Im Herbst 2014 kam größere Kritik gegen den Sachverständigenrat auf. Auf seinem Blog übt Norbert Häring große Kritik an dem Jahresgutachten. Dabei stellt er die Wissenschaftlichkeit des Jahresgutachten in Frage. Die Satiresendung die Anstalt erstellte daraus einen unterhaltsamen Beitrag. In der Online-Ausgabe der WELT erschien dann am 16.12.2014 ein Kommentar von Thomas Straubhaar. Darin verteidigt er die
Wirtschaftsweisen.
Dabei reduziert er die Kritik auf die Qualität der Prognosen. Durch einen rechnerischen Vergleich mit der Wettervorhersage zeigt er, wie gut die Prognosen der Wirtschaftsweisen sind. Danach erklärt er, dass die Prognosen Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung selbst haben und folgert, dass es gar nicht das Ziel sein könne, treffende Prognosen zu erstellen. Er endet mit der allgemeinen Feststellung, dass Prognosen aus der Zukunft immer Fehler haben.
Ich greife den rechnerischen Vergleich heraus, um an ihm zu zeigen, wie man mit Prozentrechnung geschickt manipulieren kann. Zusätzlich möchte ich zeigen, dass Thomas Straubhaar kein unabhängiger Kommentator ist, sondern die Interessen der starken Lobbygruppe „Wirtschaft“ vertritt. Zitat:
„Erstens würde bereits die Frage, wie die Abweichungen von Prognosen zu bewerten sind, etwas mehr Fairness verlangen. Denn das vernichtende Urteil über die Sachverständigen bezieht sich nicht auf eine fehlerhafte Voraussage des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für vergangene Jahre. Vielmehr eskaliert die Kritik an den Wirtschaftsweisen, weil sie die Wachstumsrate falsch prognostiziert haben sollen. Was etwas akademisch klingen mag, führt in der Praxis zu einem gewaltigen Unterschied. Deshalb hier einmal die konkreten Zahlen: In seinem Gutachten vom November 2012 hatte der Sachverständigenrat ein BIP für 2013 von 2,827 Billionen Euro prognostiziert. Tatsächlich wurde dann im Jahr 2013 ein BIP von 2,809 Billionen Euro erwirtschaftet. Die Wirtschaftsweisen lagen somit übers ganze Jahr 2013 hinweg gerade einmal um 0,6 Prozent neben der Wirklichkeit. Nur zum Vergleich: Wenn die Meteorologen in der 20-Uhr-„Tagesschau“ für den kommenden Tag eine Temperatur von zehn Grad Celsius voraussagen, dürften sie, um auf Augenhöhe der Wirtschaftsweisen zu sein, gerade einmal um 0,06 Grad danebenliegen. Man überprüfe einmal über die kommenden Weihnachtstage die tatsächlichen Abweichungen von Temperaturvoraussagen und sollte dann eigentlich die Frage problemlos beantworten können, wo die Quacksalber sitzen.“
Er stellt fest, dass die Meteorologen verglichen mit Wirtschaftsweisen „Quacksalber“ sind, weil sie nicht die Temperatur auf 0,06 Grad Celsius vorhersagen können. Ich werde hier zeigen, dass er dieses Ergebnis manipuliert, indem er die Basis beliebig wählt. Die Wahl der Basis schiebt er den Leser unter, indem er die Einheit Celsius benutzt. Würde er die Einheit Kelvin benutzen, würde er andere Ergebnisse bekommen. 10 Grad Celsius sind 283 Kelvin. 0,6 Prozent von 283 sind 1,7. Man kann also durch die Wahl der Einheit den errechneten Wert von 0,06 Grad auf 1,7 Grad erhöhen. Als Wissenschaftler hätte Thomas Straubhaar wissen müssen, dass errechnete Werte, die sich bei der Wahl der Einheit ändern, wenig Wert haben.
Ich schließe meine Analyse mit einem Zitat von Thomas Straubhaar: „Man […] sollte dann eigentlich die Frage problemlos beantworten können, wo die Quacksalber sitzen.“.
Mangelnde Unabhängigkeit von Thomas Straubhaar
Zunächst erschien sein Kommentar in der Zeitung WELT. Dort ist zu lesen, dass er „in regelmäßigen Abständen Kolumnen zu aktuellen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fragen“ schreibt. Weiter steht dort „Bis Ende August 2014 war er Direktor und Sprecher der Geschäftsführung des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI)“. „Seit September 2013 ist er […] Fellow der Transatlantic Academy in Washington, D. C.“. “ Thomas Straubhaar ist Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.“, spätestens seit Marc Uwe Kling wissen wir, dass das „neue“ ein Euphemismus für „gar nicht“ ist. Herr Straubhaar arbeitet mit Bernd Lucke zusammen. Die Liste seiner Engagements und Mitgliedschaften ist noch länger{https://www.lobbypedia.de/wiki/Thomas_Straubhaar}}.
Ich schrieb ihm und erhielt auch eine Antwort zur mangelnden Aussagekraft von relativen Fehlern, wenn man die Basis beiebig wählen kann:
„Da haben Sie völlig recht und das war ja letztlich auch mein Angang, dass ich zeigen wollte, dass man nicht Äpfel mit Birnen bzw. Wachstumsraten mit Niveaus vergleichen sollte. Der SVR und Wirtschaftsinstitute liegen bei den Wachstumsraten in absoluten Größen recht wenig und in relativen Größen (angesichts der tiefen Werte) manchmal enorm daneben.“
Ich werde aus seiner Antwort nicht schlau. Er wollte auf den Unterchied zwischen Rate und Niveau aufmerksam machen? Ich kann das Wort „Niveau“ in seinem Artikel nicht finden. Ich frage mich, wie viele Leser genau klar wurde, dass man nicht Niveaus mit Raten vergleichen soll.
Auf die Frage, warum die Ökonomen, wenn man ihnen eine große Fehlertoleranz zugestehen müsse, nicht Intervallschätzungen abgeben, die den Grad der Unsicherheit deutlich machen, antwortete er:
„Das haben wir alles versucht und haben Intervalle angegeben (wenn Sie im SVR-JG oder bei der Gemeinschaftsdiagnose nachschlagen, werden Sie sehen, dass Ihrem Vorschlag für die Mittelfristprognose gefolgt wird). Aber aus zwei Gründen war das ohne Erfolg: erstens wollen Medien und Politik eine Zahl und nicht ein Intervall, weil Intervalle und Wahrscheinlichkeiten bereits etwas mehr Analysefähigkeit einfordert. Und zweitens drückt man sich als Experte auch etwas vor der Wirklichkeit. Denn die Politik muss sehr oft JA/NEIN-Entscheidungen treffen bzw. braucht eine genaue Zahl (bzw. ein mit der Wahrscheinlichkeit berechneter Erwartungswert) um politisch agieren zu können.“
Anders als Meteorologen, die die Bedingtheit und Unsicherheit ihrer Prognosen offenlegen, passen also Wirtschaftswissenschaftler ihre Antworten lieber an die (vermeintliche) Dummheit ihrer Leser an, als den Lesern ausdauernd komplexe Aussagen zu erklären.