In der St. Pancras International Station soll es ab März für Leute mit Ich-hab-doch-nichts-zu-verbergen-Attitüde ganz schnell gehen, mit der Grenz- und Ticketkontrolle. Man muss nur einmal vorab ein geeignetes Porträtfoto und eine Kopie des Ausweisdokuments auf einen Regierungsserver hochladen. Dann kann man, anstatt sich in eine Schlange zu stellen, einen kameragespickten „biometrischen Korridor“ entlanggehen, ohne ein Dokument vorzeigen zu müssen. Pass und Ticket werden dann erst am Zielort gebraucht, jedenfalls solange man dort noch nicht die schöne neue Totalüberwachungswelt des Weltwirtschaftsforums umgesetzt hat.
Das vom Weltwirtschaftsforum und der US Homeland Security gemeinsam ausgearbeitete Known-Traveller-Programm sieht zunächst für den internationalen Flugverkehr vor, dass Reisende Identitätsdaten von sich in einer Blockchain sammeln, zu der nur sie Zugang haben. Wenn sie eine Grenze überschreiten wollen, dürfen sie vorab ihre Reisepläne ankündigen und ihre Daten freigeben. Kameras mit Gesichtserkennungssoftware erkennen sie automatisch und lassen sie an den Schlangen bei den Kontrollen vorbeigehen. Das, was London nun für den Eurostar-Verkehr umsetzen will, folgt, abgesehen von der wohl nicht allzu ernst gemeinten Blockchain-Dateneigentums-Folklore, genau diesem Prinzip.
London ist ohnehin ein Vorbild bei der Nutzung von Vorwänden zur Umsetzung einer immer lückenloseren automatisierten Überwachung der Bevölkerung. Großbritannien gehört mit China zu den Ländern mit der höchsten Überwachungskamera-Dichte bezogen auf die Bevölkerung. Mit dem Strecken-Radar zur Erfassung von Temposündern wurde schon vor Jahren ein Vorwand geschaffen, praktisch den gesamten Autoverkehr mit Kameras mit Kennzeichen-Erkennungsfunktion aufzuzeichnen. Auch Bargeld wird zum Parken oder Bezahlen von Maut kaum noch akzeptiert, sodass auch hier digitale Überwachungslösungen voll greifen können.
Für die Known-Traveller-Lösung beim Eurostar wird als Begründung angeführt, das beschleunige das Einsteigen, vermeide Schlangen und – besonders apart – vermeide zur Seuchenbekämpfung physischen Kontakt. Dass auch die bisherigen Kontrollen schon kontaktlos stattfanden wird hier beflissentlich übersehen.
Ein Eurostar-Vertreter betonte, es herrsche völlige Freiwilligkeit. Die Reisenden wüssten, dass sie gefilmt und der Gesichtserkennung unterzogen würden und stimmten dem freiwillig zu.
Die Gesichtserkennungsfunktion soll das junge britische IT-Unternehmen iProov beisteuern. Das Unternehmen verspricht, zuverlässig feststellen zu können, wenn jemand sich etwa ein Foto vorhält oder eine Maske über das Gesicht zieht. Um die Technologie rechtzeitig fertig zu entwicklen, bekommt das Unternehmen einen Zuschuss von 388.000 Pfund von der Regierung.
Nähe zu den Geheimdiensten
Dass es um etwas mehr gehen könnte als beschleunigtes und bequemeres Reisen legt ein Blick auf den dreiköpfigen Aufsichtsrat (Board) von iProov nahe. Neben einem Vertreter des Private-Capital-Unternehmen JPJ wird das Unternehmen von Eddie Alleyn und Angela Sasse beaufsichtigt.
Alleyn blickt auf 25 Jahre im britischen Außenministerium und im Verteidigungsministerium zurück und zuletzt im Kommunikationszentrum der Regierung, HMGCC. Dessen Aufgabe besteht laut Wikipedia darin, sicherheitsrelevante Elektronik und Software für die Kommunikationsbedürfnisse der Regierung bereitzustellen. Es sei eng an das Außenministerium und die „Geheimdienst-Community“ angebunden.
Sasse leitet die Informationssicherheitsforschung am University College London und ist Direktorin des vom Geheimdienst GCHQ finanzierten Research Institute for the Science of Cyber Security.
Ein Schelm wer Böses dabei denken wollte, etwa dass die Geheimdienste der Fünf-Augen-Allianz sich direkten Zugriff auf die Daten der am Eingang von Eurostar und sonstwo von iProov gescannten und erkannten Personen sichern würden. So etwas machen ja nur die Chinesen, wird uns neuerdings wieder eingeredet, weil man glaubt die Snowden-Enthüllungen seien schon wieder vergessen.
Und dass alles, was am Anfang noch freiwillig ist, irgendwann unvermeidlich gemacht werden könnte, denken auch nur notorische Zyniker.