Vor knapp vier Jahren gab es ein Interview auf Spiegel Online (SPON), das es in sich hatte. Albrecht Ritschl (London School of Economics), einer von Deutschlands renommiertesten Wirtschaftshistorikern, sagte damals schon, Deutschland habe erstens gar keinen Grund, sich wie der Oberlehrer und Zuchtmeister aufzuführen, und wenn es das zweitens dennoch tue, werde es damit nur provozieren, dass es mit unbezahlten Rechnungen aus dem
2. Weltkrieg konfrontiert wird. Insbesondere warnte er vor der Gläubiger-Stimmungsmache gegen die Schuldner durch die Medien. Nun kommen die Rechnungen angeflattert. Noch verhält sich Finanzminister Schäuble wie die spießigen Dursleys in Harry Potter, die versuchen, den Einladungen an Potter zum Besuch der Zaubererschule dadurch zu entgehen, dass sie erst Abwesenheit vorschützen und dann den Briefschlitz vernageln. Aber das wird auf Dauer so wenig helfen, wie es den Dursleys half.
Dass ausgerechnet das Medium, das Ritschl damals die Bühne für seine hellsichtige Warnung bot, sich heute anschickt, der Bild-Zeitung in Sachen Stimmungsmache den Rang abzulaufen, entbehrt zwar nicht einer gewissen Ironie, ist aber insgesamt doch vor allem sehr traurig – und bei aller vermeintlichen Vaterlandsliebe im Ergebnis sehr unpatriotisch. Da hilft es auch nicht, wenn die griechischen Forderungen hierzulande nun allenthalben als gemeine Vergiftung der Atmosphäre und undankbare Zumutung eingestuft werden. Die Gerichte lassen sich einem Inuendo kaum beeindrucken.
Ein paar Highlights aus dem damaligen Interview:
„Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Amerika gleich dafür gesorgt, dass nicht wieder hohe Reparationsansprüche an Deutschland gestellt wurden. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle solchen Forderungen auf die lange Bank geschoben, bis zu einer künftigen Wiedervereinigung. Für Deutschland ist das lebenswichtig gewesen, es war die eigentliche finanzielle Grundlage für das Wirtschaftswunder. Zugleich mussten aber die Opfer der deutschen Besetzung in Europa verzichten, darunter auch die Griechen.
Gemessen jeweils an der Wirtschaftsleistung der USA war allein der deutsche Schuldenausfall in den dreißiger Jahren so bedeutsam wie die Kosten der Finanzkrise von 2008. Im Vergleich dazu ist das griechische Zahlungsproblem eigentlich unbedeutend. Deutschland ist Schuldenkaiser. Der Bundesrepublik wurde 1953 von den USA ein Schuldenschnitt verpasst. Seitdem stand Deutschland glänzend da, während sich die anderen Europäer mit den Lasten des Weltkriegs und den Folgen der der deutschen Besetzung abrackerten. Und selbst 1990 kam es noch zu einem Schuldenausfall.
Der damalige Kanzler Helmut Kohl weigerte sich damals, das Londoner Abkommen von 1953 umzusetzen. Darin war festgeschrieben, dass die deutschen Reparationszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg im Falle einer Wiedervereinigung neu geregelt werden. Man hat nur die Bedienung kleiner Restbeträge abgewickelt. Reparationen hat Deutschland nach 1990 nicht gezahlt – von den Zwangsarbeiterentschädigungen mal abgesehen – und auch die im Zweiten Weltkrieg aus den besetzten Ländern herausgepressten Kredite und Besatzungskosten nicht getilgt. Auch gegenüber Griechenland nicht.
Genau wie in den fünfziger Jahren im Falle Deutschlands ist es illusorisch zu glauben, die Griechen könnten ihre Schulden jemals alleine abtragen. (Das war Mitte 2011 !) Die Pleiten Deutschlands im vergangenen Jahrhundert zeigen: Das Vernünftigste ist, jetzt einen echten Schuldenschnitt zu machen. Das würden einige Banken nicht verkraften, also müsste es neue Hilfsprogramme geben. Für Deutschland könnte das teuer werden, aber zahlen müssen wir so oder so. Und immerhin hätte Griechenland dann die Chance auf einen Neuanfang.“
Und jetzt kommt es:
„Die Anti-Griechenland-Stimmung, die in vielen deutschen Medien verbreitet wird, ist hochgefährlich. Und wir sitzen im Glashaus: Nur durch den weitgehenden Schulden- und Reparationsverzicht seiner Kriegsopfer aus dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschlands Wiederaufstieg möglich geworden. Deutschland hat im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege begonnen … und anschließend haben die Feinde die Reparationszahlungen ganz oder in beträchtlichem Umfang erlassen. Dass die Bundesrepublik ihre wirtschaftliche Blüte der Gnade anderer Völker verdankt, hat auch in Griechenland niemand vergessen.
Die Griechen kennen die feindlichen Artikel aus deutschen Medien sehr gut. Wenn die Stimmung im Land umschlägt, alte Forderungen nach Reparationszahlungen laut und auch von anderen europäischen Staaten erhoben werden und Deutschland diese je einlösen muss, werden wir alle bis aufs Hemd ausgezogen. Wenn wir hier der Stimmungsmache folgen und den dicken Emil geben, der die Zigarre pafft und nicht zahlen will, dann werden irgendwann die alten Rechnungen wieder präsentiert.“
Die Verantwortlichen und Schreiber von Spiegel Online haben diese Warnung im Lauf der Zeit vergessen, sonst würden sie sich nicht so gerieren, wie sie es in letzter Zeit tun:
Der Demagoge Fleischhauer arbeitet mit System
SPON sollte die Anti-Griechen-Hetze BILD überlassen – die können das besser
Damit stellen sie sich, (noch) hinter der Bild-Zeitung, an die Spitze einer breiten Bewegung:
ARD und ZDF machen unbeirrt weiter mit Fehlinformationen über Athen (mit Update 1.3.)
Die deutschen Medien versagen in der Griechenland-Berichterstattung (PS 8.2.)
Einheitlichkeit und Schärfe der Anti-Griechen-Hetze waren 2011 noch erheblich geringer als heute. Was würde Ritschl wohl heute sagen? Mal sehn ob ich es herausfinden kann.
English version: Anti-Greek Media Propaganda Will Come Back to Hurt Germany – A Dire Warning From 2011