Buchtipp: Die große Rentenlüge – Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist

Der Titel wirkt reißerisch, aber der Inhalt trägt ihn zumindest der Richtung nach – wobei das Buch selbst deutlich macht, dass es nicht die eine große Lüge gibt, sondern ein ganzes Geflecht von Lügen, mit denen interessierte Kreise aus Wirtschaft, „Wissenschaft“, Politik und Medien die gesetzliche Rente schlecht machen und für Alternativen werben, an denen die private Finanzwirtschaft verdient.

Da gibt es das „Märchen von den guten Betriebsrenten‘“, das überzeugend entzaubert wird, unter anderem weil die staatliche Förderung so gestaltet ist, dass sie die gesetzliche Rente weiter schwächt. Ganz abseits vom politischen Hickhack der Argumente liefern Holger Balodis und Dagmar Hühne darüber hinaus auch wertvolle Klarstellungen und Erläuterungen zu dehnbaren Begriffen wie Rentenniveau, die für alle nützlich sein dürften, die nicht schon von Berufs wegen die verwirrenden Regeln und Begrifflichkeiten der Rente beherrschen.  Die Autoren skizzieren prägnant ihre Vorstellungen von einem funktionstüchtigen Rentensystem  zum Wohle der (Mehrheit der Bürger) und stellen das dem deutschen weit überlegene österreichische System vor, das ihnen in vielem als Vorbild dient.

Auf Amazon findet sich ein längerer Verriss von einem nach eigenen Angaben 34-jährigen, der kritisiert, hier würde mit ökonomisch unhaltbaren Argumenten der versteckten Ausbeutung der Jungen durch die Alten das Wort geredet. Die Argumente sind die gleichen wie die, welche die Arbeitgeberlobby INSM derzeit in einer aufwändigen Kampagne ans Volk zu bringen versucht, um sich – wie Balodis und Hühne ganz einleuchtend erklären – in Anbetracht des offenkundigen Bruchs aller Versprechungen der privaten, kapitalgedeckten Vorsorge , gegen die nun mehrheitsfähig werdende Stärkung der gesetzlichen Rente zu stemmen. Deshalb sei hier Balodis Antwort auf den Rezensenten wiedergegeben.

Lieber Herr (Rezensent), ganz ‚einfache’ Rechnungen stimmen leider fast nie, schon gar nicht bei so einem komplexen Thema wie der Rente. Zu den „Argumenten“ im Einzelnen:
1. es gibt keine zuverlässigen Abschätzungen über das Verhältnis von versicherungspflichtig Beschäftigten und Rentenbeziehern im Jahr 2050. Wenn – wie seit Jahren geschehen – die Zuwanderung von jungen Arbeitskräften vor allem aus dem EU-Raum anhält, wird sich das Pro-Kopf-Verhältnis möglicherweise nicht verschlechtern, sondern sogar verbessern.
2. Noch entscheidender als das Pro-Kopf-Verhältnis ist die Entwicklung von Produktivität und Wirtschaftskraft. So gelang es innerhalb von 100 Jahren die Renten deutlich zu erhöhen, obwohl sich das Verhältnis von Jungen zu Alten von 11:1 auf 3:1 verschlechterte. Wenn eine hohe Geburtenrate das entscheidende Kriterium für gute Renten wäre, so müssten die Renten in Mali oder Nigeria besonders sicher und hoch sein.
3. Schauen wir auf Ihr nur scheinbar schlagendes Rechenbeispiel: Aus einem angenommenen Verhältnis von 2:1 von Arbeitenden zu Rentnern folgern Sie einen Beitragssatz von 50 Prozent. Die Realität heute: 32 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigte kommen auf 21 Millionen Rentner, also grob ein Verhältnis von 1,5 zu 1. Und der Beitragsatz? Liegt bei 18,7 Prozent. Rente funktioniert nicht mit Milchmädchenrechnungen.
4. Natürlich ist es sinnvoll, die Zahl der Beitragszahler Stück für Stück um junge Beamte und Selbstständige zu erhöhen. Sie würden dann sofort Beiträge zahlen und 40 oder 45 Jahre später eine Rente erhalten. Genau in der Phase, wenn die Babyboomer Rente beziehen, würde die Rentenkasse gestützt. Ungefähr ab dem Jahr 2060 erhielten die neuen Versicherten dann von allen aktiven Erwerbstätigen ihre Renten finanziert. Natürlich nicht alle gleichzeitig, sondern Jahr für Jahr ein paar mehr. Und weil die Beamtenpensionen wegfallen, kann der Staat die bis dato für Pensionen gebundenen Mittel für einen höheren Bundesanteil nutzen. Mit Schneeballsystem hat das nichts zu tun. 5. Die Unterscheidung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag spielt in der Praxis sehr wohl eine Rolle. Wie man an der Krankenversicherung sieht, haben die Arbeitgeber ein elementares Interesse daran, die Arbeitgeberbeiträge zu drücken bzw. in diesem Fall einzufrieren. Am liebsten würden sie gar nichts zahlen. Ob die Löhne dann im gleichen Maße steigen würden, ist sehr unwahrscheinlich.
5. Interessant ist die Anmerkung zur Rentabilität von kapitalgedeckter Altersvorsorge. Sie verweisen auf die angeblich sicheren Renditen mit Aktien. Wenn das so wäre, erstaunt der geringe Prozentsatz, mit dem sich die Anlageprofis der Lebensversicherer im Aktienhandel engagieren. Exemplarisch für das Risiko einer Aktienanlage sei der japanische Index Nikkei erwähnt: Nach seinem Höchststand von knapp 39.000 Punkten im Jahr 1989 stürzte er ab und übertraf seitdem nur noch ab und an die Marke von 20.000 Punkten. Dass man mit Aktien langfristig immer Geld verdient, ist ein Märchen. Eine sichere Altersvorsorge für breite Schichten lässt sich darauf nicht aufbauen. Mein Tipp: weiterlesen!

Das Buch ist im August 2017 im Westend-Verlag erschienen und kostet 18,- Euro

[7.9.2017]

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