7. 05. 2015 | Ist die Europäischen Zentralbank ein Hegemon wider Willen, der nur deshalb wiederwillig seine große Macht ausspielt, weil die Regierungen versagen und irgend jemand ja den Euro retten muss? Oder ist die EZB Speerspitze einer Bewegung zur Errichtung einer undemokratischen europäischen Wirtschaftsordnung, die Kapitalinteressen über alles stellt?
Die Rolle der EZB in der Gesellschaft
Vortrag gehalten am 4. Mai 2015 auf Einladung der Initiative „Neue Geldordnung“ in Frankfurt.
1. Die Notenbanken sind zwar formal Teil des Staates. Historisch und faktisch sind sie eher als Interessenvertreter und Service-Organisation der großen Banken zu verstehen.
Damit das so ist und so bleibt, sind sie politisch unabhängig, müssen sich also keiner Regierung und keinem Parlament gegenüber verantworten. Damit das so ist, gibt es in Europa das Staatsfinanzierungsverbot. Den Notenbanken hier ist es verboten, den Staat, dessen Teil sie sind, zu finanzieren. Sie dürfen nur die privaten Geschäftsbanken finanzieren. Sie dürfen gern den privaten Geschäftsbanken helfen, den Staat zu finanzieren und damit Geld zu verdienen, aber sie dürfen es nicht selbst tun.
Das Selbstverständnis der Notenbanker kann man auch an der Mitgliederliste der Group of 30 ablesen. Das ist ein privates, internationales Gremium, dem hochrangige Manager von großen internationalen Banken angehören, die meist früher Zentralbanker waren, sowie amtierende Zentralbanker, die oft früher Manager von privaten Geschäftsbanken waren. Gegründet hat diese Lobbyorganisation der internationalen Großbanken die Rockefeller Stiftung. Heute wird sie finanziert von verschiedenen Soros Stiftungen, von Geschäftsbanken und von Zentralbanken, auch von vielen europäischen Zentralbanken. Vorsitzender ist Jean-Claude Trichet, der ehemalige EZB-Präsident. Mitglieder sind unter anderem auch der frühere Goldman Sachs Banker und heutige EZB-Chef , Mario Draghi, und der frühere Goldman Sachs Banker und heutige Präsident der Bank von England, Mark Carney, sowie Axel Weber, der frühere Bundesbankpräsident und heutige Verwaltungsratschef der Großbank UBS.
Nur wer die Geschichte der Zentralbanken nicht kennt, wundert sich, dass sich ihr Führungspersonal als Amtsträger für diesen Bankenlobbyismus hergibt. Die US-Notenbank Federal Reserve wurde 1913 auf Initiative der großen Banken gegründet. Der Einfluss des Staates wurde absichtsvoll klein gehalten. Der Staat sollte im Wesentlichen die tiefen Taschen beisteuern, um im Notfall Banken zu retten. Bis heute gehört die Federal Reserve of New York, die die Wall Street Banken beaufsichtigen soll, eben diesen Wall Street Banken. Da muss man sich über die Laxheit der Aufsicht vielleicht nicht wundern. Oder hätte man wirklich erwarten sollen, dass der Chef der Fed New York dem Chef von Lehman Brothers auf die Finger haut, wenn der im eigenen Aufsichtsrat sitzt.
Nicht nur die Fed wurde im Interesse der kommerziellen Banken gegründet. Die ältesten Notenbanken der Welt, die Schwedische Reichsbank und die Bank von England wurden sogar als private Bankenkonsortien gegründet. Sie bekamen staatliche Privilegien dafür, dass sie den Staat mit selbst geschaffenem Geld finanzierten, das jeder annehmen musste, weil es der Staat zum Zahlungsmittel erklärte. Die Bank von England wurde erst im 20. Jahrhundert verstaatlicht. Aber bis heute geben die Geschäftsbanken dem Staat sehr gewinnbringend Kredit mit Buchgeld, das sie selbst schaffen können, und das der Staat uns zwingt, anzunehmen. Nur das Bargeld, die „Banknoten“, wurde den Geschäftsbanken entrissen und in staatliche Hände gelegt. Aber das Bargeld macht nur einen ganz geringen Teil der Zahlungsmittel aus, und selbst diesem kleinen Teil geht es immer mehr an den Kragen, wenn es nach den Banken und den ihnen hörigen Ökonomen geht.
Die EZB ist also am besten als Lobbyist der Geschäftsbanken zu betrachten. Entsprechend sollte These 2, die jetzt kommt, auch nicht verwundern:
2. Die EZB hat eine wirtschaftspolitische Agenda.
Diese Agenda lautet, ganz im Interesse der privaten Finanzbranche: Kürzung staatlicher Renten, mehr private Rentenvorsorge, Kürzung der Sozialausgaben, Rüstungsausgaben werden nicht erwähnt, Senkung direkter Steuern, Erhöhung indirekter Steuern, kein Kündigungsschutz, kein Mindestlohn;
Diese Forderungen erhebt die EZB in so gut wie jedem Monatsbericht. Seit die Eurokrise ausgebrochen ist und die EZB als Teil der sogenannten Troika bedürftigen Regierungen die Wirtschaftspolitik diktieren kann, setzt sie kapitalfreundliche und arbeitnehmerfeindliche Agenda ganz direkt und schonungslos durch.
3. Die EZB könnte die Euro-Krise jederzeit beenden.
Die Euro-Krise ist eine monetäre Krise, eine Geldkrise. Eine Institution die Geld drucken kann, kann diese Krise jederzeit beenden. Das hat Draghi bewiesen, als er 2012 sein berühmtes „Whatever it takes“ sagte. Damals gingen die Anleihekurse gerade wieder in den Keller, und die Banken, die diese Anleihen zum großen Teil halten, waren in großen Schwierigkeiten. Da sagte Draghi, die EZB werde alles tun um den Euro zu retten, und schon herrschte wieder eitel Sonnenschein.
Die EZB hat auch in Irland bewiesen, was geht, wenn sie nur will. Dort hat die Notenbank der Regierung in einem komplizierten Dreiecksgeschäft 30 Mrd. Euro zukommen lassen, um die irischen Banken zu sanieren. Die Regierung muss das Geld erst in Jahrzehnten zurückzahlen, also nie. Die EZB hat das abgesegnet, obwohl es ganz klar verbotene Staatsfinanzierung mit der Notenpresse darstellt. Nur so konnte Irland zum Musterschüler einer gelungenen Sanierung werden.
Wenn Draghis Vorgänger Trichet zwei Jahre vorher „Whatever ist takes“ gesagt hätte, und wenn die EZB anderen Ländern gegenüber so großzügig gewesen wäre, wie gegenüber Irland, die Eurokrise wäre nie so eskaliert, die destruktive Sparpolitik hätte nie durchgesetzt werden müssen – oder können.
Das führt uns zu These 4:
4. Die EZB hält die Krise am Schwelen, um ihre wirtschaftspolitische Agenda durchzusetzen.
Das geschieht ganz offen, nur heißt es im öffentlichen Diskurs anders. Es heißt dort das Moral-Hazard-Argument. Wenn die EZB die Geldschleußen aufmacht, heißt es, dann verschwindet der Reformdruck auf die Regierungen und sie fallen in alte Laster zurück. Übersetzt heißt das nichts anderes als: gewählte Regierungen müssen von ungewählten Finanzlobbyisten durch finanzielle Druckmittel dazu gebracht werden, nicht das zu tun was die Wähler wollen, sondern den neoliberalen Umbau des Gemeinwesens voranzutreiben, den die Vertreter des Kapitals wollen.
Wichtigste Waffe dafür ist der Anleihemarkt. Die EU und vor allem die EZB haben durchgesetzt, dass die Regierungen vom Wohlwollen der „Anleihemärkte“, also der großen Banken abhängig bleiben. Die Regierungen müssen eben den Banken, die sie vorher gerettet haben, glaubhaft machen, dass sie eine solide Finanzpolitik verfolgen. Weil die Regierungen sich aber zur Bankenrettung stark verschuldet haben, müssen sie nun den Banken beweisen, dass sie ihre Sozialausgaben kürzen könne. Alles andere wäre unsolide. Alles, was die Regierungen von den Anleihemärkten und damit den Finanzinstituten emanzipieren würde, wird von der EZB hintertrieben oder verboten.
Wenn – und nur wenn – allerdings die Krise das Bankensystem gefährdet, greift die EZB ein. Als 2010 die Anleihemärkte außer Rand und Band gerieten und drohten, mit den Regierungen auch die Banken in den Abgrund zu reißen, griff die EZB ein. Für die Banken war das bedingungslos, wie fast immer. Aber an die Regierungen schrieb die EZB später herrische Briefe, erst an die irische Regierung, später an den spanischen Regierungschef Zapatero und und den italienischen, Berlusconi, mit wirtschaftspolitischen Bedingungen dafür, dass die EZB spanische und italienische Staatsanleihen kauft. Wegen des Moral Hazard Arguments hörte die EZB dann aber wieder auf, die Anleihen zu kaufen, bevor die Anleihekrise entschärft war. Sonst hätten die Regierungen womöglich wieder angefangen, zu tun, was die Wähler wollen. Die Frage ist: Können die Regierungen sich nicht wehren? Die Antwort ist meine fünfte These:
5. Finanziell klamme Regierungen sind ohnmächtig gegenüber dem Drohpotential der EZB.
Wenn eine Regierung sich quer stellt, hat die EZB es in der Hand, dafür zu sorgen, dass ihre Anleihen zu Ladenhütern werden. Dafür ist schon der informelle Einfluss der EZB auf die Banken groß genug, zum Beispiel, aber bei Weitem nicht nur über Gremien wie die Group of Thirty.
Seit die EZB auch noch die Oberhoheit über die Bankaufsicht hat, kann sie sogar ganz direkt den nationalen Banken untersagen, ihren Regierungen Kredit zu geben oder deren Anleihen zu kaufen. Das tut sie dann natürlich keinesfalls aus politischen Gründen, sondern weil diese Anleihen einfach nicht sicher genug sind.
Als die Regierungschefs Italiens und Griechenlands Berlusconi und Papandreu die Probe aufs Exempel machten und sich verabredeten, das Volk zu befragen und notfalls den Euro aufzugeben, waren sie binnen Wochen weg vom Fenster, und die Volksbefragung in Griechenland wurde abgesagt (S. Djakov: Inside the Euro Crisis). Stattdessen wurde Lucas Papademos in Griechenland als Regierungschef eingesetzt. Er war kurz vorher noch EZB-Vize gewesen.
6. Im Streit um die Europapolitik geht es nicht mehr um links und rechts, sondern um demokratisch gegen undemokratisch.
Europa ist zu einem undemokratischen, neoliberalen Projekt im Kapitalinteresse verkommen. Deshalb ist eine Allianz von rechts-nationalistischen Strömungen, die die Macht zur demokratisch kontrollierten nationalen Ebene zurückholen wollen, und linken Strömungen, die eine Politik im Interesse der arbeitenden Bevölkerungsmehrheit haben wollen, nicht so ungewöhnlich, wie es vielen scheint.
Sie macht sich manchmal darin bemerkbar, dass Linke und AfD ähnliche Positionen vertreten, oder in der Regierungskoalition von links und rechts in Griechenland.
7. Griechenland war das Versuchskaninchen für den neoliberalen Umbau Europas: Was kann man den Menschen zumuten, bevor sie revoltieren?
Ich denke, diese These muss man nicht groß erklären, aber sie hat wichtige Folgerungen für die Optionen der rebellischen Griechen und ihrer Gegner in den derzeitigen Verhandlungen. Allen schon, dass man Gegner sagen muss, nicht Partner, ist eine Folge dieser These.
8. Die neue griechische Regierung muss – aus Sicht der europäischen Machthaber – scheitern, koste es, was es wolle.
Denn sonst verliert das bei weiten Teilen der Staatsvölker verhasste neoliberale Umbauprojekt den Nimbus der Alternativlosigkeit und wäre damit so gut wie gescheitert.
9. Die einzigen Trümpfe der griechischen Regierung sind geopolitischer Art.
Sie bestehen darin, dass die Nato Griechenland braucht und dass Griechenland eine auf Einstimmigkeit beruhende EU in wichtigen Fragen lahmlegen könnte. Damit diese Trümpfe ihren Wert behalten, muss die griechische Regierung kooperativ bleiben.
Wenn sie dagegen, wie manche es ihr empfehlen, sagen würde, „das wird nichts mehr mit uns und der Eurogruppe, weil die Zielsetzungen unvereinbar sind“, „wir reden deshalb nicht mehr mit der EZB und machen unser eigenes Ding ohne den Euro“, dann wäre die volle Konfrontation da. Dann würde das Geld der Russen und der Chinesen, das sie vielleiht auftun, nur ein Tropfen auf den heißen Stein und dem Volk ginge es noch schlechter also ohnehin schon.
Nur solange es seine Trümpfe in der Hand hält und weiterverhandelt, kann Griechenland Zugeständnisse erzwingen, wenn auch begrenzte.
Griechenland allein wird leider nicht in der Lage sein, ohne sich selbst zu opfern, den neoliberalen Umbau Europas zu stoppen.
10. Der neoliberale Umbau Europas kann nur gestoppt werden, wenn die Regierungen das Geldwesen wieder stärker dem gemeinschaftlichen Interesse unterwerfen.
Dazu braucht es Aufklärung der Wähler, darüber, wie dieses System funktioniert und was darin vorgeht. Wenn sie ausgetauscht oder wieder an das Interesse der Wähler erinnert worden sind, müssen die Regierungen andere Notenbanker ins Amt berufen. Sie müssen aufhören, sich dem Diktat der Anleihemärkte zu unterwerfen. Aus der finanzmarktkonformen Demokratie nach Merkel müssen wieder demokratiekonforme Finanzmärkte gemacht werden. Die Regierungen müssen die Banken an die Kandare nehmen, die ohne die Unterstützung des Steuerzahlers ohnehin alle Pleite gegangen wären. Auch dazu ist wichtig, dass die EZB als Bankenkontrolleur langfristig demokratischer Kontrolle unterworfen wird und kurzfristig mit anderem Personal bestückt wird.
Und last but not least müssen die Regierungen endlich das faktische gesetzliche Zahlungsmittel, das Buchgeld, das die Banken herausgeben, gesetzlich regeln. Damit nicht die Banken selbst und im Hintergrund eine demokratisch nicht Kontrollierte Zentralbank nach eigenem Gutdünken darüber befinden können und es nicht zur Aushebelung der Demokratie einsetzen können.
Schlagwörter: Europäische Zentralbank, Macht, Fiskalunion, Euro-Krise, Demokratie, Geldwesen