Aus Rostock mit Gruß von George Orwell: Tagesschau ersetzt Bericht zum Nato-Stützpunkt durch Bericht zum Bundeswehr-Stützpunkt

25. 10. 2024 | Am 21. Oktober berichtete die Tagesschau über einen neuen Stützpunkt der Nato zur Ostseeüberwachung in Rostock. Dann gab es eine größere Diskussion darüber, dass das dem Zwei-plus-Vier-Vertrag widerspreche. Was der zuständige ARD-Sender NDR daraufhin tat, wirkt wie direkt aus George Orwells „1984“ abgeschaut.

Im Roman „1984“ von George Orwell übt eine Einheitspartei die totale Herrschaft über Ozeanien aus und kontrolliert ihre Bürger vollständig. Die Vergangenheit und die Gegenwart wird beständig umgeschrieben. Mal ist man mit Eurasien im Krieg und mit Ostasien verbündet, mal umgekehrt. Immer wenn sich das ändert, werden die Zeitungen und Archive umgeschrieben, sodass es immer schon so war. Das Gleiche passiert, wenn Personen des öffentlichen Lebens in Ungnade fallen, sodass sie entweder getilgt oder ihre Geschichten umgeschrieben werden müssen. An dieser Vorlage scheint sich die ARD zunehmend ein Bespiel zu nehmen.

Am 21. Oktober wurde in Rostock ein Militärstützpunkt zur Überwachung der Ostsee eröffnet. Tagesschau.de berichtete um 13.55 Uhr, die Fernseh-Tagesschau in der 14-Uhr-Ausgabe. Auf Tagesschau.de war zu lesen,

  • „Die Deutsche Marine übernimmt in der Ostsee eine Führungsrolle im Auftrag der NATO.“
  • „Mit der neuen Zentrale will die NATO die Verteidigungsbereitschaft in der Ostsee-Region stärken“

Und in den 14 Uhr-Nachrichten, laut beigefügtem Audio-Player:

  • „Schon 2017 hatte die Nato beschlossen, ständige maritime Hauptquartiere in verschiedenen Regionen der Welt einzurichten.“

In einem Vorbericht des ARD-Senders MDR vom 20.10. heißt es sogar in der Überschrift: „Neues taktisches Hauptquartier für NATO wird in Rostock eingeweiht“. Und im Vorspann: „Von Rostock aus sollen künftig die Marineaktivitäten der NATO auf der Ostsee koordiniert werden.“ Der frühe Bericht der Tagesschau und der Vorbericht des MDR basieren erkennbar auf einer Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums vom 15. Oktober, in der der Termin angekündigt und Informationen darüber gegeben werden.

Darin schreibt das Ministerium, Pistorius weihe ein „neues maritimes taktisches Hauptquartier für die NATO ein“. Die Deutsche Marine habe „für die Nato“ eine Führungsrolle übernommen. Außerdem gibt es den Redaktionen den Hinweis, dass die Nato „in der Anpassung ihrer Führungsstruktur seit 2017 unter anderem auch die Aufstellung von ständigen maritimen Hauptquartieren auf der sogenannten obersten taktischen Ebene entschieden“ habe.

Doch dann begab es sich in Ozeanien, dass die fünfte Kolonne Eurasiens, die sogenannten Putinfreunde, auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den Siegermächten und den beiden deutschen Staaten hinwiesen, der die Stationierung ausländischer Truppen in Ostdeutschland ausdrücklich verbietet, sodass ein Nato-Stützpunkt in Rostock völkerrechtswidrig wäre.

(Nato-)Kommando zurück

In der Tagesschau um 20 Uhr, die nachträglich in den Artikel per Video-Player eingebettet wurde, hatte man schon eine Antwort darauf: Dort heißt es zwar zu Beginn noch, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius aus Berlin anreise, um die „neue Kommando-Einheit der Nato in Rostock zu eröffnen.“ Dann kommt aber gleich der Nebensatz: „Wobei er sofort eines klarstellt: (O-Ton Pistorius) „Keine Nato-Truppen werden hier stationiert. Es ist ein multinationales Task Commander und nicht mehr und nicht weniger, und wir arbeiten mit der Nato zusammen, das ist aber auch schon alles.“ Man lernt dann noch, dass die Führung alle vier Jahre rotieren werde. Auch Schweden und Polen würden sie künftig übernehmen. Nur die ersten vier Jahre ist demnach ein deutscher Offizier Kommandant des Stützpunkts.

Jetzt passte aber die Berichterstattung vom frühen Nachmittag nicht mehr zum abendlichen Bericht und zur bevorzugten neuen Sprachregelung des Verteidigungsministers, dessen Presseleuten die Zwei-plus-Vier-Problematik zuvor offenkundig entgangen war. Eine transparente „Korrektur“ des Tagesschau-Berichts schied aus, weil die Begründungen dafür, warum man zuerst von Nato-Stützpunkt in vielen Facetten geschrieben hatte, und das dann tilgte, hochnotpeinlich für den Sender und die Regierung wären. Schließlich hatte man sich ja eng an der Pressemitteilung der Regierung orientiert. Mit heimlichen nachträglichen Änderungen von Artikeln war man in letzter Zeit ein paar Mal aufgeflogen und hatte dabei eine schlechte Figur gemacht. Und so bediente sich der Sender im Instrumentenkasten aus „1984“. Der alte Artikel wurde ins Nirwana der tiefen ARD-Seiten verschoben und durch einen neuen ersetzt, der am nächsten Tag, dem 22. Oktober, um 6.33 Uhr online ging.

Der Video-Player mit der Tagesschau von 20 Uhr wurde auch in den neuen Bericht eingebettet, der Audio-Player mit der Tagesschau von 14 Uhr nicht. Im neuen Beitrag, der von exakt dem gleichen Ereignis handelt wie der Vortagesbericht, spielt die Nato keine aktive Rolle mehr, nur noch Nato-Staaten und Nato-Partner. Aus „Im Auftrag der Nato“ im Vorspann des Artikels wurde „Im Austausch mit Nato-Partnern“. Aus dem „Schutz der Nato-Interessen“ als Aufgabe wurde die „Überwachung des Ostseeraums“.

Fakten werden weggecheckt

Damit nicht genug, schickte der für die Tagesschau zuständige ARD-Sender NDR am Folgetag, dem 23. Oktober noch einen sogenannten Faktencheck hinterher, der die Umschreibung der Geschichte in die neue Sprachregelung vervollständigte. Zwischenzeitlich hatte sich auch Moskau lautstark über einen mutmaßlichen Vertragsbruch beschwert. Die Überschrift lautete: „Maritimes Hauptquartier in Rostock: Experten weisen Kritik aus Russland zurück“. Ein Auszug:

„Der Standort verstoße gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der eine Stationierung von NATO-Truppen in Ostdeutschland verbiete, hieß es aus Moskau. (…)  Tatsächlich handelt es sich bei der Einrichtung jedoch nicht um ein NATO-Hauptquartier. Laut Sebastian Bruns, Experte für maritime Sicherheit und Strategie an der Universität Kiel, wird dieses häufig missverstanden: „Es handelt sich eben nicht um ein NATO-Kommando oder gar ein NATO-Hauptquartier, sondern es ist ein Stab der Deutschen Marine, dessen Ergebnisse der NATO angeboten werden.“ Bruns betont im Gespräch mit NDR MV, dass internationale Offiziere – etwa aus Polen, Schweden und Finnland – zwar dort tätig seien, aber keine NATO-Streitkräfte in Rostock stationiert werden.“

Der frühe Tagesschau-Bericht und der MDR-Bericht wären demzufolge falsch. Auch der Ausdruck „Kommando-Einheit der Nato“ in der 20-Uhr-Tagesschau wäre falsch. Korrekturen sucht man auf der einschlägigen Seite der Tagesschau aber vergebens. Erstaunlich an der neuen Wahrheit ist, dass ein Stab der Deutschen Marine in Deutschland nur zwischenzeitlich von einem deutschen Offizier geleitet werden soll, danach von Offizieren aus anderen Nato-Staaten. Dass „internationale Offiziere“ aus (ausschließlich) Nato-Staaten keine Nato-Streitkräfte sind, kann man behaupten, muss das aber wohl nicht ernst meinen.

Der sogenannte Faktencheck des NDR wartet aber nicht nur mit eigenwilligen Interpretationen auf, sondern auch mit sehr eigenen „Fakten“. Dort wird behauptet:

„In Artikel 5 des Vertrags heißt es, dass bis zum Abzug der sowjetischen Truppen keine ausländischen Streitkräfte in Ostdeutschland stationiert werden dürfen. Dieser Abzug war jedoch bereits 1994 abgeschlossen, und der Vertrag sieht nach dieser Frist keine dauerhafte Beschränkung vor. „Ich empfehle allen, den Zwei-plus-Vier-Vertrag selbst zu lesen“, so Bruns zu NDR MV. „Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen gibt es keine Verpflichtung mehr, die Stationierung ausländischer Kräfte grundsätzlich zu verbieten. Deutschland hat sich aus Rücksicht auf Russland viele Jahre daran gehalten, aber rechtlich ist dieses Verbot nach 30 Jahren nicht mehr bindend.““

Alles also ein großer Irrtum, und diejenigen, die eine Verletzung des Zwei-plus-Vier-Vertrags für denkbar halten, ziemlich blöd? Ganz und gar nicht. Folgt man nämlich Bruns Empfehlung, den Vertrag zu lesen, findet man, was nach korrekter Wiedergabe von Absatz 1 des Artikel 5 unterschlagen wird, nämlich dessen Absatz 3 über die Zeit nach Abzug der russischen Truppen. Dort heißt es:

„Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“

Der Herr Experte Bruns und der NDR müssen uns für ganz schön blöd halten und sich ganz schön sicher fühlen. Wir sind aber (noch) nicht in Ozeanien von 1984, auch wenn es sich zunehmend so anfühlt. Noch kann man in Archiven so etwas wie die historische Wahrheit und die Originaltexte der Vergangenheit finden. Es wird aber noch sonderbarer: Im eingebetteten Video des NDR-Interviews mit dem Experten Bruns erklärt der Moderator erst:

„Also, sinngemäß steht in diesem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 drin, dass auf dem Gebiet der ehemaligen DDR keine Nato-Truppen stationiert werden, und zwar bis 1994, also bis zum Abzug der Sowjettruppen.“ Dann fragt er treudoof: „Verstößt diese Einrichtung in Rostock jetzt gegen diesen Vertrag?“

Obwohl sich nach der Vorrede des Moderators die Antwort mehr als aufdrängt, dass ein Verbot, das nur bis 1994 galt, 2024 nichts mehr verbieten kann, nimmt Bruns diesen Aspekt nicht auf, sondern bemüht Spitzfindigkeiten: Es sei ein Hauptquartier der deutschen Marine und es seien so wenige (ausländische) Soldaten dort, dass man das nicht als Truppenstationierung bezeichnen könne. Das Interview geht weiter, aber das Bruns im geschriebenen Bericht zugeschriebene Zitat, wonach es nach 1994 kein Stationierungsverbot mehr gebe, fehlt. Hat Bruns diese Aussage vielleicht zurückgenommen und man hat sie den Moderator treffen lassen, um nicht darauf verzichten zu müssen? War die entsprechende Passage aus einem anderen Grund nicht sendefähig und die entsprechende Aussage wurde nachträglich in die Vorrede gepackt? Etwas ist faul: Wenn Bruns so gefragt worden wäre, wie es sich den Zuschauern der NDR-Sendung darstellt, und er gleichzeitig die These von der Gültigkeit des Verbots nur bis 1994 vertreten würde, hätte er anders geantwortet.

Jedenfalls ist die These falsch und der Moderator baut noch den weiteren Fehler ein, dass er von einem Verbot von „Nato-Truppen“ spricht. Tatsächlich bezieht sich das Verbot jedoch auf alle ausländischen Streitkräfte, was den spitzfindigen Verweis darauf, es handele sich nur um internationale Offiziere, nicht um solche der Nato, ins Leere laufen lässt.

Für den Fall, dass all diese Argumente nicht schlagen, hat man noch eines mit ganz viel Chuzpe im Ärmel. Historiker Bernhard Blumenau von der Universität St. Andrews darf darauf hinweisen, dass der Vertrag im historischen Kontext gesehen werden müsse: „Damals ging es um Sicherheitsgarantien für die UdSSR. Heute verläuft die NATO-Grenze viel weiter östlich.“ Die Tatsache, dass die Nato das damalige Versprechen an die Sowjetunion gebrochen hat, sich nicht nach Osten auszudehnen, gibt nun die Rechtfertigung dafür ab, den völkerrechtlich verbindlichen Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht einzuhalten.

In Fragen-und-Antworten zum Zwei-plus-Vier-Vertrag wiederholt der Sender noch einmal ohne Quelle die irreführende Behauptung, ausländische „Truppen“ (im Vertrag „Streitkräfte“) dürften nur bis 1994 nicht in Ostdeutschland stationiert werden. Dann wird festgestellt, die internationalen Marineoffiziere arbeiteten zwar in Rostock, seien dort aber „nicht als dauerhafte Streitkräfte stationiert“. Das verstehe wer will. Der Vertrag verbiete nur die Stationierung ausländischer Streitkräfte (also doch?!), nicht die Zusammenarbeit mit internationalen Offizieren.

Mit Journalismus hat diese unhinterfragte Darstellung von Spitzfindigkeiten der Regierung als „Fakten“ nicht mehr das Geringste zu tun. Das ist Pressearbeit für die Regierung.

Fazit

Dies ist ein Musterbeispiel von extremer Staatsnähe und journalistischer Prinzipienlosigkeit der ARD. Zuerst wird eng entlang der Verlautbarung der Regierung berichtet. Als diese dann wegen des Vorwurfs der Vertragsverletzung ihre Sprachregelung ändert, wird der alte Bericht ohne Offenlegung oder Korrektur durch einen neuen ersetzt, der sich aufs Engste an der neuen Sprachregelung der Regierung orientiert. Und schließlich werden auch noch die letzten historischen Fakten weggecheckt, bis hin zur Beleidigung des gesunden Menschenverstands der Zuschauer.

Fortsetzung

Anhang

Weil mindestens einer der Beiträge irgendwann verschwinden dürfte, dokumentiere ich hier die vollständigen Texte:

Erster Text, abgerufen am 24.10.2024, 14 Uhr von https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundeswehr-hauptquartier-rostock-100.html

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Kommando in Rostock
Neues Hauptquartier als Signal an Russland

Stand: 21.10.2024 13:55 Uhr

Die Deutsche Marine übernimmt in der Ostsee eine Führungsrolle im Auftrag der NATO. Dazu eröffnete Verteidigungsminister Pistorius in Rostock ein neues Hauptquartier. Es ist auch ein Signal Richtung Russland.Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat in Rostock das neue taktische Hauptquartier der Bundeswehr für die Überwachung des Ostseeraums eingeweiht. Mit der neuen Zentrale will die die NATO die Verteidigungsbereitschaft in der Ostsee-Region stärken. Deutschland, das in der NATO die größte Marine in der Ostsee stellt, übernahm die regionale Führungsrolle bereits zum 1. Oktober.

Player: video 2 Min
Hauptquartier zur Überwachung des Ostseeraums in Rostock eingeweiht
Michaela May, NDR, tagesschau, 21.10.2024 20:00 Uhr

Das regionale Hauptquartier trägt den Namen CTF Baltic, was für „Commander Task Force Baltic“ steht. Von dem Standort aus sollen die Seestreitkräfte der NATO-Staaten sowohl in Friedenszeiten als auch in einem möglichen Krisen- und Konfliktfall geführt sowie maritime Operationen und Übungsvorhaben geplant werden. Des Weiteren soll von dem Hauptquartier aus rund um die Uhr ein Lagebild über den militärischen und zivilen Schiffsverkehr auf der Ostsee erstellt werden.Neben Deutschland sind noch elf weitere Nationen personell an CTF Baltic beteiligt: Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen und Schweden. In Friedenszeiten sind in dem Quartier 60 Dienstposten zu besetzen, bei einer möglichen Krise kann der Stab auf bis zu 240 Dienstposten aufgestockt werden. Das Hauptquartier wird durch einen deutschen Admiral geführt, dem ein polnischer Admiral als Stellvertreter zur Seite steht.

Pistorius warnt vor russischer Bedrohung

Obwohl das neue taktische Hauptquartier keine direkte Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist, bezog sich Verteidigungsminister Pistorius bei der Eröffnung klar auf eine mögliche Bedrohung durch Russland. CTF Baltic werde eine „entscheidende Rolle beim Schutz der Interessen der NATO-Staaten gegen Aggressionen spielen – insbesondere angesichts der Nähe zu Russland“, sagte der SPD-Politiker.Es seien mittlerweile fast 1.000 Tage seit der russischen Invasion in der Ukraine vergangen, und es sei klar, dass sich der Krieg für den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht nur gegen die Ukraine richte. „Sein wirklicher Feind ist unsere freie, unabhängige und demokratische Lebensweise“, betonte Pistorius weiter.

Ostsee von acht NATO-Ländern umgeben

Im Ostseeraum stehen sich die NATO und Russland unmittelbar gegenüber. Regelmäßig kommt es hier zu Zwischenfällen, etwa durch den Überflug russischer Flugzeuge, die ohne Transponder-Kennung oder Flugplan-Anmeldung über der Ostsee unterwegs sind. Seit dem NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens haben die Spannungen noch zugenommen. Nun ist die Ostsee von acht NATO-Ländern umschlossen.Die Sicherheit im baltischen Raum sei untrennbar mit der Sicherheit des gesamten Europas verbunden, sagte Pistorius. Gleichzeitig hob er hervor, dass sich die „russische Aggression“ unterschiedlich manifestiere, etwa in Form von hybriden oder Cyberangriffen. Derartige Attacken sollten „die Trennlinie zwischen Krieg und Frieden verwischen“, sagte er. „Sie zielen darauf ab, die europäische Sicherheit zu destabilisieren, das Vertrauen zu untergraben und Einfluss zu gewinnen.“ Pistorius forderte: „Wir müssen sicherstellen, dass Putin damit nicht durchkommt. Wir müssen uns verteidigen und alles tun, um unsere Partner an der Ostflanke der NATO zu unterstützen.“

Player: audio
Taktisches HQ CTF-Baltic wird in Rostock eröffnet
Bernd Kalauch, NDR, tagesschau, 21.10.2024 14:06 Uhr

„Schon 2017 hatte die Nato beschlossen, ständige maritime Hauptquartiere in verschiedenen Regionen der Welt einzurichten. Sie sollen das maritime Lagebild überwachen und die maritimen Aktivitäten der Verbündeten im Seegebiet koordinieren. Im neuen CTF Baltic sind neben Deutschland auch Dänemark, Estland,  Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, die Niederlande, Polen und Schweden vertreten, die Führung der Soldatinnen und Soldaten aus 12 Nationen übernimmt zunächst ein deutscher Admiral, so das Bundesverteidigungsministerium. Rostocks Oberbürgermeisterin …“

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Text des Folgetags, abgerufen am 24.10.2024, 14 Uhr von https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/marinehauptquartier-rostock-nato-100.html

Neues Marinehauptquartier
Deutschlands Führungsrolle im Ostseeraum
Stand: 22.10.2024 06:33 Uhr

In Rostock wurde das neue taktische Marinehauptquartier eingeweiht: Die „Commander Task Force Baltic“ soll im Austausch mit NATO-Partnern den Ostseeraum überwachen. Das ist herausfordernd, aber enorm wichtig.
Von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat das neue taktische Hauptquartier der Marine in Rostock eingeweiht: die „Commander Task Force Baltic“. Das Kommando ist für die Überwachung des Ostseeraums zuständig und soll Informationen mit den NATO-Partnern austauschen. Die bis zu 180 Soldatinnen und Soldaten erstellen ein Lagebild für eine Fläche von mehr als 400.000 Quadratkilometern.Als eine Blaskapelle der Marine spielt, stellt der Minister fest: „With a little help from my friends. I think this song couldn’t have been chosen better.“ Für Pistorius hätte es kein passenderes Lied gegeben: „Mit ein wenig Hilfe von meinen Freunden.“

Player: video 2 Min
Hauptquartier zur Überwachung des Ostseeraums in Rostock eingeweiht
Michaela May, NDR, tagesschau, 21.10.2024 20:00 Uhr

Ostsee ist von zentraler Bedeutung

Elf Freunde Deutschlands sind es, die bei der „Commander Task Force Baltic“ mitmachen, zusammen zwölf NATO-Partner. Vom taktischen Hauptquartier in Rostock aus beobachtet das Kommando die Ostsee. Ein Gewässer von zentraler Bedeutung, wie der Verteidigungsminister betont:
Hier verlaufen maritime Lebensadern, die Wachstum und Wohlstand sichern. Kommunikation und Energie. Hier wird Seehandel betrieben, von dessen Dynamik unsere Volkswirtschaften in hohem Maße abhängig sind.“

Ein Beispiel sind die Nord-Stream-Pipelines, die durch die Ostsee verlaufen. Bei einem Anschlag im September 2022 wurden drei der vier Stränge zerstört, was enorme Auswirkungen auf die Energieversorgung in Deutschland und letztlich auch auf die Wirtschaftskraft hatte.

Beobachtungen über und unter WasserPipelines gehören daher zu der Infrastruktur, die die „Commander Task Force Baltic“ besonders im Blick hat. Ebenso Unterseekabel: Internetverbindungen laufen zu einem großen Teil über Glasfaserleitungen, die am Meeresboden liegen.Die Kommandozentrale in Rostock beobachtet deshalb die Ostsee sowohl über als auch unter Wasser, erklärt Johannes Peters vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel: „Deutschland verfügt über die Mittel, vor allen Dingen ein sehr gutes Lagebild zu erstellen – mit den U-Booten, die wir haben, mit den Flottendienstbooten, die wir haben“, sagt Peters. Deutschland habe schon immer maßgeblich das Unterwasser-, aber auch das Überwasserlagebild in der Ostsee quasi für die NATO bereitgestellt.

Vermehrte Sichtung russischer ForschungsschiffeVom neuen taktischen Hauptquartier in Rostock überwachen Soldatinnen und Soldaten über große Bildschirme auch alle Flugbewegungen über der Ostsee und die Position der Schiffe.Die Ostsee gehört zu den meistbefahrenen Seewegen in Nordeuropa. Kommt ein Schiff vom geplanten Kurs ab, sorgt das für Aufmerksamkeit im Lagezentrum. Zuletzt hatte die Marine vermehrt russische Forschungsschiffe im Bereich von kritischer Infrastruktur gesichtet, was den Verdacht von möglicher Sabotage hat größer werden lassen.Für Marine-Experte Peters ist die Arbeit des neuen Hauptquartiers daher elementar wichtig: „Je besser das eigene Lagebild ist, umso größer ist für einen Akteur die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht unentdeckt bleibt mit dem, was er tut.“ Und umso höher sei die Hemmschwelle, etwas zu tun.
GSG-9-Spezialkräfte fahren zu Demonstrationszwecken auf einem Schlauchboot nahe Warnemünde. (Aufnahme vom 19. August 2024)

Von Deutschland wird Führung erwartetDass Deutschland die Ostsee-Überwachung leitet, hatten mehrere Anrainerstaaten seit Längerem schon eingefordert – weil die deutsche Marine die größte und schlagkräftigste im Ostseeraum ist. Gerade die NATO-Partner im baltischen Raum rufen Deutschland auf, auch bei der Ukraine-Unterstützung stark zu bleiben.Die Zeitenwende müsse weitergehen, sagt die finnische Außenministerin Elina Valtonen im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Sie stellt klar „dass wir eben auch eine Führungsrolle Deutschlands in diesen Sachen wünschen. In Sachen gemeinsame Verteidigung, gemeinsame Abschreckung. Da müssen wir als Europa so viel mehr machen. Und da hoffen wir, dass Deutschland ganz vorne steht.“ Bei der Überwachung der Ostsee hat Deutschland diese Führungsrolle nun eingenommen. Und sie soll bestmöglich gelingen mit ein wenig Hilfe der NATO-Freunde.

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NDR-Faktencheck vom 23.10.2024, abgerufen am 24.10.2024 um 13 Uhr https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Maritimes-Hauptquartier-in-Rostock-Experten-weisen-Kritik-aus-Russland-zurueck,russischepropaganda102.html

Maritimes Hauptquartier in Rostock: Experten weisen Kritik aus Russland zurück
Stand: 23.10.2024 14:30 Uhr
In Rostock entsteht ein neues maritimes Hauptquartier zur Sicherung der Ostseeregion. Experten weisen die russische Kritik zurück, es verstoße gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der NATO-Truppen in Ostdeutschland verbiete. NDR MV mit einem Faktencheck.

Aus Russland kommt scharfe Kritik am neuen maritimen Hauptquartier, das in Rostock entstehen und die Ostseesicherheit stärken soll: Der Standort verstoße gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der eine Stationierung von NATO-Truppen in Ostdeutschland verbiete, hieß es aus Moskau. Die Kritik aus Russland wurde unter anderem von Juri Hempel geäußert, einem Abgeordneten im Staatsrat der von Russland annektierten Krim und Mitglied der Putin-Partei „Einiges Russland“. Tatsächlich handelt es sich bei der Einrichtung jedoch nicht um ein NATO-Hauptquartier. Laut Sebastian Bruns, Experte für maritime Sicherheit und Strategie an der Universität Kiel, wird dieses häufig missverstanden: „Es handelt sich eben nicht um ein NATO-Kommando oder gar ein NATO-Hauptquartier, sondern es ist ein Stab der Deutschen Marine, dessen Ergebnisse der NATO angeboten werden.“ Bruns betont im Gespräch mit NDR MV, dass internationale Offiziere – etwa aus Polen, Schweden und Finnland – zwar dort tätig seien, aber keine NATO-Streitkräfte in Rostock stationiert werden.

Russische Vorwürfe und die Rolle des Zwei-plus-Vier-Vertrags

Russlands Kritik stützt sich auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, der die Souveränität Deutschlands nach der Wiedervereinigung regelte.In Artikel 5 des Vertrags heißt es, dass bis zum Abzug der sowjetischen Truppen keine ausländischen Streitkräfte in Ostdeutschland stationiert werden dürfen. Dieser Abzug war jedoch bereits 1994 abgeschlossen, und der Vertrag sieht nach dieser Frist keine dauerhafte Beschränkung vor. „Ich empfehle allen, den Zwei-plus-Vier-Vertrag selbst zu lesen“, so Bruns zu NDR MV. „Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen gibt es keine Verpflichtung mehr, die Stationierung ausländischer Kräfte grundsätzlich zu verbieten. Deutschland hat sich aus Rücksicht auf Russland viele Jahre daran gehalten, aber rechtlich ist dieses Verbot nach 30 Jahren nicht mehr bindend.“

Zusammenarbeit statt Stationierung

Das neue Hauptquartier in Rostock, offiziell „Commander Task Force Baltic“ genannt, ist eine deutsche Initiative, die auf internationaler Zusammenarbeit beruht. Es ermöglicht der Deutschen Marine, gemeinsam mit Partnern wie Schweden, Polen und den baltischen Staaten Daten zu sammeln und diese der NATO zur Verfügung zu stellen. Das bestätigt auch das deutsche Verteidigungsministerium: Es handelt sich nicht um die Stationierung von NATO-Truppen, sondern um die Zusammenarbeit von Offizieren aus verschiedenen Ländern. Politikwissenschaftler Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr betont: „Es werden dort also neben den deutschen auch ein paar Stabsoffiziere aus NATO-Ländern Dienst tun. Das ist keine Stationierung von Streitkräften.“

Verstößt das Rostocker Hauptquartier gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag?

Die Experten sind sich einig: Das neue Marine-Hauptquartier in Rostock verstößt nicht gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Laut Bruns ist die Einrichtung eine rein deutsche Initiative: „Es handelt sich um einen Stab der Deutschen Marine, keine NATO-Truppen. Der Vertrag bezieht sich klar auf die Zeit vor 1994.“ Auch Historiker Bernhard Blumenau von der Universität St. Andrews weist darauf hin, dass der Vertrag im historischen Kontext gesehen werden muss: „Damals ging es um Sicherheitsgarantien für die UdSSR. Heute verläuft die NATO-Grenze viel weiter östlich.“

FAQ zum Zwei-plus-Vier-Vertrag

Was ist der Zwei-plus-Vier-Vertrag?
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde 1990 zwischen den beiden deutschen Staaten (BRD und DDR) sowie den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs (USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich) geschlossen. Er regelte die volle Souveränität des wiedervereinigten Deutschlands und legte Themen wie den Abzug der alliierten Truppen, die Grenzen Deutschlands und den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen fest. Zudem schrieb er vor, dass bis zum Abzug der sowjetischen Truppen 1994 keine ausländischen Streitkräfte in Ostdeutschland stationiert werden durften.

Verbietet der Vertrag NATO-Streitkräfte in Ostdeutschland?
Ja, aber nur bis zum Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1994. In dieser Übergangsphase war es verboten, ausländische Streitkräfte – also auch NATO-Truppen – in Ostdeutschland zu stationieren oder militärische Aktivitäten durchzuführen. Nach 1994 endete diese Beschränkung. Seither dürfen deutsche Truppen in Ostdeutschland stationiert werden, auch solche, die NATO-Strukturen angehören. Ein generelles Verbot für NATO-Streitkräfte in diesem Gebiet gibt es nach 1994 nicht mehr.

Verstößt das neue Hauptquartier in Rostock gegen den Vertrag?
Nein, das Hauptquartier in Rostock verstößt nicht gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Es handelt sich nicht um eine Stationierung von NATO-Truppen, sondern um ein nationales deutsches Hauptquartier der Marine mit multinationaler Zusammenarbeit. Internationale Marineoffiziere aus verschiedenen NATO-Ländern arbeiten dort, aber sie sind nicht als dauerhafte Streitkräfte stationiert. Der Vertrag verbietet lediglich die Stationierung ausländischer Streitkräfte, nicht die Zusammenarbeit mit internationalen Offizieren.

Wie reagiert die Bundesregierung auf die russischen Vorwürfe?
Deutschland widerspricht der russischen Kritik und weist darauf hin, dass das neue Hauptquartier in Rostock die Bestimmungen des Zwei-plus-Vier-Vertrags nicht verletzt. Laut dem Verteidigungsministerium handelt es sich um eine deutsche Initiative, bei der internationale Offiziere unter deutscher Führung arbeiten. Experten bestätigen, dass die Stationierung von NATO-Truppen nicht stattfindet und die russischen Vorwürfe unbegründet sind.

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