Der Ökonom als Menschenfeind

Ist das negative Menschenbild der Ökonomen so tief in dieser Wissenschaft verwurzelt, dass besseres Wissen ihm nichts anhaben kann? Der Hamburger Ökonom Sebastian Thieme hat in seinem sehr lesenswerten Büchlein mit dem Titel: „Der Ökonom als Menschenfeind? einiges „über die misanthropischen Grundmuster der Ökonomik“ zusammengetragen, was diese These stützen könnte.

Cover_Der_Oekonom_als_Menschenfeind.png Er erkennt ein misanthropisches Grundmuster auf drei Ebenen: Da ist zunächst das negative Menschenbild, „das augenscheinlichste und kontinuierlichste Grundmuster“. Es sei „praktisch über die gesamte ökonomische Ideengeschichte hinweg bis heute anzutreffen“. Dann ist da die fast verherrlichte Idee des Wettbewerbs, die Gleichsetzung von Marktwirtschaft und Konkurrenz. Hier argumentiert Thieme ähnlich wie der Papst. Der Markt als Wettbewerb setze Menschen in Konkurrenz und schaffe daher notwendig Ungleichheiten zwischen ihnen, Gewinner und Verlierer. Und schließlich ist da noch die oft extreme Abstraktheit der ökonomischen Argumentation, die Menschen verdinglicht, ihn in marktgängige Funktionen zerlegt und so instrumentalisiert.

Die biologistisch-darwinistische Analogie von Wettbewerb und natürlicher Auslese scheint seit der Etablierung der Ökonomik als einer Wissenschaft zur Zeit der Aufklärung in deren Weltverständnis eingewoben zu sein. Das fängt an mit der 1786 erscheinen Dissertation des Joseph Townshend über die Armengesetze, wo er in seiner berühmten  Ziegenparabel feststellt, dass nur die aktiven und starken überleben und dies gleich in eine moralische Abwertung der Armen ummünzt, indem er sie als faul und schwach bezeichnet. Er beklagt, dass staatliche Fürsorge die Entfaltung der Märkte behindert und dadurch  die Anzahl der „unprofitablen Bürger“ und die Armut erhöht, gegenüber der Situation, in der der Hunger seine angemessene Auslesefunktion erfüllen kann. Die Armen und Erfolglosen schmarotzten für Townsend auf kosten der Reichen. Auch Townsends Zeitgenosse Robert Malthus sah die Armut als im Wesentlichen selbstverschuldet an und beklagte, dass Almosen die Armen nur zum Kinderkriegen animieren würden.

Derartiges Gedankengut ist nicht etwa nur dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Man denke nur an die Ausführungen des Ökonomen Thilo Sarrazin über den fehlenden volkswirtschaftlichen Wert vieler ausländischer Mitbürger und deren Neigung, viele Kinder zu zeugen. Auch in respektableren Ökonomenkreisen ist ähnliches Gedankengut, meist weniger drastisch ausgedrückt als von Townsend und Sarrazin, weit verbreitet. Der Volkswirt Gunnar Heinson beklagte 2010 öffentlich, dass sich die „Hartz-Bevölkerung“ sich stärker vermehre als die „leistende Bevölkerung“, auch wegen des Sozialsystems. Harvard Ökonom Mankiw stellte in seinem Lehrbuch fest, dass Sozialhilfe, die den Bedürftigen ermögliche, zu Haus ezu bleiben, eine Kultur der Armut produziere. Das Bundeswirtschaftsministerium wiederum brachte 2005 eine Broschüre heraus, die Hilfsempfänger unter den Generalverdacht von Faulheit, Betrug und Schmarotzertum stellte. Sie trug den Titel „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, ‚Abzocke‘ und Selbstbedienung im Sozialstaat“ und stellte nach einem einstimmenden Vorwort von Minister Wolfgang Clement – fest: „Biologen verwenden für „Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen leben, übereinstimmend die Bezeichnung „Parasiten“.“ Ähnliche wie die klassischen misanthropen Ökonomen – der Moralphilosph Adam Smith gehörte nicht zu dieser Gruppe – die Armen und Arbeitslosen unterhalb der Wildtiere einordneten, weil sie nicht einmal imstande waren, sich selbst zu ernähren, setzten Clements Mitarbeiter noch einen drauf, indem sie feststellten, dass der Vergleich deshalb hinke, weil der tierische Parasit keinen freien Willen habe, während das Parasitentum eines Menschen noch viel verwerflicher sei.  Ähnlich wie Malthus, der nur Hilfen für akute, offenkundig unverschuldete Notlagen guthieß, wollte der damalige Wirtschaftsminister die aus seiner Sicht vielen selbstverschuldet Mittellosen und Betrüger von staatlichen Hilfen ausschließen.

Die meisten Ökonomen sind sympathische Leute, die sich bei Sprüchen wie diesen oder von Sarrazin leicht gruseln und das nie so sagen würden. Sie haben auch kein Problem damit zu akzeptieren, dass es eine Grundsicherung geben muss. Aber dann kommt praktisch immer die Feststellung, dass – aus ökonomischer Sicht –  diese Sicherung marktkonform ausgestaltet werden müsse. Und das bedeutet, dass sie  niedriger und restriktiver sein sollte als bisher. Das ist kein Zufall. Denn bei allen Beteuerungen des Gegenteils sind in einem Weltbild, das so etwas wie den homo oeconomicus annimmt und Marktwirtschaft mit umfassender Konkurrenz gleichsetzt, soziale Sicherung und Markt unauflösliche Gegensätze, denn sie setzten den Wettbewerbsdruck außer Kraft. Wer gemäß den Vorgaben des Grundgesetzes unabhängig vom eigenen Arbeitseinsatz ein menschenwürdiges Minimum an Einkünften garantiert, der muss seine Arbeitskraft nicht zu den vorherrschenden, vielleicht zum Überleben gar nicht ausreichenden Löhnen anbieten. Man kann soziale Sicherung und Wettbewerb gegeneinander austarieren, aber man kann die Sicherung nicht marktkonform im Sinne der Ökonomen ausgestalten. Das geht nur, wenn man wie der „Sachverständigenrat der Fünf Weise“ und viele andere Ökonomen bereit ist, über das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nonchalant hinwegzusehen und eine niedrigere Grundsicherung zu fordern, die nur bei demonstriertem Arbeitswillen aufgestockt wird, am besten proportional zu den erzielten Arbeitseinkünften. Faule Arbeitslose, „unprofitable Bürger“ im Sinne von Townsend, die auf Kosten der Reichen leben, haben nach dieser ökonomistisch-naturalistischen Vorstellung ihr Grundrecht verwirkt.

Die Ökonomik muss nicht notwendigerweise ein solch negatives Menschenbild haben. Schon Adam Smith sah den Menschen als Moralphilosoph sehr viel differenzierter und betrachtete  in seinem großen Erstwerk über die „Theorie der ethischen Gefühle“ die Sympathie für die Mitmenschen nicht nur  als Grundlage der Moral, sondern auch als Triebfeder der menschlichen Arbeit. Smith glaubte auch nicht an den Unsinn, dass sich die Löhne auf freien, wettbewerblichen Märkten nach Angebot und Nachfrage bilden. Sie würden vielmehr gemäß der relativen Machtverhältnisse ausgehandelt. Und wenn die Arbeiter beinahe täglich unter existenziellen Druck stünden, ihre Arbeitskraft einzusetzen, sei klar, was dabei herauskomme. Doch diese Teile seiner Arbeit werden in der Zunft zugunsten der von ihm sehr viel weniger prominent herausgestellten „unsichtbaren Hand“ des Marktes völlig vernachlässigt. Aber es gibt Teildisziplinen, wie Management, insbesondere Personalmanagement oder auch Marketing, die mit einem sehr viel realistischeren – und positiveren – Menschenbild arbeiten, schon weil niemand sie ernst nehmen würde, wenn sie das Menschenbild der Volkswirte zugrunde legten.

Print Friendly, PDF & Email