Hakon von Holst: Verkehrsbetriebe zwingen Kinder zur Kartenzahlung

6. 01. 2022 | Die Infrastruktur für Bargeld ist am Zusammenbrechen: Immer mehr Verkehrsbetriebe lehnen Scheine und Münzen ab. Sie zwingen Barzahler, Kinder und Senioren zu Umwegen und langem Vorausplanen. Schleichend wird das Bargeld so verdrängt, berichtet Hakon von Holst in diesem Gastbeitrag.

Hakon von Holst. Früher war es möglich, beim Busfahrer ein Ticket zu lösen, gegen Bargeld natürlich. Dann, Anfang 2020, kam die Krise. Die Fahrerkabine wurde von den übrigen Reisenden abgeschirmt. Ein Sommer später geht der Vorhang wieder auf, doch die Kasse ist verschwunden: Bei den Berliner Verkehrsbetrieben müssen Kinder, Barzahler und Senioren schauen, wo sie bleiben.

Nicht nur in Berlin. An anderen Orten geschah dasselbe: Das Busunternehmen Adventure Travel aus Wales wollte plötzlich kein Bargeld mehr annehmen, in den Stadtbussen Madrids kann man nicht mehr bar bezahlen. Die Regierung in Kenia sah die ideale Gelegenheit gekommen, das Bargeld aus den Sammeltaxis zu verbannen: 200.000 Matatus sollen mit digitalen Bezahlsystemen ausgerüstet werden. Danach wäre keine Barzahlung mehr möglich – ein lang gehegter Plan ginge in Erfüllung.

Zurück nach Berlin. Wie kommen wir jetzt an ein Ticket? Mit Kreditkarte und Smartphone kein Problem. Aber ohne? Bei weitem nicht an jeder Haltestelle gibt es einen Automat. Wir müssen also vorsorgen und irgendwo 4-Fahrten-Scheine besorgen. Sonst haben wir im Bus nichts zum Abstempeln. Und eine wiederaufladbare Guthabenkarte stünde zur Alternative. Die gäbe es gegen Bargeld zu erwerben und soll sogar anonym sein. Aber die Entwöhnung vom Bargeld bleibt – wer nimmt die Umstände auf sich, bar zahlen zu können?

Keine Automaten in Erfurt

Im Stadtgebiet von Erfurt gibt es nur verteilt Automaten an den Haltestellen. Dafür umso mehr in den Verkehrsmitteln selbst. Doch das ist Vergangenheit: Im Sommer 2021 wurden die alten Fahrkartenautomaten in den Straßenbahnen entfernt. Nun, alt waren sie eigentlich nicht:

„»Die Automaten wurden 2011 angeschafft. Sie brauchen eine Mobilfunkverbindung und die war damals nur über den 3G-Standard möglich. Der aber wird im Sommer 2021 für immer abgeschaltet. Eine Umrüstung wäre zwar technisch möglich, würde aber 2,2 Millionen Euro kosten.« MDR, 12.04.2021

Dresden bargeldlos

Was Erfurt kann, kann Dresden erst recht. Selbst auf dem Bürgeramt bleibt dort die Kasse geschlossen. Wer nicht mit EC- oder Kredikarte bezahlen will, dem bleibt nichts anderes übrig, als zu überweisen oder eine der drei Stadtkassen aufzusuchen, um sich der Schuld zu entledigen.

Die Dresdner Verkehrsbetriebe denken ähnlich. Alle Straßenbahnen werden jetzt auf bargeldlose Fahrscheindrucker umgestellt, die Busse sollen folgen. Im Gegensatz zu denen aus Erfurt sind die bisherigen Automaten tatsächlich etwas älter: fast 20 Jahre. Woran könnte das liegen? Wahrscheinlich daran, dass bei den alten Dresdner Geräten keine Kartenzahlung möglich war. Da spielt es keine Rolle, wenn ein neues Mobilfunknetz hochgefahren wird.

Und was machen Kinder? Die Dresdner Wochenzeitung schreibt:

„Fahrkarten werden künftig ausschließlich mit der EC-Karte, der Kreditkarte (bisher VISA- und Mastercard, später auch American Express), per Apple Pay oder Google Pay bezahlt. Nachdem ermäßigte Dauerfahrkarten zugunsten des Bildungstickets abgeschafft wurden, könnten nun Kinder vor den neuen Automaten stehen und beim Ticketkauf scheitern, weil kein Bargeld mehr angenommen wird und sie keine Geldkarte haben. Bei einer Kontrolle sollen sie sagen, dass sie keine Chance hatten, eine Fahrkarte zu kaufen, später werde das Kundenzentrum dann kulant reagieren.«

Automatenabbau in Bayern, abgesegnet von der Regierung

Im Umland von Nürnberg gibt es ein Problem: Die Deutsche Bahn baut Automaten ab und die CSU-geführte Staatsregierung hatte zugestimmt. An Haltestellen, an denen nur die Regionalbahn hält, kann man dann nur mehr im Zug ein Ticket lösen. Das Problem ist, dass es im Zug keine Fernverkehrsbillets gibt. Wer nach Berlin unterwegs ist, kann erst beim nächsten Umstieg einen Fahrschein zum Zielort lösen – für die Nahverkehrskarte zahlt er unnötig:

„Zugfahrer, die in Behringersdorf einsteigen, können also kein Ticket nach Hamburg kaufen, sondern müssen es vorab online buchen oder die Service-Hotline der Bahn anrufen. Das Ticket, das die Kunden per Telefonanruf bestellen, wird allerdings normalerweise per Code an einem Fahrkartenautomaten ausgedruckt, der dann in Behringersdorf nicht mehr existiert. Als Alternative bleibt nur die Zusendung per Post, die eine gewisse Planungszeit voraussetzt.« Nürnberger Land, 18.03.2021

Nicht ganz drei Jahre zuvor hatte sich ein internes Papier aus den Büros der Deutschen Bahn auf den Schreibtisch von Journalisten gemogelt. Eine 220seitige »Agenda für eine bessere Bahn«. Darin hieß es: »Realisierung des Ausstiegs aus dem Automatenverkauf bis 2023.«

Bargeldlose Billetautomaten rund um Bern

Die Schweizer Bahngesellschaft BLS AG ist im Regionalverkehr tätig. Ich stand auch schon vor ihren Automaten – mit Bargeld in der Hosentasche. Wenn ich wieder einmal dort stehe, weiß ich nicht, ob ich noch ein Ticket bekommen werde, ob man mich befördern wird: Diesen Sommer wurden bargeldlose Automaten getestet. Besser gesagt: Die Akzeptanz der Kunden wurde getestet. Leider soll sie »über alle Altersgruppen hinweg« hoch gewesen sein. 2022 will die Verkehrsgesellschaft entscheiden, ob alle Automaten ausgetauscht werden oder, anders ausgedrückt, ob das Bargeld in meiner Hosentasche wertlos wird.

Bahn fahren mit Chipimplantat

Als ob alles nicht gruselig genug wäre, zeigt der Weltmeister im Bargeldabschaffen, wo er den Zug hinlenkt. Schweden ist das Land, wo man ohne Bankkarte vielerorts selbst vor der öffentlichen Toilette aufgeschmissen ist.

„›Bis zu 2000 unserer Reisenden haben schon einen solchen Chip. Das Interesse ist groß‹, sagt Lina Edström von der Bahn dieser Zeitung. SJ zufolge ist Schwedens Bahn die erste weltweit, die auf die Technik setzt. ›Viele Reisende finden das supercool. Wir glauben, dass hier die Zukunft liegt‹, sagt Edström.«

Der Bericht stammt von 2017. Die »Morgenpost« schreibt weiter:

„Der reiskorngroße Chip wird Willigen vom privaten Bahnkooperationspartner Biohack mit einer groben Spritze auf die Oberseite der Hand zwischen Daumen und Zeigefinger geschossen – wahlweise auch in die Handkante unterhalb des kleinen Fingers. Die Reisenden können sich danach eine Bahn-App aus dem Internet auf ihr Smartphone herunterladen. Dort geben sie ihre Bahnkartennummer ein. Die wird dann vom Telefon auf den Chip in der Hand gesendet. Die Chip-Technologie wurde bisher zur Identifikation von Haustieren wie Hunden genutzt.«

In Deutschland nicht möglich? Die Firma I am ROBOT aus Dortmund hat einen Onlineshop für Chipimplantate. Sie weiß zu berichten:

„Sie können sich mit unserem NFC-Chip-Implantat an der Fahrerkabine am Check-in-Gerät sowie an den Geräten der Fahrkartenkontrolleure ausweisen. […]. Laut Benutzererfahrung ist dies schon im Rhein-Main-Gebiet möglich. Der Zuständige Verkehrsverbund ist hier die RMV.«

Mithelfen, damit Bargeld für die Zukunft erhalten bleibt

Die Beispiele Berlin, Dresden, Erfurt, Chemnitz, Bern und Bayern sind eine gefährliche Blaupause in der schleichenden Bargeldabschaffung. Wenn Bargeld zunehmend abgelehnt wird, kann seine Infrastruktur innerhalb weniger Jahre zusammenbrechen. Warum? Je weniger Leute mit Bargeld bezahlen, auf desto weniger Schultern verteilen sich die Kosten für Bargeldtransporte, Bargeldautomaten, Ticketautomaten am Bahnsteig und Barkassen im Einzelhandel. Die Banken erhöhen in der Folge die Gebühren. Verkehrsbetriebe gehen dazu über, Bargeld abzulehnen. Gewerbetreibende tun dasselbe. Schweden hat genau das bereits hinter sich. Der Bürger wird gläsern. Ist uns eine freie Gesellschaft nichts wert?

Wenn doch, helfen Sie mit, unsere Mitmenschen aufzuklären. Sie bekommen kostenlos Flyer und Visitenkarten von uns. Verteilen Sie diese Informationen!

Hakon von Holst schreibt für bargeldverbot.info, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.

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