Kleine Retourkutsche eines von der Tagesschau zum Linksextremisten Erklärten

22. 04. 2020 | Wer die Politik der Regierung kritisiert, ist ein Extremist. Das sagt die Regierung. Es gibt Rechtsextremisten und Linksextremisten. Linksextremisten sind die, die behaupten, dass die Corona-Krise genutzt werde, um die Überwachung der Bürger zu intensivieren, sagt die Regierung. Ich habe mich dessen schuldig gemacht. Die Tagesschau assistiert: „Extremisten geht es darum, die Politik der Regierung verächtlich zu machen.“

Der Corona-Krisenstab der Bundesregierung, die in dieser Krise ausschließlich gute Entscheidungen getroffen und richtige Einschätzungen abgegeben hat, hat einen vertraulichen Lagebericht erstellt. Wie man das mit vertraulichen Papieren so macht, hat er es umgehend der Tagesschau gegeben, damit sie es dem Volk zur besten Sendezeit verkünde. Die Tagesschau kommt ihrer Pflicht mit einem zweiminütigen Beitrag nach (min 8 bis 10).

Weil es wie Regierungsfernsehen aussehen würde, wenn man allein die Regierung sagen ließe, diejenigen, die die Politik der Regierung kritisieren, seien Extremisten, hat man zwei Einspieler zum Thema Extremismus mit Vertretern von Institutionen aufgenommen, die erst auf den zweiten Blick als regierungsnah erkennbar sind.

Der für den Rechtsextremismus zuständige Experte kommt vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Das ist eine „außeruniversitäre Forschungseinrichtung in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung“. Diese wiederum wird geleitet von der langjährigen Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane und beaufsichtigt unter anderem vom Chef des thüringischen Verfassungsschutzes. Über die eigenwilligen Auffassungen von Frau Kahane, wann Kritik an den Zuständen nicht mehr tolerabel ist, habe ich schon einmal 2016 geschrieben.

Der furchterregende Antisemitismus der Schultoiletten

Als Expertin für Linksextremismus und Islamismus kommt eine Expertin vom Institute for Strategic Dialogue in London zu Wort. Das ist eine Einrichtung, die sich die Bekämpfung des Extremismus auf die Fahnen geschrieben hat. Sie hat sich aber auch schon um Aufklärung der Bevölkerung über die massive Beeinflussung von Bundestagswahlen durch den Kreml verdient gemacht. Im Vorstand sitzen Leute wie der ehemalige Verteidigungsminister zu Guttenberg, Springer-Chef Matthias Döpfner und ganz viele britische Adlige, von denen man annehmen darf, dass für sie der Extremismus beginnt, wo der Bückling des Dieners zu wünschen übrig lässt.

Berater des Instituts sind unter anderem der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger und der ehemalige deutsche Geheimdienstchef August Hanning, bekannt geworden, weil er dem unschuldigen Deutschen Morat Kurnaz zusätzliche Jahre im Gefangenenlager Guantanamo bescherte, indem er dessen Freilassung durch die Amerikaner hintertrieb. Auch die Vizepräsidentin der Weltbank, Ana Palacio, Mitglied im Global Agenda Council des Weltwirtschaftsforums, ist dabei und noch ganz viele weitere hochkarätige Leute, für die – grob gesprochen – der Extremismus dort beginnt, wo die Weltsicht der Nato aufhört.

Das Weltwirtschaftsforum hat besondere Expertise in Sachen Bekämpfung von unliebsamen Pandemiemeinungen, hat es doch erst im letzten Herbst eine Pandemieübung namens „Event 201“ mit ausgerichtet, in der geprobt wurde, wie man im Ernstfall dafür sorgt, dass nur die regierungsamtliche Linie in der Öffentlichkeit Gehör findet.

Event 201 und die Bekämpfung von Fake News

Die Tagesschau selbst mischt ein paar besonders wilde Aluhut-Thesen in einem großen Topf mit der Kritik an der Regierung, dass diese mit Contact-Tracing und Ähnlichem, relativ zum erwartbaren Nutzen, zu viel dauerhafte Überwachungsinfrastruktur einführe, rührt den Sud kräftig durch und nennt ihn demokratiezersetzenden Extremismus.

Dieses beispielhafte Stück McCarthyismus im deutschen Fernsehen sollten Medienforscher unbedingt der Nachwelt erhalten. Als meinen kleinen Beitrag dazu habe ich ihn transkribiert. Die Aussagen zum Linksextremismus habe ich hervorgehoben. Achten Sie darauf, wie einmal nahtlos von Linksextremismus zu Mobilfunkmasten übergegangen wird, so als seien es vor allem Linke, die etwas gegen 5G-Mobilfunkmasten haben. Bei der zweiten Nennung wird Linksextremismus mit Islamismus zusammengeworfen und dann nur noch über Islamismus geredet.

Tagesschau vom 21. 04. 2020, 20 Uhr

Jan Hofer: Die derzeitige Krise wird offenbar verstärkt von Extremisten benutzt, ihre Ideologien und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Das geht aus einem vertraulichen Lagebericht des Corona-Krisenstabes der Bundesregierung hervor. Danach geben Rechtsextremisten Minderheiten die Schuld an der Ausbreitung. Auf der anderen Seite bezeichneten Linksextremisten die Anti-Corona-Maßnahmen als Weg in den Überwachungsstaat und riefen zum Widerstand auf.

Off-Sprecher: Mobilfunkmasten, manche halten Sie für gefährlich. Das Corona-Virus solle nun von dieser Gefahr ablenken, nur eine von vielen Verschwörungstheorien, die in den letzten Wochen im Netz auftauchten.

Einspieler, Julia Ebner vom Institute for Strategic Dialogue: Und diese Verschwörungstheorie hat mittlerweile sogar dazu geführt, dass in ganz Europa Telefonmasten angezündet wurden, also hier gab es auch wirklich Brandstiftungen, die sich von Großbritannien, über die Niederlande, auch in Deutschland gezeigt haben.

Off-Sprecher. Vor allem Rechtsextremisten nutzten die derzeitige Lage aus. Sie gäben Minderheiten die Schuld, heißt es in einem vertraulichen Papier der Regierung. Experten nennen Beispiele:

Einspieler, Matthias Quent, Direktor Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: Es gibt zum Beispiel in einigen Regionen Verschwörungstheorien, die besagen, dass nachts heimlich geflüchtete Menschen nach Deutschland geschafft werden, während alle anderen das Haus nicht verlassen dürfen, um so die Bevölkerung auszutauschen.

Off-Sprecher: Linksextremisten behaupten dagegen, die derzeitigen Freiheitsbeschränkungen seien nur ein Vorwand der Regierung, um in Wahrheit einen autoritären Staat aufzubauen, und auch Islamisten nutzten die Corona-Krise für ihre Zwecke.

Einspieler, Julia Ebner: In einigen der islamistischen Kanäle hat sich vor allem die Idee verbreitet, dass es ein Virus ist, der sozusagen gegen die „Ungläubigen“ von Gott geschaffen wurde, das hier also die Ausrottung des gesamten Westens und allen Nicht-Muslimen zu ziehen hat.

Reporter Michael Stempfle, Berlin: Auch wenn der Krisenstab die Sicherheitslage als weitgehend ruhig beschreibt, den Extremisten geht es darum, die Politik der Regierung verächtlich zu machen und die Demokratie zu beschädigen.

Ende des Tagesschau-Beitrags.

Nachtrag (20:30 Uhr): In Kenntnis des mir inzwischen vorliegenden „vertraulichen“ Lageberichts und der recht kurzen Passage, die die Tagesschau zur Grundlage ihres langen Beitrags gemacht hat, hätte ich dem obigen Text einen etwas anderen Tenor gegeben, nämlich den, dass die Tagesschau aus fast Nichts ein ziemlich großes Stück Propaganda gemacht hat. Hier die beiden einschlägigen Abschnitte. Die drei Sätze, die die Tagesschau verwendet hat, sind von mir gefettet:

Extremistische Gruppen nutzen die Krise zur weiteren Verbreitung und Verstärkung ihrer jeweiligen ideologischen Narrative. Die linke Szene empfindet die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie als Repression und Weg in einen Überwachungsstaat und ruft zum Widerstand auf. Am 14. April 2020 setzten unbekannte Täter in Berlin-Charlottenburg Strom- und Telekommunikationskabel in Brand; es kam zu einem Stromausfall. In einem Bekennerschreiben, dessen Authentizität noch nicht abschließend bestätigt ist, wurde die Tat damit begründet, die Entwicklung einer „Corona-App“ durch das anliegende Heinrich-Hertz-Institut (Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik) sabotieren zu wollen.
Die rechte Szene gibt Minderheiten die Schuld an der Ausbreitung des Virus. „Hilfsaktionen“ erfassen exklusiv „deutsche“ Landwirte und Bedürftige. Die NPD verteilte nach eigenen Angaben kostenlos Schutzmasken in NRW; weitere Aktionen sind geplant. Der Bundesregierung wird eine gezielte Desinformationskampagne über die Pandemie vorgeworfen.

Man fragt sich, warum die Tagesschau ihre Berichterstattung derart in die Länge zog und ausschmückte, aber nur so wenig aus dem zugrundeliegenden Lagebericht verwendete. Die angezündeten Kabel vor dem Heinrich-Hertz-Institut werden nicht erwähnt, stattdessen wird mit Drittstimmen über Attacken auf 5G-Mobilfunkmasten sinniert, die im Lagebericht gar nicht vorkommen und über wilde Theorien von nachts ins Land geholten Immigranten, die dort auch nicht auftauschen. Sehr sonderbar.
Nachtrag Ende.

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