Jens Berger: „Wem gehört Deutschland“ – Eine Leseprobe und ein Einspruch

3. 06. 2024 | Der Chefredakteur der Nachdenkseiten, Jens Berger, hat seinen Bestseller von vor zehn Jahren komplett aktualisiert neu herausgebracht. Für alle, die aktuelle Daten zur (großen) Vermögensungleichheit in Deutschland brauchen und für alle, die fundierte Analysen zu den verschiedenen Aspekten und Ursachen des Problems suchen, ist dieses Werk unverzichtbar. In einem wichtigen Teilgebiet drängt es mich jedoch, Berger zu widersprechen.

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Bergers Problemanalyse des Beitrags des Wohnungsmarktes zur großen Ungleichheit in Deutschland ist treffend und informativ. Ich will sie hier als Leseprobe wiedergeben. Mit seiner Therapie bin ich allerdings nicht wirklich einverstanden. Das will ich im Anschluss begründen. Hier nun die Leseprobe:

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„Der Anteil der Mietkosten am Einkommen beträgt in der Hauptstadt durchschnittlich 46 Prozent. Wer soll da noch auf eigenen Wohnraum sparen? Man stelle sich das mal bildlich vor: Ein normaler Berliner Mieterhaushalt reicht direkt nach dem Gehaltseingang die Hälfte seines Einkommens gleich an den Vermieter durch.

Von Mietsteigerung zu Mietsteigerung vermindert sich dadurch das verfügbare Einkommen, da das Gehalt in der Regel langsamer steigt als die Mieten. Dieser mietenbedingt steigende Kaufkraftentzug für die fast 85 Prozent der Stadtbevölkerung, die nicht in den eigenen vier Wänden wohnen, ist übrigens auch eine Konjunkturbremse par excellence. Wer sein ganzes Geld für die Miete ausgeben muss, konsumiert weniger, worunter die lokale Wirtschaft leidet.

Diese Zahlen kann man auf folgende Formel herunterbrechen: Je stärker die Immobilienpreise und Mieten steigen, desto mehr Geld wird von den Mietern an die Vermieter umverteilt. Da die Eigentümer dieser Rendite- oder besser Spekulationsobjekte nahezu komplett zum wohlhabendsten Zehntel des Lands gehören, stellt dies eine gigantische Umverteilung von unten nach oben dar. Oder um es zuzuspitzen: Die Reichen werden immer reicher, die Mieter immer ärmer.

Berlin mag zwar ein Extrembeispiel sein, wesentlich besser ist die Situation anderswo aber nicht. Laut Statistischem Bundesamt gaben die etwa 20 Millionen deutschen Mieterhaushalte 2022 durchschnittlich 27,8 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für die Kaltmiete aus.

Dazu kommen die Wohnnebenkosten, also die Ausgaben für Heizung, Wasser und Strom, und gerade diese Kostenfaktoren sind 2022 durch die Decke geschossen. Auch ohne Nebenkosten geben in Deutschland rund 1,5 Millionen Haushalte über 50 Prozent und weitere 1,6 Millionen Haushalte zwischen 40 und 50 Prozent für die Miete aus. In den Großstädten und Ballungsgebieten ist das Problem besonders akut, während die Mieten auf dem Land noch relativ entspannt sind. Aber was soll das schon heißen, ist die Mietquote doch gerade in den Städten besonders hoch.

Da sollte man sich fragen, warum die Mieten eigentlich so hoch sind, schließlich ist diese Entwicklung nicht vom Himmel gefallen. Die Antwort ist relativ simpel: Deutschland hat kein Mietproblem, Deutschland hat ein Problem bei der Verteilung des Boden- und Immobilieneigentums. Um dies zu verdeutlichen, lohnt es sich, das Geschäftsmodell der Immobilienkonzerne unter die Lupe zu nehmen und als Alternative das Konzept der Wohnungsgenossenschaften zu betrachten.

Das Geschäftsmodell solcher Immobilienkonzerne ist im Kern denkbar einfach, die technischen Details aber sehr komplex. Im Kern sieht das Geschäftsmodell so aus: Man sammelt bei äußerst wohlhabenden Anteilseignern das Stammkapital für die operativen Geschäfte und leiht sich auf dem Geldmarkt große Summen als Fremdkapital, mit dem man dann große Immobilienpakete kauft. Die Mieten aus diesen Immobilien sollten dabei die laufenden Zinsen für das geliehene Geld deutlich übersteigen.

Daher ist es kein Wunder, dass bei Immobilien, die von solchen Gesellschaften übernommen werden, als Erstes die Mieten steigen und die Instandhaltungskosten gedrückt werden. Die Differenz zwischen Mieteinnahmen und Zinskosten ist dann der Gewinn, der an die Anteilseigner ausgezahlt wird. Wenn die Kredite für das Fremdkapital fällig werden, verkaufen die Gesellschaften entweder die Immobilien (möglichst mit Gewinn) weiter oder sie müssen sich neues Fremdkapital leihen, um die alten Kredite zu tilgen.

Deutschlands größter Immobilienkonzern ist die Vonovia SE. Ende 2022 verfügte das Unternehmen über einen Immobilienbestand von 621 303 Wohneinheiten – der Großteil davon in Deutschland. Die Geschichte von Vonovia geht auf einen Immobilienkonzern mit dem Namen Deutsche Annigton zurück, dem bereits vor zehn Jahren hierzulande 210 000 Wohnungen gehörten – darunter die ehemaligen Eisenbahnerwohnungen des Bundes und die Werkswohnungen der RWE. Und seitdem der Konzern 2021 nach einer Übernahmeschlacht auch noch den Konkurrenten Deutsche Wohnen geschluckt hat, ist er nun die unumstrittene Nummer eins.

Die Umsatzerlöse aus der Vermietung der 488 000 Vonovia-Wohnungen beliefen sich 2020 auf 3,1 Milliarden Euro, 2021 auf 3,5 Milliarden Euro und 2022 waren es bereits 4,7 Milliarden Euro. 2020 wurden 954 Millionen Euro Dividende ausgeschüttet, 2021 waren es 1 289 Millionen und 2022 676 Millionen Euro. Setzt man die Dividendenauszahlungen ins Verhältnis zu den Mieteinnahmen – die einzigen nennenswerten operativen Einnahmen von Vonovia –, kommt man zum Ergebnis, dass sie 2020 31 Prozent der Mieteinnahmen betrugen, 2021 37,2 Prozent und 2022 14,3 Prozent – Mietzahlungen, die von den Bewohnern an die Aktionäre ausgeschüttet wurden.

Wäre Vonovia keine börsennotierte Aktiengesellschaft, sondern eine Wohnungsgenossenschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht, würde man keine Dividenden auszahlen und könnte die Mieten um genau diesen Anteil senken. Über die drei betrachteten Jahre hätten also die Mieten bei Wegfall der Dividendenauszahlungen im Durchschnitt um mehr als ein Viertel gesenkt werden können. Für eine Wohnung, die heute 900 Euro Miete kostet, würde das eine Reduzierung auf 650 Euro bedeuten.

Der Ökonom Christian Kreiß hatte in einem Artikel für die NachDenkSeiten ausgerechnet, wohin die Dividenden von Vonovia fließen. Sein Ergebnis: Sie fließen zu 96 Prozent an Großanleger, die zu 89,8 Prozent im Ausland sitzen und vermutlich nicht so genau wissen, wo sich ihre vielen Hunderttausend Wohnungen eigentlich befinden. Wer sind diese Großanleger? Laut Angaben in den Geschäftsberichten zählen dazu die Staats- und Pensionsfonds von Norwegen und den Niederlanden sowie zahlreiche Finanzkonzerne, Hedgefonds und Private-Equity-Fonds sowie Fonds von Banken wie DWS oder BNP. Die sind fast immer in Steueroasen beheimatet, ihr operativer Sitz sind meist die USA oder Luxemburg.

Es sind nicht nur die Aktionäre, die bei diesem Geschäftsmodell profitieren. Ein großer Block in der Bilanz von Vonovia sind die Kapitalkosten. Wer mit geringem Eigenkapital und viel Fremdkapital arbeitet, muss dafür natürlich Zinsen zahlen – und dieses Fremdkapital kommt größtenteils von Investmentbanken wie Morgan Stanley, die ihrerseits die Gewinne an superreiche Privatpersonen ausschütten.

Wenn man also ein Flussdiagramm mit den beteiligten Privatpersonen auf Basis der Vermögensverteilung erstellen würde, könnte man feststellen: Die Mieteinnahmen derjenigen, die den unteren Bereichen der Vermögensskala angehören, kommen am Ende bei denjenigen an, die am obersten Ende residieren. Und dabei handelt es sich oft noch nicht einmal um Deutsche. Kapitalanlagen sind nun einmal im Guten wie im Schlechten globalisiert.

Am 26. September 2021 kam es in Berlin zu einem Paukenschlag. 1,8 Millionen Berliner gaben beim Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« ihre Stimme ab und 57,6 Prozent von ihnen stimmten mit Ja. Doch Volksentscheide sind in Berlin nicht bindend. Der rot-rot-grüne Senat, in dem immerhin sowohl die Linkspartei als auch die Grünen den Volksentscheid unterstützt hatten, sah sich überrascht und machte das, was die Politik immer macht, wenn sie ein Problem nicht angehen will: Man gründete eine Expertenkommission.

Doch auch dieser Plan ging nach hinten los. Im Juni 2023 veröffentlichte die Expertenkommission ihren Abschlussbericht und kam dabei zu dem Ergebnis, dass eine Vergesellschaftung der Wohneinheiten, die sich im Besitz der großen Immobilienkonzerne befinden, verfassungsgemäß und umsetzbar sei und dass das im Beschluss abgestimmte Vorhaben konform mit dem Grundgesetz und der Berliner Landesverfassung sei. Auch die von der Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« vorgeschlagene Entschädigung unter Verkehrswert sei möglich. Doch mittlerweile wird Berlin von einem schwarz-roten Senat regiert, der sich nicht an das Votum der vom Vorgängersenat berufenen Experten gebunden fühlt und die ganze Idee mit der Vergesellschaftung zu den Akten gelegt hat.

Die Deutschen und die Revolution – eine Geschichte voller Missverständnisse. Denn so einfach, wie die Berliner sich das vorgestellt haben, wäre es mit der Rückführung des Wohnungsbestands in die öffentliche Hand wohl nicht geworden. Schon das Motto der Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« war schlecht gewählt. Das Grundgesetz sieht Enteignungen durchaus vor, und davon wurde in der Vergangenheit rege Gebrauch gemacht.

Eine Enteignung eines Immobilienkonzerns wäre jedoch ohne Wenn und Aber nicht durch den Artikel 14 des Grundgesetzes gedeckt. Die Verfassung sieht jedoch ausdrücklich die Vergesellschaftung nach Artikel 15 vor. »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden«, heißt es dort in der dem Grundgesetz so eigenen juristendeutschen Mischung aus Pathos und Bürokratie.

Davon wurde jedoch in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie Gebrauch gemacht. Der Berliner Volksentscheid sah daher – trotz der Schummelei im Namen – nicht die Enteignung, sondern genau diese Vergesellschaftung nach Artikel 15 vor. Korrekt hätte die Initiative also »Deutsche Wohnen & Co. vergesellschaften« heißen müssen.

Wie kann man sich diese Vergesellschaftung vorstellen? Ginge es nach der Bürgerinitiative, hätte der Berliner Senat ein Gesetz einbringen sollen, das die Immobilienkonzerne zwingt, ihre Objekte an eine noch zu gründende öffentliche Wohnungsgesellschaft zu verkaufen. Die 243 000 Wohnungen, um die es ging, wären dann im Besitz der Stadt Berlin. Das klingt simpel, bringt jedoch zwei Probleme mit sich. So sieht das Grundgesetz eine angemessene Entschädigung des Vorbesitzers vor. Was genau hier »angemessen« ist, ist allerdings juristisches Neuland – es gab noch keinen Präzedenzfall.“

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Als Therapie empfiehlt Berger unter anderem (und wohl vor allem) die Förderung des Wohneigentums. Ein großes Problem seien neben den „teils absurd hohen Preisen für Bauland und Bestandsimmobilien“ die Kreditsicherheiten, die von den Banken gefordert werden. Dagegen solle der Staat eine Kreditversicherung anbieten, eine Art Hermesbürgschaft für Immobilienkredite. Dann könnten die Banken einen höheren Anteil des Immobilienwerts als Kredit geben und die Käufer bräuchten weniger Eigenkapital. Die erhoffte Wirkung: „Ein solches Instrument würde den Zugang zur Immobilienfinanzierung endlich diskriminieungsfrei breiten Schichten eröffnen, die heute als nicht kreditwürdig gelten.“ Außerdem soll der Staat mehr zinsgünstige Darlehen anbieten.

Dem scheint mir ein sehr verbreitetes Missverständnis über die Wirkungsweise des Bodenmarktes zugrunde zu liegen.

Boden ist ein sehr spezielles Gut. Er muss und kann nicht produziert werden. Allenfalls kann er regulatorisch für Wohnzwecke verfügbar gemacht werden, wenn er es vorher nicht war. Mehr Bauland auszuweisen, ist eine Maßnahme, die im Prinzip geeignet ist, die Preise für Baugrundstücke zu senken.

Bei einer als fest angenommen Menge an verfügbarem Bauland und vorhandenen Bestandsimmobilien bedeutet eine Subventionierung des Wohnungskaufs nichts anderes als eine Subventionierung der Banken und eine preistreibende Subventionierung der Immobilienbesitzer.

Immobilienmärkte sind Auktionsmärkte. Lässt man mal zur Vereinfachung die wenigen Reichen weg, die sich ihre Immobilie mit Eigenkapital kaufen können, so bekommt derjenige das Haus, der in der Lage ist, den höchsten Kredit aufzunehmen und eine entsprechende Zahlungsbereitschaft hat. Führt man dem Markt durch Subventionierung der Käufer zusätzliche (Kredit-)Nachfrage zu, so steigen die Kreditsummen, zum Wohle der Banken, und die Kaufpreise, zum Wohle der Boden und Hausbesitzer.

Solange Boden in Privatbesitz ist und der Preis sich nach Angebot und Nachfrage bildet, wird die Problematik bleiben, dass die Menschen einen viel zu hohen Anteil ihres Einkommens für Wohnen ausgeben müssen.

Wie es anders geht, zeigt die Stadt Wien, wo der Grundbesitz ganz überwiegend in öffentlichem oder genossenschaftlichem Besitz ist. Hier wird kostendeckend gebaut und vermietet, was dazu führt, dass die Mietpreise etwa halb so hoch sind wie in München. Wenn die Wohnungen zu knapp sind, um das Angebot voll zu befriedigen, führt das auch unter solchen Bedingungen zu Problemen. Nämlich für Zuzügler, die keine der günstigen städtischen oder genossenschaftlichen Wohnungen bekommen, jedenfalls nicht gleich. Sie zahlen ähnlich viel wie in München. Aber eben nur die Zuzügler, und nicht alle Einwohner. Das ist ein riesiger Unterschied.

Natürlich ist es nicht leicht, Boden in öffentliches Eigentum zurückzubringen. Aber wenn das einmal allgemein als anzustreben erkannt ist, lässt sich schon einiges machen. Möglich wären zum Beispiel Gesetze, die es Gemeinden ermöglichen Grundstücke, die sie als Bauland ausweisen wollen, zu Preisen zu kaufen, die die starke Wertsteigerung von Bauland noch nicht beinhalten. Gäbe es solche Gesetze, würde generell der Preis von Boden sinken. Denn ein größerer Bestandteil ist meist der spekulative Wert, dass irgendwann einmal Bauland daraus werden könnte.

Und auch der Vergesellschaftung von Grund und Boden in größerem Maßstab könnte und sollte man näher treten.

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