SPON sollte die Anti-Griechen-Hetze BILD überlassen – die können das besser

  Ein Medienwissenschaftler sollte mal untersuchen, ob es irgendeine menschenrechtsverletzende Putschistenregierung auf der Welt gibt, die von den deutschen Medien mit ähnlich feindseliger Berichterstattung überzogen wird, wie die derzeitige griechische Regierung – eine Regierung, die auch nach neuesten Umfragen von 70 Prozent der Wähler unterstützt wird. Ich mache mir Sorgen um das Verhältnis zwischen dem deutschen und

dem griechischen Volk, wenn unsere Medien nicht aufhören, sich als aggressive Stimmungsmacher für die Durchsetzung „unserer“ Gläubigerinteressen zu gebärden.

Ein abschreckendes Beispiel war gestern auf dem Internet-Leitmedium Spiegel Online zu lesen, als ich es besuchte prominent als zweiter Artikel platziert. „Paranoia der griechischen Regierung: Intrigen, überall Intrigen“, hieß der Artikel, von Giorgos Christides, Thessaloniki. Scheinbarer Anlass war die Verwirrung um eine angebliche Anordnung aus dem Athener Polizeipräsidium, wonach die Polizei illegale Flüchtlinge nicht mehr festnehmen und bereits festgesetzte Flüchtlinge freilassen sollte.

 Das wäre nun wirklich problematisch für die Regierung, weil deren Juniorpartner Anel einwanderungsfeindlich ist. Aber es ging wohl zu schnell, als dass Anel-Vertreter überhaupt etwas dazu sagen konnten. Oder die Regierung steht zu fest zusammen, um sich von solchen Aktionen auseinanderdividieren zu lassen. Stattdessen war sofort der mit Pauken und Trompeten beim Volk durchgefallene Ex-Regierungschef Samaras zur Stelle und nannte, wohlwollend von Christides berichtet, das Vorhaben „unvorstellbar“. Christides weiter:

Der Regierung seines Nachfolgers Alexis Tsipras warf er vor, Griechenland zu einem noch stärkeren Magneten für Einwanderer zu machen. Das hätte ‚katastrophale Folgen für den sozialen Zusammenhalt, die innere Sicherheit, die Wirtschaft, den Tourismus und die Beziehungen zu Europa‘.“

 Ich habe mich schon früher beschwert, dass Syrizas-Koalitionspartner Anel für derartige ausländerfeindliche Sprüche in den deutschen Medien habituell und abwertend rechtspopulistisch genannt wird, während die teilweise viel schlimmer xenophoben Ausfälle des Chefs der Partner-Partei unserer Christdemokraten geflissentlich ignoriert werden. Aber so deutlich wie in diesem Artikel, wo zunächst die Anti-Ausländerhetze von Antonis Samaras neutral bis wohlwollend referiert wird und wenig später von der „rechtspopulistischen“ Anel gesprochen wird, so deutlich wird das zweierlei Maß selten, mit dem hierzulande in den Medien gemessen wird.

 Auch was die argumentative Hauptstoßrichtung des Artikels angeht, zeugt sie mehr von Feindseligkeit als von überzeugender Analyse. Christides berichtet:

Für Verwirrung sorgt das brisante Papier auch auf Regierungsebene. Er habe von einem solchen Vorhaben nichts gehört, erklärte zunächst Yannis Panousis, der als Vizeinnenminister eigentlich gut über die polizeiinternen Abläufe informiert sein sollte. Am Mittwochmorgen dann der Rückzieher: Doch, so Panousis, die Anweisung habe es gegeben – sie sei aber sofort zurückgezogen worden. Von den verantwortlichen Polizeikräften erwarte er den Rücktritt.

 Wie Christides richtig sagt: Der Vize-Innenminister sollte über einen solchen Erlasse Bescheid wissen, bevor dieser ergeht und bevor der Oppositionsführer ihn öffentlich kommentieren kann. Wenn das nicht der Fall ist, hat jemand eigenmächtig gehandelt und der Verdacht liegt nahe, dass er ihm schaden will.

 Was macht Christides daraus. Er dichtet der Regierung einen Hang zu Verschwörungstheorien an und atzt darüber:

Eine Verschwörung also. Mal wieder. Mit dieser Begründung versucht die neue Syriza-Regierung in diesen Tagen so ziemlich jedes Problem beiseite zu wischen.“

Sein zweites, nicht weniger schlechtes Beispiel für die angebliche Paranoia der Syriza-Regierung ist die Kritik von Regierungschef Tsipras an der harten Haltung der Regierungen von Spanien und Portugal in den Verhandlungen mit Griechenland. Mit einer Verschwörungstheorie hat das nun gar nichts zu tun. Kommissionschef Juncker hat davon im Spiegel berichtet. So stehen die entsprechenden Weblinks heute unter einem neuen Artikel zu Griechenland direkt untereinander:

Paranoia der griechischen Regierung: Intrigen, überall Intrigen

Juncker zur Griechenland-Krise: „Einige Länder waren viel strenger als die Deutschen“

Der spanische Premier Rajoy hat im Wahlkampf mit einem Blitzbesuch in Athen den konservativen Regierungschef unterstützt und danach öffentlich an seiner harten und kritischen Haltung gegenüber der Syriza-Regierung kein Hehl gemacht. Muss er ja auch nicht. Seine Haltung ist bei seiner Interessenlage nachvollziehbar und folgerichtig. Schließlich kommt er massiv unter Druck von einer unzufriedenen spanischen Wählerschaft, wenn er zugibt, dass die harte Sparpolitik, die er verfolgt hat, nicht alternativlos war. Genauso normal und verständlich ist, dass Tsipras diese Haltung kritisiert. Wo ist die Verschwörung, wo die Paranoia? Das ist feindseliges Inuendo als Ersatz für fundierte Analyse und objektive Berichterstattung.

Und dann kommt noch der wohl eigentliche Anlass für den Bericht. Christides schreibt:

Ein ‚stiller Putsch‘ sei in Griechenland im Gange, fasst Stelios Kouloglou, bekannter TV-Journalist und Syriza-Abgeordneter im Europaparlament, jüngst die Stimmung unter seinen Parteifreunden in einem Artikel zusammen … Zu den Verschwörern gehören seiner Ansicht nach mächtige Reeder, Journalisten, die Samaras-Partei Nea Dimokratia. Dazu die deutsche Regierung und auch der SPIEGEL, den er wegen eines Artikels über das schwierige Verhältnis zwischen den Finanzministern Wolfgang Schäuble und Giannis Varoufakis als Teil einer Anti-Griechenland-Kampagne sieht. 

 Wer die Berichterstattung des SPIEGEL kritisiert ist ein paranoider Verschwörungstheoretiker, und nicht nur er selbst, sondern alle, die mit ihm zu tun haben. So durchschlagend einfach ist das. Ehrlich: ich erkenne auch eine Anti-Griechenland-Kampagne des Spiegel, und nicht nur des Spiegel, in solchen Artikeln. Ich bin also auch ein Verschwörungstheoretiker. Aber das wissen meine Leser ja eh schon. Deshalb lesen sie mich ja. 

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