16. 11. 2019 | Neues von der G30, dem internationalen Club zur Verquickung der Interessen wichtiger Notenbanker und der internationalen Finanzbranche: Mario Draghi ist nicht mehr Mitglied und der Club hat ein Papier mit Empfehlungen für die Rentenpolitik veröffentlicht, das vor allem den Interessen der Anlagebranche dient.
Gerade erst hat Mario Draghi seinen Platz an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) geräumt, schon ist er nicht mehr Mitglied der G30-Gruppe in Washington. Und das, nachdem er trotz einer Aufforderung der EU-Bürgerbeauftragten von Januar 2018, sich wegen drohender Interessenverquickung aus der G30 zurückzuziehen, auf seiner Mitgliedschaft beharrt hatte. Die G30 betont zwar, Mitglieder seien in rein persönlicher Kapazität dort, und nicht für ihre Institutionen. Die EZB und Draghi betonten aber gegenüber der Bürgerbeauftragten, es sei für die EZB als Institution sehr wichtig, ein Mitglied in diese Gruppe zu entsenden, um den Kontakt mit der internationalen Finanzbranche zu pflegen.
Gehen wir also davon aus, dass Draghi und die anderen Notenbanker für ihre Institutionen dort sind. Das ist an sich schon problematisch. Die G30 ist ein Club von meist etwas über 30 hochkarätigen Finanzleuten, mit einem Schwergewicht auf Notenbankern, die vorher im privaten Sektor gearbeitet haben, und Topmanagern privater Finanzinstitute, die früher Notenbanker waren. Ein paar Wissenschaftler und Ex-Politiker kommen hinzu. Es besteht laut EU-Bürgerbeauftragter die akute Gefahr, dass Vertreter kommerzieller Finanzkonzerne Insiderinformationen von Notenbankern erhalten, und dass die Interessen der im öffentlichen und im privaten Interesse handelnden Institutionen auf intransparente Weise verquickt werden.
Die G30 über sich selbst auf der Startseite ihrer Website (Fettung im Original):
„The Group of Thirty aims to deepen understanding of international economic and financial issues, and to explore the international repercussions of decisions taken in the public and private sectors. The Group is characterized by its knowledge of the past and broad-minded, forward thinking.
Aktive Notenbanker diskutieren also mit ausgewählten Repräsentanten der kommerziellen Finanzbranche die Auswirkungen von Entscheidungen, die sie treffen könnten oder getroffen haben. Das ist für mein Verständnis recht nahe an der Korruption, wenn diese Notenbanker nachher mehrheitlich in der privaten Finanzbranche Millionen verdienen.
Besonders problematisch wird es, wenn mit dem Logo der G30 und dem Renommee seiner illustren Mitglieder Politikempfehlungen veröffentlicht werden, die wie Lobbypapiere für die kommerzielle Geldanlagebranche wirken. Nicht zum ersten Male ist das gerade wieder geschehen.
Notenbanker und Finanzmanager machen Rentenpolitik
„Fixing the Pension Crisis“, die Rentenkrise bewältigen, heißt das neue Policy Paper der G30. Ausgearbeitet hat ihn eine sechsköpfige Arbeitsgruppe, die von ehemaligen Notenbankern dominiert wird, die heute ihre Kenntnisse und ihr Adressbuch in der Anlagebranche versilbern. Vertreten sind Topmanager der weltgrößten Kapitalanlagegesellschaft Blackrock (Philipp Hildebrand, ehem. Schweizerische Nationalbank), der Großbanken und Vermögensverwalter UBS (Axel Weber, ehem. Bundesbank), BBVA (Jaime Caruana, ehem. Bank von Spanien und BIZ) und Santander (Guillermo de la Dehesa, ehem. Bank von Spanien), sowie ein ehemaliger japanischer Notenbankchef, der heute in der Führung des Notenbankinstituts Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) aktiv ist. Außerdem dabei ein Nicht-G30-Mitglied, John Heimann, der als ehemaliger US-Comptroller of the Currency vorgestellt wird, obwohl er dieses Amt nur kurz bis 1981 ausübte. Danach war er noch Gründungspartner von Warburg Pinkus und Spitzenmanager von Investmentbanken. Heute ist der 90-jährige noch Direktor (Aufsichtsratsmitglied) einer Vielzahl von Finanzinstituten.
Bemerkenswert ist, dass die Empfehlungen in Wir-Form geschrieben sind („Wir müssen …“), so als seien die Top-Manager internationaler Finanzkonzerne für die Rentenpolitik im öffentlichen Interesse zuständig. Sie wären es gerne, statt dieser unvernünftigen Volksvertreter, wie man an der letzten Empfehlung unten ablesen kann.
Die Empfehlungen, mit denen diese Arbeitsgruppe, mit dem Segen und der Publicity-Power der G30 an die Öffentlichkeit geht, lesen sich wie eine Wunschliste der Kapitalanlagebranche. Darunter:
- – Erhöhung des Renteneintrittsalters
- – Staatlicher Zwang zum privaten Sparen und Vorsorgen
- – Teilweiser Übergang von festen Rentenzusagen zu lediglich zugesagten Rentenbeiträgen
- – Subvention für Arbeitgeber, die kapitalgedeckte Betriebsrenten anbieten
- – Deregulierung der Anlagepolitik privater Pensionsfonds
- – Mehr Finanzbildung, die „den Zugang der Sparer zu Anbietern, Produkten und Beratung verbessert“.
- – Betonung der Finanzknappheit durch die Politik und Angehen gegen die Einstellung in der Bevölkerung, man habe Anspruch auf Alterssicherung. (Als abschreckendes Beispiel wird Deutschland genannt.)
- – „Depolitisierung“ der Rentenpolitik, unter anderem durch Einrichtung einer unabhängigen Stelle mit Entscheidungsbefugnis, die wichtige Größen wie das Rentenalter festlegt und Reformen konzipiert.
Seit der Aufforderung der EU-Bürgerbeauftragten an Draghi, die G30 zu verlassen, tragen diese G30-Berichte einen nicht mehr ganz so klein gedruckten Disclaimer auf der zweiten Seite, dass sie nicht notwendiger Weise die Sichtweise von allen G30-Mitgliedern wiedergeben. Das ist allerdings erkennbar nur pro forma. In den Medien werden diese Berichte – so auch diesmal – fast ausnahmslos als G30-Berichte bezeichnet, wozu auch dadurch eingeladen wird, dass auf dem Deckblatt die G30 als alleiniger Herausgeber steht und die G30-Vorsitzenden sich den Bericht im Vorwort für die Gruppe zu Eigen machen.
Stiller Abritt Draghis
Es ist vielsagend, dass die G30 zwar regelmäßig Newsletter verschickt, mit Kurzfassungen und Links zu dem, was ihre Mitglieder irgendwo gesagt haben. Aber über Abtritte und Zugänge bei der Mitgliedschaft informieren sie nicht. Man will wohl den Neumitgliedern und manchmal den Ausscheidenden die öffentliche Aufmerksamkeit und Diskussion über diesen Schritt ersparen. So wird man wohl regelmäßig auf die Website der von den Rockefellers gegründeten Organisation schauen müssen, um zu sehen, ob Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde Mitglied geworden ist.
Der Abtritt von Draghi so schnell nach seinem Amtsende bei der EZB kann zweierlei bedeuten. Entweder er macht seinen Sitz frei für Lagarde. Oder er und die EZB nutzen damit die erste Gelegenheit, das unrühmliche G30-Kapitel zu beenden, ohne der EU-Bürgerbeauftragten Recht geben zu müssen. Denn wenn Draghi damals durch seinen Austritt eingeräumt hätte, dass die Kungelrunden hinter geschlossenen von führenden Zentralbankern mit führenden internationalen Geschäftsbankern Interessenkonflikten und Korruption Tür und Tor öffnen, hätte das wohl bewirkt, dass auch andere G30-Mitglieder, wie etwa der britische Notenbankchef, Mark Carney, unter Druck gekommen wären, die G30 zu verlassen. Entweder Frau Lagarde wird demnächst Mitglied, oder die zweite Interpretation dürfte zutreffen. Ich tippe auf letzteres, auch weil seit dem Votum der EU-Bürgerbeauftragten die nichtkommerziellen Mitglieder der G30 erkennbar mehr geworden sind. Dann hätte die Intervention der Bürgerbeauftragten immerhin zu etwas weniger Machtmissbrauch und Kungelei politisch unabhängiger Notenbanker geführt.
Mario Draghi, die G30 und das sonderbare Schweigen der britischen Presse zu Mark Carney … (Rüge der EU-Bürgerbeauftragten)