Für Wirtschaftsweise und Arbeitgeberlobbyisten gilt der Ethikkodex des Ökonomenverbands VfS nicht

Im aktuellen Heft der Zeitschrift Perspektiven der Wirtschaftspolitik des tonangebenden Ökonomenverbands VfS ist ein Artikel von zwei Wirtschaftsweisen erschienen, der den Ethikkodex des Verbands bekannter Maßen verletzt. Der verantwortliche Herausgeber und VfS-Vorstand legt seine potentiellen Loyalitätskonflikte nicht offen und ist, ebenso wie die Chefredakteurin mit den Autoren auf vielfältige Weise verbandelt.

Kurzfassung: Der Verein für Socialpolitik (VfS) hat einen Ethikkodex, der wissenschaftliche Integrität und Offenlegung möglicher Interessenkonflikte verlangt. Die Hauszeitschriften des Vereins sind ausdrücklich besonders auf diesen Kodex verpflichtet. Trotzdem druckt die Hauszeitschrift Perspektiven der Wirtschaftspolitik (PWP) einen Beitrag der Wirtschaftsweisen und Institutschefs Lars Feld und Christoph Schmidt zur Verteilungsdiskussion, dessen Methodik ein Mitglied der Ethikkommission des VfS zuvor in die Nähe der Täuschung gerückt und ihr eine fehlende wissenschaftliche Basis attestiert hat. Methodische Grundlage der besonders beanstandeten Passagen ist ein Papier des Arbeitgeberinstituts IW. Der verantwortliche PWP-Herausgeber, der freihändig über den Abdruck des Beitrags entschieden hat, ist Botschafter und Blogger für die Arbeitgeberlobby INSM. Hierauf weist er in großzügiger Auslegung des VfS-Ethikkodex nicht hin. Er ist außerdem auf vielfältige Weise mit den beiden Autoren verbandelt, ebenso wie die Chefredakteurin der Zeitschrift, die auch für die Arbeitgeberlobby INSM bloggt.

Perspektiven der Wirtschaftspolitik“ (PWP) ist die Zeitschrift des Vereins für Socialpolitik (fS), der tonangebenden Ökonomenvereinigung des deutschsprachigen Raums. Seit 2012 hat der Verein einen Ethikkodex, der die Vereinsmitglieder zu „Objektivität und Unabhängigkeit in der Analyse und bei wirtschaftspolitischen Empfehlungen“ verpflichtet.

„Der Stand der Forschung ist auf angemessene Weise und nach den herrschenden Normen zu würdigen. (…) Wirtschaftspolitische Beratung soll nach professionellen Standards erfolgen. Dabei ist auf den Unterschied zwischen Meinung, Werturteil und Tatsachenbeschreibung zu achten. (…)In wissenschaftlichen Arbeiten sind Sachverhalte zu benennen, die auch nur potentiell zu Interessenskonflikten oder Befangenheit des Autors/der Autorin führen könnten. Diese Regel soll nach Möglichkeit auch bei Veröffentlichungen in den Nicht-Fach-Medien angewandt werden. (…) Die Herausgeber und Gutachter der vereinseigenen Zeitschriften sind diesem Kodex besonders verpflichtet. Veröffentlichungen müssen den in diesem Kodex genannten Bedingungen genügen.“

Im aktuellen Heft 2 von 2016 der vereinseigenen Zeitschrift Perspektiven der Wirtschaftspolitik (PWP) steht ein Beitrag von Lars Feld und Christoph Schmidt. Ersterer ist Mitglied, letzterer Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Außerdem sind sie Präsidenten des Walter-Eucken-Instituts bzw. des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Der Titel ihres Beitrags: „Jenseits der schrillen Töne: Elemente für eine rationale Diskussion über die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in Deutschland“. Darin wenden sie sich gegen diejenigen, insbesondere gegen Vertreter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die eine zunehmende Ungleichheit in Deutschland als ernstes Problem diagnostizieren. Sie tun das im Wesentlichen auf Basis von Ausarbeitungen im Gutachten des Sachverständigenrats von 2014 und früheren Gutachten.

Kunstvoll ausgeführtes Täuschungsmanöver

Dabei scheuen sich die beiden prominenten Ökonomen nicht, das schlimmste Beispiel eines unwissenschaftlichen Täuschungsmanövers aus dem Gutachten 2014 zu wiederholen und noch zu verfeinern, obwohl es bereits von verschiedener Seite, nicht nur meiner, zerpflückt wurde. Sie wollen die Behauptung unterfüttern, dass die Ungleichheitsdiskussion auf einer Fehlwahrnehmung der Einkommensverteilung in der Bevölkerung beruhe. Methodische Grundlage ist ein Arbeitspapier des Arbeitgeberinstituts IW aus dem Jahr 2014. Gebhard Kirchgässner, pikanter Weise Mitglied in der Ethikkommission des VfS, hatte dazu im Wirtschaftsdienst (Issue 3, 2015) unter dem Titel „Nützliche Ideologen?“ geschrieben:, „Hier ist der von Häring erhobene Vorwurf der Täuschung der Öffentlichkeit nicht unplausibel.“ Und zur verwendeten Methode schrieb er: „Dieses Vorgehen ist hoch spekulativ und in keiner Weise wissenschaftlich abgesichert.“ Selbst die ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ zog „Die Weisen aus dem Morgenland“ für ihre windige Argumentation durch den Kakao (sehr sehenswert).

Die beiden Wirtschaftsweisen und Institutschefs verweisen in ihrem Aufsatz auf das SVR-Gutachten von 2014, das Kirchgässner so scharf kritisiert hatte, und tun dies auch noch verfälschend:

„Der Sachverständigenrat hat in Anlehnung an Niehues (2014) mit Daten des SOEP herausgearbeitet, dass die Befragten gut ein Viertel der Bevölkerung im untersten Segment der Einkommen unterhalb von 40 Prozent des Medianeinkommen verorten, während dieser Anteil bezogen auf die Haushaltsnettoeinkommen weniger als 5 Prozent beträgt.“

Sie stellen es also so dar, dass der unbefangene Leser denken muss, bei der SOEP-Befragung seien die Teilnehmer nach ihrer Einschätzung gefragt worden, welcher Anteil der Bevölkerung unter einem bestimmten, konkret benannten Einkommensniveau liegt. Das ist jedoch weit gefehlt. Was tatsächlich gefragt wurde, erfährt der Leser weder im PWP-Artikel, noch im zugrundeliegenden Gutachten der Sachverständigen von 2014. Man muss schon im Arbeitspapier von Niehues nachlesen. Dort erfährt man, dass den Befragten lediglich verschiedene Grafiken von möglichen stilisierten Gesellschaftsschichtungen gezeigt wurden. Sie sollten sagen welche Gesellschaftsform (Pyramide mit den meisten unten, oder bauchig, mit den meisten in der Mitte, etc.) für sie am ehesten der Realität entsprach. Konkrete Einkommensspannen waren nicht angegeben. Ja nicht einmal, dass die Befragten an eine Schichtung nach Einkommen denken sollten, war vorgegeben. Sie konnten auch antworten, mit zum Beispiel dem sozialen Status im Sinn. Das alles erfährt aber nur der winzige Bruchteil der PWP-Leser, der sich tatsächlich auf dem Umweg über das Sachverständigenratsgutachten (ohne Seitenhinweis) in das Niehues-Arbeitspapier begeben und dort die relevanten Stellen (kein Seitenhinweis) gefunden hat (Grafiken im Niehues-Arbeitspapier Seite 3).

Willkürliche Vergleiche

Die laut Umfrage wahrgenommene stilisierte Bevölkerungsschichtung, die den Umfrageteilnehmern mit sieben Balken für verschiedene Bevölkerungsschichten dargestellt wurde, wird einer tatsächlichen Einkommensverteilung gegenübergestellt. Diese wird freihändig in ebenfalls sieben Schichten untergliedert. Wie freihändig das ist, ist dem Sachverständigenrat und damit Feld und Schmidt offenkundig klar, denn sie selbst nutzten den Freiraum. Niehues lässt die unterste der sieben Schichten bis 60 Prozent des Medianeinkommens gehen. Es ergibt sich eine Besetzungszahl von 16 Prozent, gegenüber den 25 Prozent, die die Befragten in der untersten Schicht verorteten. Diese Diskrepanz war dem Sachverständigenrat offenbar nicht eindrucksvoll genug. Er unterteilte die tatsächliche Einkommensverteilung abweichend von Niehues neu und lies die unterste Schicht nur bis 40 Prozent des mittleren Einkommens gehen. Entsprechend schwach besetzt ist diese Einkommensschicht (5 Prozent), und entsprechend groß der Kontrast mit der Besetzung der untersten sozialen Schicht laut Umfrageteilnehmern.

Möchte jemand das Gegenteil zeigen, müsste er nur den Freiheitsgrad in die andere Richtung nutzen und zum Beispiel die unterste Schicht bis 80 Prozent des Medianeinkommens gehen lassen. Dann wäre die behauptete Diskrepanz zwischen tatsächlicher Besetzung der untersten Schicht und der wahrgenommenen Besetzung laut Umfrage wohl verschwunden, oder ginge sogar in die andere Richtung. Man könnte dann mit gleicher (schlechter) Rechtfertigung behaupten, die Bevölkerung schätze die Ungleichheit sogar zu gering ein.

Deshalb kritisierte Kirchgässner zu Recht (aber PWP-Leser erfahren das nicht), dieses Vorgehen sei durch nichts wissenschaftlich abgesichert.

Feld und Schmidt berufen sich dann sogar noch auf ein neueres Arbeitspapier von Vladimir Gimpelson und Daniel Treisman mit dem Titel „Misperceiving Inequality“. Dabei steht in diesem Arbeitspapier eine Fundamentalkritik an dem vom Sachverständigenrat und Niehues verfolgten Ansatz: Die Autoren schreiben, dass, wenn man die Gesellschaft nach Einkommen in einer Weise in Schichten einteile, dass die Schichten unterschiedlich breite Gehaltsspannen umfassen (was Niehues und der Rat tun), „die fünf Diagramme mit fast jeder Einkommensverteilung in Übereinstimmung gebracht werden könnten, indem man einfach die Einkommensschwellen entsprechend anpasst.“ (Siehe Fußnote 7, kursive Hervorhebung im Original.) Wie diese Manipulation geht, stellte „Die Anstalt“ sehr anschaulich und leicht verständlich dar.

Sich auf ein Papier zu berufen, das das eigene Vorgehen fundamental kritisiert, ohne dies zu erwähnen und sich damit auseinanderzusetzen, ist wissenschaftlich unredlich und widerspricht dem Ethikkodex. Fügt man das damit zusammen, dass Feld und Schmidt auf den ihnen bekannten, gleichlautenden Einwand Kirchgässners nicht eingehen, sondern stattdessen ihre Methode irreführend darstellen, um das Problem zu verbergen, so kommt man kaum an dem Vorwurf vorbei, dass die beiden mit Täuschungsabsicht den wissenschaftlichen Nachweis eines Sachverhaltes behaupten, den sie nicht nachgewiesen haben und nicht nachweisen können.

Feld und Schmidt wollten auf Anfrage keine Stellung zu diesen und weiteren Vorwürfen nehmen.

Hinzu kommt: Der Transparenzgrundsatz hätte nahegelegt, darauf hinzuweisen, welch potentiell interessengeleitete Quelle Niehues 2014 ist. Sie ist am arbeitgeberfinanzierten Institut der deutschen Wirtschaft (IW) angestellt. Nur wer im Literaturverzeichnis nachschaut, und kundig genug ist, um aus dem Veröffentlichungsort „IW-Köln“ die richtigen Schlüsse zu ziehen, kann diese Interessenlage ermitteln. Dabei war den beiden Autoren die Problematik bekannt, hatte Kirchgässner doch ausdrücklich gerügt:

„Dass das Institut der deutschen Wirtschaft als Lobbyorganisation eine solche Arbeit veröffentlicht, ist verständlich, dass der Sachverständigenrat diesen Ansatz kritiklos übernimmt und aus den Ergebnissen diese Schlüsse zieht, stimmt bedenklich.“

Als Analyse verkaufte Meinung

An vielen Stellen wird entgegen den Vorgaben des Ethik-Kodex Meinung aktiv als wertfreie ökonomische Schlussfolgerung getarnt. Schon die Überschrift und Unterzeile versprechen ausdrücklich, dass die Autoren, anders als die Gegenseite, eine „rationale Diskussion“ führen wollen. Sie verweisen (auf Seite 189) mit den folgenden Worten auf die Beiträge des Sachverständigenrats zum Thema, an denen sie maßgeblich beteiligt waren:

„Vielmehr liegen aus den vergangenen Jahren viele Beiträge zu diesem Themenkreis vor. Diese Beiträge sind allerdings weitgehend beschreibender Natur. Die Autoren halten sich meist bewusst mit wertenden Kommentaren zurück. Dies soll verhindern, dass die eigenen Werturteile, die man bei jedem Wohlfahrtsvergleich zwischen Personen unvermeidlich braucht, die Darstellung der Fakten trüben.“ (Dass damit Sachverständigenratsaufsätze gemeint sind, erfährt man in einer Fußnote.)

Die Behauptung von Feld und Schmidt, die Einlassungen des Sachverständigenrats zur Verteilungsfrage seien weitgehend wertfrei, lässt sich leicht als Falschbehauptung nachweisen. Zugegeben: Einen wirtschaftspolitischen Beitrag ohne Wertungen zu schreiben, die sich oft mit der Analyse mischen werden, ist schwer bis unmöglich. Wer aber ausdrücklich betont, er selbst argumentiere besonders wertfrei, der bricht mit Beiträgen, die von ideologischen Vorfestlegungen und als Analyse getarnter Meinung wimmeln, den Ethik-Kodex.

Abweichende Meinungen sind irrational

So kann man laut Feld und Schmidt aus den Markteinkommen ablesen, „wie die Talente und Fähigkeiten in der Bevölkerung verteilt sind und welche Fähigkeiten und Kompetenzen im Zeitablauf im Wertschöpfungsprozess an Bedeutung gewonnen und verloren haben.“ Hier wird als ökonomische Analyse getarnt das Werturteil transportiert, dass im Marktprozess jeder das bekommt, was er verdient, dass mithin Markmacht, Konventionen, Regulierung, Glück u.ä. keine nennenswerte Rolle spielen. Dieses marktfundamentalistische Werturteil ist zentral. Es bestimmt das Ergebnis der Analyse. Denn wenn sich die Vergütung nach einer bestimmbaren Produktivität richtet, kommt man leicht zu dem Urteil, dass sich an der Verteilung der Markteinkommen kaum ohne großen Schaden etwas ändern lässt, und ist geneigt Feld und Schmidt zuzustimmen, dass man Ungleichheit nur nach Umverteilung bewerten sollte.

Die Spreizung der Markteinkommen sei unwichtig, schreiben Feld und Schmidt folgerichtig, allein wichtig sei die Spreizung nach Umverteilung. Was sie als Werturteil vorne hineingegeben haben, lassen sie als zwingende Schlussfolgerung hinten herauskommen: „Den rational zu begründenden (…) Grundpfeiler der Konstruktion unseres Sozialstaats, stellt eine nicht übermäßig gespreizte Verteilung der Einkommen nach Steuern und Transfers dar.“ Damit verunglimpfen sie Sichtweisen, nach denen Transfereinkommen nur unvollkommener Ersatz für eine „anständige“ Vergütung für geleistete Arbeit sind, als irrational.

Eine andere Schlüsselaussage, die sich durch den Aufsatz von Feld und Schmidt zieht, ist die, dass in Sachen Verteilung alles auf den Arbeitsmarkt ankomme. „Der Arbeitsmarkt ist ein wesentlicher Bestimmungsfaktor für die Eindämmung der Ungleichheit“ (S. 202), schreiben sie.

Begründet wird das kaum, aber die manipulative Weglassungskette, mit der die beiden Autoren auf dieses Urteil kommen, lässt sich schön in der Abfolge der Randnummern 518 bis 521 des von ihnen vielzitierten Jahresgutachtens 2014 erkennen. Zunächst wird dort behauptet, die „in das Zentrum ökonomischer und gesellschaftlicher Debatten“ gerückte rückläufige Lohnquote (funktionale Einkommensverteilung) habe in Hinblick auf die Ungleichheitsdiskussion wenig Bedeutung, „da die strenge Abgrenzung zwischen Kapitaleigentümern und Arbeitnehmern immer weniger sinnvoll sei, und weil Kapital im Produktionsprozesse eingesetzt und dabei verbraucht werde. Außerdem dienten Vermögen und das damit erwirtschaftete Einkommen letztlich ebenfalls dem Konsum.“

Das erste Argument ist schwach. Mess- und Abgrenzungsprobleme gibt es immer. Das zweite ist unsinnig, denn wenn die Gewinne und Kapitaleinkommen relativ immer mehr steigen, darf man davon ausgehen, dass die Abschreibungen mehr als erwirtschaftet werden. Das dritte Argument ist sehr fragwürdig, denn die Quandts und die Albrechts, sowie ihre Kinder und Kindeskinder werden ihre Milliardenvermögen nach menschlichem Ermessen nicht annähernd verkonsumieren.

(Nebenbei bemerkt: In ihrem PWP-Aufsatz schreiben Feld und Schmidt, es sei „mittlerweile üblich“, der Untersuchung auf Personenebene den „unbedingten Vorzug“ vor der funktionalen Einkommensverteilung zu geben. Hat sich das von 2014 bis 2016 wirklich derart verschoben, dass die funktionale Verteilung, die damals noch „im Zentrum ökonomischer Debatten“ stand heute bereits gänzlich unüblich ist?)

Nachdem die Entwicklung der Kapitaleinkommen kurzerhand für irrelevant erklärt wurde, geht es im Gutachten in Ziffer 520 weiter mit der Feststellung, dass für eine breite Wohlstandsverteilung vor allem der Arbeitsmarkt wichtig sei. Wenn man die Kapitaleinkommen ausblendet, kommt es also – wenig überraschend – nur noch auf die Verteilung der Arbeitseinkommen an. Ab da wird nur noch die Verteilung der Arbeitnehmereinkommen untersucht, de facto bis zu einem Jahreseinkommen von höchstens 60.000 Euro.

Eine derart manipulative Weglassungskette, der ausdrücklich der Mantel der wertneutralen, beschreibenden Analyse umgehängt wird, ist nicht mit einer professionellen Darlegung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes vereinbar, wie es der Ethikkodex fordert.

Vermögensverteilung? Irgendwie zu schwierig

Zur Vermögensverteilung, für welche die trickreich ausgeblendeten Kapitaleinkünfte eine große Bedeutung haben, schreiben Feld und Schmidt im PWP-Aufsatz mehrere Seiten. Dabei geht es aber ganz überwiegend nur um Mess-, Detail- und Vergleichsprobleme. Eine klare Aussage zur Leitfrage, ob die Ungleichheit (zu) hoch ist oder übertrieben wird, fehlt. Im vielfach zitierten, angeblich wertfreien Jahresgutachten 2014 ist dagegen neben den gleichen Relativierungen auch zu lesen (Z 526), im Vergleich zu den Einkommen seien die Vermögen „deutlich ungleicher verteilt“ Das wird dann aber – gar nicht wertfrei – als „zu erwarten“ weggewischt.

Es geht weiter in dem laut Feld und Schmidt angeblich weitgehend wertfrei argumentierenden SVR-Gutachten von 2014 mit dem Werturteil: „Neiddebatten und Maßnahmen, welche die Renditechancen schmälern, wie etwa Vermögensteuern, können die Investitionsbereitschaft hemmen und die wirtschaftliche Dynamik schwächen.“ Es ist eine interessante Auslegung von werturteilsfrei, die es erlaubt, in einem Beitrag zur Frage, ob die Ungleichheit zu hoch ist oder nicht, das Feststellen von zu hoher Ungleichheit als „Neiddebatte“ abzuqualifizieren.

Im PWP-Artikel kommen Schmidt und Feld außerdem zu der überraschenden Feststellung (S. 189), aus der Verteilung der Vermögen könne man „keineswegs direkt“ auf die Verteilung von Chancen in der Gesellschaft schließen. Das lässt sich ohne eine ausgeprägte Voreingenommenheit wohl kaum verstehen. Es scheint jedenfalls in Kontrast zu stehen mit der Feststellung (S. 202), dass „die Persistenz des Bildungserfolgs über die Zeit (…) die intergenerationelle Dauerhaftigkeit der Einkommens- und Vermögensverteilung erhöh(t)“, und auch damit, dass (S. 203) „vornehmlich Kinder aus Elternhäusern mit hohem Bildungsstand und entsprechendem Einkommen studieren.“

Es drängen sich Fragen auf

Wie gut wird die Regierung von Sachverständigen beraten, die in ihren Publikationen wiederholt bewusst täuschen?

Was ist der Ehrenkodex des Vereins für Socialpolitik wert, wenn in der Vereinszeitschrift Beiträge abgedruckt werden, die ihn offenkundig und eklatant verletzen?

Wer verantwortet die Perspektiven der Wirtschaftspolitik und in welcher Beziehung stehen sie zu den Autoren des problematischen Aufsatzes?

Wie halten es die Verantwortlichen der Perspektiven der Wirtschaftspolitik selbst mit der Transparenz hinsichtlich ihrer möglichen Interessenkonflikte?

Verstörende Antworten

Die Antworten auf die letzten beiden Fragen sind verstörend, weil sie deutlich machen, dass der federführende Herausgeber seine eigenen möglichen Interessenkonflikte nicht transparent macht, dass Richtlinien zur Befangenheit von Herausgebern, wie es sie etwa bei der Zeitschrift des US-Verbands American Economic Association gibt, zu fehlen scheinen, und dass die Herausgeber sich offenbar nicht scheuen, freihändig Beiträge von Autoren in die Zeitschrift zu heben, mit deren Autoren bzw. Institutionen sie eine enge Beziehung haben.

Karl-Heinz Paqué, federführender Herausgeber der Perspektiven der Wirtschaftspolitik ist Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und gelegentlicher Autor im INSM-Ökonomenblog. Diese Lobby- und PR-Organisation wird von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert. Paqué legt diese Verbindung zu den Arbeitgebern in der Zeitschrift PWP nicht offen, auch nicht in seinen Editorials. Dort teilt er zur Person nur mit, dass er Professor an der Uni Magdeburg ist. Dabei wäre der Gedanke nicht ganz abwegig, dass die überwiegend mit den Interessen des Arbeitgeber-und Unternehmerlagers harmonierenden Beiträge, zu Fragen wie Mindestlohn, Rente und Verteilung, die im PWP ihren Abdruck finden, etwas damit zu tun haben könnten, dass der federführende Herausgeber exponiert für eine Arbeitgeberlobby wirkt.

Prof. Paqué erklärt hierzu auf Anfrage: er habe viele Funktionen, die „bei böswilliger Betrachtung“ zur Schlussfolgerung verleiten könnten, er sei nicht unabhängig. „Ich hielte es für abwegig, all diese Funktionen, die allgemein bekannt sind, immer ausdrücklich zu nennen.“

Den Verdacht, dass die INSM-Verbindungen nicht ganz unbedeutsam sind, könnte dem informierten Leser hinsichtlich des Beitrags von Feld und Schmidt zur angeblich fehlgeleiteten Verteilungsdiskussion im jüngsten Heft schon kommen, den Paqué in die Zeitschrift gehoben hat. Die INSM findet die Thesen von Schmidt und Feld genau richtig, wie man etwa an einem am 10. August von der INSM per Twitter zustimmend weiterverbreiteten Artikel mit dem Titel „Von wegen Unsozialstaat – den Deutschen geht es gut“ sehen kann. Der Artikel beginnt mit der Feststellung „die Politik redet der Bevölkerung ein, dass das Land sich immer mehr spalte zwischen arm und reich.“ Das ist exakt der Vorwurf, den Feld und Schmidt und das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft dem DIW und manchen Medien machen.

Da der problematischste Teil des Aufsatzes von Feld und Schmidt auf ein Papier des Arbeitgeberinstituts IW zurückgeht, fragt man sich schon, ob ein Botschafter einer Arbeitgeberlobby völlig frei wäre, ein Papier eines Arbeitgeberinstituts, in dessen wissenschaftlichem Beirat er zudem sitzt, als unwissenschaftliche Propaganda einzustufen und eine sich darauf berufende Einreichung abzulehnen. (Immerhin hat ja ein Mitglied der VfS-Ethikkommission das Papier des IW derart eingestuft.) Zumindest sollten jedoch die Leser die Möglichkeit bekommen, sich ohne längere eigene Nachforschungen ein eigenes Urteil über mögliche Befangenheit zu bilden.

Paqué findet derartige Gedanken abseitig und erwidert, wenn man aus Freund- und Bekanntschaften im kollegialen Rahmen eine Befangenheit ableiten würde, wäre er für jedwede Führungsaufgabe als Herausgeber ungeeignet, weil er zu vielen Kolleginnen und Kollegen freundschaftliche Kontakte pflege.

Die Chefredakteurin der PWP, die den Aufsatz von Feld und Schmidt redigierte, hätte vielleicht den Bruch der Ethikregeln des VfS bemerken können, wenn sie nicht ebenfalls aus dem gleichen Umfeld käme. Felds Walter-Eucken Institut unterstützt das von Horn kürzlich gegründete akademische NOUS-Netzwerk zur Förderung des freiheitlichen Geistes. Feld stellt mit ihr den Vorstand des Trägervereins. Die beiden verbindet außerdem die Mitgliedschaft in der ebenso marktradikalen wie elitären Mont Pêlerin Society. Die von BDI und Arbeitgeberverband finanzierte Schleyer-Stiftung steuert einen großen Anteil zur Finanzierung von NOUS bei. Horn war früher Leiterin des Berliner Büros des von Michael Hüther geführten Arbeitgeberinstituts IW. Sie ist regelmäßige Autorin auf dem INSM-Ökonomenblog. Bis Anfang des Jahres war sie Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, in der auch Feld, Paqué und Hüther Mitglied waren. Diese traten gemeinsam mit ihr aus der Gesellschaft aus, als sie deren rechte Unterwanderung öffentlich diagnostizierte und einen Machtkampf verlor.

Christoph M. Schmidt, der zweite Autor des hier kritisch beleuchteten PWP-Artikels, ist Mitglied im Herausgeberbeitrat der Vereinszeitschrift PWP. Sein Institut RWI hat schon im Auftrag der Arbeitgeberlobby INSM gearbeitet, deren Botschafter PWP-Herausgeber Paqué ist. So erstellte das RWI eine Studie im Rahmen einer INSM-Kampagne gegen das erneuerbare Energien-Gesetz. Schmidt selbst stellte die Studie am 27. August 2012 in einer von der INSM organisierten Pressekonferenz in Berlin vor.

Paqué ist seit Anfang 2014 federführender Herausgeber der PWP. Er führte Neuerungen ein, wie die Artikelkategorien „Aus aktuellem Anlass“ und „Wissenschaft im Überblick“, die nicht in den normalen externen Gutachterprozess einbezogen sind. Sie sollen nach seiner Erläuterung dafür sorgen, dass die Zeitschrift interessanter, meinungsstärker und relevanter für die wirtschaftspolitische Diskussion wird. Löbliche Ziele. Wenn allerdings ein INSM-Botschafter, der dieses Engagement nicht transparent macht, sich solche Freiräume schafft und sie nutzt, um wissenschaftlich nicht fundierte, arbeitgeberfreundliche Positionen von Leuten aus seinem Umfeld mit der Aura der neutralen Wissenschaftlichkeit zu versehen und im wirtschaftspolitisch engagierten Publikum zu verbreiten, dann wird es doch sehr problematisch.

Paqué ist qua PWP-Amt im erweiterten Vorstand des Vereins für Socialpolitik. Dieser habe die Neuausrichtung der Vereinszeitschrift mitgetragen, sagt er.

Ein unschönes Beispiel für den Missbrauch der PWP als eine Art verdecktes Kampfblatt der INSM ist auch die Untersuchung von Andreas Knabe, Ronnie Schöb und Marcel Thum „Der flächendeckende Mindestlohn“ aus Heft 2, 2014. Darin sagten die Autoren – ex-post völlig überzogene – massive Beschäftigungsverluste als Folge des von den Arbeitgebern bekämpften Mindestlohns voraus. INSM-Botschafter Paqué pries das von ihm ins Blatt gehobene Werk in seinem Editorial sehr ausführlich als „ein Paradebeispiel für den Versuch, eine zentrale Frage der Wirtschaftspolitik durch empirische Evidenz zu beantworten.“ Wenig später, am 19. September 2014 veröffentlichte die INSM ein Kurzexposé zu den Mindestlohnwirkungen, das Schöb in INSM-Auftrag verfasst hatte, sowie am 1. Dezember eine ausführliche INSM-Auftragsstudie von Knabe und Schöb zu den Beschäftigungswirkungen des Mindestlohns. Jüngst verteidigten Knabe und Schöb mit zwei Ko-Autoren (und windigen Argumenten) in einem Zeitungs- und Internetbeitrag ihre Fehlprognosen in Sachen Beschäftigungsverluste. Entgegen dem Ethikkodex des VfS weisen sie weiterhin nicht darauf hin, dass in diesem Sachzusammenhang Geld von einer Arbeitgeberlobby geflossen ist und eine Auftragsstudie erstellt wurde.

Paqué antwortet auf Anfrage, alleiniges Kriterium für seine Entscheidung, Knabe und Schöb mit Ko-Autor Thum zu ermuntern, einen Survey zum Thema Mindestlohn für die PWP zu schreiben, sei die Tatsache gewesen, dass beide dazu ausgewiesene Fachleute seien. „Alles andere war und ist mir völlig egal. Jedem, der nicht die Auffassungen von Knabe/Schöb/Thum vertritt, steht es frei, sich sachlich dazu zu äußern.“ Was „abstrakte ethische Kriterien“ wie die Pflicht zur Offenlegung von möglichen Interessenkonflikten angeht, hat Paqué offenbar eine andere Einstellung als diejenigen, die den Ethikkodex des VfS verfasst haben, dessen Vereinszeitschrift er herausgibt. Er schreibt: „Es steht jedem frei, sich über alle möglichen Aktivitäten des betreffenden Autors im Internet zu informieren.“

Knabe und Schöb sahen auf Anfrage keine Konflikte mit dem VfS-Ethikkodex:

„Im Fall der Veröffentlichung in den Perspektiven der Wirtschaftspolitik bestand weder zum Zeitpunkt der Anfertigung des Beitrags noch seiner Veröffentlichung ein Kontakt zur INSM. Die INSM ist erst nach Veröffentlichung dieses Beitrag, und vielmehr seinetwegen, mit uns in Kontakt getreten.“

Hier stellt sich allerdings die Frage, inwieweit man es nicht doch als „Kontakt mit der INSM“ werten muss, wenn der PWP-Herausgeber gleichzeitig INSM-Botschafter ist. Weiter schreiben sie, für die Beiträge, die sie Anfang/Mitte 2016 veröffentlicht haben, hätten sie nicht auf Ergebnisse der von der INSM in Auftrag gegebenen Studie zurückgegriffen. Für diese Beiträge sei also keine Unterstützung der INSM in Anspruch genommen worden.

Schaut man durch die Vereinszeitschrift PWP, so muss man entweder schließen, dass deutsche Ökonomen generell keine potentiellen Intressenkonflikte haben, oder dass sie diese trotz Ethikkodex nicht mitteilen wollen und müssen. In den vier Ausgaben, die mir vorliegen (2.2014 und 4.2015-2.2016) konnte ich jedenfalls kein Statement finden, wonach entweder ein möglicher Interessenkonflikt vorliegt oder ausdrücklich gesagt würde, dass er nicht vorliegt.

Fazit

Der Vorstand des Vereins für Socialpolitik und seine Ethikkommission sollten auf der bevorstehenden Jahrestagung in Augsburg die Veröffentlichungs- und Offenlegungspraxis der Vereinszeitschrift PWP zum Thema machen und Konsequenzen ziehen. Alles andere wäre ziemlich ungünstig für die Glaubwürdigkeit des VfS-Ethikkodex und das Ansehen der Ökonomen in der Öffentlichkeit. Die Haltung des PWP-Herausgebers scheint ziemlich typisch zu sein für die Offenlegungspraxis deutscher Ökonomieprofessoren: „Man kann es ja im Internet herausfinden, was ich alles mit wem und in wessen Auftrag mache, wenn man böswillig genug ist, daraus Schlüsse ziehen zu wollen“, lässt sich diese Haltung grob beschreiben. Wenn schon die Vereinszeitschriften nicht mit besserem Beispiel vorangehen, woher soll dann der Wandel kommen.

Nachtrag 6.9.: Wie der Vorstand des VfS sich (nicht) um das Thema kümmert.

Stellungnahmen

Komplette Stellungnahme von Karl-Heinz Paqué

Komplette Stellungnahme von Ronnie Schöb und Andreas Knabe

Kurze Stellungnahme von Karen Horn

Mehr zum Thema:

Die tricksenden Wirtschaftsweisen im „Wirtschaftsdienst“

Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen

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Professorale Vetternwirtschaft (1): American Economic Review

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