Mitte 2015 ging der bis dahin im Hintergrund geführte Kampf gegen das Bargeld in eine propagandistische Großoffensive über. Am 18. Juni veranstaltete die Schweizer Notenbank in London eine Konferenz zur Bargeldbeseitigung, mit viel Beteiligung der Europäischen Zentralbank (EZB). Eigentlich sollte es um die Beseitigung der sogenannten Zinsuntergrenze von Null gehen, für die die Möglichkeit auf zinsloses Bargeld auszuweichen, verantwortlich gemacht wird. Aber die beiden Hauptredner Willem Buiter und Ken Rogoff traten stattdessen für Bargeldbeseitigung ein, weil es angeblich verantwortlich für ganz viel Kriminalität ist. Harvard-Ökonom Ken Rogoff, ein früherer Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), sagte dazu im Handelsblatt-Interview, man solle das Bargeld allmählich beseitigen (phase out cash). Eine sofortige Abschaffung sei nicht möglich, u.a. weil Gesetze geändert werden müssten und auch weil:
„Bevor man Bargeld abschafft, muss man gleichwertige insolvenzgeschützte Alternativen schaffen. Das könnte etwa die Möglichkeit für jedermann sein, ein Konto bei der Bundesbank zu führen.“
Daran arbeitet die EZB nun mit ihrem geplanten digitalen Euro. Aber, wird uns fälschlich versichert: Das solle auf keinen Fall dazu dienen oder beitragen, das Bargeld zu beseitigen.
Rogoff forderte als ersten Schritt zur allmählichen Beseitigung von Bargeld die Abschaffung von Geldscheinen mit hohem Nennwert, angefangen beim 500-Euro-Schein, dann nach und nach den nächstkleineren. Verräterisch ist eine Studie Rogoffs aus der Zeit der Euro-Einführung, 1998, auf die er in seinem Buch „Der Fluch des Bargelds“ hinweist, mit dem erlogenen Zusatz, sie zeige, dass Rogoff schon lange wegen der Kriminalität gegen große Geldscheine sei. In Wahrheit hat er sich in diesem Aufsatz gegen den geplanten 500-Euro-Schein ausgesprochen, weil er viel mehr wert sei als der größte Dollarschein (100 Dollar) und deshalb dazu führen könnte, dass Euro-Bargeld auf dem internationalen Markt Dollar-Bargeld teilweise verdrängt.
Deutsche-Bank-Chef John Cryan verkündete dann Ende Januar 2016 beim Weltwirtschaftsforum in Davos, in zehn Jahren werde das Bargeld weg sein. Von der Harvard-Universität kam gleichzeitig eine „Studie“ zur nötigen Abschaffung großer Banknoten, um den „Bösen Jungs“ ihr Unwesen schwerer zu machen. Auftraggeber Larry Summers, ein früherer stellv. US-Finanzminister und danach hochrangiger Regierungsberater, verteilte das Werk an die Regierungen und Notenbanken der G20.
Prompt forderte die SPD-Fraktion im Bundestag die Abschaffung des 500-Euro-Scheins und eine Bargeldobergrenze. Letzterer Forderung schloss sich das CDU-geführte Finanzministerium an und verwies die Sache nach Brüssel. Unter Verweis auf eine von ihm selbst in Auftrag gegebene – erst später veröffentlichte – Studie behauptete Finanzminister Wolfgang Schäuble, in Deutschland würden 100. Mrd. Euro Schwarzgeld jedes Jahr gewaschen. Als die Studie veröffentlicht war, zeigte sich, dass nichts davon stimmte. EZB-Chef Mario Draghi verkündete wenige Tage später, man wolle den 500-Euro-Schein abschaffen.
Das Heute Journal assistierte Ende Februar mit einem Dreiminuten-Jubelbeitrag(youtube) zu implantierten Bezahlchips in Schweden. Im Radio erzählten öffentlich-rechtliche Journalisten begeistert davon, wie sie sich einen NFC-Chip haben implantieren lassen. Vom Chef des u.a. von AIG-Barclays, Deutsche Bank, Fildelity, Goldman Sachs, HSBC, JP Morgan, Lloyds, Rothschild finanzierten Center for European Reform kam ein Beitrag auf Zeit-Online, wonach es kein Grundrecht auf Bargeld gibt.
Nachdem der 500-Euro-Schein erfolgreich beseitigt war, ging die Luft vorerst wieder raus, weil die EU-Kommission kalte Füße hatte und fürchtete, mit dem Versuch der Einführung einer europaweiten Bargeldobergrenze juristischen Schiffbruch zu erleiden und damit die vielen bestehenden nationalen Obergrenzen mit zu gefährden. Immerhin ist Bargeld laut EU-Vertrag (einziges) gesetzliches Zahlungsmittel.
Abschaffungstipps vom IWF
Stattdessen verlegte man sich wieder darauf, Bargeld mit allen möglichen Tricks allmählich und unauffällig zurückzudrängen und dies wie eine natürliche Entwicklung erscheinen zu lassen. Der Internationale Währungsfonds unter der damaligen Chefin Christine Lagarde, die inzwischen EZB-Chefin geworden ist, veröffentlichte dafür unter dem Titel “The Macroeconomics of De-Cashing” im März 2017 eine Anleitung.
Der Autor empfiehlt darin Regierungen, die Bargeld beseitigen wollen, mit harmlos erscheinenden Schritten anzufangen. Man könne zum Beispiel mit der Abschaffung von großen Geldscheinen und einer Obergrenze für Barzahlungen beginnen. Letztere solle zu Beginn so hoch angesetzt werden, dass sie keinen größeren Protest hervorruft. Wenn sie dann einmal eingeführt ist, könne sie relativ leicht immer weiter gesenkt werden.
Es sei vorzuziehen, den Privatsektor mit harmlos erscheinenden Umstellungen vorzuschicken. Direkte staatliche Eingriffe würden angesichts der Vorliebe der Menschen für Bargeld stärker hinterfragt und die Leute könnten stichhaltige Gegenargumente vorbringen. Nötig sei aus diesem Grund auch ein gezieltes PR-Programm um Misstrauen bezüglich der Bargeldbeseitigung abzubauen, insbesondere den Verdacht, dass die Regierungen durch die Bargeldbeseitigung alle Aspekte des Lebens der Menschen kontrollieren wollen. Man beachte: Der IWF-Autor hält dieses Misstrauen nicht etwa für verfehlt. Er zählt die Möglichkeit, alle finanziellen Transaktionen der Menschen zu überwachen, explizit zu den Vorteilen der Bargeld-Beseitigung.
In einem weiteren IWF-Papier von April 2019 wird ebenfalls empfohlen, bei der Bargeldverdrängung die direkt erkennbaren Änderungen für die Menschen und Rechtsanpassungen so klein wie möglich halten, damit es möglichst keine öffentliche Diskussion gibt. Es soll dafür gesorgt werden, dass Preise in digitalem Geld ausgezeichnet werden und Barzahler einen Aufschlag bezahlen. Damit die Durchsetzung von Digitalgeld als neuer Recheneinheit besser klappt, soll nach der Empfehlung des IWF die Bargeldnutzung weiter zurückgedrängt werden. Ein probates Mittel dafür könne auch die Ausgabe eines allen Bürgern zugänglichen digitalen Zentralbankgeldes sein. „Solche Innovationen dürften die Rolle von Bargeld weiter reduzieren“, schreibt der IWF, wiederum unter Lagarde, die derzeit als Chefin der EZB einen solchen digitalen Euro einführen und damit dem Bargeld Konkurrenz machen will.
Wie ich auf diesem Blog leider oft berichten musste, wurde die Strategie der heimlichen Bargeldverdrängung seither auf vielfältige Weise umgesetzt. Die neueste Masche: Nachdem bereits viele Bankfilialen und Geldautomaten abgebaut worden sind, haben nun Banken und Sparkassen in einem vom Bundesinnenministerium vermittelten Kartell beschlossen, den Zugang zu vielen Geldautomaten zwischen 23 und 6 Uhr zu sperren, angeblich nur, um Geldautomaten-Sprengungen vorzubeugen. Die Alternative wäre, alle Automaten durch Farbpatronen so auszurüsten, dass die Scheine bei Aufbruch oder Sprengung unbrauchbar werden. Schon in Schweden war ein Bankenkartell, das gemeinsam die Geldautomaten betreibt, durch den schnellen Abbau von Geldautomaten maßgeblich an der Bargeldverdrängung beteiligt.
Neuer Anlauf zur Obergrenze
Erst seit der Europäische Gerichtshof in meinem Verfahren um das Recht auf Barzahlung des Rundfunkbeitrags in eigener Rechtsetzungshoheit den Status des gesetzlichen Zahlungsmittels massiv entwertete, traut sich die Kommission, die europaweite Barzahlungsobergrenze weiter zu verfolgen.
Im Juli 2022 kündigte sie eine Gesetzesinitiative für eine europaweite Barzahlungsobergrenze von 10.000 Euro an. Es dauerte kaum einen Monat, da verlangte die französische Regierung schon eine deutliche Senkung dieser geplanten Obergrenze. Wie 2016 ist die SPD in Gestalt der Bundesinnenministerin wieder die deutsche Partei, die als erste und mit größter Begeisterung mitmacht. Und wieder ist das Finanzministerium, diesmal FDP-geführt, mit im Boot. Minister Christian Lindner sagte, eine Bargeldobergrenze sei zwar nicht gut, aber unvermeidlich.
Faesr argumentierte, voll im Einklang mit den Kommunikationsempfehlungen des IWF zur Bargeldbeseitigung, eine Obergrenze von 10.000 Euro sei so hoch, das ändere für die allermeisten Menschen im Alltag praktisch gar nichts, und behauptete: „Für den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität wäre es aber ein ‚game changer‘.“ Großkriminelle sollen Luxusautos, Immobilien und anderes nicht mehr mit Einnahmen aus illegalen Geschäften in bar bezahlen dürfen und so die Gelder sauber waschen können.
Vorgeschobene Argumente
Die Argumente klingen gut, sind aber wenig stichhaltig, wenn man bisherige Erfahrungen und Alternativen bedenkt.
Zunächst einmal gibt es seit längerem Barzahlungsobergrenzen unterschiedlicher Höhe in vielen Ländern, oft deutlich niedriger als 10.000 Euro. Noch von keinem dieser Länder hat man von einem merklichen Rückgang der Kriminalität aufgrund der Einführung und allmählichen Senkung der Barzahlungsobergrenze gehört. Es gibt trotz der relativ guten Voraussetzungen für eine Überprüfung keinerlei wissenschaftliche Evidenz, dass die Barzahlungsobergrenzen etwas gebracht haben.
Es gibt aber Evidenz, dass sich die Kriminalität auf den digitalisierten Bereich sowohl des Finanzwesens als auch der übrigen Wirtschaft verlagert. Das hat in großem Maß in Schweden stattgefunden.
Immobilienkäufe sind hochgradig reguliert. Notare sind beteiligt. Es ist ein Leichtes, dafür zu sorgen, dass diese Käufe entweder digital bezahlt werden, oder dass größere Barzahlungen an die zuständige Behörde gemeldet werden. Dafür ist keine allgemeine Barzahlungsobergrenze vonnöten, schon gar nicht von 10.000 Euro. Dass Immobilienbesitzer aufgrund von gesetzlichen Schlupflöchern für Großkapital anonym bleiben können, ist skandalös, hat aber nichts mit Barzahlung zu tun.
Ähnliches gilt für Luxusautos, Schmuck, Gold und Kunstwerke. Deren Verkäufer sind besonders reguliert und müssen Verdachtsfälle, zu denen größere Barzahlungen gehören, melden. Der Staat braucht lediglich dafür zu sorgen, dass allen, die zum Beispiel mehr als 50.000 Euro in bar bezahlen, der Zoll eng auf den Zahn fühlt. Dann werden gemeldete Zahlungen in dieser Größenordnung kaum noch vorkommen, und man kann die Überprüfungsgrenze weiter absenke, bis in den Bereich, wo so viele legitime Autokäufe und ähnliches erfasst würden, dass eine Kontrolle nicht mehr möglich ist.
Ob man durchsetzen kann, dass die Zahlungen gemeldet werden, ist die Frage, aber das gilt für die Durchsetzung eines Barzahlungsverbots ebenso. Wenn der Staat nicht genug Ressourcen für die Kontrolle einsetzt, funktioniert Geldwäscheprävention über eine Meldepflicht nicht. Aber das gilt noch mehr für eine Barzahlungsobergrenze von 10000 Euro oder weniger. Denn dann wäre noch viel mehr Transaktionen zu überwachen und zu kontrollieren, und es ist klar, dass die Behörden das nicht leisten können.
Fazit
Es geht bei dem neuen Anlauf zur Einführung einer europaweiten Barzahlungsobergrenze nicht wirklich um Kriminalitätsbekämpfung. Es handelt sich nur um ein weiteres Element des unerklärten Krieges gegen das Bargeld, in Einklang mit den Empfehlungen des IWF zur Bargeldbeseitigung, zur Vervollkommnung der Kontrolle über die Bürger und zum Vorteil der Finanzbranche.
Mehr
Die Kriminalisierung des Bargelds geht weiter
30. 07. 2021 | In wenigen Tagen sorgt die Bankaufsicht Bafin dafür, dass niemand mehr größere Barbeträge auf sein Konto einzahlen kann, ohne die Herkunft des Geldes zu belegen. Bei Bargeld gilt immer mehr die Schuldvermutung. Die EU will zudem Barzahlungen über 10.000 Euro illegal machen. Die allmähliche Senkung dieser Obergrenze entsprechend der IWF-Empfehlung zur Aushebelung des Widerstands gegen die Bargeldbeseitigung ist vorgezeichnet.
Deutsche Bankaufsicht kriminalisiert Bargeld
14. 05. 2021 | Hören | Wenn es nach der deutschen Bankaufsichtsbehörde Bafin geht, einer der schlechtesten Finanzaufsichten der Welt (Wirecard, Cum-Ex, Cum-Cum), gilt Bargeld künftig schon ab Beträgen von 2500 Euro als illegal erworben, wenn das Gegenteil nicht nachgewiesen wird. Der unerklärte Krieg der Bundesregierung gegen das gesetzliche Zahlungsmittel der Währungsunion läuft heiß.
Der IWF will dem Bargeld an den Kragen
21. 07. 2019 | Unter dem Vorwand, die Wirkungsmacht der Geldpolitik bewahren zu wollen, hat der Internationale Währungsfonds (IWF) ausführliche Empfehlungen veröffentlicht, wie Notenbanken den Bürgern das Bargeld entziehen oder madig machen können. Es ist bereits mindestens die dritte Studie dieser Art in den letzten zweieinhalb Jahren.
Die wichtigsten Strippenzieher der globalen Kampagne gegen das Bargeld
16. 08. 2018 | Hören | Im Jahr 2010 haben die Regierungen der 20 wirtschaftsstärksten Länder (G20) eine Globale Partnerschaft für finanzielle Inklusion (GPFI) gegründet. Finanzielle Inklusion ist, wie ich zeige, ein Tarnwort für Bargeldbeseitigung. Seit 2012 gibt es eine Better Than Cash Alliance, zu Deutsch: Besser-als-Bargeld-Allianz. Sie ist zentraler Umsetzungspartner der G20 Partnerschaft gegen das Bargeld.
IWF berät Regierungen, wie sie die Bevölkerung täuschen und geschmeidig Bargeld abschaffen können
5. 04. 2017 | Der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington hat ein Arbeitspapier zur Bargeldbeseitigung (de-cashing) veröffentlicht. In den Schlussfolgerungen stehen Ratschläge, wie Regierungen den Widerstand der Bevölkerung gegen die Bargeldbeseitigung unterlaufen und sie über ihre wahren Absichten täuschen können.