9. 10. 2020 | Hören | Das Robert Koch Institut, der Virologe Christian Drosten und andere führen den Rückgang der Hospitalisierungs- und Sterbezahlen allein darauf zurück, dass sich inzwischen relativ mehr jüngere Menschen anstecken und weniger Ältere. Das ist irreführend, hilft aber, drastische Maßnahmen zu rechtfertigen wie die am Freitag beschlossenen.
Eigentlich könnte es fast egal sein, warum das Corona-Virus inzwischen sehr viel weniger tödlich ist als im Frühjahr. Aber wenn es nur an der Altersstruktur der Infizierten liegt, kann man noch halbwegs überzeugend warnen, dass sich diese auch wieder ändern könnte und von vielen jungen Infizierten irgendwann auch die Älteren angesteckt werden.
Virenlast oft sehr gering
Was die offiziellen und halboffiziellen Covid-Erklärer verschweigen, ist zum einen, dass – vermutlich im Gegensatz zum Frühjahr – ein sehr hoher Anteil der mit PCR-Tests positiv Getesteten eine so geringe Virenlast aufweist, dass sie weder ansteckend noch krank sind. Das erfuhr man am 7. 10. in den Tagesthemen (ab Minute 11), wenn auch in anderer Einkleidung. Ein dort gezeigter Betroffener, der unnötig in Quarantäne geschickt wurde, hatte das Virus bereits im Frühjahr gehabt. Möglicherweise gibt es viele solche Fälle, dass die vielen Tests, die derzeit durchgeführt werden, auf eine lange ausgestandene frühere Infektion noch anschlagen.
Es wurde von einer Umfrage bei Gesundheitsämtern berichtet, wonach sehr viele Ämter gar nicht erfahren, wie hoch oder eben gering die Virenlast ist. Bei denen, die die Laborergebnisse bekommen, lag die Virenlast bei 15% bis 50% der Fälle unterhalb der Ansteckungsschwelle.
Solange die Gesundheitsämter bei den vielen positiven PCR-Tests nicht einmal erfahren, bei welchen es sich lohnt, Kontakte nachzuverfolgen, und bei welchen nicht, erscheint die Rechtfertigung von Einschränkungen der Bürgerrechte mit dem Argument, sonst würden die Gesundheitsämter überlastet, vorgeschoben.
Auch Ältere weniger gefährdet
Wichtiger aber: Was RKI und Drosten hartnäckig verschweigen: In allen Altersklassen ist die Sterblichkeit der Infizierten gegenüber Frühjahr massiv gesunken. Das zeigt zum Beispiel eine am 9. September veröffentlichte Studie der Universität Oxford mit dem Titel „Declining COVID-19 Case Fatality Rates across all ages: analysis of German data„. Autor ist unter anderem der Direktor des Zentrums für evidenzbasierte Medizin an der Universität Oxford, Carl Heneghan, ein praktizierender Arzt und klinischer Epidemiologe. Zitat: „This analysis shows that the fatality rate from COVID-19 has declined in all age groups, and the older age groups drive the overall reduction.“ Zu Deutsch:
„Diese Analyse zeigt, dass die Sterblichkeitsrate von Covid-19 in allen Altersgruppen gefallen ist, und dass vor allem die älteren Altersgruppen für den Rückgang (der durchschnittlichen Sterblichkeitsrate) verantwortlich sind.
Bei den mindestens 80-jährigen kann man aus der dort gezeigten Grafik einen Rückgang der Sterblichkeit der positiv Getesteten von etwa 28% im März und April bis Ende August auf 12% ablesen. Bei den 60- bis 79-jährigen ging die Sterblichkeit von über acht auf unter drei Prozent zurück.
Unangenehm beruhigende Folgerungen
Das lässt zwei für die offizielle Corona-Politik und -PR unangenehme Schlussfolgerungen zu, welche beide die Erzeugung von Angst und die Begründung von Freiheitsbeschränkungen schwieriger machen würden, wenn man sie zöge. Entweder ist das Virus weniger gefährlich, aber vielleicht ansteckender geworden, was alles andere als ungewöhnlich wäre, für diese Art von Virus. Oder die Tests sind zu unzuverlässig oder werden, was die ermittelte Virenlast angeht, nicht angemessen ausgewertet und publiziert.
Allein schon durch die besseren Behandlungsmöglichkeiten ist das Virus heute weit weniger gefährlich als im Frühjahr. Wenn es ansonsten noch gleich gefährlich wäre, und der sehr viel geringere Anteil schwerer Fälle an den positiv Getesteten vor allem darauf zurückginge, dass sehr viel getestet wird und die Tests zu viele Personen als positiv ausweisen, die weder krank noch ansteckend sind, dann sind die Ansteckungszahlen auf die sich die ganze staatliche und halbstaatliche Corona-PR konzentriert, weit weniger besorgniserregend als sie dargestellt werden.
Drastische Maßnahmen beschlossen, mehr angedroht
Am Donnerstag hatte ich nach dem wieder üblich gewordenen Corona-Extra nach der Tagesschau getwittert, die Agitation der Journalisten dort gegen den Flickenteppich an meist zu laxen Maßnahmen wirke (wieder einmal) wie bestellt, um publizistisch vorzubereiten, dass Merkel und die Oberbürgermeister der größten Städte, bei ihrer Konferenz am Freitag „die Zügel anziehen“, wie es so schön heißt. Das ist tatsächlich geschehen. Überschrift im Handelsblatt:
„RKI und Bundeswehr sollen Großstädten gegen Corona-Ausbreitung helfen
Ohne Rücksicht auf die sehr beschränkte Aussagekraft der nackten Infektionszahlen beschlossen Merkel und die Oberbürgermeister auf Basis ihrer immer noch geltenden Notstandsbefugnisse:
„Ab 50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern soll es umgehend neue Beschränkungen geben. Dazu gehören eine Erweiterung der Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen und gegebenenfalls Sperrstunden und Alkoholbeschränkungen für die Gastronomie sowie Teilnehmerbeschränkungen für Veranstaltungen und private Feiern.
Und:
„Eine Warnung hatte die Kanzlerin auch parat: Werde der Anstieg der Infektionszahlen nicht innerhalb von zehn Tagen ausgebremst, seien weitere Beschränkungsschritte unvermeidlich, um öffentliche Kontakte weitergehend zu reduzieren.
Derart freiheitsbeschränkende Maßnahmen und Drohungen auf einen derart untauglichen Krisenindikator zu stützen, wie die Anzahl der positiven PCR-Tests, ohne jede Relativierung, ist mit einer funktionierenden demokratischen Kultur nur noch schwer zu vereinbaren.
Eine Stimme der Vernunft
Als Stimme der Vernunft hat sich im Handelsblatt der Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Bonn, Hendrik Streek mit einem Gastkommentar zu Wort gemeldet. Ganz im Gegensatz zu dem, was Merkel und die Bürgermeister dekretiert haben, fordert er:
„Wir müssen endlich aufhören, nur schreckstarr auf die Infektionszahlen zu schauen. Statt Panik braucht es Pragmatismus und ein vorausschauendes System.
Das soll darauf basieren, dass wir:
„… akzeptieren, dass wir nicht alle Infektionen unterbinden können, sondern als Ziel verfolgen müssen, dass wir Todesfälle, schwere Verläufe und Langzeitfolgen vermeiden. Es bedeutet aber auch zu realisieren, dass uns das nicht immer gelingen wird.
Er betont, das man viel stärker auch auf die Anzahl der schweren Fälle und die Belegung der Betten in den Intensivstationen abstellen müsste, wenn man ein Ampelsystem der Gefahrenlage entwirft. Derzeit stehe die Ampel noch auf grün schreibt er.
Wie recht er doch hat, und wie sehr (deshalb) er ignoriert wird! Im Frühjahr hieß es rauf und runter, es gehe darum, die Kurve der letztlich unvermeidlichen Ansteckungen so abzuflachen, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet werde. Wo ist dieses Ziel geblieben? Es würde zwingend erfordern, dass man auf die Belastung des Gesundheitssystem abstellt, und nicht kontextlos auf die Zahl der positiv Getesteten. Wenn das Ziel der Maßnahmen stillschweigend einfach geändert wird, hin zur Vermeidung der Überlastung der Gesundheitsämter, nur um weiter den Indikator mit dem meisten Angstpotential in den Vordergrund stellen zu können, dann ist das mehr als verdächtig.
Im „Hotspot“ Frankfurt mit 750.000 Einwohnern liegt die Zahl der intensivmedizinisch betreuten Covid-Patienten anhaltend niedrig bei 17, davon werden 7 beatmet. An der Uniklinik wurde ein ganzes Gebäude für Covid-Patienten leergeräumt. Krankenhäuser der zweiten und dritten Reihe der Covid-Versorgung bekommen allenfalls vereinzelt Patienten. Eine Überforderung der Frankfurter Gesundheitssystems ist nicht im mindesten absehbar.
Bis Ende August lag übrigens das durchschnittliche Alter der an oder mit Covid-Verstorbenen bei 81 Jahren. Das entspricht etwa dem durchschnittlichen Alter aller Sterbefälle.
Nachtrag (11.10.): Eine erhellende Grafik zu den Sterbefällen in diesem und den letzten vier Jahren stellt das Statistische Bundesamt in der Pressemitteilung zu ihrer jüngsten wöchentlichen Aktualisierung der Covid-Sonderauswertung zur Verfügung. Dort sieht man auf einen Blick, dass die Sterbefälle an und mit Covid seit der 20. Woche so gering sind, dass sie keine Rolle mehr für die Erklärung der Über- oder Untersterblichkeit spielen. Bei „Infektionsfällen“ in ähnlicher Größenordnung wie derzeit starben im März in einer Woche über 1700 Menschen an und mit Covid. In den letzten Wochen waren es jeweils 20 bis 40 pro Woche.