Carlos A. Gebauer. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Monat ein wenig rühmliches Kapitel der deutschen und europäischen Rechtsgeschichte abgeschlossen. In der Sache ging es um Geld und der zeitliche Bogen des Ganzen spannte sich nach allem von 2015 bis 2024. Als Ergebnis des Instanzenmarathons dürften nun zunächst die informationellen Selbstbestimmungsrechte aller Bürger Europas und dann anschließend die Kontrollmöglichkeiten der Zentralbanken Schaden genommen haben. Der Kern des Verfahrens lässt sich wie folgt zusammenfassen.
Der Volkswirt und Journalist Dr. Norbert Häring hatte schon vor dem Jahr 2015 mit Sorge vielfältige Tendenzen beobachtet, die Nutzung und Alltagspräsenz des Bargeldes abzuschaffen. Was vordergründig als Kampf gegen Schwarzmärkte, Terrorfinanzierung oder Geldwäsche im Allgemeinen propagiert wird, dient im tiefen Maschinenraum des Geldsystems noch einem ganz anderen Zweck: Die Zentralbanken wissen bestens um die Fragilität des faktisch deckungslosen Währungssystems, dessen Steuerbarkeit durch die Unbeherrschbarkeit des Bargeldverkehrs immer neuen Herausforderungen ausgesetzt ist. Beseitigt man also mit diesem Bargeld den letzten Rest von realer Substanz aus der Welt des „fiat money“, lassen sich alle Mengen- und Liquiditätsprobleme der Währung fortan mit hochherrschaftlich digitalen Mausklicks in Sekundenbruchteilen lösen.
Opfer dieser Strategie ist, wer immer glaubte, sich in Währungsgestalt geronnene Kaufkraft bewahrt zu haben. Denn ein rein virtuelles Geld ist vollständig programmier- und damit manipulierbar. Zudem ist jeder Nutzer dieser Geldsorte in seinem Tun durchsichtig wie Glas: Wo immer und was auch immer er bezahlt, blicken ihm der Große Bruder der Zentralbank und mit ihm alle kooperierenden High-Tech-Systembetreiber stets in Echtzeit über seine Schultern. Das Ende des Bargeldes ist das Ende der Privatsphäre nicht nur im Finanziellen, sondern in allem, was mit diesen Finanzen in Berührung kommt. Kurz: Der Bürger wird zum totalüberwachten und wirtschaftlich fernsteuerbaren Objekt.
Eine glasklarer Gesetzeswortlaut
Zwischen der Möglichkeit einer solchen geldpolitischen Dystopie und der deutschen wie auch der europäischen Realität standen im Jahre 2015 noch zwei rechtliche Hürden. Das deutsche Bundesbankgesetz bestimmt seit 1956, dass Banknoten „das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel“ sind. Und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union besagt, Euro-Banknoten seien die einzigen Banknoten, die im Euroraum als gesetzliches Zahlungsmittel gelten. Solche Formulierungen erfreuen Juristenherzen bei ihrer Arbeit, weil sie in begrifflich unzweideutiger Klarheit daherkommen.
Das Einzige und das Unbeschränkte sind Größen, die – anders als etwa die rechtlichen Wesenheiten des Erforderlichen, Angemessenen oder Zumutbaren – keiner auslegenden Interpretation zugänglich sind. Wo das Gebot sagt, man solle keinen Gott neben dem Einen haben, da sind Debatten über Zweit-, Dritt- oder sonstige Nebengötter eigentlich obsolet. Doch selbst das präziseste Recht und seine etablierteste Dogmatik erfahren Erschütterungen, wenn sie in die Nähe des Politischen geraten. Und damit rückt das „eigentlich“ des Obsoleten in den Betrachtungsfokus.
Norbert Häring machte mir die Freude, mich als seinen Anwalt zu mandatieren, in einem Musterprozess die Frage klären zu lassen, ob das einzige gesetzliche Zahlungsmittel des Gesetzes auch das einzige gesetzliche Zahlungsmittel der Rechtsprechung bleiben werde.
Wir entschieden uns, den Hessischen Rundfunk als Gegner zu erküren, der in seiner Anstaltssatzung den Fehler begangen hatte, die Zahlung von Rundfunkbeiträgen mittels Bargeldes auszuschließen. Dies war emotional etwas riskant, weil Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf ähnlichem Gebiet operierten. Doch wir beschränkten unser juristisches Operationsfeld streng auf das geldrechtliche Terrain und grenzten rundfunkrechtliche Diskussionen vollends aus.
Sophismus im Dienste des Staatswohls
In der Eingangsinstanz bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main sahen die Richter das Problem und glaubten, es mittels einer „teleologischen Reduktion“ des Gesetzestextes umgehen zu können. Sie urteilten sinngemäß, der eigentlich methodisch unhintergehbar eindeutige Wortlaut der Gesetzesnorm müsse aus übergeordneten systematischen Gründen für irrelevant gehalten werden. So retteten sie die Satzung der Rundfunkbehörde.
Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel als Berufungsgericht schloss sich dem im Ergebnis an – wenn auch mit dogmatisch sanft resignierender Modifikation.
Erst das dann bemühte Bundesverwaltungsgericht erkannte in der Revisionsinstanz, dass das einzige Unbeschränkte ein unbeschränktes Einziges sei. Allerdings sahen die Leipziger Höchstrichter nun auch die unionsrechtliche Dimension des Falles und erklärten sich – genauer gesagt: ihren klägerseits als unzuständig gerügten 6. Senat (Rundfunkrecht) – geldrechtlich für unzuständig. Sie legten die Sache dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor, der sich ihrer mit seiner größten Spruchkammer annahm.
Der Umweg zum Europäischen Gerichtshof
Vertreter europäischer Regierungen, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission verhandelten im Juni 2020 mit den Streitparteien, 15 Richtern, einem Generalanwalt und einem Kanzler vielsprachig über die Frage: Was meint das verfassungsähnliche europäische Vertragsrecht, wenn es ein Zahlungsmittel zum „einzigen“ bestimmt? Kann es neben diesem Einzigen wirklich keinen digitalen Zweiteinzigen geben? Oder lassen sich derogierte bankinterne Verwaltungsregeln aus dem Jahr 2003 vielleicht doch kraft Richterrechtes zu unionsrechtlich vorrangigen Imperativen gegen den normenhierarchisch höchsten Vertragstext der Staatengemeinschaft wiederbeleben?
Monate später erläuterte der Generalanwalt dem Gericht, dass bürgerrechtliche Gründe der nötigen finanziellen Inklusion und der staatsorganisatorischen Verhältnismäßigkeit genau dies fordern. Und der Europäische Gerichtshof folgte dem. Mit seinen Antworten, die alle bisherige normative Klarheit praktisch in ihr kontradiktorisches Gegenteil verkehrten, sandte er die Akte zurück nach Leipzig, um den Revisionsrechtszug zu beenden.
Im Gebäude des ehemaligen Reichsgerichtes – genau dort übrigens, wo schon die deutsche Hyperinflation von 1923 nicht rechtzeitig beendet worden war – tagte dann ein nun neu konstituierter Senat aus fünf Richtern unter der Kaiserloge des goldglänzenden Großen Sitzungssaales. Von der Ursprungsverhandlung waren nur der Vorsitzende und der Berichterstatter noch dieselben. Der neue Spruchkörper erläuterte, er halte nach detaillierter Analyse der Luxemburger Entscheidung sämtliche Rundfunkbeitragssatzungen aller deutschen Sendeanstalten für rechtswidrig, so wie es der Kläger seit 2015 moniert hatte. Das Gericht mache aber von seinem Recht auf richterliche Rechtsfortbildung Gebrauch und erkläre – in Abweichung von der sonst ständigen Rechtsprechung des Abgabensenates – diese rechtswidrigen Satzungen bis zum Erlass neuer Satzungen zur weiterhin tauglichen Grundlage für darauf gestützte rechtmäßige Einzelbeitragsbescheide. Von der nach der Verwaltungsgerichtsordnung in solchen Fällen geforderten Beteiligung des Neunten Senates sah man ab und beendete den Termin ohne erneute Antragstellungen. Sodann entschied der neu besetze Senat zur Kostenlast des Klägers gegen ihn.
Rechtsfehler im Instanzenmarathon
Dieses Revisionsurteil nahm dem Kläger sein grundrechtsgleiches Recht auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter. Denn der eigentlich zuständige 9. Senat (Abgabenrecht) hatte das Verfahren – trotz klägerischer Rüge – nicht geführt, nicht entschieden und nicht nach gesetzlich gebotener Beteiligung mitbeeinflusst.
Mehr noch: Drei von fünf Bundesrichtern fällten ein Urteil, ohne über die Anträge überhaupt verhandelt zu haben.
Das Urteil wich zugleich von der bisher ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ab, das die bargeldlose Zahlung nur zur „Leistung an Erfüllungs statt“ erklärt. Diese Abweichung hätte Anlass gegeben, den Gemeinsamen Senat aller Gerichtshöfe zur Schaffung einer einheitlichen Rechtsprechung in dieser so wesentlichen Frage zu beteiligen. Das unterblieb. Alleine der Europäische Gerichtshof hat seinem Auftrag entsprochen, das Unionsrecht zu vereinheitlichen. Immerhin.
Die Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen die genannten Rechtsfehler wurde nun soeben in Karlsruhe ohne Angabe von Gründen für unzulässig befunden. Eine dreiköpfige Kammer des Gerichts beschloss nach mehr als anderthalb Jahren des Nachdenkens, die Beschwerde für unerheblich zu erachten.
Das gänzliche argumentative Schweigen im Schloßbezirk ist beinahe verständlich: Wo hätte das Bundesverfassungsgericht angesichts dieser Kaskaden aus rechtlichen Abirrungen in Frankfurt, Kassel, Leipzig und Luxemburg überhaupt ansetzen sollen?
Wenn Gerichte in dieser Weise nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch gegen die Realität judizieren, dann wendet sich erfahrungsgemäß zuletzt die Wirklichkeit selbst gegen ihre Entscheidungen. So wird es nach meiner Einschätzung auch hier geschehen.
Denn nach dem Greshamschen (Natur-)Gesetz akzeptieren Menschen bekanntlich schlechteres Geld dann nicht, wenn ihnen besseres zur Verfügung steht. Nimmt der Staat ihnen nun aber ihr Bargeld und zwingt er sie, nur digitales Geld zu nutzen, werden sie sich dieser alternativlosen Nutzung entziehen. Denn das digitale Geld ist durch seine Überwachungsdimension offenkundig schlechtes Geld.
Ohne legale Alternative wird der Bürger folglich absehbar in paralegale Varianten ausweichen. Und die zu kontrollieren, ist der Zentralbank dann erst recht unmöglich. So haben die Jahre des Prozessmarathons von 2015 bis 2024 immerhin den Grundstein für das Ende der bislang diskutierten Währungsarten gelegt. Denn Kapitel kann man schließen, aber die Geschichte schläft nicht.
Zu Gresham eine abweichende Meinung
Norbert Häring. In sehr vielem bin ich mit Carlos A. Gebauer einer Meinung. Aber die von ihm hartnäckig vertretene Prognose, dass die Verschlechterung des Geldes durch gerichtlich abgesegneten Digitalisierungszwang dazu führen werde, dass die Bürger massenhaft Alternativen nutzen, teile ich nicht. Dazu sind die Koordinationsprobleme zu groß. Dafür, dass sich weithin akzeptierte Parallelwährungen etablieren können, muss eine Währung ihren Gebrauchswert schon ziemlich weitgehend verlieren oder viel zu knapp sein.
Wir werden uns schon aktiv gegen die überwachungsfreundliche Zwangsdigitalisierung des Bezahlens und aller möglichen anderen Lebensbereiche, wie Mobilität und Gesundheit, wehren müssen. Aber ich stimme zu, dass der richterliche Persilschein für den Staat, das eigene Geld nicht mehr zu akzeptieren, diesem auf die Füße fallen wird.
Denn dass es sich hier um eine übergriffige Freiheitsbeschränkung handelt, ist für allzuviele Bürger allzu offensichtlich. Das ausgeprägte Misstrauen, das dem geplanten digitalen Euro als Ersatz des Euro-Bargelds weithin entgegengebracht wird, zeugt hiervon. Es sind solche Exzesse, die es braucht, damit sich Widerstand in größerem Maßstab formieren kann.
Nachwort
Vielleicht finden sich ja Rechtswissenschaftler, die es lohnend finden, sich kritisch mit den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts, sowie mit der Nichtannahme unserer Verfassungsbeschwerde zu befassen. Den Text der von Carlos A. Gebauer formulierten Verfassungsbeschwerde finden Sie hier.
Nach meiner Kenntnis gibt es bisher nur einen juristischen Fachaufsatz von Benjamin Beck und Dr. Dominik König zum Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt.
Eine Zeitleiste zum gesamten Instanzenweg mit Links zu Urteilen, Eingaben und Kommentierungen finden Sie hier.