Die Rheinbahn hat – wie berichtet – angekündigt, Papiertickets bis 2027 abzuschaffen. Der gesamte Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) will folgen. Die Norm soll dann das Handyticket sein. Als Ausweichmöglichkeit soll es eine aufladbare Kundenkarte geben. Wie kunden- und datenschutzfreundlich diese Ersatzlösung werden wird, dazu gibt es bisher aber nur ein „Hoffen“ der Verantwortlichen. Der Übergang zur Papierlosigkeit ist dagegen schon so gut wie beschlossen.
Zukunftsrat spricht von Diskriminierung
Im Jahr 2013 hat eine vom NRW-Verkehrsministerium ÖPNV-Zukunftskommission NRW ihren Abschlussbericht „Zukunft des ÖPNV in NRW – Weichenstellung für 2020 / 2050“ vorgelegt. Beteiligt waren Institutionen, die auch heute noch in solchen Fragen das Sagen oder eine wichtige Stimme haben, wie z.B. VRR, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Landkreistag NRW, Städte- und Gemeindebund NRW, Deutscher Städtetag und Städtetag NRW, DGB NRW und VCD. Ihr Bericht liest sich in Teilen wie eine Fundamentalkritik dessen, was Rheinbahn und VRR vorhaben:
„Der öffentliche Verkehr muss als Dienstleistung der Daseinsvorsorge den Anspruch erfüllen, allen Bürgern und auch Touristen gleichmäßig und ohne andere Vorleistungen als den Fahrscheinerwerb selbst zur Verfügung zu stehen. Alle anderen Hürden haben die Diskriminierung der davon betroffenen Bürger zur Folge. Von dieser Diskriminierung betroffen sind bei weitem mehr Bürger als diejenigen, die im Sinne des Gesetzes als schwerbehindert anerkannt sind. (…) Barrieren und Diskriminierungen werden laufend neu geschaffen, (…) durch den Einsatz von Automaten und Elektronik, die für einige Nutzer Barrieren abbaut, für andere aber neue Barrieren aufrichtet.“
Diskriminiert würden unter anderem allein-reisende Kinder, Senioren mit altersbedingten Einschränkungen aller Art und Menschen mit verminderter intellektueller Leistungsfähigkeit. Zum Thema Fahrkartenverkauf und -kontrolle schreibt die Kommission:
„Für Busfahrten mit Fahrscheinverkauf durch den Fahrer besteht aufgrund der Kommunikation von Mensch zu Mensch weitgehend Barrierefreiheit. (…) Ein Großteil des Fahrkartenverkaufs läuft aber über Fahrscheinautomaten. Diskriminierung von Fahrgästen findet hier statt durch Nichtannahme gültiger Zahlungsmittel (und) durch Informationen, die den Fahrgast intellektuell überfordern. (…) Als „barrierefrei“ wird auch das „Elektronische Fahrgeldmanagement“ dargestellt. Tatsächlich werden hier aber neue Barrieren aufgebaut, die vor allem sozial benachteiligte Bürger diskriminieren. Dies gilt insbesondere für den Einsatz von Handys und Smartphones. Erforderlich ist
– der Erwerb eines Geräts,
– die aktuelle Funktionsfähigkeit des Geräts,
– ein geladener Akku,
– ein (inländischer) Telefonvertrag,
– aktuell vorhandener Internetempfang,
– technische Kompatibilität (der Geräte).
Sozial benachteiligte Menschen können diese Voraussetzungen nicht immer zuverlässig erfüllen. Auch „normale“ Fahrgäste können von Mängeln der Funktionalität betroffen sein und sehen sich dann dem Vorwurf des Schwarzfahrens ausgesetzt. Chipkarten sind ebenfalls nicht barrierefrei, da ihr Inhalt vom Fahrgast nicht oder nicht ohne Hilfe des Verkehrsunternehmens wahrgenommen werden kann.“
Behindertenverband protestiert
Der technische Fortschritt seit 2013 hat an kaum einer dieser Feststellungen etwas geändert. Und so protestierte denn auch der Düsseldorfer Kreisverband des Behindertenverbands VdK, nachdem die Rheinbahn-Pläne bekannt wurden, gegen diese Diskriminierung. Menschen ohne Smartphone oder Kreditkarte würden faktisch vom öffentlichen Nahverkehr ausgeschlossen, sagte ein Sprecher des Verbands.
Die Rheinische Post befragte daraufhin die drei im Verwaltungsrat des VRR und auch der Rheinbahn sitzenden Ratsherren Andreas Hartnigk (CDU), Norbert Czerwinski (Grüne) und Martin Volkenrath (SPD). Deren Antworten sind zum Teil von beeindruckender Hartleibigkeit.
Verantwortliche Politiker unbeeindruckt
„Die Aufregung ist völlig übertrieben“, sagt der Grüne Czerwinski und verwies auf die Niederlande, wo die Welt auch nicht untergegangen sei. Den Grünen sei es wichtig gewesen, dass nicht nur mit Smartphone oder Kreditkarte gezahlt werden kann. Die Geldkarte werde zudem eine anonyme Nutzung ermöglichen. Er hoffe zudem, dass sie nicht nur in den Kundencentern, sondern möglicherweise auch in einigen Kiosken aufgeladen werden kann.
Der CDU-Politiker Hartnigk weiß aus unbekannter Quelle, dass es in England und Spanien, auch für ältere Menschen kein Problem sei, den ÖPNV (bargeldlos) zu nutzen. Er setzt dann noch einen drauf mit dem Hinweis, seine 92-jährige Mutter gehe auch ganz normal mit Tablet und Smartphone um: „Warum sollte das ein anderer dann nicht auch schaffen?“
SPD-Politiker Volkenrath äußerte, um nicht zu sagen heuchelte, Verständnis und wiegelte dann ab, es werde schon nicht so dramatisch werden, wie manche meinen, und es sei zumutbar, einmal im Monat die Geldkarte im Kundencenter mit Bargeld aufzuladen.
Einschätzung
Das Vorgehen von Rheinbahn und VRR ist dreist, die Einlassungen der verantwortlichen Politiker indiskutabel. Einigermaßen diskriminierungsfrei und datenschutzverträglich ist die Abschaffung der Papiertickets nur, wenn es ein breites Vertriebsnetz für Bezahlkarten gibt, die anonym sind und mit Bargeld aufgeladen werden können oder schon aufgeladen sind. Verkauf in wenigen Kundenzentren ist keine Hilfe für Menschen, die von außen anreisen und kein Smartphone haben oder keines nutzen wollen oder nutzen können.
Diejenigen, die hier mit der Zwangsdigitalisierung voranpreschen, haben nur die Mehrheit der nicht körperlich oder geistig eingeschränkten, digitalaffinen und datenschutzignoranten Menschen im Blick. Sie haben kein Verständnis dafür, was es für eine Minderheit beträchtlicher Größe bedeutet, wenn sie öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr oder nur noch mit großen Hürden benutzen können. Sie sollten in sich gehen.
Die Rheinbahn befleißigt sich übrigens einer sogenannten inklusiven Sprache, mit vielen Sternchen und „innen“, damit sich jedweder Mensch jedweder gefühlten geschlechtlichen Orientierung korrekt angesprochen fühlt. Aber wo es etwas Nachdenken oder gar Geld kosten würde, auf Minderheiten Rücksicht zu nehmen und sie nicht zu diskriminieren, ist es mit der Inklusivität schnell vorbei.
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