Wo liegen die Grenzen des Wachstums? Der Philosoph Oliver Schlaudt erklärt in seinem Buch „Wirtschaft im Kontext: Einführung in die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften in Zeiten des Umbruchs„, warum Ökonomen sich mit dieser Frage sehr schwertun. Sie haben nicht die passende Sprache, und die Sprache der Naturwissenschaften beherrschen sie nicht gut genug.
Es ist 44 Jahre her, dass der Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte. Seither gab es Aktualisierungen, die alle vor dem drohenden Kollaps wegen Übernutzung natürlicher Ressourcen warnten. Doch zum Konflikt zwischen unendlichen Wachstumserwartungen und endlicher Welt haben die etablierten Ökonomen bisher wenig beigetragen. Die Auseinandersetzung darüber findet eher am Rande oder jenseits des Mainstreams statt.
Je grundsätzlicher das Problem, desto eher sind die Spezialisten für die großen Themen hilfreich. Deshalb ist es gut, dass der Heidelberger Philosoph Oliver Schlaudt eine „Einführung in die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften in Zeiten des Umbruchs“ (Untertitel) vorgelegt hat. Der Titel „Wirtschaft im Kontext“richtet den Fokus auf die Schnittmengen der Wirtschaft mit anderen Systemen, dem gesellschaftlichen Umfeld und der natürlichen Umwelt.
Schlaudt erklärt schlüssig, warum Ökonomen sich so schwertun, Konflikte zwischen Wirtschaftsprozess und ökologischer Nachhaltigkeit zu analysieren. Die Norm ist nämlich für Ökonomen, die Individuen und ihre Präferenzen ins Zentrum zu stellen. Der Wirtschaftsprozess wird zudem in Anlehnung an die Mechanik als unabhängiger und umkehrbarer Prozess ohne Grenzen modelliert. Das steht in Widerspruch zu physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie der wachsenden Entropie. Diese besagt, dass Schadstoffe, die in der Umwelt verteilt, oder Rohstoffe, die verbrannt wurden, nur mit viel Energieeinsatz zurückgeholt werden können.
Umweltschäden der Produktion werden von Ökonomen als negative Folgen für unbeteiligte Dritte behandelt. Diese sind in Geld zu bewerten und auf die Preise aufzuschlagen. Das stößt an Grenzen, wenn der Schaden darin besteht, dass das Ökosystem mit einer unbekannten Wahrscheinlichkeit zu einem unbekannten Termin kollabiert. Zwei Varianten, die gegenseitige Abhängigkeit von Ökonomie und Umwelt zu betrachten, stellt Schlaudt gegenüber.
Möglichkeit 1: Die Sprache der Ökonomen reformieren
Da ist einmal die Möglichkeit, in der Sprache der traditionellen Ökonomik zu bleiben und der gesamten Umwelt Werte und Preise zuzuweisen. Wenn das möglich wäre, ließe sich der Wachstumsbegriff so modernisieren, dass der Gegensatz von Wachstum und Ökologie verschwände. Das Umweltvermögen könnte bewertet und jede Wertminderung vom Produktionswert abgezogen werden. Dann leisteten viele Produktionsaktivitäten nach neuer Messung einen negativen Wachstumsbeitrag. Weniger zu produzieren würde das Wachstum steigern. „Unser Planet wird bedroht vom falschen Glauben in ein falsch definiertes Wachstum“, drückt das der niederländische Ökonom und Vorreiter der Degrowth-Bewegung Roefie Hueting aus. Dessen international stark rezipierte Berechnungen lassen wenig Zweifel daran, dass beträchtlicher materieller Verzicht nötig wäre, wollte man Nachhaltigkeit erreichen. Auch Schlaudt stellt fest, dass das Wirtschaftswachstum bisher vor allem durch eine immer intensivere Nutzung natürlicher, meist erschöpflicher Energieressourcen befeuert wurde. Würde diese Nutzung als Kosten zum Abzug gebracht, wäre das richtig gemessene Wachstum viel geringer und viel Produktion würde sich nicht mehr lohnen.
Schlaudt hat kleinere Einwände gegen den Ansatz, die Ökologie durch Veränderung der Wachstumsbegriffs in die ökonomische Analyse einzubeziehen. Er übersieht jedoch einen grundlegenden Einwand. Es gibt nicht den Durchschnittshaushalt mit seinen Durchschnittspräferenzen, den man zur Grundlage einer quasi-objektiven Bewertung des Umweltvermögens machen könnte. Die Fokussierung der Analyse auf die Präferenzen der Individuen verlangt, deren theoretische Zahlungsbereitschaft für Umweltgüter zugrunde zu legen. Doch wenn etwa, wie es prognostiziert ist, große Teile Bangladeschs aufgrund der Erderwärmung im Meer versinken, und viele Millionen sehr arme Bangladescher dadurch ihre Lebensgrundlage verlieren, so ist der Schaden nach dieser Sichtweise eng begrenzt. Denn Menschen die von der Hand in den Mund leben, haben nur eine sehr geringe Zahlungsfähigkeit und damit Zahlungsbereitschaft, egal wofür.
Je größer die Ungleichverteilung der Einkommen zwischen denjenigen, die von den negativen ökologischen Folgen betroffen sind, und den Reicheren, die weniger betroffen sind, desto weniger lohnt sich aus dieser Perspektive nachhaltigeres Wirtschaften. Falls die weniger Betroffenen überproportionales politisches Gewicht haben, erklärt das vielleicht, warum Versuche, das Verschmutzungsproblem über handelbare Zertifikate zu lösen, bisher regelmäßig die Verschmutzungskosten sehr niedrig angesetzt haben.
Möglichkeit 2: Die Sprache der Physik nutzen
Die alternative Möglichkeit, den Dualismus von Wirtschaft und Umwelt zu überwinden, besteht darin, auch die Wirtschaft mit dem physikalisch-naturwissenschaftlichen Vokabular zu analysieren, mit dem das ökologische Gesamtsystem beschrieben wird. Der Wirtschaftsprozess ist dann ein Organismus, der mit seiner Umwelt Stoff und Energie austauscht.
In dieser Sprache würde der bisherige Gleichlauf von Wirtschaftskraft und Energie-Input direkt deutlich. Die Möglichkeit einer Auflösung des Widerspruchs von endlosem Wachstum und endlicher Welt bietet auch diese Herangehensweise. Denn die Erde ist kein abgeschlossenes System. Sie empfängt laufend konzentrierte, nutzbare Energie von der Sonne. Somit spricht nicht grundsätzlich etwas dagegen, in immer weiter wachsendem Umfang Energie für Produktionsprozesse zu nutzen. Wenn laufend Energie zugeführt wird, kann sich die Menschheit gegen das Gesetz der zunehmenden Entropie stemmen und Ressourcen nach Nutzung wieder in eine nutzbare Form bringen.