Funktioniert Sparen in der Krise besser als höhere Steuern oder ein Schuldenschnitt? Drei bekannte neoklassische Ökonomen sagen ja. Ein Politikwissenschaftler entlarvt ihren ideologisch motivierten Zirkelschluss. Und ein Historiker dreht den Blickwinkel um 180 Grad.
Austerität ist unter denen, die es kennen, fast schon zum Schimpfwort verkommen. Austerität steht dafür, dass der Staat in einer Krise seinen Haushalt saniert, indem er weniger ausgibt oder die Steuern und Abgaben erhöht. Ein Grund sind die verheerenden Erfahrungen von Griechenland und anderen Krisenstaaten mit den radikalen Sparprogrammen, die ihnen Gläubigerinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) verordnet haben. Selbst der IWF hat inzwischen mehrfach eingestanden, die negativen Wirkungen der Sparprogramme auf die Wirtschaft unterschätzt zu haben, am extremsten in Griechenland. Der Wirtschaftseinbruch dort ab 2008 war schlimmer als in den USA während der Weltwirtschaftskrise. Die Folge: Der Schuldenstand relativ zur Wirtschaftsleistung schoss in die Höhe statt zu sinken.
Alesina, Favero, Giavazzi: „Austerity“
Da zeugt es von Unerschrockenheit, wenn man mit einem Buch schon im Titel ausdrücklich für „Austerity“ wirbt. Untertitel: „When it Works and When it Doesn’t“. Harvard-Ökonom Alberto Alesina und seine renommierten italienischen Koautoren Carlo Favero und Francesco Giavazzi versprechen einen „vernunftgeleiteten Ansatz auf Basis von Daten anstatt von Ideologie“. Dabei hat sich Alesina als besonders engagierter Werber für das Gürtel-enger-Schnallen einen Namen gemacht. Ein viel zitierter Aufsatz von ihm aus dem Jahr 1998 mit Silvia Ardagna begründete die zwischenzeitlich populäre These von der „wachstumsfördernden Austerität“. Das Buch ist also eine Verteidigungsschrift seines Konzepts, das als in der Eurokrise wieder einmal krachend gescheitert gilt.
Alesina und seine Koautoren beharren: „Austerität kann wachstumsfördernd sein.“ Damit meinen sie in deutlicher Abschwächung dessen was „wachstumsfördernd“ bedeutet: Wenn richtig konsolidiert werde, leide eine Volkswirtschaft weniger als vergleichbare Volkswirtschaften zur selben Zeit in ähnlichen Umständen. Richtig konsolidieren heißt, Ausgaben kürzen. Falsch, weil wachstumsschädlich, sei es die Steuern zu erhöhen. Es sind also die ärmeren Teile, der Bevöllkerung, die allein die Lasten schultern müssen, damit es funktioniert.
Was die Autoren zum Spardesaster Griechenland anbieten, macht ein wenig misstrauisch hinsichtlich der Robustheit ihrer These. Austerität hieß in Griechenland vor allem Ausgabenkürzungen. Sie hätte also wachstumsfreundlich sein sollen. Doch die Autoren zaubern ein Erklär-Kaninchen aus dem Hut: Die Krise sei von den Geldgebern und der griechischen Regierung „schlecht gemanagt“ worden.
Plausibel ist ihre These dennoch, dass Ausgabenkürzungen in einer Schuldenkrise besser für die Wirtschaft seien als Steuererhöhungen. Steuererhöhungen weckten bei Kreditgebern und Investoren kaum Vertrauen in die dauerhafte Sanierung, argumentieren sie. Wenn ein Staat dagegen Ausgaben und Transfers kürze, dann zeige er, dass er die Sanierung der Finanzen ernst meine. Dann könnten sich Investoren und Kreditgeber eher darauf verlassen, dass die Staatsfinanzen intakt bleiben. Dadurch blieben die Zinsen niedriger, was gut für die Wirtschaft sei. Angela Merkel hätte es so ausgedrückt: Wer Ausgaben kürzt und Steuern unangetastet lässt, zeigt sich bereit zur marktkonformen Demokratiie. Und wer marktkonforme Demokratie betreibt, bekommt „vom Markt“ leichter Geld.
Jerome Roos: „Why Not Default?“
Dass es sich bei diesem Zusammenhang um eine politisch bedingte, sich selbst erfüllende Prophezeiung handelt, wird deutlich, wenn man dazu das fast zeitgleich im selben Verlag Princeton University Press erschienene Buch eines jungen Politikwissenschaftlers von der London School of Economics liest.
Mit „Why Not Default? The Political Economy of Sovereign Debt“ beantwortet Jerome Roos die Frage, warum Regierungen ihre Bevölkerung einer Rosskur aussetzen, anstatt Schulden einfach nicht zu bezahlen. Alesina, Favero und Giavazzi weichen dieser Frage hingegen auf fast schon bemühte Weise aus.
Würden Alesina und Co. die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass unvorsichtige Gläubiger für Kreditexzesse in Haftung genommen werden, würde die ideologische Basis ihrer These offenbar: Schulden müssen bezahlt werden, und der Schuldner trägt die Verantwortung, weil er Schulden auf sich geladen hat – passend zur doppelten Bedeutung des Wortes Schuld im Deutschen.
Dieses Dogma gilt aber erst seit vier Jahrzehnten, seit der lateinamerikanischen Schuldenkrise, wie Roos in seiner spannend geschriebenen Historie der eingetriebenen oder gestrichenen Staatsschulden zeigt. Im wirtschaftsliberalen England galt ab 1848 die „Palmerston-Doktrin“. Die Regierung behielt sich ausdrücklich vor, nicht zugunsten von britischen Anleihegläubigern zu intervenieren, wenn Schuldner nicht bezahlen, weil sonst unverantwortliche Kreditvergabe an ausländische Regierungen befördert würde. Noch US-Präsident Franklin D. Roosevelt räumte einst ein, dass Schuldnerländer in Lateinamerika „natürlich“ nicht in der Lage seien, ihre Schulden zurückzuzahlen.
Roos identifiziert die lateinamerikanische Schuldenkrise der Achtzigerjahre nicht nur als Wendepunkt, sondern auch als Blaupause für die Kreditverhandlungen mit Griechenland. Hohe spekulative Geldflüsse im Zuge der Finanzmarktliberalisierung der Siebzigerjahre führten in eine Überschuldungskrise, als die Zinsen kräftig stiegen. Ein umfassender Schuldenverzicht schied für die US-Regierung aus, weil die wackeligen Kredite so stark bei den Wall-Street-Banken konzentriert waren, dass eine große Bankenkrise daheim drohte. Also wurde alles aufgeboten, das zu verhindern. Mit dem Ergebnis, dass selbst „Fidel Castros Kuba seine Schulden bei den Gringos bezahlte“ und die sozialistische Sandinisten-Regierung Nicaraguas anstandslos die Schulden des gerade gestürzten Somosa-Regimes bediente.
Zentrales Instrument dafür war die Nutzung des IWF als Spitze eines Gläubigerkartells und als Kreditgeber der letzten Instanz für Überbrückungskredite. Mit Letzteren sorgt der Fonds dafür, dass Schuldner kurzfristig fällig werdende Schulden bedienen können und Zeit bekommen, durch Austerität Mittel für den längerfristigen Schuldendienst frei zu machen. Wenn der IWF den Daumen über einer Regierung in Problemen senkt, weil sie seine Vorgaben nicht befolgt, bekommen diese Regierung und die Unternehmen des Landes von keiner Bank und keinem offiziellen Geldgeber mehr Kredit, auch nicht ganz kurzfristig. Das ist für die Wirtschaft verheerend. In Relation zu diesem Szenario werden selbst für die Bevölkerung sehr schmerzvolle Einschnitte zum kleineren Übel.
So war Mexikos Wirtschaftsleistung am Ende des durch die Schuldenkrise „verlorenen Jahrzehnts“ der Achtzigerjahre ein Zehntel geringer als zu Beginn der Dekade. Aber der Wirtschaftseinbruch in Griechenland, das sich den Vorgaben der Gläubiger zeitweise zu widersetzen versuchte, war noch viel schlimmer.
Mit den Vorgaben der Gläubigerinstitutionen für Krisenländer schließt sich der Kreis. Diese Institutionen, also IWF und in Europa Europäische Zentralbank (EZB) und EU-Kommission, fordern Austerität durch Ausgabensenkung – mit dem Argument, dass das besser für die Wirtschaft sei. Wenn Alesina und Co. rückblickend feststellen, dass Länder, die sich an diese Vorgaben halten, besser abschneiden als Länder, die sich verweigern, dann stellen sie demnach vor allem fest, dass es nicht gesund ist, sich mit dem IWF oder der EZB zu überwerfen.
Éric Toussaint: „The Debt System“
Spätestens wenn man dann noch das aktuelle Buch von Éric Toussaint liest, wird klar, dass das Versprechen von Alesina, Favero und Giavazzi, eine ideologiefreie Analyse vorzulegen, unerfüllbar ist. Der bekannte Historiker Toussaint ist Mitgründer und Sprecher der Initiative für die Beseitigung illegitimer Schulden (CADTM). Mit „The Debt System“ (das Schuldensystem) hat auch er eine Historie von Schuldenkrisen vorgelegt. Der Untertitel lautet: „A History of Sovereign Debt and Their Repudiation“. Aus einer kapitalismuskritischen Perspektive präsentiert er Schulden als ein Instrument der wirtschaftlich mächtigen Länder, Herrschaft über die Länder der Peripherie zu erlangen. Nach seiner Analyse hatten im 19. Jahrhundert auch das Osmanische Reich, Ägypten, Russland und China das Potenzial, zu „imperialen kapitalistischen“ Mächten aufzusteigen. Nur Japan habe es geschafft, auch weil die Regierung Verschuldung im Ausland konsequent unterbunden habe. Die anderen Länder dagegen wurden durch Schulden ihrer Autonomie beraubt und mussten ihre Aufstiegsambitionen aufgeben. Toussaints Analyse ist weniger präzise als die von Roos und deutlich einseitiger. Aber seine anschaulichen und quellenreichen Schilderungen der historischen Abläufe bieten auch skeptischen Leserinnen und Lesern eine wertvolle Erweiterung des Blickwinkels auf das Schuldenthema.
Ein warnendes Resümee
Diese drei wichtigen Bücher sollten eine Wanrung für alle sein, die aus richtiger keynesianischer Einsicht in die wirtschaftlichen Zusammenhänge für ein entspanntes Verhältnis zu Staatsschulden als Instrument der Nachfragesteuerung eintreten. Weit öfter als zu diesem Zweck sind Staatsschulden als Mittel zur Bereicherung und Machtausübung der eigenen oder fremder Eliten genutzt worden. Wer die Machtverhältnisse ignoriert und einfach annimmt, Staatsschulden würden fast automatisch zum Nutzen der Bevölkerungsmehrheit angehäuft, der tut das auf eigene Gefahr, beziehungsweise auf die Gefahr eben dieser Bevölkerungsmehrheit. Ein sehr gutes Beispiel ist die derzeit sich entwickelnde breite Koalition gegen die Schuldenbremse, unter Einschluss von Gruppen, die bisher sehr dafür waren. Sie scheint vor allem damit zu tun zu haben, dass die Schuldenbremse im Moment der noch stärkeren Aufrüstung Deutschlands im Wege steht. Siehe: Mein Plädoyer für die schwarze Null