Hakon von Holst.* Bargeld ist nicht das Geld der Reichen. Bei einkommensschwachen Menschen ist es überdurchschnittlich beliebt. Bargeld verleiht Kontrolle über die eigenen Ausgaben, es flutscht nicht bequem davon mit einem Wisch über das Smartphone. Bargeld ist das einzige staatliche Zahlungsmittel für jedermann – kostenlos und nicht im Interesse der Finanzindustrie, die sich an den Gebühren für Kartennutzung bereichert. Und nicht zuletzt bleiben Menschen dank Banknoten und Münzen handlungsfähig bei Pfändungen und manchmal auch bei politischer Verfolgung. Doch damit könnte es schnell vorbei sein. Die Wirtschaft geht dazu über, Bargeld abzulehnen.
Der öffentliche Nahverkehr zieht mit. In Leipzig werden neue Automaten in Bus und Bahn installiert: Barzahlung unmöglich. »Wir gehen von einer vollständigen Umsetzung im Jahr 2025 aus«, schreiben die Leipziger Verkehrsbetriebe auf Anfrage. Ähnliches tönt aus Rostock: »Wir stellen derzeit gerade unsere mobilen Fahrkartenautomaten auf eine neue Generation mit bargeld- und kontaktloser Zahlungsweise um«, so die Rostocker Straßenbahn AG per E-Mail. Erhalten bleiben die stationären Automaten. Die gibt es an grob 50 von 569 Haltestellen. Wer bar bezahlen will, muss das in Zukunft dort tun und sich provisorisch mit Fahrscheinen eindecken. In Hamburgs Bussen ist die Barzahlung seit dem 1. Januar 2024 ausgeschlossen. Ticketentwertung durch Stempeln wie in Rostock, das gibt es in der Hansestadt nicht. Letzter Ausweg für Menschen ohne Bankkonto: eine anonyme Guthabenkarte. Die kann am Automaten mit Bargeld aufgetankt werden.
93 Prozent der Deutschen wünschen sich Wahlfreiheit, bar oder unbar zu bezahlen. Darum kommt Beistand von ganz oben: »Die Bundesregierung misst der generellen Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von Bargeld große Bedeutung bei und bekennt sich zum Fortbestand des Bargeldes als gesetzliches Zahlungsmittel.« Aber wo bleibt der Fels in der Brandung?
Das Bundesverkehrsministerium hat die Einführung der Guthabenkarte in Hamburg anlässlich der Bargeldabschaffung im Bus gesponsert, wie die Behörde auf Anfrage bestätigt. Auch im Osten dauert die Suche nach dem Gönner nicht lang. Die Umrüstung auf bargeldlose Fahrscheindrucker in Leipzig wird laut einem Lokalmedium ebenfalls vom Verkehrsministerium gefördert. Dasselbe zeigt sich in Rostock.
Nicht nur die Bundesregierung weiß, dass den Deutschen das Bargeld am Herzen liegt. Darum gehen auch ÖPNV-Unternehmen langsam vor. Bei Zahlung mit Smartphone-App gewährt der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) seit März 2013 drei Prozent Rabatt, seit Januar 2021 sieben Prozent. Man wolle den »Absatz von papierlosen Tickets« fördern, schreibt der HVV auf Anfrage. Die Guthabenkarte vom HVV ist zugleich ein elektronischer Fahrschein im Chipkartenformat. Gibt es also auch für deren Nutzer sieben Prozent? Nein, stellt der HVV klar und präzisiert: Man verfolge »das Ziel, Online-Bezahlverfahren zu fördern«. Bei der Guthabenkarte sei nun mal kein Bankkonto oder Paypal-Konto hinterlegt.
Kinder sollen Smartphones nutzen. Möglichst früh. In Erfurt fahren die ersten zehn Busse bargeldlos. Die Stadtwerke Erfurt empfehlen Eltern »die Nutzung der FAIRTIQ-App«. Davon profitiert der knappe elterliche Geldbeutel. Denn bei Zahlung per App gibt es auch für die Kinder-Einzelfahrt zehn Prozent Rabatt, wie die Stadtwerke auf Anfrage mitteilen. In Dresden wollen die Verkehrsbetriebe wenigstens kulant reagieren, wenn Kinder »sagen, dass sie keine Chance hatten, eine Fahrkarte zu kaufen«, wie man in der Dresdner Wochenzeitung 2021 las. Alle Busse und Bahnen sind inzwischen mit bargeldlosen Fahrscheindruckern unterwegs, bestätigt ein Sprecher dem Autor. Aus Chemnitz kommen harte Nachrichten. Ein Zwölfjähriger wurde aus dem Bus geworfen, weil sein Bargeld nicht mehr erwünscht war. Der MDR berichtete über einen Brief an den Vater. Das kommunale Verkehrsunternehmen CVAG empfahl ihm die »Mastercard für Kinder zwischen 7 und 18 Jahren«. Es falle aber ein Jahrespreis von 36 Euro an, das habe man nicht erwähnt. Eine Nachfrage des Autors zu dieser Empfehlung blieb von der CVAG unbeantwortet.
Die Presseabteilung der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) spekuliert schon über eine bundesweite Diskussion über die Abschaffung der Ticketautomaten. Diese Frage stelle sich in Zeiten des Deutschlandtickets. In Dresden seien nun 90 Prozent der Passagiere mit Dauerfahrkarten unterwegs, so die DVB per E-Mail.
Das Deutschlandticket erhält man weder am Automaten noch gegen Bargeld. Papierausdrucke werden seit dem Frühjahr 2024 nicht mehr anerkannt, nur personalisierte Chipkarten und Handytickets. Bei der Ticketkontrolle geben Fahrgäste den digitalen Systemen ihren Aufenthaltsort preis. Das Bundesverkehrsministerium schreibt auf Anfrage, man habe sich »bei der Einführung des Deutschlandtickets sehr stark dafür eingesetzt, dass dieses Ticket von Anfang ausschließlich in digitaler Form angeboten wird«. Als Grund nennt die Behörde, dass sich »ohnehin knappe Ressourcen« wie Wagenmaterial und Personal »mit einer besseren Datengrundlage« effizienter einsetzen ließen. Der Bahn-Staatskonzern macht mit und beschleunigt das Ende des Automaten-Vertriebs: Sparpreistickets gibt es seit Ende 2023 nur noch online oder – für alle, die es umständlich haben wollen – am Schalter.
Digitalzwang gefährdet Bargeld als Zahlungsmittel. Denn je weniger Banknoten und Münzen genutzt werden (können), desto unökonomischer wird der Unterhalt der Bargeld-Infrastruktur durch die Banken. Immer mehr Filialen und Geldautomaten verschwinden. Der Handelsverband Deutschland klagt inzwischen über Schwierigkeiten beim Einzahlen von Bargeld und beim Besorgen von Wechselgeld. Der Staat hat bislang nichts dagegen getan. Im Gegenteil, er hat die Entwicklung befördert. Nicht nur finanziell, sondern auch per Gesetz: Bundesrat und Bundestag sorgten 2021 für Rechtssicherheit und erlaubten den bargeldlosen Ticketvertrieb deutschlandweit explizit.
Auf Kommunalebene läuft die Bargeldabschaffung nicht nur im Nahverkehr. Die Stadtteilbürgerbüros von Düsseldorf schließen die Barzahlung seit dem 15. Juli 2024 aus. Dresden, Emmerich und Mühlheim gehen denselben Weg. Schnell ins Freibad? Die Gemeinden Zella-Mehlis (Thüringen) und Löchgau (Baden-Württemberg) nehmen am Badeort kein Bargeld mehr an. In der Presse mehren sich Berichte über bargeldlose Bäckereien, Bars und Restaurants.
Die Europäische Union könnte dem einen Riegel vorschieben. Das EU-Parlament berät einen Verordnungsentwurf der Kommission zur Rolle des Bargelds als Zahlungsmittel. Bislang ist keine wirksame Akzeptanzverpflichtung vorgesehen. Einige Sozialdemokraten und Mitglieder der europäischen Grünen- und Links-Fraktion haben einen Vorstoß unternommen, flächendeckende Bargeld-Annahme zumindest in Läden und Geschäften sicherzustellen.
Dass Bargeld nicht nur im Handel, sondern auch im Nah- und Fernverkehr akzeptiert bleibt, das fordert eine aktuelle Petition. Bislang hat sie 75.000 Unterstützer gefunden. Mit seiner Stimme kann jeder Bürger dazu beitragen, dem Interesse der Bevölkerung am Bargeld Sichtbarkeit zu verleihen. Bis die Politik handelt, geht die Abschaffung des einzigen staatlichen Zahlungsmittels weiter: Seit dem 1. September 2024 kann in Berlins Bussen nur noch bargeldlos bezahlt werden.
* Hakon von Holst, Jahrgang 1999, ist Journalist und Lektor. 2022–23 Studium an der Freien Akademie für Medien & Journalismus. Mehr Informationen unter HakonvonHolst.de.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf den Nachdenkseiten.