Pikettys neues Buch ist eine Enttäuschung

5. 04. 2020 | Nach „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ hat der französische Ökonom Thomas Piketty mit „Kapital und Ideologie“ kräftig nachgelegt. Das Buch kommt auf 1300 Seiten. Wer gehofft hatte, Piketty würde die vielen Seiten nutzen, um zu definieren, was er unter Kapital und Kapitalismus versteht, wird enttäuscht. Ebenso, wer wirksame Vorschläge zum Abbau der Ungleichheit erhofft hat.

In Anbetracht der Tatsachen, dass die Schwammigkeit von  Pikettys Kapitalbegriffs in „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ von einigen Rezensenten aufgespießt wurde und dass die vorherrschende ökonomische Theorie beträchtliche Schwierigkeiten mit einer schlüssigen Definition hat, ist es kein kleiner Mangel, dass er sich auch im zweiten Buch über das Kapital um eine Definition drückt. Kapital  scheint für ihn immer noch jegliche Art von werthaltigem Besitz zu sein. Wenn man so grundsätzlich an die Produktions- und Verteilungsbeziehungen herangeht wie Piketty, und wenn man den Kapitalismus überwinden will, wäre eine klare Definition mehr als hilfreich.

Aber immerhin löst sich Piketty nun von der mechanistischen Argumentation des Vorgängerbuchs. In ihm hatte er die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen darauf zurückgeführt, dass der Zins notorisch oder gar zwangsläufig oberhalb der Rate des Wirtschaftswachstums liegt.

In „Kapital und Ideologie“ führt er die Ungleichheit auf Ideologie zurück, auf die zu Institutionen geronnenen Normen einer Gesellschaft. Zu Recht stellt er dabei den Eigentumsbegriff in den Vordergrund. Die Schaffung, Festigung und zunehmende Verabsolutierung des Konzepts des Privateigentums, die er historisch nachzeichnet, sieht er als wichtige Triebfeder der Ungleichheit an.

Zwei bessere Bücher zum Kapital

Damit bewegt er sich in bemerkenswerter Nähe zur deutschen Rechtswissenschaftlerin an der Universität Columbia Katharina Pistor, die im Buch „The Code of Capital“ Kapital als gesellschaftliches und vor allem rechtliches Konstrukt definiert. Das Recht kodifiziert und Schützt die Eigentumsrechte derer, die sich die teureren Anwälte leisten können, ist eine ihrer prägnanten Schlussfolgerungen.

Und auch „Capital as Power“ der Ökonomen Jonathan Nitzan und Shimshon Bichler behandelt ähnliche Aspekte. Darüber hinaus thematisiert es, wie das Kapitalinteresse dafür sorgt, dass weniger und weniger effizient produziert wird, als produktionstechnisch möglich wäre. Dadurch werden die Gewinne hoch und die Löhne niedrig gehalten, die Ungleichheit also hoch (Link zur freien Version im Internet). Auf capitalaspower.com findet man auch sehr lesenswerte kürzere Beiträge zum Thema u.a. von Blair Fix.

Beide Bücher haben mir weit mehr Erkenntnisse gebracht als die inhaltlich ähnlichen, aber viel weniger präzise argumentierenden von Piketty.

Naive Vorschläge

Angesichts der erheblichen Weiterentwicklung und Radikalisierung seiner Analyse – der Weg zu Marx ist nicht weit – ist es umso bemerkenswerter, dass Pikettys Vorschläge zum Abbau der Vermögenskonzentration im Kern die gleichen geblieben sind wie in seinem Vorgängerwerk.

Sie wirken noch ebenso naiv wie vor sechs Jahren. Er schlägt weiterhin eine beinahe konfiskatorisch hohe Besteuerung besonders hoher Einkommen und Vermögen vor. Das ergänzt er damit, dass das Steueraufkommen genutzt werden sollte, jedem 25-Jährigen eine „universelle Erbschaft“ von 120.000 Euro als Startkapital auszuzahlen.

Dabei hat Frankreich mit einem Einkommensteuerhöchstsatz von 90 Prozent unter dem ehemaligen Präsidenten Hollande die Erfahrung gemacht, dass die damit Belasteten sich dem durch Wegzug entziehen können. Diese Fluchtbewegungen wären noch stärker, wenn noch mehr Vermögen steuerlich konfisziert werden sollte.

Eine global erhobene Vermögensteuer wie in Pikettys Wunschvorstellungen ist eben nur das: eine Wunschvorstellung. Dass die Megareichen als Gruppe auch megamächtig sind und sich nicht so ohne Weiteres enteignen lassen werden, blendet der Ökonom dagegen einfach aus. Es bräuchte schon eine echte Revolution, um umzusetzen, was er vorschlägt.

Und selbst wenn man die Reichen so hart besteuern könnte wie nötig, um das Geld dafür einzutreiben: Wer in bildungsferner Familie im sozialen Brennpunkt aufwächst, wo die eigenen Eltern ihr Startkapital längst verbraucht haben, wird mit 120.000 Euro weit weniger anfangen können als etwa der Spross eines Unternehmers.

Fäden bleiben liegen

Dabei hätte es sich angeboten, die Analysestränge der beiden Bücher zusammenzuführen und daraus realistische Reformstrategien zu entwickeln: Wie sind die Eigentumsrechte, auch die in den letzten Jahrzehnten stark ausgebauten Rechte am geistigen Eigentum, so abzuwandeln, dass die Kapitalrendite unter statt über der Rate des Wirtschaftswachstums liegt – und deshalb große Reichtümer gar nicht erst entstehen? Mit einer Umverteilung von Stimmrechten in Unternehmen bleibt Piketty hier sehr bescheiden – und ineffektiv.

Schon jetzt sind es Kapitalanlagegesellschaften wie BlackRock, nicht große Mehrheitseigner, die bestimmen, wo es im Kapitalismus langgeht. Was muss im Finanzsektor geändert werden, damit die Logik der maximalen Kapitalrendite nicht mehr alle Lebensbereiche durchdringen kann? Da kommt kaum etwas.

Piketty lässt die Fäden einfach liegen, deren Enden er im Vorfeld so mühsam freigelegt hat.

Thomas Piketty: „Kapital und Ideologie“. C.H. Beck Verlag. 1312 Seiten. 39,95 Euro

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