Studenten rebellieren gegen falsche Darstellung des Bankwesens in den Ökonomie-Lehrbüchern

Mit einem Brief an die Volkswirtschaftsprofessoren ihrer jeweiligen Universitäten haben die Mitglieder des internationalen Studentennetzwerks „Rethinking Economics“ und des deutschen „Netzwerk Plurale Ökonomik“ deutlich gemacht, dass sie nicht länger akzeptieren wollen, dass die meisten Lehrbücher die Rolle der Banken nachweislich falsch darstellen.

Der Brief ist so gut geschrieben, dass ich ihm kaum etwas hinzufügen kann. Hier deshalb erst einmal nur meine deutsche Übersetzung der ersten Absätze des Briefs von Rethinking Economics:

„„Banken und ihre Rolle bei der Schaffung von Geld sind ein wichtiger Bestandteil unserer modernen, finanzialisierten Volkswirtschaften. Trotzdem bekommen VWL-Studenten nur ein unvollkommenes Bild davon vermittelt. Da Sie diejenigen sind, die die nächste Generation von Ökonomen formen, ist es essentiell, dass Sie die Lehre über die Rolle der Banken in VWL-Kursen überprüfen und sie in Einklang mit dem aktuellen Forschungsstand bringen. VWL-Absolventen müssen verstehen können, wie Banken in der wirklichen Welt funktionieren, um Krisen wie in der Vergangenheit zu vermeiden und in Zukunft besser funktionierende Volkswirtschaften zu schaffen.

Was derzeit gelehrt wird

VWL-Lehrbücher in der ganzen Welt lehren die Studenten immer noch ein Modell des Geldsystems, in dem Geschäftsbanken als Vermittler dargestellt werden, die nur schon bestehendes Geld innerhalb des Systems hin und her bewegen, wie Schmiermittel in einer Maschine. Viele VWL-Kurse stützen sich auf die Modelle in diesen Lehrbüchern, ohne Rücksicht auf die empirischen Nachweise, die diesen Modellen widersprechen.

 Wie wird Geld geschaffen?

Wie die Bank von England, die Bundesbank und viele Wirtschaftsforscher nachgewiesen haben, sind Banken keine Vermittler, die schon bestehende Geldmittel von Sparern zu Kreditnehmern lenken. Geschäftsbanken schaffen das Gros des Geldes, das sich im Umlauf befindet. Anders als andere Finanzinstitutionen schaffen sie Geld, wenn sie Kredit geben. Sie verleihen nicht bestehende Geldmittel, die sich auf einem anderen Konto befinden, sondern sie schaffen das Geld, indem sie es dem Konto des Kreditnehmers gutschreiben. Deshalb ist die Kreditvergabe der Banken nicht begrenzt von der verfügbaren Menge existierender Geldmittel (also Ersparnisse), oder dem Umfang der Bankguthaben bei der Zentralbank, sondern von der Kreditnachfrage, von Profitabilitätserwägungen und der Finanzregulierung. Die Realität bestätigt die Theorie der Geldschaffung durch Kredit beziehungsweise der Theorie des endogenen Geldes, die in den meisten gegenwärtigen VWL-Kursen und Lehrbüchern nicht gelehrt werden.

Geschäftsbanken bestimmen auch, wohin das Geld in der Wirtschaft geht. Etwa 80% des neuen geschaffenen Geldes in Ländern wie den USA oder Großbritannien (auch Deutschland; N:H.) fließt in bereits existierende Vermögenswerte und die Finanzmärkte, und nicht in die produzierende Wirtschaft. Das führt zu stark steigenden Haus- und Grundstückspreisen und der daraus resultierenden Krise unerschwinglichen Wohnens. …“

Der etwas längere Brief von Netzwerk Plurale Ökonomik zitiert Aussagen von Zentralbanken wie diese von der Bank von England:

„„Die Geldschöpfung in der realen Welt unterscheidet sich von manchen poplären Fehldeutungen – Banken agieren weder einfach als Intermediäre, die Einlagen weitergeben, die Sparer bei ihnen einzahlen, noch ‚multiplizieren‘ sie Zentralbankgeld um neue Kredite oder Einlagen zu schaffen. (…) Immer wenn eine Bank einen Kredit vergibt, schafft sie damit eine gleich hohe Einlage auf dem Bankkonto des Kreditnehmers. Damit schafft sie neues Geld.“

Dem stellen die Studentinnen und Studenten gegensätzliche und falsche Aussagen von führenden Lehrbüchern gegenüber, wie diese aus dem Lehrbuch von Mishkin, aus – man glaubt es kaum – dem Jahr 2016:

„„Ein Finanzintermediär leiht sich Geld von Geldgebern/Sparern und verwendet dieses Geld um Kredite an Kreditnehmer zu vergeben, die das Geld ausgeben. Im Endergebnis wird das Geld von den Kreditgebern/Sparern zu den Kreditnehmern transferiert, mithilfe des Finanzintermediärs (der Bank).“

Oder dieses, aus dem Lehrbuch des MIT-Wunderkinds Daron Acemoglu, der ansonsten oft sehr kluge Sachen schreibt:

„“Stellen Sie es sich so vor: wenn Sie Ihr Geld auf Ihr Bankkonto einzahlen, wissen Sie nicht, wer es am Ende nutzen wird. Die Bank poolt alle Einlagen und nutzt diesen Geldpool um viele verschiedene Arten von Krediten zu vergeben.”

Die schwerwiegenden Konsequenzen dieser falschen Lehren zeigen die Studentinnen und Studenten von Rethinking Economics an verschiedenen Beispielen, darunter:

„“Ein Bespiel ist die Fehldeutung, dass man, um die Investitionen zu vermehren, zunächst einmal die Leute dazu bringen muss, zu sparen. Eine andere Fehleinschätzung, die befördert wird, ist, dass Geld ein knappes Gut ist und dass öffentliche Investitionen immer private Investitionen verdrängen.

Außerdem war ein wichtiger Treiber der globalen Finanzkrise von 2008 die starke Vermehrung von Schulden und Krediten durch den privaten Sektor, weil Banken Rekordsummen an Krediten an die Immobilien- und Finanzmärkte vergaben. Der Crash wurde von den meisten Universitätsökonomen nicht vorhergesehen, was in nicht geringem Maße an blinden Flecken bezüglich der Macht der Banken zur Geldschaffung und ihrem Einfluss auf die Gesamtwirtschaft lag.“

Mehr zum Thema:

Ausführlicher erklärt und diskutiert habe ich das Wesen des Geldes in unserem Bankensystem und die Folgen für die 99% in dem Vierteiler “Über das Geld”.

Eine allgemeine Analyse der fragwürdigen Inhalte führender Lehrbücher und Hinweise auf vorhandene bessere Lehrbücher bietet Helge Peukerts Buch: „Makroökonomische Lehrbücher: Wissenschaft oder Ideologie“ (Metropolis 2018).

[10.11.2019]

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