Achim Truger: Replik zur Stellungnahme des Sachverständigenrats

 Es ist gut, dass der Sachverständigenrat (SVR) nach Intervention des Handelsblatts in seiner Stellungnahme vom 29.11.2014 auf unsere Kritik am letztjährigen Jahresgutachten (2013) reagiert hat. Wir hatten diese Kritik ursprünglich bereits im April 2014 in einem IMK Report zur Steuerschätzung geäußert und bekräftigen sie in aktualisierter Form in einem Aufsatz für den Wirtschaftsdienst. Unsere Kritik bestand darin, dass der SVR bei seinen Berechnungen der Mehrbelastungen durch die kalte

Progression das Jahr 2006 zum Bezugsjahr gemacht hat, obwohl dieses in einem längeren Vergleichszeitraum – wir wählten in Übereinstimmung mit einer früheren Analyse des SVR aus dem Jahresgutachten 2011 den Zeitraum seit 1991 – eines der Jahre mit der niedrigsten Einkommensteuerbelastung ist. Der SVR wies im JG 2013 explizit darauf hin, dass man für die Analyse ein Bezugsjahr wählen muss, und begründete die Wahl des Jahres 2006 wie folgt:

 „Um die Mehrbelastungen der Kalten Progression darzustellen, ist es erforderlich, ein Bezugsjahr zu wählen. Mit dem Jahr 2006 wird im Folgenden ein Jahr gewählt, in dem die vorangegangene Anpassung ein Jahr zurücklag und die Kalte Progression bereits einmal wirken konnte. Damit handelt es sich um ein Jahr mittlerer Belastung.“ (SVR 2013, Ziff. 671).

 Wir hatten diese Aussage so interpretiert, der SVR behaupte, das Bezugsjahr 2006 sei ein Jahr mittlerer Einkommensteuerbelastung und damit eben kein Jahr besonders niedriger Belastung. Unser Hinweis, der SVR habe wissen müssen, dass es sich in Wirklichkeit aber um ein Jahr besonders niedriger Belastung handelte, stützte sich auf die Analyse im SVR-Jahresgutachten 2011, wo die reale Einkommensteuerbelastung – ähnlich unserer Analyse – für die Jahre 1991 bis 2013 analysiert wird. Im dortigen Schaubild 51 sieht man in der Tat klar, dass das Jahr 2006 im analysierten Zeitraum ein Jahr besonders niedriger Belastung ist. In Ziff. 347 stellt der SVR (2011) fest, dass die Kalte Progression – nach der von uns ebenfalls verwendeten Definition – seit 1991 durch die Tarifreformen der Vergangenheit tendenziell ausgeglichen worden ist. Er bezieht dabei ausdrücklich die rot-grünen Tarifsenkungen in die Analyse mit ein. Unseres Erachtens hätte der SVR (2013) und erst recht in seiner aktuellen Stellungnahme darauf hinweisen müssen, dass ein bedeutender Widerspruch zum früheren Gutachten besteht, weil die Analyse von 2011, die den gesamten Zeitraum 1991-2013 umfasst, durch die Wahl des neuen Bezugsjahres 2006 aufgegeben wurde. Politik und Öffentlichkeit hätten, gerade mitten in der Phase der Koalitionsverhandlungen 2013, bei der die Frage der Kalten Progression zu den Streitpunkten gehörte, eine Erläuterung des SVR verdient gehabt, dass dieser offenbar seine Beurteilungsmaßstäbe geändert hat.

 In seiner aktuellen Stellungnahme (am Ende)  versucht der SVR zwar zu erläutern, warum er das Jahr 2006 zum Bezugsjahr gemacht hat, er geht jedoch mit keinem Wort auf den von uns thematisierten Widerspruch zum Gutachten 2011 ein. Die angeführte Begründung, das Jahr 2006 werde gewählt, weil die durch die rot-grünen Steuersenkungen herbeigeführten Entlastungen bis 2005 Ausdruck eines vom Gesetzgeber gewollten real niedrigeren Belastungsniveaus seien, ist willkürlich. Auch nach 2005 hat es mehrfach Änderungen am Einkommensteuertarif gegeben (2007, 2009, 2010, 2013 und 2014), so dass auch die Belastung in jedem dieser Jahre als Ausdruck des vom Gesetzgeber gewollten realen Belastungsniveaus interpretiert werden könnte.

 Geradezu abenteuerlich gerät der Versuch des SVR, eine Begründung für die Aussage bzgl. der „mittleren Belastung“ zu finden:
Um dieser Überlegung Rechnung zu tragen, hat der Rat das Jahr 2006 gewählt. Da es im Jahr 2008 bereits eine weitere Tarifanpassung für das Jahr 2009 gab, stellen die Jahre 2006 und 2007 mittlere Jahre dieses Zeitraums dar. Am grundsätzlichen Befund würde die Wahl des Jahres 2007 nichts ändern.“

 Hier findet eindeutig eine Bedeutungsverschiebung statt: Anstatt um die Begründung der „mittleren Belastung“ geht es plötzlich um die Begründung der Lage des Bezugsjahres zeitlich in der Mitte zwischen zwei Jahren steuerlicher Entlastungsschritte. Das sind offensichtlich zwei völlig verschiedene Dinge. Zu allem Unglück sind die Erläuterungen dann auch noch sachlich falsch: Die Anpassung des Einkommensteuertarifs wurde nicht wie vom SVR behauptet 2008, sondern erst 2009 im Rahmen des Konjunkturpakets II am 2.3. 2009 verabschiedet. Das Jahr 2006 liegt aber beim besten Willen nicht mehr in der Mitte zwischen den Jahren 2005 und 2009.

 Wenn der SVR für einen dringenden Abbau der kalten Progression plädieren möchte, weil er eine Präferenz für niedrige Steuern und einen kleineren Staatssektor hat, ist dies sein gutes Recht. Er sollte das dann aber auch offen formulieren und sich nicht hinter fragwürdigen „Mehrbelastungsrechnungen“ verstecken.

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