Lieber Herr Häring,
Sie haben dem Auszug aus meinem Buch „Die erweiterte Demokratie“ einen Kommentar nachgestellt, in dem Sie meinen Ansatz in die Nähe des Wirtschaftsliberalismus rücken. Tatsächlich liegt mir jedoch nichts ferner. Mein Buch handelt von der Entstehung einer gelenkten Demokratie und versucht aufzuzeigen, wie eine ganz bestimmte Haltung von uns „einfachen Menschen“ gegenüber dem Staat eine „Eliten-Herrschaft“ überhaupt erst ermöglicht. Und ich zeige, dass der Wirtschaftsliberalismus genau damit rechnet. Dies ist den Allerwenigsten Zeitgenossen bewusst, und gerade viele Kritiker einer „Eliten-Herrschaft“ übersehen deshalb, wie sie selbst an deren Entstehung und Konsolidierung mitwirken.
Wenn man dieses Problem aber sieht, was Sie offenbar tun, kann man daraus verschiedene Schlüsse ziehen und so zu zu einem positiven Gegenbild einer gelenkten Demokratie kommen. Die Schlüsse, die Sie mir in Ihrem Kommentar (sicher unabsichtlich) unterstellen, ziehe ich allerdings nicht.
Ich verstehe durchaus, wie Sie darauf kommen. Ich versuche nämlich zu verdeutlichen, weshalb staatliche Vormundschaft und Ökonomisierung keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig bedingen. Unter anderem führe ich hierzu aus, wenn auch nur nebenbei, wie die Erwartungshaltung gegenüber dem Bildungsministerium zu einer Verstaatlichung des Schulwesens führt, die aber eine ökonomische Beeinflussung im Schlepptau hat. Und ich stelle dem ein freies, nicht staatlich verwaltetes oder finanziertes Bildungswesen gegenüber. Sie schreiben dazu, offenbar als Hinweis auf eine vermeintliche Kurzsichtigkeit meinerseits: „Wenn Eltern ohne solche Untersützung Schulen selbst finanzieren sollten, würde das alle möglichen unerwünschten Effekte haben: Zum Beispiel, dass Kinder, die in ärmeren Gegenden aufwachsen, viel schlechter ausgestattete Schulen und damit weniger Bildung bekommen.“
Das wäre natürlich eine mögliche Schlussfolgerung aus meinen Ausführungen. Meine wäre dagegen: Ein Schulplatz kostet den Staat pro Monat etwa 800 Euro, Baukosten nicht mitgerechnet. Das heißt, dieses Geld wird pro Monat auch für jene ärmeren Kinder ausgegeben. „Kostenlose“ Schulplätze gibt es also nirgendwo. Die Frage ist nur, wer entscheiden darf, wohin diese 800 Euro fließen. Und ich finde eben: Auch die ärmeren Eltern sind mündig, und sollten deshalb selbst darüber entscheiden dürfen. Ich bin also dafür, das Einkommen aller Eltern um 800 Euro plus Baukostenanteil zu erhöhen, wenn Sie so wollen.
Man könnte hierbei etwa an einen Bildungsgutschein denken. Man könnte aber auch noch weitergehen und fragen: Wieso dann überhaupt noch über die Steuereinnahmen gehen? Denkbar, wenn auch vielleicht nicht sofort realisierbar, wäre nämlich auch der Weg über den Mindestlohn. Der demokratische Staat verbietet also jegliche wirtschaftliche Unternehmung, die nicht sicherstellen kann, dass die Beschäftigten mit ihrer Arbeit so viel Geld verdienen, dass sie sämtliche Bedürfnisse befriedigen können – einschließlich des Bedürfnisses nach einer guten Bildung.
Mögliche Konsequenzen aus meiner Problem-Skizze gibt es also viele – ärmere Menschen sich selbst zu überlassen, ist aber aus meiner Sicht definitiv keine Lösung. Ähnlich verhält es sich mit Ihren übrigen Einwänden – diese sind aus meiner Sicht allesamt völlig berechtigt. Nur missverstehen Sie mein Anliegen ganz grundsätzlich, wenn Sie aus Ihren eigenen Einwänden Schlüsse auf mein Gesellschaftsbild ziehen. Vielmehr sind es genau solche praktischen Einwände, die dann in die Umsetzung führen können. Aber die Voraussetzung ist eben doch, dass man zunächst überhaupt die Hauptsache durchschaut, wie nämlich die heutigen Machtverhältnisse aus einer permanenten Verwechslung von demokratischem Urteil, individuellem Urteil und Kollektivurteil entstehen. Wenn das begriffen wird, sind viele Antworten möglich. Dafür geben Sie ja selbst einige Beispiele, etwa mit Ihrem Modell der Kreditvergabe über die Privathaushalte.
Mein Buch soll auf die Genese von Macht ein Licht werfen, und das auch nur aus einer ganz bestimmten Perspektive, nämlich aus der, die jeder von uns selbst zu verantworten hat (und daher auch selbst beeinflussen kann). Ich will aufzeigen, wo das Tor zur Selbst-Ermächtigung, zur Überwindung der Ohnmacht liegt. Nicht mehr und nicht weniger. Alles Weitere bedarf dann des Gesprächs … Wenn Sie also schreiben „so einfach wie Mosmann/Steiner es darstellen, dass sich nur der Staat aus Wirtschaft und Kultur/Wissenschaft zurückziehen müsse, ist es bei weitem nicht“ – dann möchte ich gerne richtigstellen: So einfach stelle ich es mir auch wirklich nicht vor.
Herzliche Grüße
Johannes Mosmann