Professorale Vetternwirtschaft 1: American Economic Review

 Die Herausgeber der führenden (US-)Fachzeitschriften für Ökonomie haben es als Türsteher in der Hand zu bestimmen, wer hierzulande im Fach Karriere machen kann und wer nicht. Denn Publikationen in „führenden“ Fachzeitschriften sind mit Abstand der wichtigste Leistungsnachweis heutzutage. Ein Skandal beim American Economic Review, der Hauszeitschrift des Ökonomenverbandes American Economic Association, und die Art wie die Verbandsführung (nicht) damit umgeht, zeigt wieder einmal, wie fragwürdig das ist.

Wer es als Volkswirt akademisch zu etwas bringen will, sollte tunlichst einen Artikel im „American Economic Review“ (AER) unterbringen.  Oder in einer anderen der wenigen Fachzeitschriften, die zur ersten Liga gehören. Denn Veröffentlichungen in führenden Fachzeitschriften sind die mit Abstand wichtigste Währung im Rennen um Professorenjobs. Entsprechend groß ist der Einfluss der Herausgeber dieser Zeitschriften, die sich fast alle aus etwa einem Dutzend Top-Universitäten der USA rekrutieren. Das wiederum lädt ein zu dem Vorwurf, das System sei fortschrittsfeindlich, wie ihn etwa das internationale Netzwerk kritischer Studenten ISIPE erhebt. Denn eine kleine Anzahl arrivierter Professoren könne dafür sorgen, dass die Methoden und Ergebnisse, die diese groß gemacht hätten, nicht in Zweifel gezogen würden.

Der Anspruch der Zeitschriften, objektive Qualität von eingereichten Aufsätzen festzustellen, beruht auf der Begutachtung durch mehrere von den Herausgebern ausgewählte, fachlich versierte Gutachter, die anonym bleiben. Eine aktuelle Umfrage des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung bei 5000 Professoren und Nachwuchswissenschaftlern hat nach einem Bericht der Zeit ergeben, dass das Misstrauen gegenüber dem Gutachterprozess groß ist. Vier Fünftel zweifeln an der Objektivität der Gutachter, die oft Konkurrenten oder Mitstreiter der Begutachteten sind.

Ein vom American Economic Review zur Veröffentlichung angenommenes Papier von zwei jungen Volkswirtinnen aus Kalifornien ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Die anrüchige Art, wie der Aufsatz „Family Ruptures, Stress, and the Mental Health of the Next Generation“ von Petra Persson und Maya Rossin-Slater begutachtet wurde, und wie die AER-Herausgeber damit umgehen, weckt Zweifel an der Kompetenz der Gutachter und vor allem an der Neutralität der Herausgeber.  Das wiegt umso schwerer, als AER die Zeitschrift der American Economomic Association ist, der weltweit mit Abstand einflussreichsten Ökonomenvereinigung mit rund 17 000 Mitgliedern aus aller Welt. 

Anonyme Querschüsse

Was war passiert? Wie üblich, hatten die Autorinnen den eingereichten Aufsatz als Arbeitspapier publiziert und mitgeteilt, dass er vom AER zur Veröffentlichung angenommen sei. Das ist eine große Auszeichnung, die nur einem von 12 eingereichten Aufsätzen zuteil wird. Doch dann wurde bei Economics Job Market Rumors – einem Ökonomen-Portal für Debatten und Tratsch – anonym ein kritischer Kommentar veröffentlicht. Darin hieß es, der Aufsatz von Persson Rossin-Slater verwende den gleichen schwedischen Datensatz und habe eine sehr ähnliche Fragestellung wie ein medizinischer Aufsatz, der bereits in einer medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht worden war. Auf diesen Aufsatz hatten die Autorinnen in ihrem Paper aber nicht hingewiesen. Weitere Aufsätze, die der umstrittenen Studie von Persson Rossin-Slater ähneln, fanden sich.

Dass der Aufsatz nicht so innovativ war wie die Autorinnen vorgaben, hätte mindestens einem der vier fachlich versierten Gutachter auffallen können. Durch den externen Hinweis hätten sie immerhin die Gelegenheit bekommen können, im Lichte der neuen Information ihr Gutachten zu revidieren. Das geschah aber nicht. Stattdessen ließ die mit dem Aufsatz befasste AER-Herausgeberin, die Berkeley-Professorin Hilary Hoynes, die beiden Autorinnen des kritisierten Aufsatzes an den Gutachtern vorbei Fußnoten und einen Annex mit Verweisen auf die früheren Studien einfügen.

Nun steht auf Seite 3 des Aufsatzes von Persson und Rossin-Slater, dies sei die erste Studie, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen mütterlichem Stress während der Schwangerschaft und späterer geistiger Gesundheit dokumentiere. Und aus einem Annex ab Seite 44 geht hervor, dass das nicht stimmt.

Bis dahin wäre das Ganze nicht schön, aber bestenfalls ein Skandälchen gewesen. Zum Skandal wuchs es sich aus, weil durch den aufgeflogenen Fauxpas der jungen Autorinnen etwas anderes publik wurde, was ohne diesen wohl niemand gemerkt hätte: AER-Herausgeberin Hoynes hatte während der Begutachtung des strittigen Aufsatzes gemeinsam mit einer der Autorinnen, Rossin-Slater, an einer anderen Studie gearbeitet. Das widerspricht klar den Richtlinien des AER. Aus gutem Grund, wie der Harvard-Ökonom George Borjas in einem Blogbeitrag zu dem Disput erläutert, denn „Herausgeber können durch geeignete Auswahl der Gutachter stark beeinflussen, wie der Gutachterprozess ausgeht“.

Hoynes hätte ihren Interessenkonflikt im Vorfeld deutlich machen müssen. Die AER-Herausgeberin machte die Sache noch schlimmer, indem sie den Autorinnen erlaubte, an den Gutachtern vorbei maßgebliche Änderungen an dem Aufsatz vorzunehmen. „Spätestens nachdem ihr das Problem mit dem Aufsatz bekannt wurde, hätte sie sich herausziehen und alle weiteren Entscheidungen der Chefin des Herausgebergremiums anvertrauen müssen“, so der emeritierte Yale-Professor Daniel Hammermesh.

Der größte Skandal aber ist für Harvard-Ökonom Borjas, dass die Führung des American Economic Review bisher keine Anstalten gemacht hat, sich ernsthaft mit diesem Fall von Vetternwirtschaft zu befassen. Eine öffentliche Erklärung gibt es bisher nicht. Hoynes wird auf der Website der Zeitschrift weiterhin als Herausgeberin geführt. Meine Anfragen per E-Mail an die Chefin des AER-Herausgebergremiums, die Harvard-Professorin Pinelopi Goldberg, blieben unbeantwortet. Auch die American Economic Association hat sich nicht geäußert.

Die Autorinnen erklärten dem Blog Retraction Watch der akademischem Fehlverhalten nachgeht, sie hätten von der Existenz der einschlägigen Publikationen in medizinischen Fachzeitschriften nichts gewusst. In den Kommentarforen, wo der Skandal für viel Aktivität sorgte, wurde dies vereinzelt mit dem Argument verteidigt, dass man von Ökonomen nicht verlangen könne, auch die medizinische Fachliteratur zu kennen. Vorherrschend war jedoch das Urteil, wer über medizinische Fragen schreibe, müsse sich auch mit der medizinischen Fachliteratur zum Thema befassen. Über Suchmaschinen sei das Auffinden einschlägiger Fachliteratur leicht möglich.

Sexistische Kampagne?

AER-Herausgeberin Hoynes setzte auf den Gegenangriff: Das Internetportal Economics Job Market Rumors, das die Probleme des Aufsatzes und später die Loyalitätskonflikte von Hoynes öffentlich gemacht habe, sei „ein nicht moderiertes Forum“ und deshalb keine seröse Quelle für Informationen. Die Princeton-Professorin Janet Currie sprang ihr beim Blog Retraction Watch bei, indem sie Sexismus beklagte. Kommentatoren des Portals machten Frauen oft schlecht. Dass Frauen in diesem Fach so unterrepräsentiert seien, könne auch an solchen Kampagnen liegen. Currie war laut Retraction Watch die Doktormutter von Autorin Rossin-Slater. Auch sie arbeitet laut Lebenslauf von AER-Herausgeberin Hoynes mit dieser an einer Studie.

Und in Deutschland?

Wer jetzt auf die Idee kommen sollte die Sitten in der ökonomischen Hochschullandschaft der USA seien verlotterter als bei uns, der würde sich schwer täuschen. In den nächsten Tagen werde ich darlegen, wie es beim tonangebenden deutschsprachigen Ökonomenverband Verein für Socialpolitik und seiner Hauszeitschrift Perspektiven der Wirtschaftspolitik ganz ähnlich zugeht – auch wenn es dort nicht darum geht, Freunde und Bekannte in deren Karriere zu fordern, sondern darum, genehme politische Aussagen von Freunden und Bekannten mit dem Mäntelchen der objektiven Wissenschaftlichkeit zu behängen und in der Fachwelt zu verbreiten.

Weiterführender Text:

Noceolas Bearbaki hat einen (englischsprachigen) Comment zu dem kritisierten Papier und zu dem Vorgang geschrieben. Resümee:

„Persson and Rossin-Slater’s (2016b) paper incorrectly dismisses the previous literature and misrepresents their own paper’s claims to novelty. We recognize that scholars may occasionally fail to locate previous literature, or fail to cite those who have gone before them. What is concerning in this case is that even after Persson and Rossin-Slater were made aware of their oversight of earlier literature, they have still refused to honestly situate their work in the context of the larger literature. Instead, they incorrectly demean the work of previous scholars as merely “correlational”, and falsely claim novelty for their own work that it does not deserve.

Given the hierarchical nature of economics, a single publication in the American Economic Review is enough to build a reputation as a leading researcher. It is no surprise that the impression that the top publications are sometimes handed out carelessly to friends and relations is disturbing to many. It is also no surprise that few are willing to publicly criticize those who control access to the leading journals in the discipline.“

 

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