Trojanische Pferde des Kremls: Atlantic Council bläst zur Hatz auf Gabriel, Wagenknecht und Gauland (mit Nachträgen)

20. 11. 2016 | Wer des Englischen hinreichend mächtig ist, unbedingt lesen: Der Atlantic Council, ein eminent wichtiger Lobby- und Politikberatungsverein in Washington hat eine Studie herausgebracht, in der er Politiker verschiedener Parteien, einschließlich Sigmar Gabriel, zu Putins Fünfter Kolonne erklärt und Medien, Geheimdienste und „Zivilgesellschaft“ zur Hatz auf diese auffordert. Martin Schulz hat offenbar mächtige Unterstützer bei seinem erstaunlichen Wunsch nicht nur Außenminister, sondern – statt Gabriel – auch SPD-Kanzlerkandidat zu werden.

Der Atlantic Council zeichnet sich durch die Zusammenarbeit von Wirtschaftsführern global agierender Großunternehmen, ehemaligen Regierungschefs und Spitzenbeamten (auch aus dem militärischen Bereich) aus. Jede Menge hochrangiger Regierungsmitglieder und Regierungsberater in Washington rekrutierten sich aus seinen Reihen. Es gibt enge Verbindungen zu anderen transatlantischen Vereinigungen, wie dem von George Soros ins Leben gerufenen European Council on Foreign Relations (nicht „German“ Council, wie in einer früheren Version irrtümlich geschrieben). Ein Mitglied von letzterem, Stefan Meister, hat an dem gerade veröffentlichten bemerkenswerten Report mitgeschrieben: „The Kremlin’s Trojan Horse: Russian Influence in France, Germany, and the United Kingdom“:

„Trotz der Bedrohung, die die revanchistischen Politiken Russlands für Europas Stabilität und etabliertes internationales Recht darstellen, haben einige europäische Politiker, Experten und bürgerliche Gruppen (Civic Groups) Unterstützung oder Sympathie für die Aktionen des Kremls geäußert. (…) Der Kreml nutzt diese Trojanischen Pferde um Europas Politik so effektiv zu destabilisieren, dass sogar Russlands begrenzte Macht ein entscheidender Faktor in Sachen europäischer und internationaler Sicherheit werden könnte. Präsident Putin sieht zunehmend das, was der Westen sucht – Europa, vereint, frei und in Frieden – nicht mehr als Gelegenheit für gedeihliche Koexistenz, sondern als Bedrohung seiner geopolitischen Agenda und des Überlebens seines Regimes.“

(Alle Zitate meine Übersetzungen des Englischen Originals, ohne Gewähr.)

Das Cover ziert ein Gerhard Schröder mit schwarzem Balken über den Augen. Der Geist McCarthys weht wieder mächtig. Nur dass es diesmal nicht US-amerikanische Politiker, Intellektuelle und Kulturschaffende sind, die wegen russlandfreundlicher Umtriebe neutralisiert werden müssen, sondern solche in Europa. Diese werden mit Namen genannt.

Linke, AfD und SPD in unklarer Reihenfolge

In einer großen Karte “kremlfreundlicher Parteien” in Europa sind für Deutschland „Die LINKE“ und die AfD genannt, in Großbritannien Ukip und Labour, wobei Labour, anders als etwa Die LINKE oder die AfD mit einem Sternchen versehen wird. Das signalisiert, dass nur einzelne Politiker – in diesem Fall Jeremy Corbin – russlandfreundliche Positionen vertreten, nicht die ganze Partei. Die SPD wird sonderbarerweise nicht eingezeichnet, obwohl der Atlantic Council* durchaus meint, dass auch in ihr auf höchster Ebene Trojanische Pferde Putins wirken. Im Text zu Deutschland heißt es etwa erst nach langen Passagen zu führenden Sozialdemokraten: „Neben der SPD kultivieren zwei Oppositionsparteien – die postkommunistische Die Linke und die rechtsaußen-Partei Alternative für Deutschland Kontakte mit Russland und umgekehrt.“

Schwarze Liste pro-russischer Akteure

Bedeutsamer ist die Nennung der Personen, die der Atlantik Council zur Fünften Kolonne Putins erklärt, Tabelle 2 listet die „Key Pro-Russian Actors in Germany“ auf, die pro-russischen Schlüsselakteure in Deutschland. In den Parteien sind dies:

SPD

  • Sigmar Gabriel, Parteivorsitzender, Vizekanzler und Wirtschaftsminister
  • Gerhard Schröder, Ex-Bundeskanzler
  • Matthias Platzeck, ehem. SPD-Chef, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums

CDU

  • Ronald Pofalla, ehem. Kanzleramtschef, Bahnvorstand, Vorsitzender des Petersburger Dialogs

DIE LINKE

  • Wolfgang Gehrcke, Mitgl. des Fraktionsvorstands und außenpol. Sprecher
  • Andrej Hunko, MdB
  • Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende

AfD

  • Alexander Gauland, Stellv. Sprecher
  • Markus Frohmaier, Vorsitzender der AfD-Jugendorganisation

Daneben sind noch einige bekannte und weniger bekannte Wirtschaftsführer genannt, die für ihre Unternehmen oder Verbände Kontakte mit Russland pflegen (u.a. Wolfgang Büchele, Klaus Mangold, Eckard Cordes), sowie Pegida-Gründer Lutz Bachmann und Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer.

Man könnte meinen, der deutsche Autor dieses Kapitels, Stefan Meister, habe bös geschludert. Wolfgang Gehrcke wird fälschlicherweise zum stellv. Fraktionschef der LINKEN befördert, Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht dafür zum einfachen Mitglied des Bundestags (MdB) degradiert, MdB Andrej Hunko wird in der Tabelle zum einfachen Parteimitglied heruntergestuft. Plausibler scheint, dass Wagenknecht, und wohl die ganze Tabelle, in einer Spätphase in Washington eingefügt wurden. Im Text Meisters wird Wagenknecht nämlich gar nicht genannt. Aber irgendjemand meinte wohl, sie gehört da mit rein. Nur mit Gehrcke und Hunko, die keiner kennt, wäre auch in der Tat schwer zu rechtfertigen gewesen, dass man die Linkspartei in der Europakarte der Putin-Freunde so prominent berücksichtigt. Alexander Gauland wird in Meisters Text richtig als stellv. Parteisprecher tituliert, in der Tabelle und der Bildunterzeile eines Fotos dagegen falsch als AfD-Chef.

Sonderbehandlung für Wagenknecht und Gauland

Während Wagenknecht wie erwähnt im Text gar nicht genannt wird, sodass unklar bleibt, was ihre Aufnahme in den Club der nützlichen Idioten und Einflussagenten Putins rechtfertigt, mutet das, was Gauland zur Last gelegt wird, eher possierlich an. Hier die ganze Passage:

„Alexander Gauland, Vorsitzender der AfD Brandenburg und stellv. Sprecher seiner Partei im Bundestag besuchte die russische Botschaft Ende November 2014; er tritt für einen regelmäßigen Austausch mit russischen Offiziellen und Verbesserung der Beziehungen zu Russland ein.“

Trotzdem ist er der einzige aus Deutschland, der mit (ziemlich großem) Foto angeprangert wird, so wie Farage und Le Pen aus UK und Frankreich. Das nährt den Verdacht, dass es vielleicht eher sein Engagement gegen den Euro und Brüsseler Machtansprüche ist, die ihm den Ehrenplatz auf der transatlantischen schwarzen Liste beschert hat.

Aber für Wagenknecht und Gauland ist Sperrfeuer von US-, Nato und brüsselfreundlicher Seite von innerhalb und außerhalb der eigenen Partei ohnehin nichts Neues. Vor allem die AfD kann sich kaum wegen Mangels an kostenloser Wahlwerbung in Form von giftigen bis hysterischen Angriffen aus den bei AfD-Sympathisanten nicht gerade hoch im Kurs stehenden Medien beklagen.

Gabriel traut man nicht

Bemerkenswert ist jedoch Sigmar Gabriels sehr prominente Platzierung auf dieser schwarzen Liste der Putin-Trojaner. Von ihm heißt es:

„Heute jedoch unterstützt eine neue Generation innerhalb dieser Mainstream Partei eine Pro-Kreml-Politik, die oft in Gegensatz zur deutschen und EU-Politik steht. Der gegenwärtige SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel hinterfragt Merkels Position zur russischen Führung. Im Oktober 2015 hat Gabriel in einem Treffen mit Putin im Kreml engere deutsch-russische Kooperation durch die Kapazitätserhöhung für die Nord-Stream-Gasleitung, genannt Nord Stream 2, unterstützt. Gemäß eines Protokolls des Treffens, das der Kreml veröffentlichte, bot Gabriel an, für Genehmigung des Projekts in Deutschland zu sorgen, und dabei EU-Regeln zu umgehen und das Sanktionsregime zu schwächen.“
(Ich habe im genannten Protokoll nachgelesen und habe nicht den Eindruck, dass er das getan hat, aber ich kann mich irren.)
„Außerdem hat Gabriel verschiedentlich in offiziellen Reden für die Beendigung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland argumentiert.“

Auch Frank-Walter Steinmeier wird genannt, aber gnädiger, und im Wesentlichen als ungünstig von Gabriel beeinflusst. Was Gabriel und den anderen genannten vorgeworfen wird, hat es in sich:

„Seien sie Putinversteher, nützliche Idioten, Einflussagenten oder Trojanische Pferde, das Ziel (Russlands) ist das Gleiche: ein Netzwerk von Organisationen und Einzelpersonen zu kultivieren, das Russlands wirtschaftliche und geopolitische Interessen unterstützt, die EU und die europäische Integration herabsetzt, einen Narrativ des europäischen Niedergangs verbreitet und gegen EU-Politiken zu Russland stimmt – vor allem die Sanktionen – und dadurch den militärischen Interventionismus des Kremls in der Ukraine und Syrien legitimiert und die transatlantischen Institutionen schwächt, sowie die liberalen demokratischen Werte unterminiert.“

Dagegen muss natürlich etwas getan werden, und Gabriel und Co. müssen sich in der Tat warm anziehen.

Empfehlungen: McCarthy wäre stolz

Der Atlantic Council hat unter anderem folgende Empfehlungen, die McCarthy sicherlich stolz machen würden, was man gegen die Fünfte Kolonne Putins tun kann und sollte:

  • „Die Medien und investigative Gruppen sollten russische Versuche bloßstellen, dank Verbindungen mit Unternehmensführern oder Nichtregierungsorganisationen Energie- und Unternehmensprojekte durchzudrücken.“
  • „Dazu sollten die deutschen Geheimdienste russische Unterstützungszahlungen für politische Gruppen, Medien und Organisationen der Zivilgesellschaft untersuchen.“ (Müssen wir fürchten, dass Gabriel und die SPD von Moskau finanziert werden?)
  • „In Deutschland sollten Führer (leaders), die die russische Absicht durchschauen, ökonomische Hebel und Korruption zu nutzen, Druck auf die EU ausüben, Geschäftsprojekte wie Nord Stream 2 zu blockieren, die Deutschland noch stärker unter russische Dominanz im Energiebereich bringen würden.“
  • “Die EU und nationale Regierungen sollten zivilgesellschaftliche Gruppen und Medien ermutigen und finanzieren, die daran arbeiten, Licht auf Russlands dunkle Netzwerke zu werfen.”
  • „EU-Mitgliedsstaaten sollten überlegen Taskforces zur Bekämpfung der Beeinflussung einzurichten, die finanzielle und politische Beziehungen zwischen dem Kreml und heimischen Wirtschaftsvertretern und politischen Gruppen untersuchen.“
  • „Die EU-Kommission sollte Geld für eine neue unabhängige Agentur nach dem Vorbild des European Endowment for Democracy geben, die wiederum zivilgesellschaftliche Wachhundgruppen finanzieren würde.“
  • „Finanzoperationen (des Kremls) sind global, deshalb ist zu ihrer Aufdeckung eine koordinierte Antwort nötig. Der Austausch finanzieller Geheimdiensterkenntnisse zwischen der EU und den USA sollte gefördert werden.“

Ein Einflussagent Putins als Kanzlerkandidat? Geht nicht

Dass Gabriel, der sich noch erklären muss, ob er Kanzlerkandidat werden will, von diesem sehr einflussreichen Verein so radikal abqualifiziert wird, erklärt potentiell einiges (Ab hier kommen vor allem die Freunde der gepflegten Verschwörungstheorie auf ihre Kosten). Ich hatte mich schon sehr gefragt, warum um Himmels Willen ein Martin Schulz, der die Chance bekommt, Außenminister zu werden, dafür zur Bedingung machen sollte, dass er auch Kanzlerkandidat wird. Das ist eine Aufgabe, mit der man nur scheitern kann, und die kein Genosse mit Ambitionen und Charisma haben will (Um etwaige Missverständnisse zu vermeiden: Damit will ich Schulz keinesfalls unterstellen, er persönlich habe irgendwelches Charisma). Ich habe mich auch gefragt, warum er mit solchen Spielchen riskiert, sowohl in Brüssel, als auch in Berlin alle zu verärgern, und am Ende ganz ohne Amt und Unterstützer dazustehen, wenn es schiefgeht. Wenn er allerdings mächtige Unterstützer hat, die ihn unterstützen, wenn er sicherstellen kann, dass die SPD im Wahlkampf nicht auf Schröder macht und zum Stimmenfang den transatlantischen Seniorpartner verleugnet, dann ergibt alles viel mehr Sinn. Dafür muss er Kanzlerkandidat werden.

Dass der Atlantic Council* dem weithin als prinzipienlosen Wendehals eingeschätzten Gabriel trotz seines heldenhaften Einsatzes für Ceta und TTIP gegen die Stimmung in Parteivolk und Bevölkerung nicht traut, wird sehr deutlich. Schulz dagegen ist ein ebenso überzeugter wie verlässlicher Transatlantiker. Im Lichte dieser Veröffentlichung nehme ich Wetten an, dass der SPD-Kanzlerkandidat 2017 Martin Schulz und nicht Sigmar Gabriel heißen wird.

Ergänzung der Trumpschen Entspannungspolitk

Man könnte geneigt sein, die Einlassungen des Atlantic Council* als versuchte Sabotage der erwarteten Annäherung Trumps an Russland zu interpretieren. Das wäre aber wohl ein Fehlschluss. Ich halte das eher für die notwendige Ergänzung. Denn wie bereits ausführlicher begründet, gehört zu dem Plan, den Trump exekutieren soll, auch, Europa von Russland fern zu halten und für den amerikanischen Schutz vor der vermeintlichen russischen Gefahr bezahlen zu lassen. Deshalb ist die Herausforderung, das Feindbild Putin in Europa aufrecht zu erhalten besonders groß, wenn die USA eine Annäherung an Putin versuchen, um ihn nicht in Chinas Arme zu treiben. Daran, dieses Feindbild für die Trump-Zeit abzusichern, arbeitet der Atlantic Council* nun.

* Der Atlantic Council macht den für solche verunglimpfenden Publikationen üblichen Disclaimer, dass er selbst keine Verantwortung für den Inhalt der unter seinem Namen veröffentlichten Hochglanzbroschüre übernimmt, die er verbreitet. Schuld sind und wegen Beleidigung verklagt werden können seiner Ansicht nach allein die Autoren.

Nachtrag (21.11.): Der CEO von Linde, Wolfgang Büchele, rechtfertigt heute seinen Platz auf der schwarzen Liste der Einflussagenten Moskaus mit einem Kommentar auf der letzten Seite des Handelsblatts, in dem er unter dem Titel „Zeit für Alternativen“ fordert, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu beenden.

Nachtrag (23.11.): In der Zeit von 24.11. gibt es ein ganzseitiges Stück von Jörg Lau, Mark Schiritz und Bernd Ulrich mit dem Titel „Die Unterwerfung“ über die Reaktion auf Trump „von deutschen Politikern und Publizisten“. Wenn ich niemand übersehen habe, werden aus Deutschland genau vier Namen genannt. Drei davon sind von der Liste der Kreml-Einflussagenten des Atlantic Council, nämlich ausführlich Sahra Wagenknecht und Andrej Hunko von der Partei DIE LINKE, sowie, besonders ausführlich Alexander Gauland von der AfD. Dabei steht Gauland allein für „Die Rechte“, Wagenknecht und Hunko für „Die Linke“. Thema ist jeweils, dass sie gut fänden, dass Trump mit Russland auskommen will. Gemeinsam ist diesen dreien die Hälfte des Textes gewidmet. Der vierte ist Wolfang Ischinger, Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. Er muss stellvertretend für alle „Atlantiker“ stehen, die namenlos bleiben müssen oder dürfen, auch soweit sie publizistisch tätig sind. Das führt zu dem seltsamen Effekt, dass die in der Unterzeile versprochenen deutschen Publizisten im Text nicht ausdrücklich vorkommen.

Nachtrag (24.11.): Die Süddeutsche berichtete gestern Abend, dass Martin Schulz sich entschieden hat, von Brüssel nach Berlin zu wechseln und für den Bundestag zu kandidieren. Bisher hat sich noch niemand gefunden, der oder die meine Wette halten will, dass nicht Gabriel sondern Schulz SPD-Kandidat wird. Ernsthafte Alternative scheint nur die vom Postillon ins Spiel gebrachte Variante zu sein, dass die SPD Angela Merkel zu ihrer Kanzlerkandidatin macht. Im WDR bläst unterdessen der Kabarettist Dieter Nuhr in das Horn des Atlantic Council und stellt fest, dass der Kreml mit seinen Social Bots hinter Trumps Wahlsieg, der AfD, Snowden, Wikileaks und allem möglichen anderen steckt.

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