Von Paul Steinhardt*: Wer fordert, den Euro abzuschaffen, wird flugs in die Schublade „Alternative für Deutschland“ gesteckt und ist damit als ein Befürworter einer populistisch nationalistischen Politik entlarvt. Ein solches Vorgehen hat insbesondere für viele Kritiker, der von der deutschen Bundesregierung mithilfe der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem IWF allen Ländern der EU aufgezwungenen Austeritätspolitik einen unbestreitbaren Vorteil: Es erlaubt, den Glauben
aufrecht zu erhalten, dass die Einheitswährung im Prinzip ein Fortschritt auf dem Weg eines von ihnen propagierten grenzenlosen und geeinten sozialen Europas ist.
Eine solche Haltung offenbart aber nur, dass auch viele Kritiker der gegenwärtig praktizierten Austeritätspolitik die herausragende Bedeutung nicht verstanden haben , die einer souveränen Währung für die staatliche Steuerung der Wirtschaft im Allgemeininteresse zukommt. Weil sie das nicht verstanden haben, erkennen sie nicht, dass es sich beim Euro um ein institutionelles Arrangement handelt, das gewinnorientierten Geschäftsbanken die Steuerung ganzer Volkswirtschaften übertragen hat. Sie erkennen daher auch nicht den wesentlichen Beitrag des Euros zum gegenwärtigen wirtschaftlichen und damit verbundenen humanitären Desaster in Europa.
Der Euro – Geld der Banken
Banken werden in aller Regel als Finanzintermediäre erachtet. Die Vorstellung ist, dass Haushalte über Ersparnisse verfügen, die sie bei einer Bank deponieren und die Bank dann diese Geldvermögen – sogenannte Einlagen – wiederum in Form von Darlehen an Geldsuchende weitergeben. Banken können in diesem Sinne fraglos als Finanzintermediäre fungieren. Die Wahrnehmung dieser Funktion aber setzt die Existenz von Geld voraus.
Woher aber kommt Geld? Weit verbreitet ist der Glaube, dass Geld von Zentralbanken geschaffen wird. Es ist aber inzwischen auch den Veröffentlichungen der Bundesbank zu entnehmen, dass Banken selbst Geld schöpfen, indem sie Realgüter und/oder Vermögenswerte erwerben und insbesondere, indem sie Darlehen vergeben.
Der amerikanische Ökonom Hyman Minsky hat argumentiert, dass das an Banken übertragene Privileg der Geldschöpfung zu periodischen finanziellen Instabilitäten führt. Diese These kann man wie folgt zusammenfassen: Banken sind gewinnorientierte Unternehmen, die mit anderen Banken im Wettbewerb um die Darlehensvergabe stehen. Geld zu schaffen ist für Banken prinzipiell zwar denkbar einfach, aber das Problem ist, Darlehensnehmer zu finden, die über eine ausreichende Bonität bzw. über werthaltige Sicherheiten verfügen, um die Vergabe eines Darlehens zu rechtfertigen. Einem potentiell unendlichen Angebot von Geld, steht also eine beschränkte Menge an potentiellen Gläubigern gegenüber, die fähig oder willens sind, einen Kredit aufzunehmen. Jede Bank, die ein Geschäft abschließt, die eine andere aufgrund von Risikoerwägungen ablehnt, wird zunächst höhere Gewinne als ihre Wettbewerberin ausweisen können. Da der Erfolg eines jeden Unternehmens aber in erster Linie an der Eigenkapitalrendite bemessen wird, muss man realistischer Weise davon ausgehen, dass Banken im Laufe der Zeit immer risikoreichere Engagements eingehen werden.
Diesem Argument kann man entgegenhalten, dass viele Zentralbanken die Geldschöpfungsfähigkeit der Banken durch den Leitzins steuern können. Die Annahme ist, dass (i) Banken diese Preisänderungen des Leitzinses an ihre Kunden weitergeben und dadurch sich für die Kunden der Bank die Refinanzierungskosten erhöhen bzw. ermäßigen und (ii) daher bestimmte Investments möglich werden bzw. ausbleiben, die sich bei einem niedrigen Zinssatz rechnen bzw. bei einem höheren Zinssatz nicht mehr rechnen würden. Ob die Zentralbanken auf die beschriebene Art und Weise tatsächlich einen Einfluss auf das Volumen der Darlehensvergabe durch die Banken haben und mit Variationen der Höhe des Leitzins die Inflation steuern können, kann man aber mit Fug und Recht bezweifeln. Denn wie Joseph Huber nachweist, „benötigt der Bankensektor um 100 Einheiten Giralgeld in Umlauf zu bringen, im Durchschnitt aktuell nur 1,4 % Bargeld, 0,1 % Überschussreserven, sowie 1,5% Mindestreserve“.
Tatsache dagegen ist, dass Geld in erster Linie Giralgeld ist und daher der Konkurs einer Bank, wie am Beispiel von Lehmann Brothers eindrucksvoll belegt wurde, das Zahlungssystem ganzer Volkswirtschaften zu gefährden vermag und Banken mithilfe astronomischer Summen vor dem sicheren Konkurs gerettet wurden. Warum aber sollten Banken nicht hemmungslos Kredite vergeben, durch deren Vergabe sie Gewinne erzielen können, wenn die Risiken der Kreditvergabe zu guter Letzt vom Staat bzw. seinen Bürgern getragen werden müssen?
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass (i) die Versorgung der Wirtschaft mit Geld durch gewinnorientierte Unternehmen, sich als äußerst fragil erwiesen hat und (ii) der Glaube, dass Zentralbanken über wirksame geldpolitische Instrumente verfügen, die eine Steuerung der Wirtschaft im Allgemeininteresse zulassen, wenig gut begründet erscheint und es daher auch nicht überraschen kann, dass keinerlei empirische Evidenz dafür vorliegt, dass die Inflation in einem Wirtschaftsraum über den Leitzins gesteuert werden kann.
Eine solchermaßen organisierte Geld- und Finanzpolitik verlangt zweifellos die sogenannte Schuldenbremse zu ziehen, da auch Staaten zur Rückzahlung dieser Kredite auf Einnahmen – insbesondere Steuereinnahmen – angewiesen sind. Erlässt man also Gesetze, die der Zentralbank die Geldschöpfung zur Finanzierung staatlicher Ausgaben verbieten und kann man Defizite nicht über erhöhte Steuern refinanzieren, dann muss der Staat sich über den „Markt“ refinanzieren. Und dann kann er auch wie jeder andere Schuldner zahlungsunfähig werden.
Die gegenwärtig praktizierte Austeritätspolitik kann nach Meinung von vielen, die diese Politik mit gutem Recht kritisieren, durch die Einführung bzw. Erhöhung von Steuern problemlos beendet werden. Besonders beliebt ist dabei die Forderung nach einer Vermögen- und/oder Finanztransaktionsteuer Diese Forderungen sind Ausdruck dafür, dass man überzeugt ist, dass die Ausgaben eines Staats durch Schulden zu refinanzieren sind, wenn dessen Ausgaben seine Steuereinnahmen übersteigen. Die Verschuldung von Staaten ist daher nur zu verantworten, wenn der Staat Einnahmen erwarten kann, die es ihm erlauben, Zinsen zu bezahlen und die Schulden zurück zu bezahlen. Die Schulden von Staaten aber haben nach Meinung vieler bereits diese Grenze überschritten und daher ist es weitgehend Konsens unter Politikern, dass eine weiter Neuverschuldung nicht zu rechtfertigen ist.
Geld der Bürger
Aber ist damit nicht doch erwiesen, dass die in Europa praktizierte Austeritätspolitik alternativlos ist? Woher soll denn das Geld kommen, das die Befürworter staatlicher Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der darniederliegenden europäischen Wirtschaft fordern? Muss nicht irgendjemand sparen, bevor dann ein anderer dieses Geld investieren kann?
Nun haben wir bereits gesehen, dass auch die Schaffung von Geld durch Geschäftsbanken keinerlei Sparvorgang voraussetzt. Aber ein souveräner Staat braucht auch keinen „Markt“, der ihm gegen die Zahlung von Zinsen Refinanzierungsmittel zur Verfügung stellt. Staaten, die fähig sind, ihren Bürgern Steuerlasten in der von ihnen denominierten Währung aufzuerlegen, brauchen überhaupt von niemandem Geld. Wer Geld braucht, sind seine Bürger, damit sie ihre Steuerschulden gegenüber dem Staat bezahlen können. Und dieses Geld erhalten Bürger, indem der Staat seine Ausgaben mit dem von ihm emittierten Geld bezahlt.
Aber ist das nicht reine Phantasterei? Ben Bernanke, der ehemalige Chef der mächtigsten Zentralbank der Welt, der Fed, hat auf die Sorgen seiner Landsleute, dass die Rettung der Banken nach der Finanzkrise im Jahre 2007/2008 doch unvermeidlich zu einer höheren Verschuldung und damit zu einer höheren zukünftigen Steuerlast führen muss, erklärt, auf welche Weise ein Staat, der über eine souveräne Währung verfügt, sich „refinanzieren“ kann:
„It’s not tax money. The banks have accounts with the Fed, much the same way that you have an account in a commercial bank. So, to lend to a bank, we simply use the computer to mark up the size of the account that they have with the Fed. It’s much more akin to printing money than it is to borrowing.“
Bernanke will zwar seine Keyboards nur zur Rettung von Banken benutzen, aber es gibt keinen Grund, warum ein Staat nicht seine „Einkäufe“ bezahlen sollte, indem er seine Zentralbank anweist, bei seinen Kunden vermittelt über die Geschäftsbanken oder sogar direkt entsprechende Beträge einzutippen.
Es sollte offensichtlich sein, dass ein Staat, der in dieser Weise Geld schöpfen kann, niemals zahlungsunfähig werden muss. Warum aber glauben dann so viele, dass die „ausufernde Staatsverschuldung“ notwendigerweise mit dem Staatsbankrott enden wird? Nun gibt es solche, die das tatsächlich glauben, wie wahrscheinlich z.B. Mr. Obama und Frau Merkel, und solche, die das zwar nicht glauben, aber diese Botschaft verkünden. Der Nobelpreisträger der Ökonomie Paul Samuelson z.B. gehört zu der letzteren Gruppe. Samuelson gesteht in einem schwachen Moment zu, dass Staaten mit einer souveränen Währung niemals zahlungsunfähig werden können. Es handelt sich, so Samuelson, bei dem Glauben, dass ein ausgeglichener Staatshaushalt notwendig sei, um zu vermeiden in die „Schuldenfalle“ zu laufen, um einen Mythos. Aber einen Mythos, den man unter allen Umständen aufrechterhalten muss.
Behauptet wird, dass es zwischen der Schuldenquote, dem Zinsniveau und der Inflation einen eindeutigen Zusammenhang gibt. Höhere Schuldenquoten führen zu höheren Zinsen und diese zu höherer Inflation. Diese Zusammenhänge ergeben sich, wenn man in neoklassischer Manier annimmt, dass Geld eine knappe Ressource ist, die von den Haushalten Unternehmern zur Verfügung gestellt wird und dass auch die Menge des Angebots von Geld eine Funktion des Preises, also des Zinssatzes, ist. Je höher der Zinssatz, desto höher das Angebot und umgekehrt. Für die Nachfrage gilt das umgekehrte. Ohne störende staatliche Eingriffe gilt, dass, wenn alle Bedingungen der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie erfüllt sind, der Zinssatz das Angebot von und die Nachfrage nach Geld ins Gleichgewicht bringen.
Die ökonomischen Modellwelten kennen kein Bürgergeld im oben bestimmten Sinne. Daher unterstellen sie, dass Defizite den Staat dazu zwingen, Geld „am Markt“ aufnehmen zu müssen. Die Verschuldung des Staates stört nun aber das Gleichgewicht. Denn die Nachfrage nach Geld, wird durch die Verschuldung des Staates erhöht und damit muss der Zins steigen. Betrachtet man sich die Realität, z.B. mit Bezug auf Japan, vorurteilsfrei, dann bestehen aber solche Zusammenhänge nicht. Wenn der von mir vorgestellte Geldbegriff empirisch adäquat ist, dann können diese empirischen Befunde nicht überraschen. Geld ist keine knappe Ressource, sondern kann sowohl vom Staat als auch von Banken prinzipiell unbegrenzt geschaffen werden..
Aus der bisherigen Darstellung sollte deutlich geworden sein, dass im Rahmen einer souveränen Währungsordnung Defizite eines Staates lediglich anzeigen, dass der Staat in einem bestimmten Zeitintervall mehr Geld emittiert hat, als durch „Steuerzahlungen“ wieder an ihn zurückgeführt wurden. Ein Defizit des Staates macht es also keineswegs notwendig, dieses mit der Aufnahme eines Kredits durch einen Dritten zu refinanzieren und damit notwendiger Weise Rückzahlungs- und Zinsverpflichtungen auf sich zu nehmen. Ein Staat mit einer souveränen Währung hat damit aber nie ein Finanzierungsproblem für den Erwerb von Gütern, die sich im Eigentum seiner Rechtssubjekte befinden. Der begrenzende Faktor ist nicht Geld, sondern die in seinem Land verfügbaren produktiven Ressourcen.
Obwohl Defizite und daraus resultierende „Staatsschulden“ per se kein Problem sind, heißt das nicht, dass die Geldschöpfung durch den Staat keine negativen Folgen zeitigen kann. Schöpft der Staat bei voller Kapazitätsauslastung aller produktiven Ressourcen Geld zum Kauf von Gütern, dann wird das zweifellos zu einer Inflation führen, die die Akzeptanz einer Währung zu gefährden vermag. In einer Volkswirtschaft mit hohen Arbeitslosenzahlen, aber ist niemals eine solche volle Kapazitätsauslastung gegeben und da der Staat Geld schöpfen kann, um diese Menschen produktiv zu beschäftigen, gibt es auch keinen Grund, eklatant hohe Arbeitslosenzahlen wie die in EU zu tolerieren.
Eine solide öffentliche Finanzpolitik ist damit im Rahmen einer souveränen Währungsordnung nicht durch einen ausgeglichenen Staatshaushalt definiert, sondern solide ist eine die Finanzpolitik eines Staates, die Vollbeschäftigung und die Akzeptanz der souveränen Währung als allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel sicher stellt.
Währungsunion und Wirtschaftsregierung
Mit dem Eintritt in die Währungsunion haben die daran partizipierenden Länder sich jeder Möglichkeit, ihre heimische Industrie durch geldpolitische Maßnahmen, die zu einer Ab- bzw. Aufwertung ihrer Währung führt, vor internationaler Konkurrenz zu schützen, beraubt. Ganz in Übereinstimmung mit der neoklassischen Wirtschaftsdoktrin wurde mit dem Euro ein Währungsgebiet etabliert, das den Wettbewerb unter Unternehmen grenzüberschreitend fördert.
Die Wirkungen einer Währungsunion für die Wohlfahrt der Menschen lassen sich wie im Zeitraffer am Beispiel der deutsch-deutschen Währungsunion studieren. Die Währungsunion und die damit verbundene Konvertierung von DDR-Mark in BRD-Mark zu politisch fest gesetzten Kursen, wurde im Juni 1990 Wirklichkeit. Im Vergleich zur Industrieproduktion im Jahre 1989 fiel diese in der zweiten Jahreshälfte 1990 auf 50,3 % und reduzierte sich im Laufe des Jahres auf ca. 33%. Die Arbeitslosigkeit betrug im Januar 1990 noch 7440, um dann bis zum September 1990 auf 1 771 576 zu klettern. Die Währungsunion führte zudem zu einer beispiellosen Abwanderung von (ehemaligen) DDR Bürgern in die BRD. Zum Ende des Jahres 2006 wurden in den neuen Bundesländern 1,74 Millionen Menschen weniger gezählt als im Jahre 1989.
Viele südeuropäische Länder zeigen dieselben Symptome. Gefordert wird von vielen Befürwortern einer sozialen EU vor diesem Hintergrund, die Schuldenunion und eine europäische Wirtschaftsregierung. Richtig ist an dieser Forderung, dass Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht voneinander zu trennen sind. Aber ist es realistisch anzunehmen, dass 21 Länder sich auf eine einheitliche Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik verständigen können, die sich an den Interessen der südeuropäischen Länder orientieren und dass darüber hinaus eine solche Politik rechtsstaatlich legitimiert umzusetzen ist?
Darüber hinaus ist es mehr als zweifelhaft, dass die zwischen den Ländern Europas aufgebauten wirtschaftlichen Ungleichgewichte in absehbarer Zeit im Rahmen einer europäischen Gesamtlösung bewältigt werden können. Die Deindustrialisierung vieler europäischer Länder, die inzwischen auch große Industriestaaten wie Frankreich und Italien erreicht hat, aufzuhalten, erfordert eine gigantische Anpassung der Lohnkosten, die nach unten nicht wünschenswert und sowohl nach oben, wie z.B. in Deutschland, als nach unten, wie z.B. in Frankreich, politisch kaum umsetzbar sein dürften.
Es ist Zeit zu erkennen, dass die Länder Europas eine auf ihre Verhältnisse zugeschnittene Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik verfolgen müssen und sich für diese Politik vor ihren Wählern zu verantworten haben, anstatt sich hinter den Vorgaben von europäischen Gremien zu verstecken, die keinerlei politische Legitimierung beanspruchen können. Unabdingbar für den Erfolg einer solchen an den Interessen der Bevölkerung orientierten Politik aber ist, dass die Länder der Euro-Zone wieder über eine souveräne Währung verfügen können, die es ihnen erlaubt, zum Abbau internationaler wirtschaftlicher Ungleichgewichte auch ihre Währung abwerten zu können und den Binnenmarkt durch den Aufbau öffentlich-rechtlicher Unternehmen und mit staatlichen Ausgabeprogrammen ohne volkswirtschaftliche schädliche Steuererhöhungen anzukurbeln.
* Zum Autor: Paul Steinhardt hat nach Abschluss seines Studiums an der London School of Economics bei verschiedenen deutschen Banken und deren Tochtergesellschaften in leitender Funktion gearbeitet. Im Moment ist er mit dem Abschluss seiner Promotion, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Grundbegriffe einer ethisch fokussierten Theorie der Marktwirtschaft zu bestimmen beschäftigt.