28. 11. 2016 | Wenige Tage, nachdem der Atlantic Council eine Liste mit angeblichen Trojanischen Pferden des Kreml in Deutschland und Europa veröffentlichte, kommt die Washington Post mit einem aufsehenerregenden Beitrag, in dem sie eine schwarze Liste von US-Medien propagiert, die angeblich Teil eines russischen Propagandanetzwerks sind. Die vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen im McCarthy-Stil ähneln denen des Atlantic Council. Man kann diesen Vorgang gar nicht wichtig genug nehmen. Denn Facebook und Google werden das als Zensuranleitungen nehmen.
Die bekannte linksgerichtete und Wall-Street-kritische Finanzwebsite Naked Capitalism, wurde von der Zeitschrift Time als eine der besten 25 Finanzblogs und von Wired als eine der wichtigsten Webseiten für Finanzthemen gelobt. Sie ist ein Verkündungsorgan des russischen Geheimdiensts, wie jetzt bekannt wurde. Sie ist Teil eines weit-verzweigten Netzes von US-Medien die russische Propaganda verbreiten. Das geht aus einer Schwarzen Liste hervor, über die am 24.11. die Washington Post einen aufsehenerregenden Bericht brachte. (Satz am 30.11. geändert um klarzustellen, dass Naked Capitalism ebenso wie Zero Hedge im Artikel selbst nicht genannt werden.) Auf der Website hat der Artikel (Stand 28.11.) 14500 Kommentare. Er wurde von vielen anderen Medien weiterverbreitet. Auch die „Anti-War“-Website des konservativen Politikers Ron Paul und die extrem viel genutzte konservative Nachrichten-Aggregator-Website Drudge Report gehört dazu. Wikileaks natürlich ebenfalls, und das anarchistisch angehauchte Finanzportal Zero Hedge. Insgesamt sind mehr als 200 Medien auf der schwarzen Liste, die meisten Internetmedien, nur wenige, wie RT und Sputnik, mit erkennbaren russischen Bezügen.
Man sollte meinen, für eine solch drastische und ehrenrührige Anschuldigung hat die altehrwürdige Washington Post eine solide Quelle. Die Quelle stellt sich jedoch als eine vor wenigen Monaten erstmals in Erscheinung getretene, anonyme Gruppe namens „PropOrNot (Propaganda oder nicht?) heraus, die bis dahin auf Twitter hauptsächlich durch infantile Posts im Stile 15-jähriger Antifa-Aktivisten aufgefallen ist. Der Washington-Post-Reporter charakterisiert sie als „eine überparteiliche Ansammlung von Forschern mit Hintergründen aus der Außenpolitik, dem Militär und der Technologieszene.“ Normalerweise würde ich bei einer Kombination aus geheim – Außenpolitik – Militär – Technologie an Geheimdienst denken, aber das muss man natürlich nicht. Immerhin würde diese Variante jedoch erklären, warum eine seriöse Zeitung wie die Post – auch wenn sie inzwischen Amazon-Gründer Jeff Bezos gehört – derart schamlos und offensichtlich alle Prinzipien des ehrenhaften Journalismus über den Haufen wirft und völlig unsubstantiierte Anschuldigungen einer anonymen Gruppe einfach so veröffentlicht und sich zu eigen macht.
Diese genannte Gruppe hat in einem Bericht, den sie der Post vorher gab, mit nicht näher beschriebenen aber „ausgefeilten“ Methoden der Analyse sozialer Netzwerke eine „effektive Kampagne zum Säen von Misstrauen in die US-Demokratie und ihre Führer“ ausgemacht und die US-Hilfsorgane der Kampagne aufgelistet. Von diesen sollen sich die Menschen fernhalten, raten die anonymen „Forscher“ und sich stattdessen bei BBC, New York Times, dem Wall Street Journal und der Washington Post informieren.
Dabei spielt es für PropOrNot keine Rolle, ob ein Medium irgendwelche Verbindungen zu russischen Einflüsterern oder Financiers hat, oder ob es absichtsvoll für Russland oder russische Interessen Propaganda macht, denn:
„Für Zwecke dieser Definition ist es unwichtig, ob die Webseiten auf dieser Liste sich wissentlich von russischen Geheimagenten steuern oder bezahlen lassen, oder ob sie überhaupt wissen, dass sie russische Propaganda verbreiten. Wenn sie diese Kriterien erfüllen, agieren sie zumindest als ‚nützliche Idioten‘ der russischen Geheimdienste und sollten genauer untersucht werden.“
Zu den von PropOrNot erwähnten „Kriterien‘“ für die Einordnung als Fake-News-Sites gehört Verbreitung von Argumenten für den Brexit, Kritik an westlichen Kriegseinsätzen und der EU oder das Werben für friedliche Koexistenz mit Russland. Auch das Aufdecken von und Kritik an korruptem oder sonstwie unanständigem Verhalten des politischen Führungspersonals ist geeignet, das Vertrauen in die US-Demokratie und deren Führung, ganz im Sinne der russischen Popaganda, zu beschädigen und macht die entsprechenden Organe mindestens zu „nützlichen Idioten“ Moskaus.
Die Vorschläge für Gegenmaßnahmen ähneln stark denen, die der Atlantic Council vor kurzem zur Bekämpfung der fünften Kolonne Moskaus in Deutschland und Europa vorgeschlagen hat. Die Geheimdienste und das FBI sollen die gelisteten Medien hochnotpeinlich überprüfen. Außerdem soll die „Zivilgesellschaft“ mithelfen, verdächtige Umtriebe aufzudecken, öffentlich anzuprangern und zu melden. Ohne Scheu vor historischen Bezügen zur dunkelsten Nazizeit wirbt PropOrNot dafür, der Verbreitung pro-russischer Propaganda Verdächtige Personen und Medien in den sozialen Netzwerken mit YYY…YYY um den Namen herum zu markieren. Mit ebenso geringer Scheu vor Bezügen zum ruchlosen Kommunistenjäger McCarthy und seiner „Liste“ nennt die Gruppe ihre eigene schwarze Liste auf ihrer Webseite kurz „The List“. Senator McCarthy war der Einpeitscher der „Kommunisten“-Verfolgung in den 1950er Jahren in den USA, der viele linke Politiker, Intellektuelle, Künstler, Schauspieler und Regisseure zum Opfer fielen.
Sauberes Internet
Die wahre Gefahr geht aber nicht von geheimdienstlichen oder polizeilichen Überprüfung diffamierter Medien und Reporter aus. Da dort nur sehr selten etwas zu finden sein dürfte, wird in dieser Richtung wenig passieren, und auch Untersuchungskommissionen des Parlaments gegen Angeschuldigte wie in der Zeit McCarthys wird es kaum wieder geben. Es ist nicht nötig, weil man heute im Zeitalter der sozialen Netzwerke elegantere Mittel hat, um die Kontrolle über die öffentliche Meinung zurückzugewinnen und Kritiker in die Obskurität zu verdammen.
Wie es in dem Artikel der Washington Post so richtig heißt, haben Facebook und Google versprochen, etwas gegen die Verbreitung von Fake News (falscher Nachrichten) zu tun, nachdem sie scharf kritisiert wurden, weil sie im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfes nicht genug dagegen getan hätten. Diese Kampagne, die die Post hier betreibt, soll alles das als Fake News definieren, was die Mitglieder dieser schwarzen Liste – angeblich im Dienste Moskaus – publizieren. Es sollen also nicht etwa die massenhaft von offiziösen Kreisen gestreuten, bisher völlig unsubstantierten Theorien über russische Einflussnahme auf die US-Wahlen als Fake News bekämpft werden. Etwa der Bericht der Post, wonach Hilary Clinton vielleicht auf Putins Befehl vergiftet wurde. Nein, es sollen unabhängige und kritische Informationsquellen, die den etablierten Medien die Deutungs- und Informationshoheit immer mehr streitig machen, daran gehindert werden, ihr Publikum zu erreichen und von diesem ernst genommen zu werden.
Es gibt wenig Zweifel daran, dass Amazon, Facebook und Google in der Lage sind, dies zu bewerkstelligen. Es brechen schwere Zeiten für die Meinungsfreiheit und für kritische Geister an. Der Glaubwürdigkeit der etablierten Medien werden solche Kampagnen zur Unterdrückung von Konkurrenz aber absehbar nicht guttun.
Die Mär von der hilflosen NSA
Wer sich wundert, warum ausgerechnet in einer Zeit, in der der designierte US-Präsident für Entspannung gegenüber Russland eintritt, die Kreise um den Atlantic Council in den USA und international eine neue Hatz auf vermeintliche russische Einflussagenten ausrufen, dem empfehle ich nochmals die Lektüre meines Blogbeitrags „Trump – Ein geostrategischer Erklärungsversuch“. Die Erklärung für die vielen Fake News während des Wahlkampfs, wonach „die Russen eine von den USA entwickelte Technologieplattformen ausnutzten, um die US-Demokratie in einem besonders verwundbaren Moment anzugreifen“ (Zitat Washington Post), ist so unplausibel, dass sie einer Beleidigung der Intelligenz der Adressaten gleichkommt. CIA und NSA, riesige Gehemdienstapparate mit zehntausenden Mitarbeitern, die in der Lage sind, den weltweiten Telefonverkehr und Internetverkehr zu überwachen, die engste Beziehungen zu Google und Facebook pflegen, die das Internet mit entwickelt haben, sind hilflose Opfer, die sich nicht gegen die überlegene IT-Expertise der Russen in Sachen soziale Medien zur Wehr setzen können? Warum wurde dann die Führungsriege der Geheimdienste nicht längst ausgetauscht, wenn sie so versagt? Nicht einmal Kritik an ihnen gibt es. Dass man so eine absurde Theorie überhaupt öffentlich verbreiten kann, sagt einiges über den Grad an Desinformation, den wir erreicht haben. Ich würde eher die weniger gewagte Gegenthese vertreten, dass, wenn es massenhaft Verbreitung falscher Nachrichten zugunsten von Trump über Facebook und Google gegeben haben sollte, dies sicherlich nicht gegen den Willen der US-Geheimdienste geschah. Da dieser Verdacht irgendwie auf der Hand liegt, trifft es sich nicht schlecht, wenn man mit viel Geraune aus „Kreisen“, den Verdacht der Öffentlichkeit auf die Russen lenkt. Das liefert dann gleich noch eine Steilvorlage zur angeleiteten Selbstzensur der sozialen Medien; zur Einhegung alternativer Informationsquellen und zur Marginalisierung von kritischen Geistern. Ob man diese später beschuldigt, russische oder chinesische Propaganda zu verbreiten oder einfach nur die Moral zu zersetzen, ist nachrangig.
Deutschland macht mit
Leider sind wir in Deutschland auf dem gleichen Wege. Justizminister Heiko Maas drängt mit selbsternannten Tugendwächtern aus der „Zivilgesellschaft“ die sozialen Medien zur Zensur der Inhalte, um das Internet von bösartiger Kritik und Verschwörungstheorien zu säubern. Ist diese Zensur erst einmal etabliert und legitimiert, kann sie problemlos erweitert werden, um unliebsame Inhalte und Meinungen jeder Art zu unterdrücken. Einem Bericht der FAZ zufolge, soll das in Bälde auch auf europäischer Ebene angegangen werden, quasi als Abschiedsgeschenk des scheidenden EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz. Soziale Netzwerke sollen aus den Fängen der Hetzer und Extremisten befreit werden, durch Regulierung des Diskurses. Google, Facebook und Co. sollen zu einer Vorabkontrolle des Diskurses genötigt werden, sodass Dinge, über deren Zulässigkeit später vielleicht Gerichte urteilen müssten, schon gar nicht mehr verbreitet werden können (inzwischen, 30.9. ist der Entwurf der Digitalcharta da).
Und der IT-Sicherheitsexperte Sandro Gaycken Chef eines „Digital Society Institute“ entblödet sich nicht einmal mehr, allen Ernstes in der FAZ vorzuschlagen, Bürger, die wählen wollen, einem Kenntnis- und Meinungstüv zu unterziehen – aber natürlich gänzlich ohne Einschränkung der Meinungsfreiheit:
„Wenn das neue Problem der Aufklärung nicht mehr zu wenig, sondern zu viel, zu isoliertes und fehlerhaftes Wissen und Meinen ist, muss politische Partizipation an ein Mindestmaß korrekter Bildung geknüpft werden. Wir brauchen eine ‚Gnosikratie‘. ‚Wer wählen will, soll politische Kompetenz beweisen. Warum nicht so? Die Bundeszentrale für Politische Bildung gibt Zweiseiter für jeden politischen Bereich aus – mit anerkannten Fakten, mit bewusster Konfrontation von Lügen und Verschwörungen und mit Positionen. Dazu muss vor der Wahlkabine ein variierender Multiple-Choice-Test mit einer einfachen Frage aus jedem Bereich ausgefüllt werden. Wer besteht darf wählen.“
Regierungsamtlich als hinreichend fundiert eingestufte Meinungen dürfen Wahlwillige weiter haben, nur Falschmeiner werden nicht zur Wahl zugelassen. In der Tat: So könnte man die AfD an der Wahlurne nachhaltig besiegen. Ob das noch etwas mit Demokratie zu tun hat fragt man am besten Kim Jong Un. Der kennt sich aus.
Und schließlich tut bei uns ein weit verzweigtes Netzwerk von Querfront- und Antisemitismus-Jägern mit einflussreichen Unterstützern das, was PropOrNot nun in großem Maßstab in den USA angeht. Hartnäckig und vielstimmig verunglimpft es einflussreiche kritische Medien und Personen als Putin-freundliche Verschwörungstheoretiker, neu-rechts, AfD-nah und schlimmeres. So werden Kriegsgegner, Nato-Kritiker und andere unbequeme Zeitgenossen schleichend aber wirkungsvoll zu Unberührbaren für „seriöse“ Teilnehmer am öffentlichen Diskurs gemacht. Das Gedankengut und die Absicht dahinter ist dieselbe wie bei Washington Post und PropOrNot oder dem Atlantic Council. In den Worten von Wolfgang Storz, Autor einer Querfront-„Studie“ zur Ausgrenzung kritischer Medien wie der Nachdenkseiten:
„Die vertretenen Positionen münden in (…) eine rigide Abwendung von heutigen wirtschaftspolitischen, repräsentativ-parlamentarischen und liberalen Gesellschaftsentwürfen in westeuropäischen Demokratien und deren Werten. (…) So fällt auf, dass positive Anmerkungen über die heutigen Verhältnisse in Deutschland oder in der EU, über die demokratisch-repräsentative Gesellschaftsordnung und die ihr zugrunde liegenden Werte nie gemacht werden. Aus beidem kann abgeleitet werden, dass die Akteure nicht nur die Kritik am hiesigen privatkapitalistischen und an der Globalisierung ausgerichteten Wirtschaftssystem und an der repräsentativ-demokratischen Gesellschaftsordnung eint, sondern eine grundsätzliche Gegnerschaft zu ihr.“
Oder auch in den Worten von Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung im Vorwort besagter „Studie“:
„Je mehr Parteien, Verbände, Stiftungen, Initiativen, politische Akteure oder soziale Gruppen ohne Filter oder Vermittlung durch Dritte ihr Publikum direkt im Netz suchen und je erfolgreicher sie dabei sind, desto stärker zerfällt das, was eine funktionierende Demokratie so dringend benötigt: eine gemeinsame Öffentlichkeit.“
Zu dieser deutschen Variante des McCarthyism in Kürze etwas mehr.
Nachtrag (8.12.): Am 7.12. setzte die Washington Post auf der Website einen Hinweis der Chefredaktion über das weiterhin verbreitete unsägliche Stück über die vermeintlichen russischen Propagandawebsites. Darin versucht sich die Chefredaktion nach einer Welle der Kritik und anwaltlichen Forderungen nach Unterlassung, unter anderem durch Naked Capitalism aus der Verantwortung zu stehlen. Die Post selbst, die keine der Websites auf der Liste namentlich genannt habe, verbürge sich nicht für die Verlässlichkeit der Ergebnisse von PropOrNot bezüglich spezifischer Medien und habe auch nicht vorgegeben, das zu tun. Das ist heuchlerisch, hat doch die Zeitung die Story über PropOrNots Liste auf die Seite eins getan und in deutlich zustimmendem Tenor berichtet, ohne jede Distanzierung und unter Missachtung aller journalistischen Sorgfaltspflichten.
„Editor’s Note: The Washington Post on Nov. 24 published a story on the work of four sets of researchers who have examined what they say are Russian propaganda efforts to undermine American democracy and interests. One of them was PropOrNot, a group that insists on public anonymity, which issued a report identifying more than 200 websites that, in its view, wittingly or unwittingly published or echoed Russian propaganda. A number of those sites have objected to being included on PropOrNot’s list, and some of the sites, as well as others not on the list, have publicly challenged the group’s methodology and conclusions. The Post, which did not name any of the sites, does not itself vouch for the validity of PropOrNot’s findings regarding any individual media outlet, nor did the article purport to do so. Since publication of The Post’s story, PropOrNot has removed some sites from its list.“
Naked Capitalism hat inzwischen Stellung genommen. Yves Smith kritisiert zu Recht, dass die WaPo damit nicht nur einräumt, dass sie die Fakten über die sie groß berichtet hat, nicht einmal ansatzweiße überprüft hat, sondern dass sie das nicht einmal als ihre Aufgabe ansieht. Sonderbares Journalismusverständnis, wenn man gleichzeitig kritisch über „Fake News“ berichtet.
Weiterführendes: Eine beißende Kritik am Artikel der Washington Post von Glen Greenwald
Und auf norberthaering.de:
Trump – Ein geostrategischer Erklärungsversuch
Der furchterregende Antisemitismus der Schultoiletten
Gute Antideutsche, böse Antideutsche: Eine gänzlich ausgewogene Einführung für Schüler und Lehrer
Raubtiere unter Veganern: Wie die Antideutschen alternative Milieus aufmischen
Änderungshinweis (29.11.): Den Hinweis auf Nazis in der ukrainischen Regierung als Indiz für Fake-News nach PropOrNet habe ich gestrichen, da eine Partei, auf die diese Einordnung zutreffen könnte, nur in der ukrainischen Übergangsregierung bis Mitte 2014 vertreten war. Insofern mag es gerechtfertigt sein, eine solche Aussage als Fake News zu klassifizieren, wenn nicht die Vergangenheitsform gewählt wird.