch umgesetzt würde, wäre mein Widerstand gegen eine Kompetenzausweitung der WHO sehr viel geringer. So aber, ist die Initiative zu den Pflichtbeiträgen nur ein Zuckerchen, das die bittere Medizin der Machtübertragung auf diese abhängige Organisation etwas versüßen soll.
Linke Scheinopposition
Ates Gürpinar von der Linksfraktion hielt es für ein sinnvolles Argument gegen die Kritik an der Souveränitätsabgabe an die WHO, dass andernfalls Immernochminister Karl Lauterbach diese Kompetenzen behalten würde. Ansonsten fiel ihm zu den Argumenten gegen die WHO-Reformen auch nur der Ausdruck „Verschwörungstheorie“ ein. Sein Hauptargument gegen den Entschließungsantrag der Ampel war, dass die dort eingefügte Forderung nach einer Beteiligung Taiwans an der Weltgesundheitskonferenz besser nicht eingefügt worden wäre.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass ein zweiter Redner der SPD die Kritiker als Verschwörungstheoretiker beschimpfte, was Tina Rudolph vorher noch versäumt hatte.
Es gab Zeiten, da hatten Linke noch Probleme damit, wenn Großkonzerne ihre Profitinteressen durch Geldgaben an öffentliche Institutionen durchsetzen konnten. Damals wurde solche Kritik von ihnen noch nicht als Verschwörungstheorie verunglimpft.
Souveränitätsverlust ist Konsens
Die Befürworter des Entschließungsantrags der Ampel widerlegen wie erwähnt selbst ihre vielstimmig vorgetragene Verunglimpfung des Arguments vom Souveränitätsverlust als Verschwörungsgeschwurbel, indem sie genau diese Abgabe von Souveränität befürworten. Noch weiter ging ein WHO-Prüfungsausschuss, der viele der vorgeschlagenen Änderungen in den Internationalen Gesundheitsvorschriften ablehnte, weil sie einen zu großen Souveränitätsverlust für die Regierungen bedeuten würden.
Man kann diesen Souveränitätsverlust ja trotzdem gut finden. Aber ihn gleichzeitig zu fordern und die Warnung davor als reine Verschwörungstheorie abzutun, ist Demagogie.
Worum es wirklich geht
Im folgenden, in subjektiver Auswahl, eine Liste von kritischen Punkten unter den Reformvorschlägen, die laut unseren Volksvertretern von der ganz großen Koalition nicht zu diskutieren und erst recht nicht zu kritisieren sind, weil das Weltverschwörungsgeschwurbel wäre.
Was den WHO-Pandemievertrag angeht, so gibt es seit Ende November 2022 einen „konzeptionellen Nullentwurf“ . Diesen hätten die Pharmakonzerne selbst kaum besser zu ihren Gunsten formulieren können. Er verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zu:
- Stärkung der zentralen Rolle der WHO als leitende und koordinierende Behörde,
- Erleichterung des raschen Zugangs der WHO zu Ausbruchsgebieten, unter anderem durch die Entsendung von Expertenteams zur Bewertung und Unterstützung der Reaktion auf neu auftretende Ausbrüche
- Ausbau der Kapazitäten zum Aufbau und zur Pflege strategischer Vorräte an Produkten für die Pandemieabwehr,
- Bereitstellung von Vorräten, Rohstoffen und anderen notwendigen Inputs für die nachhaltige Produktion von Pandemieprodukten (insbesondere pharmazeutische Wirkstoffe), auch für die Bevorratung,
- Anreize (Geld) für die Pharmafirmen in Zusammenhang mit allem möglichen rund um die Entwicklung, Produktion, Produktionskapazitäten, Verteilung und Bevorratung ihrer Produkte,
- Zusammenarbeit mit dem Privatsektor (Pharmakonzerne) und der Zivilgesellschaft (Gates-Stiftung) in allen möglichen Varianten
- „Infodemien“ über geeignete Kanäle, einschließlich der sozialen Medien, managen, Falsch- und Desinformation entgegenwirken,
Konkreter und einschneidender wäre die IHR-Reform gemäß der eingereichten Vorschläge insbesondere der USA. Die IHR sind verbindlich. Diese Reformvorschläge sehen vor:
- Streichung des Prädikats nicht-bindend bei den Empfehlungen der WHO,
- verbindliche Überprüfungen der Einhaltung von Empfehlungen durch den Dringlichkeitsausschuss der WHO,
- Regierungen sollen die Einhaltung von WHO-Empfehlungen durch nichtstaatliche Akteure sicherstellen,
- Anwendungsbereich der IHR soll ausgedehnt werden auf „alle Risiken, die sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken können“,
- Bekenntnis zur Achtung der Würde und Freiheit des Menschen soll gestrichen werden,
- die Möglichkeit soll eröffnet werden, dass Gesundheitsdokumente Informationen über Labortests enthalten, und zwar generell, nicht nur während Gesundheitsnotlagen,
- der WHO-Generalsekretär kann in eigener Machtvollkommenheit und ohne Zustimmung betroffener Regierungen regionale oder globale Gesundheitsnotlagen ausrufen,
- er kann dann Empfehlungen aussprechen und bekommt Druckmittel, um diese auch durchzusetzen,
- er bekommt Druckmittel um Expertenteams in betroffene Länder schicken zu können und deren Empfehlungen zur Durchsetzung zu verhelfen.
Die ersten sechs Punkte hat der WHO-Prüfungsausschuss abgelehnt, die letzten drei nicht.
Hinzu kommt ein von den USA vorgeschlagener Resolutionsentwurf, der auf der anstehenden Weltgesundheitsversammlung verabschiedet werden soll. Er ruft alle Regierungen auf, die Verhaltenswissenschaften einzusetzen, um Desinformation in Gesundheitsfragen zu bekämpfen, also die öffentliche Meinung im Sinne des Wahrheitsministeriums WHO zu manipulieren.