Leseempfehlung: Sahra Wagenknecht – Die Biographie

Im November wurde mit der Wahl einer neuen Fraktionsspitze der schon im Frühjahr verkündete Abschied von Sahra Wagenknecht aus der Spitzenpolitik offiziell. Christian Schneider macht in seiner einfühlsamen Biographie der Ausnahmepolitikerin verständlich, warum sie diesen Schritt tat – und warum sie so lange brauchte, um einzusehen, dass sie Spitzenpolitik zwar konnte, aber überhaupt nicht dafür geschaffen war…

„Sahra Wagenknecht – Die Biografie“ macht verständlich, warum eine der erfolgreichsten Politikerinnen Deutschlands im März 2019 Knall auf Fall ihren Rückzug bekanntgibt. Vordergründig ist es ein Burn-out. Aber dieser hat viel damit zu tun, dass Wagenknecht sich mit ihrer erfolgreichen Kandidatur für den Vorstand der PDS im zarten Alter von 21 Jahren für eine Karriere entschieden hatte, für die sie durch Sozialisation und Charakter schlecht gerüstet war. Dass sie überhaupt in die Spitzenpolitik ging, wo ihr neben viel Zustimmung auch große Feindseligkeit begegnete, lässt Biograf Christian Schneider wie eine Fehlentscheidung erscheinen. „Sahra ist keine Rudelführerin“, erklärt Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine im Buch. Ihr fehlte, abgesehen von einem kurzen Intermezzo als Punk, jede Erfahrung mit Cliquen und ähnlichen Gruppen.

Christian Schneider ist habilitierter Sozialpsychologe und Führungskräftecoach. Mit seiner einfühlsamen und fachlich fundierten Herangehensweise zeichnet er ein stimmiges und erhellendes Bild einer widersprüchlichen Persönlichkeit. Was Wagenknecht antrieb, die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ zu gründen, die ihr so viel innerparteilichen Ärger einbrachte, macht er ebenso verständlich wie die Gründe für ihren Rückzug, als sich ihre Hoffnungen nicht erfüllten.

Passagenweise geht der Wissenschaftler mit Schneider durch, die vielen Bandwurmsätze verlangen dem Leser einiges ab. Zum Glück konzentrieren sich diese Passagen im hinteren Teil zu Wagenknechts innerparteilichen Kämpfen der letzten Monate vor ihrem Rücktritt. Den muss ohnehin nicht lesen, wer die Presseberichte verfolgt hat. Zumal Schneider – sehr zum Vorteil des übrigen Buches – so auf Neutralität bedacht ist, dass dieses Kapitel nicht wirklich mitreißt.

Liest man über Wagenknechts Kindheit und Jugend in der DDR als Bücherwurm, als extreme Einzelgängerin und gemobbte Außenseiterin, als überzeugte Kommunistin und extreme Nonkonformistin, dann glaubt man kaum, dass so jemand es bis zur Oppositionsführerin im Bundestag bringen kann. Wagenknecht folgte dennoch dem Karrierepfad, weil ihre geistigen Vorbilder Marx und Hegel, deren gesamte Werke sie durchgearbeitet hatte, für Erkenntnis ohne Tat wenig übrighatten. Ihre weitere Karriereplanung verrät Wagenknecht im Proust’schen Fragebogen: „Eine Schriftstellerin, deren Bücher Debatten auslösen“. Für dieses Karriereziel muss die erst 50-Jährige keine inneren Widerstände überwinden. Es ist ihr auf den Leib geschneidert. Schon mit dem schnell nebenher verfassten „Reichtum ohne Gier“ hat sie einen Bestseller gelandet. Daran kann sie mit einer ausgeruhten Fortsetzung anknüpfen, die ihre Vorstellungen von einer besseren Eigentumsordnung konkretisiert. Und zur Debatte über die richtige Strategie für die schwindsüchtigen linken Parteien wird sie, nun frei von Fraktionszwängen, einiges beizutragen haben, was lebhafte Debatten auslösen kann.

[8.12.2019]

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