Alena Buyx nimmt Impfpflichtempfehlung des sogenannten Ethikrats zurück – vorläufig

13. 01. 2022 | Die ebenso sturmerprobte wie wetterwendische Ethikratsvorsitzende Alena Buyx hat die mehrheitliche Empfehlung einer allgemeinen Impfpflicht durch ihr Gremium zurückgenommen, mit einem äußerst fadenscheinigen Argument. Spätestens jetzt ist der Rat vollends als Absegnungsgremium für geplantes Regierungshandeln enttarnt.

Als die Regierung noch versprach, es werde keine Impfpflicht geben, sagte der Deutsche Ethikrat, es dürfe keine Impfpflicht geben. Als die Regierung sich dazu entschloss, ihr Versprechen zu brechen, und die Nachfolgeregierung in diese Fußstapfen trat, änderte prompt auch der zu Unrecht so genannte Ethikrat seine Mehrheitsmeinung und empfahl kurz vor Weihnachten eine allgemeine Impfpflicht. Das war zu einer Zeit, als die drohende „Omikron-Wand“ in aller Munde war.

Doch nun sieht es so aus, als ob es nichts werden würde mit der allgemeinen Impfpflicht. Und was macht der Ethikrat? Einen Rückzieher natürlich.

Zunächst versuchte Buyx es am  7.1. in einem Beitrag der Berliner Zeitung damit, die auf der Webseite des Rates in großen Lettern plakatierte Impfpflicht-„Empfehlung“ zu einer bloßen Analyse des Für und Wider umzudeklarieren. Das ging schief, und so legte sie nun einen drauf und kassierte im Namen des ganzen Gremiums gleich die Empfehlung, jedenfalls für die nächste Zeit. Die Voraussetzungen seien noch nicht gegeben, insbesondere in Sachen niederschwellige Impfgelegenheiten. Dabei liest man recht wenig von Leuten, die sich impfen lassen wollen, aber keine Gelegenheit finden, das zu tun.

Als das Gremium im Dezember mehrheitlich eine Ausweitung der Impfpflicht von bestimmten Berufsgruppen auf „wesentliche Teile der Bevölkerung“ empfohlen habe, sei diese Stellungnahme „im Kern unter den Bedingungen der Delta-Variante geschrieben“ worden, sagte sie gegenüber dem Spiegel. Wenn sich die Faktenlage in der Pandemie – etwa durch die hochinfektiöse Omikron-Variante – deutlich ändere, müsse man sich auch „normative Einschätzungen, wie man sie getroffen hat, noch einmal neu anschauen“, betonte sie.

Dumm nur, dass die Impfpflichtempfehlung auf der Seite des sogenannten Ethikrats angekündigt wird mit einem ersten Satz, der so beginnt:

„Vor dem Hintergrund ansteckenderer Varianten von SARS-CoV-2 …“

Im Text selbst werden gleich auf der ersten Seite die Unsicherheit und Omikron als Rechtfertigungsgründe dafür angeführt, dass der zu Unrecht so genannte Ethikrat auf Bitten der Regierung seine Meinung zur Impfpflicht geändert hat:

„Nach gegenwärtigem Wissensstand und angesichts neuer Virusvarianten reichen die anfangs ausgerufenen Impfquoten für eine Eindämmung der Pandemie nicht aus. Sie müssen deutlich höher sein. Trotz einer Impfquote von aktuell ca. 70 Prozent der Gesamtbevölkerung stößt das deutsche Gesundheitssystem derzeit vielerorts an seine Grenzen. Virusvarianten wie Omikron und erwartbar weitere Varianten des Virus nötigen Sachverständige dazu, ihre Einschätzungen zum künftigen Pandemieverlauf immer wieder aufs Neue zu revidieren.“

Auch im weiteren Verlauf der Argumentation ist Omikron ein Argument für die Impfpflicht. So etwa hier:

„Auch wenn die aktuelle Notlage, in der sich Deutschland befindet, durch eine gesetzliche Impfpflicht nicht direkt abgewendet werden könne, wird doch ihre Eignung zur Verhinderung künftiger Notlagen betont, etwa mit Blick auf weitere Infektionswellen durch saisonale Abnahme der Immunität und Varianten wie Omikron. Gerade wenn der qualitative Impfschutz sinken sollte, gelte es, den quantitativen Aspekt des Impfschutzes – möglichst hohe Impfquoten – voll auszuschöpfen, auch weil gegenwärtig einige verfügbare antivirale Medikamente (bspw. monoklonale Antikörper) gegen die Omikron-Variante weniger oder nicht zu wirken scheinen.“

Dieses Argument, dass man dringend mehr impfen müsse, wenn die Impfung wenig taugt, wurde in einem früheren Beitrag dieses Blogs bereits aufgespießt. An anderer Stelle ist beim Ethikrat zu lesen:

„Dies erfordert angesichts der hohen Infektiosität der Delta- und wohl noch mehr der Omikron-Variante zwingend eine sehr hohe Impfquote in der Gesamtbevölkerung.“

Solche nachrangigen Probleme in der Konsistenz der Argumente müssen hinter der Notwendigkeit für die Regierungsethik-Experten zurückstehen, „ihre Einschätzung immer wieder zu revidieren“, wenn die Auftraggeber in der Regierung um eine neue Einschätzung bitten.

Da noch nicht klar ist, ob es nicht vielleicht doch politisch noch etwas werden kann mit der allgemeinen Impfpflicht, hat Frau Buyx ihren Rat und die Regierung in die komfortable Situation gebracht, jederzeit die Impfpflichtempfehlung wieder gültig stempeln zu können. Ein paar Berichte in den Medien über zusätzliche niederschwellige Impfangebote – eines in einem sozialen Brennpunkt in Köln, ein anderes in einem Einkaufszentrum in Hamburg und noch eines in Jugendzentren in Berlin – sollten genügen, um zu sagen: Die Voraussetzungen sind jetzt erfüllt.

DPA hilft dem Ethikrat mit Vernebelung

In der Meldung der führenden Nachrichtenagentur dpa, den viele Medien weiterverbreiteten, wird ein irreführender Kontext zu den Mehrheitsverhältnissen im sogenannten Ethikrat bei der jüngsten Impfpflichtempfehlung gegeben. Das hilft, das mutmaßlich unethische Vorgehen der Vorsitzenden zu verschleiern. Bei dpa heißt es:

„Von den derzeit 24 Ethikrat-Mitgliedern hatten sich Ende Dezember 20 für eine Ausweitung der Impfpflicht ausgesprochen und 4 dagegen. Zum Umfang der Ausweitung gab es unterschiedliche Auffassungen: So befürworten 13 der 20, die dafür sind, eine Ausweitung der Impfpflicht auf alle Erwachsenen, die sich impfen lassen könnten. 7 waren dafür, dies auf Corona-Risikogruppen wie Ältere oder Vorerkrankte zu beschränken.“

Tatsächlich heißt es im Text der Impfempfehlung aber:

„Sieben von 20 Mitgliedern des Deutschen Ethikrates halten eine Ausweitung der bestehenden einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Sinne einer nach dem jeweiligen Risiko differenzierten Impfpflicht für sinnvoll … Dreizehn von 20 Mitgliedern des Deutschen Ethikrates befürworten die Ausweitung der bisher schon gesetzlich verankerten Impfpflicht zu einer allgemeinen Impfpflicht, … „.

Buyx hatte den Rat einfach auf 20 Mitglieder reduziert und so mit 13 Stimmen eine scheinbar deutliche Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht vorgetäuscht, die es nicht gab. Die vier übrigen Mitglieder scheinen sich laut ihrer Protestnote in der FAZ nicht an der Abstimmung beteiligt zu haben.

Mehr

Dossier zum sogenannten Ethikrat und seiner Vorsitzenden

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