Als ich müde von der Arbeit nach Hause kam und gegen meine Gewohnheit schon die „Heute„-Nachrichten einschaltete, traute ich meinen Ohren nicht. Yanis Varoufakis habe damit geprahlt, dass die REFORMLISTE, die er nach Brüssel geschickt habe, absichtlich vage gewesen sei, um die Abstimmungen in den Parlamenten nicht zu gefährden. Eine Korrespondentin, Nicole Diekmann, berichtete das nochmal länglich aus Athen und dabei geizte nicht mit scharfsinniger, gehässiger Analyse. Daraufhin schaute ich mir um 20 Uhr auch noch die Tagesschau
an. Dort, inhaltlich das Gleiche, wenn auch nicht so ausgeschmückt.
Ich hatte den Tag über die Nachrichtenagenturen verfolgt und war im Glauben, Varoufakis habe gesagt, dass die VEINBARUNG MIT DER EUROGRUPPE, absichtlich vage gehalten worden sei, weil die Finanzminister das so wollten, um die Einigung zu Hause leichter verkaufen zu können.
Vielleicht habe ich mich ja verlesen, und das Finanzministerium, über deren Sprecherin ich mich im vorangegangenen Blog mokiert habe, hat Varoufakis in etwas widersprochen, was dieser gar nicht gesagt hat. Also googelte ich nochmal, auf deutsch und auf englisch.
Hier beispielhaft für viele Fundstellen auf Englisch, die alle unmissverständlich das Gleiche sagen, die griechische Enikos:
„The Greek government’s agreement with the Eurogroup was intentionally vague because that is what the EU partners wanted in order to ensure that they would be able to ratify the deal in their parliaments, Finance Minister Yanis Varoufakis said on Friday. „We are very proud of the level of vaguenessness…[European] officials asked for abstract concepts in the text we delivered in order for them to receive parliamentary approval,“ Varoufakis told ANT1 TV, adding that this is the reason no numbers were included in the Eurogroup deal.„
Die Erklärung der Finanzminister wurde absichtlich auf Wunsch der Partner vage gehalten, sagte Varoufakis nach diesen Quellen.
Sucht man auf deutsch, nach „Varoufakis“, „absichtlich“, „vage“, sieht es plötzlich ganz anders aus. Hier ein typisches Beispiel von vielen aus Focus online, erschienen schon vor der Bundestagsabstimmung:
„Am Tag der Bundestagsabstimmung
Varoufakis provoziert: Haben Reformliste absichtlich vage formuliert
Der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis ist sich der Zustimmung des Deutschen Bundestages offenbar so sicher, dass er die Geldgeber schon wieder provozieren kann. Die Reformliste, die sein Land nach Brüssel gesendet habe, sei absichtlich vage formuliert.“
Andere Online Medien schreiben genau den gleichen gehässigen Unsinn und schließlich käuen Heute und Tagesschau das wieder, als neue schöne Gelegenheit, gegen gierige und gehässige Griechen zu hetzen, natürlich nicht so offen wie Bild das tut, sondern eher unmerklich, indem man dem „Gegener“ etwas in den Mund legt, was er gar nicht gesagt hat. Varoufakis hat uns in Wahrheit nur mit der ihm eigenen Ehrlichkeit reinen Wein darüber eingeschenkt, wie unser prinzipientreuer Finanzminister uns mit seinen Sprüchen und mithilfe der ihm aus der Hand fressenden Medien zum Narren hält. Wenn uns das gegen jemand aufbringen sollte, dann nicht gegen den Boten der schlechten Nachricht.
Es ist wirklich eine Schande. Mit Information hat das nichts mehr zu tun, nur noch mit Agitation und schamloser Volksverdummung. Excuse my French.
Update 1.3. Tagessschau und Bericht aus Berlin
Die Tagesschau korrigierte am Sonntag indirekt und für den normalen Zuschauer natürlich unmerklich Ihre verzerrte Berichterstattung von Freitag, indem sie Finanzminister Schäuble sagen lies. „Der Text, den wir mit Griechenland vereinbart haben, in der Eurogruppe, ist völlig eindeutig.“ Es ging also tatsächlich nicht darum, wie ARD und ZDF behauptet hatten, dass der griechische Finanzminister gesagt habe – was er nicht hat – die nach Brüssel geschickte Reformliste der griechischen Regierung sei absichtlich unbestimmt gehalten, sondern Schäuble widersprach – wahrheitswidrig – Varoufakis Behauptung, die Vereinbarung mit der Eurogruppe sei absichtsvoll unbestimmt. Davon, dass sie eben nicht eindeutig ist, kann sich jeder durch Lektüre des kurzen Textes überzeugen.
Der Bericht aus Berlin, aus dem das Schäuble-Interview stammte, war selbst wieder ein schlimmes Beispiel von tendenziösem Journalismus. Es fing damit an, dass Moderator Deppendorf Varoufakis als arrogant und selbstverliebt bezeichnete und hörte nicht damit auf, dass einzig ein libertärer Athener Politikwissenschaftler als Experte breiten Raum bekam um auszuführen, wie verlogen und schlecht die neue Regierung sei, nicht wirklich überraschend, wenn man weiß, dass sie vom anderen Ende des politischen Spektrums ist als er. Sowohl der Sprecher der Video-Einspielung, als auch der rechte Experte sprachen davon, dass Tsipras inzwischen sehr schwer habe, seine Politik daheim zu verkaufen – wahrheitswidrig. Neue Umfragen belegen eine sehr hohe Zustimmung für seine Verhandlungsführung. Die Verantwortlichen bei der ARD sollten wieder zum Journalismus zurückfinden und Hetzkampagnen anderen überlassen.
Schlagwörter: Medienversagen, ARD, ZDF, Tagesschau, Heute, Bericht aus Berlin, Griechenland