Man kann es kaum anders als kackfrech bezeichnen: Die von staatlich verordneten Zwangsgebühren abhängigen, stets im Sinne der Regierenden urteilenden Wahrheitskontrolleure der ARD maßen sich an, objektiv darüber zu befinden, ob die Passagen zur Wahrheitskontrolle im Koalitionsvertrag die Meinungsfreiheit gefährden. Wer den ARD faktenfinder kennt, muss das Stück nicht lesen, um die Antwort zu kennen: Nein.
Im Koalitionsvertrag heißt es (ich habe die widersprüchlichen, unpassenden und unzureichend definierten Begriffe gefettet):
„Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können. (…) Gezielte Einflussnahme auf Wahlen sowie inzwischen alltägliche Desinformation und Fake News sind ernste Bedrohungen für unsere Demokratie, ihre Institutionen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
Dass erwiesen falsche Tatsachenbehauptungen von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt sind, heißt nicht, dass sie verboten sind. Das anschließende „deshalb“ täuscht damit eine Folgerichtigkeit vor, die nicht gegeben ist. Wer soll entscheiden, ob jemand bewusst lügt oder von dem, was er sagt, überzeugt ist? Dafür, ob eine Tatsachenbehauptung verboten ist, kommt es nicht darauf an, ob sie fahrlässig oder absichtlich getätigt wird, sondern nur darauf, ob Persönlichkeitsrechte verletzt werden, oder jemand durch Irreführung übervorteilt werden soll. Bisher ist eine falsche Behauptung, die niemanden schädigt, erlaubt.
Was Tatsachenbehauptung und was Meinung ist, lässt sich oft nicht klar trennen. Der Anwalt Ralf Höcker nennt in seinem kritischen Beitrag in der Berliner Zeitung das Beispiel, dass ein Restaurantbewerter schreibt: „Das Essen war zu kalt, der Wein zu warm.“ Wer soll außerdem entscheiden, ob eine Behauptung wahr oder falsch ist, ob sie Desinformation oder Fake News ist? Ein staatliches Wahrheitsministerium? Staatlich finanzierte Faktenchecker, wie die der Nachrichtenagentur dpa oder von Correctiv? Die von staatlich verordneten Zwangsbeiträgen abhängigen Faktenchecker der ARD?
Die Staatsferne der Landesmedienanstalten, die die Aufsicht über digitale Medienplattformen und Blogs wie diesen führen, ist mindestens umstritten. Immerhin werden die Medienräte, die die Entscheidungen treffen, ganz oder zu einem großen Teil von den Landesparlamenten gewählt. Und wenn auf skandalträchtige Weise ohne Ausschreibung ein SPD-Medienstaatssekretär wie Marc Jan Eumann ohne die eigentlich notwendige juristische Qualifikation von einem SPD-dominierten Landesparlament als Direktor einer „staatsfernen“ Landesmedienanstalt gewählt wird, kann sogar der Deutschlandfunk diese Staatsferne nur schwer erkennen.
„Wahrung der Meinungsfreiheit“ kann man es kaum nennen, wenn eine vom Staat eingesetzte Aufsicht das öffentliche Äußern von Empfindungen wie Hass und scharfer Kritik, die von manchen als Hetze empfunden wird, unterbinden soll. Indem die Koalitionäre schreiben, dass Hass (scharfe Kritik) und Hetze (scharfe Kritik) den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Institutionen der Demokratie gefährdeten, machen sie deutlich, dass sie Kritik, mindestens wütende Kritik, unterdrücken wollen. Dabei ist mit Institutionen in aller Regel die Regierung selbst gemeint, denn diese steht regelmäßig im Zentrum der Kritik. Dass es mit den klaren gesetzlichen Vorgaben nicht weit her ist und nicht weit her sein wird, wenn schwammige Begriffe wie Hass und Hetze verwendet werden, ist so gut wie sicher. Es gibt den gesetzlich definierten Begriff der Volksverhetzung. Für das Unterbinden und Bestrafen von hasserfüllten Äußerungen, die die Menschen gegen bestimmte Gruppen von Mitmenschen aufhetzen sollen, braucht man also die völlig schwammigen und dehnbaren Begriffe Hass und Hetze nicht. Manche empfinden es schon als Hassrede, wenn sie durch bestimmte Aussagen starke Gefühlswallungen erleiden.
Gezielte Beeinflussung von Wahlen nannte man bisher Wahlkampf. Der galt bisher als legitim. Dass ausgerechnet die Politiker von Union und SPD, die die Wähler bei der letzten Bundestagswahl in einem Ausmaß und mit einer Dreistigkeit belogen und mit falschen Versprechungen getäuscht haben, wie kaum je zuvor, sich nun anheischig machen, die Beeinflussung von Wahlen durch falsche Behauptungen zu unterbinden, ist mit frech mehr als höflich umschrieben.
Kein Wunder also, dass die Kritik am „Lügenverbot“ der Koalitionäre überall hochgekocht ist, unter anderem in der Neuen Züricher Zeitung, dem Magazin Cicero, der Berliner Zeitung und in der Welt.
ARD faktenfinder reitet zur Rettung
Karin König von der Redaktion ARD faktenfinder bekam die undankbare Aufgabe, die Koalitionäre gegen die Kritik zu verteidigen, wohl nicht zuletzt, damit die SPD-Mitglieder nicht verunsichert werden. Diese müssen den Koalitionsvertrag noch annehmen, damit die Regierung gewählt werden kann. Sie setzt alles ein, was die staatstragende Faktencheckergemeinde bei anderen regelmäßig als „irreführend“, „fehlender Kontext“, „falsch“ oder „unbewiesen“ brandmarkt.
Fehlender Kontext: Autorin König weist korrekt darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht schon 2012 urteilte, dass „die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst wird.“ Auf dieser Basis behauptet sie irreführend, die entsprechende Aussage im Koalitionsvertrag sei „nichts neues“, da sie nur diese Entscheidung wiedergebe. Aber sowohl die Koalitionäre als auch die Wahrheitskontrolleurin der ARD lassen den entscheidenden Kontext weg, der beim Gericht gleich danach kommt:
„Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind.“
Es geht bei der Aussage des Gerichts über fehlenden Grundrechtsschutz für falsche Behauptungen also nur um solche, die jemanden schädigen. Dass der Koalitionsvertrag diese wichtige Einschränkung nicht nennt, und damit das angekündigte Vorgehen gegen „Desinformation“ und „Fake News“ auch auf bisher rechtlich zulässige Äußerungen ausweiten will, unterschlägt sie.
Irreführung: Ausgerechnet die Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Eva Flecken, darf im Gespräch mit der Faktenfinderin klären, ob die derzeitige Arbeit der Landesmedienanstalten in Sachen Meinungsfreiheit problematisch ist oder nicht. Der Koalitionsvertrag enthält aber die kritisierten Passagen mutmaßlich nicht, weil die künftige Regierung alles beim alten lassen will. Sie scheint sogar „klare gesetzliche Vorgaben anzukündigen“. Ganz hinten dürfen ein Experte und die SPD das auch sagen, nachdem König bis dahin die falsche Erzählung festigt: „Alles harmlos, alles schon da.“
Journalistisch unsaubere Arbeit: Wer journalistisch arbeitet, könne von den Landesmedienanstalten beim Verdacht auf falsche Informationen überprüft werden, so König. Dabei werde aber nicht die inhaltliche Aussage als wahr oder falsch bewertet. Stattdessen werde geprüft, ob journalistisch sorgfältig gearbeitet wurde, behauptet sie. Das scheint die unkritische Übernahme einer Aussage ihrer Gesprächspartnerin Flecken zu sein, die sie im Anschluss wörtlich zitiert mit:
„Es geht gar nicht um eine Inhaltepolizei oder ein Wahrheitsministerium, sondern darum, ob in journalistischer Hinsicht sauber gearbeitet worden ist.“
Das ist eine Falschbehauptung, ausgerechnet von einer Medienaufseherin, die Faktentreue durchsetzen soll. Sie wird ausgerechnet von einer „Faktencheckerin“ unkritisch als Tatsache präsentiert. In einem Drohbrief der Landesmedienanstalt NRW an das Magazin Multipolar bemängelt die Landesmedienanstalt NRW, nach unwidersprochener Darstellung durch Multipolar, ganz direkt, die Behauptungen, die Multipolar in beanstandeten Artikeln aufstelle, seien falsch. Multipolar widerlegte das und die Medienaufsicht nahm den Vorwurf zurück. Entgegen der Falschbehauptung der Medienaufseherin handelt es sich also doch auch um Inhaltekontrolle. Das ist ja auch schon darin angelegt, dass „bei Verdacht auf falsche Informationen“ geprüft werde. Das Vorschützen der „journalistischen Sorgfalt“ als Prüfobjekt ist erkennbar nur ein Manöver, um die unkritischen Teile der Öffentlichkeit mit solchen Falschbehauptungen in die Irre führen zu können.
Selbstwiderlegung: Wenig später kommt dann die Einräumung dass das obige gelogen war. „Angebote, die Hass oder falsche Tatsachenbehauptungen enthalten, werden von der Medienaufsicht – je nach Schweregrad – beanstandet oder untersagt“, schreibt die Faktenfinderin, mutmaßlich in Wiedergabe dessen, was ihr Flecken gesagt hat. Dass sie das nicht deutlicher macht, ist erneut journalistisch unsaubere Arbeit. Falsche Tatsachenbehauptungen festzustellen und zu untersagen ist Inhaltekontrolle.
Irreführend durch Auslassung ist auch die Versicherung von Flecken, man könne zwar ganze Angebote oder Kanäle untersagen. Aber weil die Aufsicht „im Zweifel immer für die Medienfreiheit“ entscheide, gäbe es kein Problem für die Meinungsfreiheit. Was sie tunlichst verschweigt: Die Landesmedienanstalten senden Drohbriefe an die Beaufsichtigten, in denen sie zum Beispiel Bloggern kostenpflichtige Verfahren androhen, wenn diese ihre schon veröffentlichten Beiträge nicht im Sinne der Anstalt überprüfen oder löschen. Da ist die Gefahr und mutmaßlich auch die Absicht offenkundig, dass die Adressaten eingeschüchtert werden, und fortan mit der Schere im Kopf schreiben.
Ganz hinten im Stück, wo dann die SPD sagt, sie wolle neue „Mechanismen gegen gezielte Desinformation, Hass- und Hetzkampagnen schaffen, die der staatsfernen Medienaufsicht zur Verfügung stehen“, kommt König dann zum Thema ihrer Leitfrage, ob die eben doch drohende Verschärfung die Meinungsfreiheit gefährdet. Sie lässt die Frage einen einzigen vermeintlich unabhängigen Experten und die alles andere als neutrale Obermedienaufseherin Flecken jeweils mit nein beantworten. Dabei widerspricht sich der Jurist Uwe Volkmann von der Universität Frankfurt selbst gleich doppelt. Zuerst sagt er, ob die Meinungsfreiheit bedroht sei, könne man erst beurteilen, wenn die neuen Mechanismen oder Gesetze im Detail bekannt seien. Er ergänzt, dass sich die Grenzen bei der Abwägung mit der Meinungsfreiheit durchaus verschieben könnten, dass die Meinungsfreiheit also schon geringer werden könne. Dann widerspricht er beidem, indem er nonchalant versichert, er sehe keinerlei Gefahr für die Meinungsfreiheit.
Fazit
Wenn Faktenchecker, die derart unsauber und manipulativ arbeiten, entscheiden sollen, was falsch und verboten ist, und unehrliche Medienwächter auf dieser Basis oder durch eigenes Urteil das Lügenverbot durchsetzen, dann ist die Meinungsfreiheit mehr als bedroht.
Nachtrag (26.4.): Weitere Lüge von Flecken aufgedeckt
Eine weitere Lüge der Oberchefin der Landesmedienanstalten deckte die NRW-Anstalt mit Pressemeldung vom 24. April 2023 auf. Darin heißt es schon in der Überschrift:
„Bundeskriminalamt und Medienanstalten arbeiten bundesweit im Kampf gegen Hassrede zusammen – Möglichkeit zur Meldung von strafbarer Hassrede an das BKA können nun alle Medienanstalten nutzen“.
Man erfährt, dass die Medienanstalten dank der künstlichen Intelligenz, mit der sie das Internet durchforsten, bereits 8000 „volksverhetzende oder bspw. den Holocaust leugnende Inhalte“ an das Bundeskriminalamt gemeldet haben und sich dann in den als rechtswidrig eingestuften Fällen um das Verbreitungsverbot gekümmert haben. Das waren mit Sicherheit nicht alles Inhalte von Menschen, die journalistisch arbeiten.
Das passt ausgesprochen schlecht zu dem Absatz im Faktenfinder-Artikel, in dem es heißt:
„Einzelne Aussagen von Privatpersonen seien von dieser Aufsicht nicht betroffen, erklärt die Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Eva Flecken, im Gespräch mit tagesschau.de. Wer journalistisch arbeitet, könne beim Verdacht auf falsche Informationen überprüft werden.“